Baurecht

Errichtung eines Nebengebäudes unter Teilabbruch eines vorhandenen Gebäudes

Aktenzeichen  M 1 SN 19.5199

Datum:
28.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4051
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 80a, § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
BayDSchG Art. 6
BayBO Art. 6 Abs. 2, Art. 63

 

Leitsatz

Die Zulassung einer Abweichung von Art. 6 BayBO setzt Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch das sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage M 1 K 19.5197 gegen den Bescheid vom 16. September 2019 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen eine Baugenehmigung, die der Antragsgegner dem Beigeladenen zur Errichtung eines Nebengebäudes unter Teilabbruch eines vorhandenen Gebäudes erteilt hat.
Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gem. …, das im unbeplanten Innenbereich liegt. Er beantragte unter dem 15. Juli 2019 die Baugenehmigung für den Teilabbruch eines vorhandenen Nebengebäudes und die Errichtung eines neuen Nebengebäudes an der gleichen Stelle. Das Vorhaben soll grenzständig im Südwesten des Grundstückes auf einer Länge von 18,88 m errichtet werden. Ferner wurde ein Antrag auf Abweichung in Bezug auf die Länge der Abstandsflächentiefe gestellt (S. 46 f. d. Behördenakte). Hierzu wurde ausgeführt, dass die nach Art. 6 Abs. 9 (gemeint wohl Satz 2) BayBO zulässige Grenzbebauung von 15 m durch das hinzukommende Gebäude um 50,80 m überschritten werde. Im Bereich des geplanten Neubaus habe bereits ein Nebengebäude gestanden. Nachbarschaftliche Interessen würden nicht beeinträchtigt.
Südlich des Baugrundstückes befindet sich das Grundstück FlNr. … Gem. …, das im Eigentum der Antragspartei (Pfarrkirchenstiftung) steht. Das Grundstück ist mit einer Kirche bebaut, die von einem Friedhof umgeben ist; zum Vorhabengrundstück hin ist der Friedhof mit einer Friedhofsmauer eingefasst. Das Vorhaben soll unmittelbar an die Friedhofsmauer angebaut werden. Die Kirche, der Friedhof und die Friedhofsmauer sind in die Liste der Baudenkmäler des Bayerischen Landesamtes für Denkmalschutz aufgenommen.
Bereits unter dem 11. August 2010 war dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für den Abbruch des bestehenden, ehemaligen landwirtschaftlichen Längsgebäudes und der Errichtung eines Wohngebäudes als zweite Wohneinheit auf dem Grundstück FlNr. … Gem. … erteilt worden. Die Genehmigung umfasste unter anderem bauliche Änderungen an dem – hier streitgegenständlichen – Nebengebäude. Nach den genehmigten Plänen sollte dieses Gebäude als Garage mit drei Stellplätzen genutzt und das Dach geändert werden. In seinen Außenmauern sollte es bestehen bleiben und an seiner östlichen Außenwand mit einer Treppe versehen werden. Die grenzständige südliche Außenwand des Bestandsgebäudes sollte um ca. 4,74 m in Richtung Osten verlängert werden; hinter der Wand war die Errichtung eines Lagerplatzes für Mülltonnen etc. vorgesehen. Dieser Lagerplatz sollte in Richtung Osten und Norden mit Holzwänden umbaut werden. Dieser Anbau war nicht bündig mit der nördlichen Außenwand des Bestandsgebäudes vorgesehen, sondern sollte sich nur ungefähr bis zur Hälfte der östlichen Außenwand erstrecken. Im Rahmen dieses Verfahrens legte der Beigeladene eine Zustimmung zur Abstandsflächenübernahme vom 21. Mai 2010 gemäß Art. 6 Abs. 2 BayBO vor, die die Pfarrkirchenstiftung zulasten ihres Grundstücks und zugunsten des Grundstücks des Beigeladenen abgegeben hatte. Hiernach wurde auf einer Länge von 18,85 m eine Abstandsfläche von 3 m übernommen.
Mit Bescheid vom 27. März 2019 ordnete das Landratsamt gegenüber dem Beigeladenen an, die nach Erlass des Baugenehmigungsbescheids aufgenommenen Bauarbeiten sofort einzustellen. Der Beigeladene wurde aufgefordert, einen Bauantrag für die Neuerrichtung der nunmehr abgerissenen Garage zur Prüfung der nachträglichen Genehmigungsfähigkeit zu stellen, ferner eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis zu beantragen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei einer Ortsbesichtigung am 13. März 2019 festgestellt worden sei, dass die im genehmigten Eingabeplan dargestellte Bestandsgarage an der Friedhofsmauer abgerissen worden sei. Bei der östlichen Außenmauer sei der obere Bereich abgetragen worden. Das Dach und die nördliche Außenmauer sowie die Zwischenwand seien bereits entfernt worden. Eine südliche Außenmauer, wie in den Plänen dargestellt, habe es nicht gegeben. Gegenüber der ursprünglichen Planung beinhalte dies die Änderung von tragenden und aussteifenden Bauteilen und sei daher von der Baugenehmigung nicht abgedeckt. Der Beigeladene sei darauf hingewiesen worden, dass die Bauarbeiten nicht dem genehmigten Plan entsprächen, da nur ein Anbau an die bestehende Garage genehmigt worden sei. Außerdem sei für die Arbeiten unmittelbar an der Friedhofsmauer eine denkmalrechtliche Erlaubnis erforderlich.
Gegen den Bescheid des Landratsamts vom 27. März 2019 hat der Beigeladene Anfechtungsklage (M 1 K 19.1942) erhoben und zugleich beantragt festzustellen, dass die ihm am 11. August 2010 erteilte Baugenehmigung, soweit diese die Garage nebst Anbau betrifft, nicht erloschen ist und von der Genehmigung daher weiterhin Gebrauch gemacht werden darf. Dieses Verfahren ruht aufgrund Beschlusses vom 15. November 2019.
Zu dem Bauantrag vom 15. Juli 2019 fand eine Besprechung des Landratsamtes mit einer Vertreterin des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege und mit dem Kreisheimatpfleger statt, die ergab, dass aus denkmalrechtlicher Sicht mit der Planung grundsätzlich Einverständnis bestehe. Der First solle gemittelt werden, sodass kein versetztes Dach entstehe. Die Dachabdeckung solle mit naturroten Ziegeln vorgenommen werden, der First gemörtelt werden. Der Ortgang solle gemörtelt oder eine Ortgangbrett verwendet werden; Fenster und Türen seien in Holz auszuführen (vgl. Aktenvermerk v. 18.8.2019, S. 25 d. Behördenakte).
Die Gemeinde erteilte am 20. August 2019 als Angelegenheit der laufenden Verwaltung ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben. Sodann erteilte das Landratsamt mit Bescheid vom 16. September 2019 die beantragte Baugenehmigung mit den Auflagen, die Dacheindeckung mit naturroten Ziegeln auszuführen, den First zu mörteln, den Ortgang zu mörteln oder ein Ortgangbrett zu errichten sowie Fenster und Türen in Holz auszuführen. Ferner wurde eine Abweichung im Hinblick auf die Abstandsflächen erteilt und dazu ausgeführt, dass bei dem Bauvorhaben die zulässige Grenzbebauung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO von 9 m um 23,18 m und die zulässige Grenzbebauung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO von 15 m um 50,80 m überschritten werde. Eine Abweichung habe erteilt werden können, da im Bereich des geplanten Neubaus bereits ein Nebengebäude gestanden habe.
Der Bescheid wurde der Antragstellerin per Einschreiben zugestellt; die Aufgabe zur Post erfolgte am 17. September 2019.
„Namens und im Auftrag des … Pfarrverbands …“ hat der Prozessbevollmächtigte der Antragspartei am 15. Oktober 2019 Anfechtungsklage (M 1 K 19.5197) gegen den Bescheid vom 16. September 2019 erhoben und beantragt zugleich:
Die Vollziehung des Bescheides wird ausgesetzt, und die Stilllegung des Bauvorhabens wird angeordnet.
Begründet wird dies damit, dass die Baugenehmigung die Antragspartei unzulässig in ihren Rechten verletze. Der Antragsteller sei Eigentümer des Grundstücks FlNr. 137 Gem. … und damit Nachbar im baurechtlichen Sinn. Die Baugenehmigung stelle fest, dass zwar die Höchstwerte des Art. 6 Abs. 9 BayBO mehrfach überschritten würden, diese Abweichung aber zulässig sei, da im Bereich des geplanten Neubaus bereits ein Nebengebäude gestanden habe. Diese Auffassung sei ermessensfehlerhaft. Denn ein etwaiger Bestandsschutz aufgrund vorhandener Bebauung könne nur so lange berücksichtigungsfähig sein, wie diese Bestandsbauten auch bestünden. Bereits im Frühjahr 2019 sei der Gebäudebestand abgebrochen worden. Ferner verstoße die Baugenehmigung auch gegen denkmalschutzrechtliche Vorschriften. Die Genehmigung ermögliche einen unmittelbaren Anbau an die denkmalgeschützte Friedhofsmauer. Diese sei im Bereich des neu zu errichtenden Gebäudes nicht mehr zugänglich. Sie stehe ebenfalls im Eigentum der Antragspartei; daher würden denkmalschutzrechtliche Vorschriften auch nachbarschützende Wirkung entfalten, insbesondere deswegen, weil das Vorhaben die Denkmalwürdigkeit erheblich beeinträchtige.
Dem Schriftsatz war ein Abdruck des Baugenehmigungsbescheids als Anlage K1 beigefügt, die den Vermerk „In Ausfertigung – per Einschreiben – an Pfarrkirchenstiftung … […] mit der Bitte um Kenntnisnahme“ trug.
Der Antragsgegner verteidigt seinen Bescheid und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hierzu wird ausgeführt, dass das im Frühjahr 2019 bereits überwiegend abgebrochene Gebäude direkt an die Friedhofsmauer angegrenzt habe. Das neue Gebäude werde dieses ersetzen und um 5,45 Meter länger ausgeführt. Bereits mit Bescheid vom 11. August 2010 habe der Beigeladene eine Baugenehmigung für ein Nebengebäude erhalten. Die Abweichungen hinsichtlich der Abstandsflächen verletzten den Nachbarn nicht, da eine Beeinträchtigung nicht ersichtlich sei. Es befinde sich unmittelbar auf der anderen Seite der Friedhofsmauer ein Friedhof mit Gräbern. Eine Bebauung sei somit faktisch dort nicht möglich. Die nachbarschützenden Belange wie Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden seien nicht einschlägig. Die Wandhöhe des Gebäudes überrage die Friedhofsmauer lediglich um 0,90 m. Das vorhandene und bereits abgerissene Nebengebäude sei nicht als Begründung für die Abweichung herangezogen, sondern lediglich in der Abwägung zu den nachbarlichen Interessen berücksichtigt worden, da es bis vor kurzem vorhanden gewesen sei und auch eine gültige Genehmigung zur Änderung und Erweiterung gehabt habe. Im Hinblick auf die denkmalrechtlichen Belange sei das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege im Verfahren beteiligt worden. Dieses habe dem Vorhaben grundsätzlich zugestimmt, jedoch eine gewisse gestalterische Ausführung angeregt; die erschwerte Zugänglichkeit der Mauer sei hingegen nicht beanstandet worden.
Der mit Beschluss vom 17. Oktober 2019 zum Verfahren beigeladene Bauherr beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei bereits unzulässig. Antragspartei sei der Pfarrverband, der mangels dinglicher Berechtigung nicht Nachbar, und daher nicht klage- bzw. antragsbefugt sei. Im Übrigen habe die Pfarrkirchenstiftung … am 21. Mai 2010 einer Abstandsflächenübernahme zugestimmt; diese sei weiterhin wirksam. Unabhängig davon, dass der Pfarrverband schon nicht dargelegt habe, dass er Eigentümer des Denkmals sei, sei die Eingabeplanung auf Grundlage der im Ortstermin mit der Denkmalschutzbehörde besprochenen Anforderungen erfolgt. Ein Zugang zur Friedhofsmauer sei, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, auch nach der Errichtung der Garage möglich: Im Übrigen sei dem Antragsteller die Sanierungsbedürftigkeit der Mauer seit 3,5 Jahren bekannt. Es fehle daher auch am Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag. Es sei rechtsmissbräuchlich, das Bauvorhaben mit dieser Argumentation hinauszuzögern.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragspartei stellt unter diesem und dem Aktenzeichen des Klageverfahrens einen Antrag auf Rubrumsberichtigung, nämlich die „… Pfarrkirchenstiftung … …, …“ ins Rubrum aufzunehmen. Hiergegen wendet sich der Beigeladene mit dem Argument, es handele sich um einen Parteiwechsel, gegen den er sich verwehre.
Für weiteren Ausführungen und die übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch in den Verfahren M 1 K 19.5197 und M 1 K 19.1942 sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag nach § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO ist zulässig.
a) Nach gebotener Auslegung des „Antrags nach § 80 Abs. 3, Abs. 4 VwGO“, „die Vollziehung des Bescheids auszusetzen“, ist das Begehren gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage M 1 K 19.5197 gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 16. September 2019. Dafür bietet § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO das statthafte Antragsverfahren, weil es sich bei der angefochtenen Baugenehmigung um einen dem Beigeladenen erteilten und diesen begünstigenden Bescheid handelt, gegen den sich die Antragspartei als Dritte grundsätzlich wehren kann.
b) Die Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO entsprechend) liegt vor. Die Antragspartei kann geltend machen, als Nachbarin im baurechtlichen Sinn in ihren Rechten verletzt zu sein. Antragspartei ist die Pfarrkirchenstiftung, die Eigentümerin des dem Bauvorhaben benachbarten Grundstücks FlNr. 137 Gem. … ist.
Zwar wird im Rubrum des Schriftsatzes vom 15. Oktober 2019 die Klage- und Antragspartei zunächst eindeutig mit „… Pfarrverband …“ bezeichnet. Der Pfarrverband ist nicht Eigentümer des Grundstücks FlNr. 137 Gem. … und wäre damit nicht unter Verweis auf die Eigentümerstellung antragsbefugt.
Jedoch ist auch eine Parteibezeichnung auslegungsfähig; maßgeblich ist hierbei auf das Verständnis aus der Sicht der Empfänger, also des Gerichts und der Gegenseite abzustellen (BVerwG, B.v. 22.3.2001 – 8 B 262/00 – juris Rn. 2; B.v. 30.12.1997 – 8 B 240/97 – juris Rn. 2 m.w.N.). Hierzu sind nicht nur die im Rubrum der Klage- oder Antragsschrift enthaltenen Angaben, sondern der gesamte Inhalt einschließlich beigefügter Anlagen zu berücksichtigen. Die fehlerhafte Bezeichnung einer Partei schadet nicht, wenn in Anbetracht der Umstände keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten bestehen. Dies gilt auch dann, wenn statt der richtigen Bezeichnung irrtümlich die Bezeichnung einer tatsächlich existierenden Person gewählt wird, solange nur aus dem Inhalt der Klage- oder Antragsschrift und etwaiger Anlagen unzweifelhaft deutlich wird, welche Partei tatsächlich gemeint ist. Von der fehlerhaften Parteibezeichnung zu unterscheiden ist dagegen die irrtümliche Benennung der falschen Person als Partei; diese wird Partei, weil es entscheidend auf den Willen des Klägers oder Antragstellers so, wie er objektiv geäußert ist, ankommt (VGH BW, U.v. 4.2.2014 – 3 S 147/12 – juris Rn. 28 m.w.N.). In diesem Sinne heißt es auch in dem von der Beigeladenenbevollmächtigten angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. April 2006 (8 B 27/06 – abgerufen bei beck-online, Rn. 4), dass es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, wer nach dem Inhalt der Klageschrift als Kläger anzusehen ist; sei die Bezeichnung des Klägers eindeutig, könne der Klagegegenstand nicht zu Zweifeln an der Person des Klägers führen. Hier ist eine derartige Eindeutigkeit nicht zu bejahen.
Zutreffend ist, dass die Parteibezeichnung im Rubrum des Schriftsatzes den Pfarrverband eindeutig nennt, und es sich dabei um eine andere Person als die der Stiftung handelt. In der Gesamtschau ist hier von einer Auslegungsbedürftigkeit dieser Angabe auszugehen. Dafür spricht der Widerspruch zwischen der Bezeichnung der Partei im Schriftsatzrubrum (Pfarrverband) einerseits und dem als Anlage beigefügten Bescheid andererseits, der beim Ausfertigungsvermerk die Pfarrkirchenstiftung nennt. Ferner spricht dafür der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragspartei, dass der Kläger (bzw. Antragsteller) Eigentümer des Grundstücks FlNr. 137 Gem. … sei (S. 2 des Schriftsatzes vom 15. Oktober 2019). Gemäß dem vom Beigeladenen bereits vorgelegten Auszug aus dem Katasterwerk und dem gerichtlicherseits eingeholten Grundbuchauszug ist zweifellos jedoch die Pfarrkirchenstiftung Eigentümerin des Grundstücks. Der Prozessbevollmächtigte der Antrags- bzw. Klagepartei hat nach Auffassung des Gerichts trotz der widersprüchlichen Angaben insgesamt, insbesondere durch den Bezug auf die Eigentümerstellung, hinreichend klargemacht, dass die Stiftung Partei des Rechtsstreits sein soll. Eine sachgerechte Auslegung der Klage- und Antragschrift muss danach zu dem Ergebnis führen, dass von vornherein nur die Stiftung als Nachbarin und als die somit von dem angefochtenen Bescheid allein Betroffene der Baugenehmigung entgegentritt. Die fehlerhafte Angabe des Pfarrverbands stellt ein offenbares Versehen dar. Ein Parteiwechsel ist darin nicht zu sehen.
Insoweit handelt es sich bei dem Antrag des Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 17. Januar 2020, das Rubrum dahingehend zu berichtigen, dass als Klage- und Antragspartei die … Pfarrkirchenstiftung … … geführt wird, um eine Klarstellung, der gerichtlicherseits nachzukommen war.
c) Ob in Hinblick auf die vormals erklärt Abstandsflächenübernahme der Antragspartei das Rechtschutzbedürfnis abzusprechen ist (Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dez. 2019, Art. 6 Rn. 122), kann hier noch dahinstehen (vgl. hierzu die Ausführungen sogleich). Denn jedenfalls im Hinblick auf die vorgetragene erhebliche Beeinträchtigung des Baudenkmals ist der Antragspartei ein Rechtschutzbedürfnis für einen Antrag auf vorläufigen Rechtschutz zuzugestehen.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 212a BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechenden Interessen oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht insbesondere zunächst die Erfolgsaussichten der Hauptsache als Indiz heranzuziehen, wie sie sich aufgrund der summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung darstellen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl., 2019, § 80 Rn. 88, 90 ff.).
b) Gemessen an diesen Maßstäben fällt die gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessensabwägung zu Gunsten der Antragspartei aus, da die Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid voraussichtlich Erfolg hat. Die mit Bescheid des Antragsgegners vom 16. September 2019 erteilte Baugenehmigung ist – nach summarischer Prüfung – rechtswidrig und verletzt die Antragspartei im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in nachbarschützenden Rechten.
Dritte können sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nur dann mit Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienen, nicht eingehalten werden, das auch drittschützende Wirkung vermittelnde objektiv-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird oder die Baugenehmigung sich für den Nachbarn als Eingriff in sein durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Eigentumsrecht darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1969 – IV C 234.65 – BVerwGE 32, 173).
aa) Die Antragspartei beruft sich auf die Verletzung des grundsätzlich nachbarschützenden Abstandsflächenrechtes nach Art. 6 BayBO. Dieser Einwand greift nach summarischer Prüfung durch, weil die durch das Vorhaben ausgelösten Abstandsflächen nicht wirksam übernommen wurden und die erteilte Abweichung voraussichtlich zu Unrecht erteilt wurde.
(1) Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmt grundsätzlich, dass Abstandsflächen auf dem Grundstück selbst liegen müssen. Das mit angegriffenem Bescheid vom 16. September 2019 genehmigte Gebäude liegt mit seiner südlichen Außenwand auf einer Länge von 18,88 m an der Grenze zum Grundstück FlNr. 137 Gem. … Das Bauvorhaben hält damit die erforderlichen Abstandsflächen von hier 3 m (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO) nicht ein; ein Privilegierungstatbestand nach Art. 6 Abs. 9 BayBO ist nicht erfüllt.
(2) Eine wirksame Abstandsflächenübernahme für dieses Bauvorhaben ist mit der Erklärung vom 21. Mai 2010 nicht erfolgt.
Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO dürfen Abstandsflächen sich ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden, oder wenn der Nachbar gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich zustimmt. Dabei wirkt die Erklärung nicht „abstrakt“, sondern nur für das Vorhaben, für das sie abgegeben wurde (König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 62; Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dez. 2019, Art. 6 Rn. 122).
Die Antragspartei hat sich mit der am 21. Mai 2010 unterzeichneten und im Landratsamt am 1. Juli 2010 eingegangene Erklärung gegenüber dem Beigeladenen verpflichtet, die Erstreckung der Abstandsflächen mit einer Tiefe von 3,0 m auf einer Länge von 18,85 m auf ihrem Grundstück FlNr. 137 Gem. … zu dulden. Bestandteil der Erklärung ist ein Plan, auf dem das Nebengebäude dargestellt ist, das mit Bescheid vom 11. August 2010 genehmigt worden ist. Es handelt sich somit um ein anderes Bauvorhaben als das, wofür die nun streitige Baugenehmigung erteilt wurde. Die Übernahmeerklärung ist für dieses Vorhaben ohne Relevanz. Es mag zutreffen, dass das jetzige Bauvorhaben Abstandsflächen ebenfalls in einer Tiefe von 3 m erfordert und auch in seiner Länge im Wesentlichen gleich bleibt; zum Grundstück der Antragspartei ist eine Länge von 18,88 m vermaßt. Nach Auffassung der Kammer ist maßgeblich darauf abzustellen, dass die Identität des Bauvorhabens nicht mehr gegeben ist. Durch den erfolgten Teilabriss sind wesentliche Bestandteile des Ursprungsgebäudes nicht mehr vorhanden, namentlich sind die Außenwand Richtung Süden sowie nach Norden gerichteten Wandteile abgetragen worden und auch nicht mehr als „Bestand“ in den aktuellen Planunterlagen verzeichnet. Stattdessen sollen neue Wände und eine Zwischenwand neu eingezogen werden, die jedenfalls für die Statik eine erhebliche Rolle spielen und daher auch bewirken, dass die Identität mit dem vormals genehmigten Bauvorhaben nicht mehr gegeben ist. Identität ist auch deswegen nicht anzunehmen, weil der ehemals beantragte und genehmigte „Lagerplatz, Mülltonnen etc.“ mit der jetzigen Planung nicht mehr vergleichbar ist. Nunmehr ist der Anbau „Lager“ über der gesamten östlichen Seite des „Bestandsgebäudes“ geplant; stattdessen ist die Außentreppe aus der Planung herausgenommen worden, und das „Lager“ ist fest umbaut mit an der Ostseite vorgesehenen Tür und Fenster. Somit hat die Antragspartei nur zu dem im Jahr 2010 genehmigten Bauvorhaben eine Übernahmeerklärung im Hinblick auf die Abstandsflächen abgegeben, nicht aber bezogen auf das streitgegenständliche Bauvorhaben. An dieser Erklärung muss sie sich nicht festhalten lassen.
Offensichtlich ging im Übrigen auch der Beigeladene davon aus, dass die Abstandsflächenübernahme aus dem Jahr 2010 für das vorliegende Bauvorhaben keine Relevanz mehr hat, weil er mit seinem Antrag vom 15. Juli 2019 einen Antrag auf Abweichung gestellt hat, der ansonsten nicht erforderlich gewesen wäre.
(3) Die Baugenehmigung erweist sich im Hinblick auf die Abstandsflächen auch nicht deshalb als rechtmäßig, als der Antragsgegner eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO von den erforderlichen Abstandsflächen zugelassen hat. Die nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO zugelassene Abweichung ist aller Voraussicht nach rechtswidrig. Hierauf kann sich die Antragspartei auch berufen, weil es sich bei Art. 6 BayBO um eine nachbarschützende Vorschrift handelt und daher verlangt werden kann, dass alle Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingehalten werden (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 4; König in Schwarzer/König, 4. Aufl. 2012, BayBO Art. 63 Rn. 32).
(a) Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde eine Abweichung von Art. 6 BayBO erteilen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO, vereinbar ist. Die Voraussetzungen hierfür liegen nach summarischer Prüfung nicht vor.
(b) Zum Zweck der abstandsflächenrechtlichen Regelungen ist festzuhalten, dass sie im Ergebnis bestimmen, welchen Abstand Gebäude, die nicht aneinander bzw. an die Grundstücksgrenze gebaut werden dürfen, voneinander einhalten müssen. Außerdem legen sie fest, dass die dadurch entstehenden Abstandsflächen grundsätzlich von Bebauung frei bleiben müssen. Damit soll eine ausreichende Belichtung und Belüftung nicht nur des zu errichtenden Gebäudes und des Baugrundstücks, sondern auch der Nachbargebäude und Nachbargrundstücke sichergestellt sowie dazu beigetragen werden, dass die für notwendige Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zur Verfügung stehen. Das Abstandsflächenrecht ist nicht nur gebäude-, sondern auch grundstücksbezogen. Ferner wird vertreten, dass das Abstandsflächenrecht auch die Wahrung eines dem „Wohnfrieden“ dienenden „Sozialabstandes“ bezwecken soll, der Wohngrundstücke in begrenztem Umfang wechselseitig vor Einblicken und ungewollter Anteilnahme an den Lebensäußerungen der Nachbarn schützt (vgl. König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 3 m.w.N.).
(b) In der bisherigen Rechtsprechung ist für die Zulassung einer Abweichung von Abstandsflächenvorschriften eine atypische Fallgestaltung bzw. Situation gefordert worden. Die Zulassung einer Abweichung erforderte danach Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. Es musste sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln. Eine solche „Atypik“ kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben; auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, konnte bisher zu einer Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung führen (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Zum 1. September 2018 wurde Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO eingefügt, wonach Art. 63 BayBO unberührt bleiben soll. Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/21574, S. 13) soll damit ausdrücklich klargestellt werden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Abweichung von Vorgaben des Abstandsflächenrechts ausschließlich in Art. 63 BayBO geregelt sind; das Gesetz fordere nicht die von der Rechtsprechung verlangte Atypik. Ob jedoch ein etwa vorhandener Wille des Gesetzgebers, dass eine Atypik bei der Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen generell nicht mehr zu prüfen sein soll, nun einen (hinreichenden) Niederschlag gefunden hat, wird in der Rechtsprechung bislang uneinheitlich beurteilt (vgl. zu der divergierenden Rspr. etwa VG München, U.v. 24.7.2019 – M 9 K 18.5334 – juris Rn. 27 ff.; VG Würzburg, B.v. 13.11.2018 – W 5 S 18.1260 – juris Rn. 49; VG Ansbach, U.v. 12.9.2019 – AN 3 K 18.01948 – juris Rn. 112; VG Augsburg, U.v. 11.7.2019 – Au 5 K 19.54 – juris Rn. 35; U.v. 1.8.2019 – Au 5 K 19.84 – juris Rn. 38). In der Literatur wird kritisch angemerkt, dass eine vom Wortlaut her eindeutige Regelung, wonach Abweichungen von Abstandsflächenvorschriften keine Atypik verlangen, dem Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO nicht entnommen werden könne (z.B. Weinmann in BeckOK, BayBO, 13. Aufl., Stand 1.11.2019, Art. 63 Rn. 42).
Diese strittige Rechtsfrage muss hier jedoch nicht entschieden werden. Denn selbst wenn auf das Erfordernis einer Atypik verzichtet würde, wäre die Erteilung unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO voraussichtlich nicht vereinbar. Im Rahmen der Prüfung des Art. 63 BayBO ist zu berücksichtigen, dass jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden können. Daher setzt die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Bei der Gewichtung der nachbarlichen Belange ist zu bedenken, dass diesen Interessen schon deshalb ein gewisser Vorrang zukommt, weil sie auf einem Interessenausgleich beruhen, den der Gesetzgeber im Regelfall für sachgerecht angesehen hat. Für die Erteilung einer Abweichung genügt nicht, dass die Belange des Nachbarn nur geringfügig beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (Dhom/Simon in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 63 Rn. 46).
c) Hiervon ausgehend ergibt sich summarisch geprüft folgendes: Die erteilte Abweichung führt dazu, dass die Antragspartei durch das streitige Bauvorhaben auf einer Länge von 18,89 m eine Grenzbebauung in einer (absoluten) Höhe von 4,68 m (Firsthöhe) hinzunehmen hat. Dies wird (allerdings nach Auffassung des Gerichts nicht erheblich) relativiert durch die Tatsache, dass die Oberkante des Friedhofsgeländes bei 1,80 m liegt, und die Wandhöhe des Gebäudes die Friedhofsmauer um 0,90 m überragt. Ferner führt die Bebauung nach Angaben des Antragsgegners zu Überschreitungen der nach Art. 6 Abs. 9 BayBO zulässigen Bebauung, nämlich zu einer Überschreitung der nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO zulässigen Grenzbebauung um 23,18 m und der nach Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO zulässigen Grenzbebauung um 50,80 m. Diese Überschreitungen sind als erheblich anzusehen.
Es sind keine Gründe von ausreichendem Gewicht erkennbar, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die diese Überschreitungen, die zu einer Einbuße an Belichtung und Belüftung führen, im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen.
(aa) Zwar mag sich auf dem Grundstück der Antragspartei durch die Bebauung und Nutzung als Kirche und Friedhof eine seltene und daher eine aus dem herkömmlichen Rahmen fallende Bebauung befinden. Jedoch führt dies nicht dazu, dass dies eine Erleichterung im Hinblick auf die Abstandsflächenregelungen nahelegt oder gar erfordert, weil schon keine Schutzbedürftigkeit gegeben wäre. Hierzu trägt der Antragsgegner im gerichtlichen Verfahren ergänzend vor, dass die Abweichungen hinsichtlich der Abstandsflächen den Nachbarn nicht verletzten, weil eine Beeinträchtigung nicht ersichtlich sei. Es befinde sich unmittelbar auf der anderen Seite der Friedhofsmauer ein Friedhof mit Gräbern. Eine Bebauung sei faktisch daher nicht möglich. Die nachbarschützenden Belange wie Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden seien daher nicht einschlägig.
Dieser Einschätzung vermag das Gericht nicht zu folgen. Trotz der Tatsache, dass es sich um ein Kirchengrundstück handelt, das an maßgeblicher Stelle zu Bestattungszwecken, nämlich in Form eines Friedhofs, genutzt wird, steht der Antragstellerin Schutz durch die Abstandsflächenregelungen zu. Der durch das Abstandsflächenrecht beabsichtigte Zweck ist hier durchaus erfüllbar, eine atypische Situation besteht aufgrund dieser Nutzung nicht. Auch bei der Friedhofsnutzung können die Zwecke der Belichtung und Belüftung sinnvoll erfüllt werden, sei es für den Aufenthalt des Friedhofsbesuchers, sei es für die in der Regel bei einem Friedhof vorhandene gärtnerische Gestaltung der Gräber. Im Übrigen ist auch der Aspekt der Totenruhe anzuführen, um den o.g. Sozialabstand, der mit den Regelungen zur Abstandsfläche mitbezweckt wird, für erforderlich und auch hier für einschlägig zu halten. Ferner spricht für die Schutzbedürftigkeit des Grundstücks der Antragstellerin auch, dass das Grundstück nicht auf unabsehbare Zeit einer (sonstigen) Bebauung entzogen ist. Im Falle der jedenfalls denkbaren weiteren Bebauung des Kirchengrundstücks mit Neben- oder Hauptgebäuden sind auch diesbezüglich Abstandsflächen zu wahren.
(bb) Es ist auch kein besonderer Zuschnitt des Grundstücks FlNr. 128 Gem. … zu erkennen, der eine Abweichung erfordert. Es handelt sich dabei um ein Grundstück, das zwar nicht an allen Seiten einen geraden Grenzverlauf aufweist. Doch führt dies nicht zum Vorliegen einer Atypik, weil es ein stattliches Grundstück ist, das trotz seines Zuschnitts durchaus auch andere bauliche Möglichkeiten eröffnet als jene an der Grundstücksgrenze. Diesbezüglich wurde auch von keinem der Beteiligten etwas Gegenteiliges vorgetragen, weder im Antrag auf Erteilung der Abweichung noch bei ihrer Erteilung.
(cc) Auch der Gesichtspunkt, dass der Beigeladene bereits eine Genehmigung eines ähnlichen (nicht identischen, s.o.) Bauvorhabens erhalten hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn zum einen waren die Abstandsflächenregelungen im Jahr 2010 nicht Bestandteil der bauaufsichtlichen Prüfung und haben deswegen an der Genehmigungswirkung nicht teilgenommen (vgl. Art. 59 BayBO in der Fassung vom 14. August 2007); dabei bezog sich eine damals erteilte Abweichung von den Abstandsflächen auf die Westseite des Gebäudes. Zum anderen war für den hier maßgeblichen Bereich eine Abstandsflächenübernahme erteilt worden, die aus den oben dargelegten Gründen für das jetzt in Streit stehende Bauvorhaben keinen Bestand mehr hat.
(dd) Der Hinweis darauf, dass es sich um ein Bestandsgebäude handele oder jedenfalls so einmal bestanden habe, geht jedenfalls in Hinblick darauf fehl, dass die Erweiterung um einen Lagerraum, der ebenfalls abstandsflächenrelevant ist, nicht Teil des alten Bestands war. Eine nachprägende Wirkung eines beseitigten Gebäudes kann jedenfalls in Hinblick darauf nicht angenommen werden. Ferner ist die Beeinträchtigung durch das jetzige Bauvorhaben deutlich größer angesichts der Tatsache, dass das (leicht Richtung Norden versetzte) Satteldach eine Firsthöhe von 4,68 m aufweisen soll. Das Bestandsgebäude hingegen wies ein angedeutetes Pultdach auf, das bündig zur Friedhofsmauer war, in Richtung Norden anstieg und dabei einen geringen Neigungswinkel aufwies. Die Dachhöhe am höchsten Punkt bei der nördlichen Außenwand, also in maximaler Entfernung zur Antragspartei, betrug lediglich 3,49 m.
(ee) Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Gesetzgeber in Art. 6 Abs. 9 BayBO bereits die gegenläufigen nachbarlichen Interessen hinsichtlich des Umfangs der Zulässigkeit einer Grenzbebauung zu einem Ausgleich gebracht hat und dass die Begriffe des Art. 6 Abs. 9 BayBO einer engen Auslegung bedürfen, um den Zielen des Abstandsflächenrechts gerecht zu werden (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon /Busse, BayBO, 135. EL Dez. 2019, Art. 6 Rn. 484). Auch insoweit erscheint es nicht sachgerecht, die nachbarlichen Interessen durch Zulassung einer Abweichung für ein Gebäude, welches seinerseits nicht (ansatzweise) die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO erfüllt, zurückzustellen, wenn zugleich die in der Gesamtheit privilegierte Länge von 15 m (Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO) so deutlich überschritten wird wie in diesem Fall. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kommt die Kammer somit zu dem Ergebnis, dass die erteilte Abweichung aufgrund der fehlerhaften Interessenabwägung rechtswidrig ist und die Antragspartei in ihren Rechten verletzt.
Da somit das genehmigte Bauvorhaben aller Voraussicht nach die erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin nicht einhält und die Erteilung der Abweichung rechtswidrig erfolgte, ist voraussichtlich die gesamte Baugenehmigung rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten.
c) Angesichts des vorgenannten Ergebnisses sind Erörterungen der geltend gemachten denkmalschutzrechtlichen Belange nicht erforderlich. Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass zur Frage der Schutzwürdigkeit der kirchlichen Anlagen sowie zur Erheblichkeit der Beeinträchtigung durch das Vorhaben die Einholung einer qualifizierten denkmalfachlichen Stellungnahme und ggf. die Einnahme eines Augenscheins erforderlich wäre. Darauf kommt es hier jedoch nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Hiernach hält es das Gericht für angemessen, den für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwert von 7.500 EUR im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes zu halbieren, demnach 3.750 EUR anzusetzen.


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