Baurecht

Erfolgloses Eilverfahren gegen die dem Nachbarn erteilte Tekturgenehmigung

Aktenzeichen  1 CS 20.1796

Datum:
12.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32715
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1. Ist das natürliche Gelände bei Erlass der Tekturgenehmigung nicht mehr vorhanden war und fehlen belastbare Höhenangaben in der ursprünglichen Baugenehmigung, muss die Geländeoberfläche nachträglich rechnerisch bestimmt werden.(Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach dem Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für das Vorhandensein der Voraussetzungen der ihm günstigen Rechtsnormen trägt, trifft regelmäßig den klagenden Nachbarn die Beweislast für einen Abstandsflächenverstoß und die Nichtaufklärbarkeit der seinen Abwehranspruch begründenden Tatsachen geht zu seinen Lasten (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 SN 19.5089 2020-07-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. Der Beigeladene zu 2 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die der Beigeladenen zu 1 erteilte Tekturgenehmigung für den Neubau von zwei Doppelhäusern mit Carports und Stellplätzen. Die Umplanung war veranlasst, da im Zuge der Bauausführung (Errichtung des Kellergeschosses) festgestellt wurde, dass die Abstandsflächen zu der nördlichen Grundstücksgrenze nicht eingehalten werden können.
Das Grundstück des Antragstellers grenzt im Nordosten an das Baugrundstück an. Zur Berechnung der Abstandsflächen werden in dem genehmigten Eingabeplan die nordwestliche Ecke des Doppelhauses 1/2 mit 522,98 m ü.NN (Wandhöhe bis OK Dachhaut 528,87 m ü.NN, errechnete Abstandsfläche 5,89 m) und die nordöstliche Ecke mit 523,21 m ü.NN (errechnete Abstandsfläche 5,66 m) angegeben. Der Abstand zur Grundstücksgrenze beträgt 5,89 m. Die Geländehöhen an den Gebäudeecken wurden in Abstimmung mit dem Landratsamt durch eine geradlinige Interpolation von an den Grundstücksgrenzen gemessenen Werten rechnerisch ermittelt, da das ursprüngliche Gelände nicht mehr vorhanden ist. Nach der vorgelegten Berechnung der Abstandsflächen durch den Antragsteller können die Abstandsflächen gegenüber seinem Grundstück in einem kleinen Bereich um bis zu 0,07 m nicht eingehalten werden. Er legt hierfür zuletzt eine Abstandsflächenberechnung vom 8. Januar 2020 „Abstandsflächen bezogen auf Urgelände ermittelt aus Laserpunkten“ vor. Darin wird die Höhenlage der nordwestlichen Gebäudeecke mit 522,85 m ü.NN und der nordöstlichen Gebäudeecke mit 523,07 m ü.NN angegeben. Für die Berechnung wurde das digitale Geländemodell (DGM) des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung (ADBV) berechnet aus Airbornlaserpunkten vom April 2010 (Genauigkeit der Laserpunkte ca. 0,1 m im ebenen freien Gelände) zugrunde gelegt und das digitale Geländemodell an die Kanal-GIS Höhe angeglichen.
Den gestellten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Juli 2020 abgelehnt. Zwar sei die Geltendmachung einer Abstandsflächenverletzung nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Antragsteller nur eine Abstandsflächenverletzung von wenigen Zentimetern geltend mache. Der Antragsteller habe jedoch nicht in substantiierter Weise dargelegt, dass die Höhenangaben im genehmigten Eingabeplan falsch seien. Die Beigeladene zu 1 habe sich einer anerkannten Methode zur nachträglichen Ermittlung der Geländeoberfläche bedient. Das vom Antragsteller zugrunde gelegte digitale Geländemodell sei wegen seiner Ungenauigkeiten nicht geeignet, einen Abstandflächenverstoß im Zentimeterbereich zu Lasten des Antragstellers nachzuweisen. Die ursprüngliche Geländeoberfläche könne weder durch die eine noch die andere Berechnungsmethode auf den Zentimeter genau bestimmt werden. Diese Nichtaufklärbarkeit gehe im Baunachbarprozess zulasten des Antragstellers. Ein missbräuchliches Verhalten der Beigeladenen zu 1 liege nicht vor.
Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend, dass er ausreichend dargelegt habe, dass die natürliche Geländeoberfläche an der nordwestlichen Ecke des nördlichen Doppelhauses nicht wie in den genehmigten Tekturplänen angegeben 522,98 m ü.NN betrage. Es könne nicht mehr verlangt werden, als die durch Interpolation gefundene Abstandsflächenermittlung, die nach dem Verwaltungsgericht geeignet sei, zumindest den Beweis des ersten Anscheins für den Verlauf der natürlichen Geländeoberfläche zu führen, zu erschüttern. Es bedürfe einer kritischen Untersuchung der Daten der Bauherrschaft, zumal ein missbräuchliches Verhalten des Bauherrn vorliege. Das Verwaltungsgericht habe den zuletzt vorgelegten Plan vom 8. Januar 2020 nicht gewürdigt, die Fehlertoleranz des Produkts des ADBV „Laserpunkte“ liege bezüglich der Höhengenauigkeit bei ca. 0,1 m im ebenen freien Gelände.
Die Beigeladene zu 1 hält dem entgegen, dass zwar die Laserpunkte, für die eine Höhengenauigkeit mit 0,1 m angegeben werden, Grundlage für das digitale Geländemodell seien. Doch auch das ADBV Rosenheim, auf das sich der Antragsteller bezogen habe, gebe die Höhengenauigkeit des Geländemodells mit +/- 0,20 m an. Der Nachweis der Tatsache, dass eine Abstandsflächenverletzung vorliege, obliege dem Antragsteller. Hierzu zähle auch der Gegenbeweis einer anderen als von der Beigeladenen zu 1 mittels Interpolation ermittelten natürlichen Geländeoberfläche.
Der Antragsgegner beantragt
die Zurückweisung der Beschwerde. Dem Antragsteller gelinge es auch mit der Beschwerde nicht, in substantiierter Weise darzulegen, dass die Höhenangaben im genehmigten Plan falsch seien. Nachdem die vom Antragsteller veranlassten Geländemessungen Ungenauigkeiten aufwiesen, seien sie nicht geeignet, die von der Beigeladenen zu 1 durch geradlinige Interpolation errechneten Höhenangaben zu widerlegen und eine Verletzung des Antragstellers in subjektiven Rechten darzulegen.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Nachbarklage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird, so dass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen zu 1 nachrangig ist.
Der Nachbar wird in seinen Rechten verletzt, wenn ein Vorhaben genehmigt wird, dessen Abstandsfläche sich auf sein Grundstück erstreckt. Dabei kann eine Verkürzung der Abstandsflächentiefe nur den Eigentümer des Grundstücks in seinen Rechten verletzen, demgegenüber die Verkürzung vorgenommen wurde. Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde geltend macht, dass die Abstandsflächen zu dem Grundstück FlNr. …, das nicht in seinem Eigentum steht, bis zu 0,14 m nicht eingehalten würden, ist dies nicht entscheidungserheblich.
Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe, den unteren Bemessungspunkt für die Berechnung der Wandhöhe bildet die Geländeoberfläche (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 BayBO). Regelmäßig bildet das vorhandene „natürliche“ Gelände die Geländeoberfläche im Sinn von Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 1 ZB 15.1839 – juris Rn. 5; B.v. 17.4.2015 – 15 CS 14.2612 – juris Rn. 7). Da das natürliche Gelände bei Erlass der Tekturgenehmigung nicht mehr vorhanden war und belastbare Höhenangaben in der ursprünglichen Baugenehmigung fehlen, muss die Geländeoberfläche nachträglich rechnerisch bestimmt werden. Dabei können Berechnungsmethoden nie den exakten, nicht mehr vorhandenen Geländeverlauf wiedergeben, sondern sich ihm nur bestmöglich annähern. Der Tekturgenehmigung liegt ein durch Interpolation ermittelter Geländeverlauf zugrunde. Dabei wurden ausgehend von der vorhandenen Geländeoberfläche in der Nähe der nordwestlichen und nordöstlichen Gebäudeecken die für die Abstandsflächenberechnung notwendigen Höhenmaße durch Interpolation gewonnen. Bei einem nahezu ebenen Grundstücksverlauf kann damit ein gutes Annäherungsergebnis erzielt werden. Die vom Antragsteller vorgelegte Berechnung aufgrund eines vorhandenen digitalen Geländemodells für das Baugrundstück, das mit eigenen Messungen verglichen wurde, weist demgegenüber keine Genauigkeit auf, die es rechtfertigen würde, von einer tatsächlich vorliegenden Abstandsflächenverletzung auszugehen. Wie die Beigeladene zu 1 zutreffend ausgeführt hat, betrifft die vom Antragsteller angegebene Höhengenauigkeit im ebenen, freien Gelände von ca. 0,1 m die Erfassung der Geländeoberfläche vom Flugzeug aus mittels Laserpunkten. Hingegen ist die Höhengenauigkeit des aus den Bodenpunkten der Laserscanningdaten (flugzeuggestütztes Laserscanning) erstellten digitalen Geländemodells bei dem Modell mit der geringsten Gitterweite in der Regel „nur“ besser als +/- 0,2 m (vgl. adbv-rosenheim.de/produkte). Dass sich auch aus dem vom Antragsteller vorgelegten, angepassten Geländemodell an einzelnen Punkten Ungenauigkeiten bis zu ca. 0,1 m ergeben, hat das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss (BA S. 17) aufgezeigt. Hierzu und zu der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass ein Abstandsflächenverstoß auch bei der Annahme einer Toleranz von ca. 0,1 m nicht vorliege, verhält sich die Beschwerde nicht.
Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass den Antragsteller die Beweislast für einen Abstandsflächenverstoß trifft. Nach dem Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für das Vorhandensein der Voraussetzungen der ihm günstigen Rechtsnormen trägt, trifft regelmäßig den klagenden Nachbarn die Beweislast für einen Abstandsflächenverstoß. Die Nichtaufklärbarkeit der seinen Abwehranspruch begründenden Tatsachen geht zu seinen Lasten (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.1993 – 4 B 120.93 – juris Rn. 5; U.v. 19.9.1969 – IV C 18.67 – DVBl 1970, 62). Es liegt auch keine besondere Situation vor, die es rechtfertigen würde, zu einer anderen Beweislastverteilung zu kommen. Zwar waren die in der ursprünglichen Planung angegebenen Höhenangaben an der Grenze in der Ansicht Nordwest offensichtlich nicht zutreffend. Daraus allein kann aber kein missbräuchliches Verhalten des Bauherrn abgeleitet werden. Die Baueinstellung erfolgte nicht, wie der Antragsteller meint, weil planabweichend gebaut wurde (die Höhe der Rohbetondecke des Kellers entsprach dem genehmigten Plan), sondern weil vor Ort festgestellt wurde, dass das Gelände an der nordwestlichen Grenze nicht richtig dargestellt worden ist. Dies hätte auch bei einer Nachbarklage gegen die ursprüngliche Baugenehmigung festgestellt werden können. Der Antragsteller hat eine Kopie des Eingabeplanes erhalten und die Baugenehmigung wurde im Amtsblatt bekanntgegeben. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass es genüge, die Richtigkeit der von der Beigeladenen zu 1 vorgelegten Abstandsflächenberechnung zu erschüttern, kann der Senat dem nicht folgen. Zum einen gilt die Beweiserleichterung im Wege eines Anscheinsbeweises nur für typische Geschehensabläufe, zum anderen ist der Anscheinsbeweis eine Beweiserleichterung für die beweispflichtige Partei. Dies ist im vorliegenden Fall der Antragsteller und nicht die Beigeladene zu 1 (vgl. OVG Rh-Pf, U.v. 27.4.2006 – 8 A 10233/06.OVG – juris). Der Antragsteller muss nachweisen, dass auch bei Berücksichtigung von den zugrunde gelegten Daten bzw. dem zugrunde gelegten Modell immanenten Ungenauigkeiten ein Abstandsflächenverstoß vorliegt. Ein nur möglicher Abstandsflächenverstoß reicht nicht aus.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene zu 2 hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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