Baurecht

Grenzbebauung und Abstandsflächen bei Staffelgeschossen

Aktenzeichen  2 ZB 15.2670

Datum:
26.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7008
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Art. 6 Abs. 1 S. 3 BayBO findet keine Anwendung, soweit die Außenwände der von der Grundstücksgrenze zurückversetzten Geschosse nicht unmittelbar an der Grundstücksgrenze zu liegen kommen. Bei einem Staffelgeschoss berechnet sich die Abstandsfläche nach der fiktiv nach unten bis zum Schnitt mit der Geländeoberfläche verlängerten Außenwand der Staffelgeschosse.  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 8 K 14.4112, M 8 K 15.2346 2015-10-26 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 145.000, – Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung zur Errichtung eines fünfgeschossigen Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage. Hierzu hat sie am 13. Februar 2014 einen Bauantrag sowie am 10. Dezember 2014 einen weiteren Bauantrag bei der Beklagten eingereicht. Danach ist jeweils an beiden seitlichen Grundstücksgrenzen eine Grenzbebauung vorgesehen, wobei der Baukörper auf der südlichen Grundstücksseite ab dem dritten Obergeschoss abgestuft ausgeführt werden soll (im zweiten Bauantrag mit geringeren Höhenmaßen).
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet keinen ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung des Erstgerichts, dass die Klägerin nach beiden Varianten keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigungen hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Es spricht viel für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass vorliegend eine Bebauung an der südlichen Grundstücksgrenze planungsrechtlich nicht zulässig ist, weil sich das Bauvorhaben im Hinblick auf die Bauweise nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB in das System des maßgeblichen Straßengevierts einfügt. Denn dieses zeichnet sich durch eine geschlossene Bauweise an den Stirnseiten, eine Verlängerung der grenzständigen Bebauung in die Längsseiten des Quartiers hinein sowie eine gegen die Mitte vorzufindende, in offener bzw. nur einseitig angrenzender Bebauung aus. Das Bauvorhaben würde die bisherige Ordnung durchbrechen und die Möglichkeit einer beidseitig grenzständigen Bebauung auch in der Mitte des Quartiers eröffnen.
Insbesondere vermag die Klägerin mit ihrem Vorbringen die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen, dass hier die dem Bauvorhaben gegenüberliegende Straßenseite mit ihrer durchgehend geschlossenen Bauweise in Anbetracht ihrer andersartigen Struktur nicht als Teil der maßgeblichen näheren Umgebung im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB zu berücksichtigen ist. Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Senats vom 17. März 2014 (2 CS 14.27) beruft, ergibt sich hieraus keine andere Beurteilung. Denn die von der Klägerin zitierte Entscheidung ist im dortigen Eilverfahren mit dem ausdrücklichen Hinweis des Senats ergangen, dass nur die Einnahme eines Augenscheins klären könne, ob die gegenüberliegende Straßenseite mitprägend sei. In der Hauptsacheentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 4.5.2017 – 2 B 16.2432 – juris) ist diese Fragestellung letztlich offen geblieben.
Ebenso wenig überzeugt der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe unzutreffend ein Wahlrecht der Klägerin zwischen offener und geschlossener Bauweise wegen einer vermeintlichen Systematik im Straßengeviert abgelehnt. Die Rechtsprechung verlange gerade kein Ordnungsgefüge. Insoweit verkennt die Klägerin, dass die Rechtsprechung (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53.94 – NVwZ 1994, 1008; BayVGH, B.v. 26.1.2000 – 26 CS 99.2723 – BayVBl 2001, 628; B.v. 25.1.2008 – 15 ZB 06.3115 – juris; U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.997 – nicht veröffentlicht; U.v. 4.5.2017 – 2 B 16.2432 – juris) zwar ein Wahlrecht des Bauherrn einräumt, wenn beide Bauweisen in der maßgeblichen Umgebung vorhanden sind. Der Rechtsprechung ist aber nicht zu entnehmen, dass eine existierende Systematik durch das Nebeneinander von beiden Bauweisen ausgehebelt wird.
Aber selbst wenn man der Ansicht der Klägerin folgt und die planungsrechtliche Zulässigkeit der südlichen Grenzbebauung bejaht, hält das Bauvorhaben in Gestalt beider Bauanträge nicht die nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen ein. Bereits das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte das Bauvorhaben in beiden Varianten auch wegen der Nichteinhaltung der südlichen Abstandsflächen abgelehnt hat (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO). Die Ablehnung des zweiten Bauantrags hat die Beklagte zusätzlich darauf gestützt, dass das Bauvorhaben die Abstandsflächen nach Osten hin, d.h. zur Straße nicht einhält. Beides greift die Klägerin nicht an.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. B.v. 11.11.2015 – 2 CS 15.1251 – juris; B.v. 19.12.2016 – 2 CS 16.2137– nicht veröffentlicht; B.v. 7.2.2017 – 2 CS 16.2098 – nicht veröffentlicht) findet Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keine Anwendung, soweit die Außenwände der von der Grundstücksgrenze zurückversetzten Geschosse nicht unmittelbar an der Grundstücksgrenze zu liegen kommen. Danach fallen vorliegend für die Außenwände des dritten bis fünften Obergeschosses Abstandsflächen an. Bei einem Staffelgeschoss berechnet sich die Abstandsfläche nach der fiktiv nach unten bis zum Schnitt mit der Geländeoberfläche verlängerten Außenwand der Staffelgeschosse. So kommt im dritten Obergeschoss bei einer danach ermittelten Wandhöhe von 9,22 m (1. Bauantrag) bzw. von 8,52 m (2. Bauantrag) die gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO einzuhaltende Abstandsfläche von 1 H nicht vollständig auf dem Vorhabensgrundstück zu liegen, weil der Abstand zur südlichen Grundstücksgrenze nur 3,26 m (1. Bauantrag) bzw. 3 m (2. Bauantrag) beträgt. Ebenso verhält es sich mit dem vierten Obergeschoss bei einer abstandsflächenrelevanten Höhe von 12 m (1. Bauantrag) bzw. von 11,30 m (2. Bauantrag) und einem Abstand von 6,01 m (1. Bauantrag) bzw. von 6 m (2. Bauantrag) sowie mit dem fünften Obergeschoss bei einer anzusetzenden Wandhöhe von 14,40 m (1. Bauantrag) bzw. von 14,08 m (2. Bauantrag) und einem Grenzabstand von 8,44 m (1. Bauantrag) bzw. von 9 m (2. Bauantrag).
Auch hält das Bauvorhaben in Gestalt des zweiten Bauantrags nicht die gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO nach Osten erforderliche Abstandsfläche von 1 H ein. Ausweislich des zweiten Bauantrags fällt zur Straßenseite eine Abstandsfläche von 14,08 m an. Der Abstand des Bauvorhabens zur Grundstücksgrenze beträgt 5 m, der Rücksprung des fünften Geschosses nach Osten 1,33 m und die nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO in Anspruch nehmbare Fläche bis zur Straßenmitte 7,50 m, d.h. insgesamt nur 13,83 m.
Dies gilt erst recht für den ersten Bauantrag, nach dem das Bauvorhaben eine Abstandsfläche von 14,40 m nach Osten auslöst.
Abweichungen von der Abstandsflächeneinhaltung gemäß Art. 63 BayBO sind von der Klägerin nicht beantragt worden.
Aufgrund der obigen Ausführungen kommt es auf den Vortrag der Klägerin, das Bauvorhaben würde entgegen der Annahme des Erstgerichts das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzen, nicht an.
2. Schließlich ist die Berufung nicht wegen einer Divergenz im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Die Klägerin macht eine Abweichung der erstgerichtlichen Entscheidung von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs insofern geltend, als das Wahlrecht des Bauherrn bei Vorhandensein von offener und geschlossener Bauweise nicht berücksichtigt worden sei. Darüber hinaus rügt die Klägerin eine Divergenz, weil das Verwaltungsgericht im Rahmen der Beurteilung des Gebots der Rücksichtnahme nicht maßgeblich auf den gegenwärtigen Bestand des Nachbargebäudes abgestellt habe. Auf diese Fragestellungen und damit auf die behaupteten Abweichungen kommt es nicht entscheidungserheblich an (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 44), wie unter Ziffer 1 dargelegt wurde.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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