Baurecht

Kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme bei Grenzbebauung

Aktenzeichen  9 CS 20.1414

Datum:
17.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24742
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kommt in Betracht, wenn das genehmigte Vorhaben zwar in jeder Hinsicht den aus seiner Umgebung ableitbaren Rahmen wahrt, sich aber gleichwohl in seine Umgebung nicht einfügt, weil es an der gebotenen Rücksicht auf die sonstige, also vor allem auf die in unmittelbarer Nähe vorhandene Bebauung fehlt, oder wenn sich ein Vorhaben entgegen § 34 Abs. 1 BauGB nach den dort genannten Merkmalen nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (hier Duldung eines Grenzanbaus zumutbar). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 S 20.655 2020-05-22 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Eigentümer des unbebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung M. und wendet sich als Nachbar gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 4. Februar 2020 erteilte Baugenehmigung zum Umbau eines bestehenden Wohnhauses sowie für den Neubau einer Garage mit Abstellraum und Dachterrasse auf dem an der H.-gasse westlich an sein Grundstück angrenzenden Grundstück FlNr. … derselben Gemarkung (H.-gasse …, M.). Die beiden Grundstücke liegen im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans „A.“, bekanntgemacht am 1. Juli 1998, der im maßgeblichen Bereich als Art der baulichen Nutzung ein Mischgebiet festsetzt.
Der Antragsteller hat gegen die Baugenehmigung Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Mai 2020 abgelehnt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers habe die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung nicht über die Zulässigkeit eines auf dem Grundstück des Antragstellers zu liegen kommenden Grenzüberbaus zu befinden und müsse die Baugenehmigung deshalb auch nicht wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses ablehnen. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Nach summarischer Prüfung dürfe nach der hier nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilenden planungsrechtlichen Situation an die Grenze gebaut werden. Die rahmenbildende Umgebungsbebauung erstreckte sich nach Norden zumindest bis zur G.-gasse und nach Süden zumindest bis zur W.-gasse, wenn nicht sogar auf den gesamten Bereich zwischen der … G.- und der F.-gasse. Nach Osten hin bilde die O.-straße die Grenze, nach Westen der M. In diesem räumlichen Umgriff sei nach dem Lageplan ein einheitliches Erscheinungsbild mit überwiegend geschlossener, teilweise auch halboffener Bauweise zu ersehen, wobei bei vielen Grundstücken die baulichen Anlagen die gesamte Grundstücksfläche einnähmen oder die komplette rückwärtige Grundstücksgrenze bebaut sei. Es sei auch kein besonderes gewichtiges Interesse des Antragstellers am Abrücken des Wohngebäudes im Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze erkennbar. Ein Verstoß gegen nachbarschützendes Abstandsflächenrecht liege nicht vor, weil vorliegend nach dem Bauplanungsrecht an die Grenze gebaut werden dürfe. Der Überbau sei insoweit einem Grenzanbau gleichzustellen. Da die Einhaltung der Brandschutzbestimmungen bei dem hier anzuwendenden vereinfachten Genehmigungsverfahren vom Prüfungsumfang nicht umfasst sei, könne der Antragsteller deren Nichteinhaltung im vorliegenden Verfahren nicht mit Erfolg geltend machen, auch nicht im Zusammenhang mit dem Gebot der Rücksichtnahme.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Im Hinblick auf Verstöße gegen den Brandschutz (Fenster in der das Grundstück überschreitenden Grenzmauer, offene Terrasse, brandschutzwidrig ausgebildete Garage) und soweit das Verwaltungsgericht wegen des geplanten Überbaus eine zivilrechtliche Lösung anrege, sei der Grundsatz zu berücksichtigen, dass unnötige und eventuell mehrfache Inanspruchnahmen der Gerichte in derselben Sache zu vermeiden seien. Es dürfe nicht der Willkür der unteren Bauaufsichtsbehörde obliegen, ob das Verwaltungsgericht die Frage des Brandschutzes im Rahmen eines Verfahrens gegen die Baugenehmigung einer Überprüfung unterziehen könne. Der Antragsteller habe hinsichtlich eines erforderlichen Brandabstandes von mindestens 5 m die alleinige Last zu tragen. Das Bauvorhaben entspreche auch nicht der prägenden Umgebungsbebauung, weil es kein Grundstück gebe, das nicht nur zu 100%, sondern noch darüber hinaus bebaut sei. Der auf dem Baugrundstück vorhandene Altbestand lasse einen Teil des Grundstücks frei, ebenso wie die meisten umgebenden Grundstücke. Das Gericht habe nicht das eigentliche Quartier zwischen G.-gasse und H.-gasse zur Beurteilung herangezogen, obwohl in diesem Bereich die Freiflächen auf den Grundstücken erheblich seien. In dem Bereich zwischen H.-gasse und W.-gasse, den das Gericht herangezogen habe, seien die Grundstücke in der Mehrzahl erheblich kleiner und nicht vergleichbar. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein Grundstück nicht zur räumlich geschützten Privatsphäre gehöre, dass das Verwaltungsgericht eine Terrasse im ersten Stock mit einem ebenerdigen Gartenbereich gleichgesetzt habe oder, dass der Antragsteller wegen seines größeren Grundstücks Rücksicht auf die Beigeladene nehmen solle. Soweit das Bauvorhaben aus bauplanungsrechtlichen Gründen teilweise auf der östlichen Grundstücksgrenze errichtet werden dürfe, sei es mit dem Bauplanungsrecht nicht vereinbar, dass auch auf dem nördlich gelegenen Teil des Grundstücks die notwendigen nachbarschützenden Abstände nicht eingehalten seien. Zudem stehe noch infrage, ob die Beigeladene überhaupt Eigentümerin des Baugrundstücks sei und vom Nachweis der erforderlichen Stellplätze ausgegangen werden könne.
Der Antragsteller beantragt mit seinem Vorbringen sinngemäß,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. Mai 2020 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 4. Februar 2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Eine substantielle und über den erstinstanzlichen Vortrag hinausgehende Auseinandersetzung mit dem Beschluss habe mit der Beschwerdebegründung nicht stattgefunden.
Die Beigeladene hat im Beschwerdeverfahren persönlich Stellung genommen, jedoch keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt, weil die Klage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die angefochtene Baugenehmigung vom 4. Februar 2020 verstößt, worauf es allein ankommt, nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Baugenehmigung zu erteilen war, unabhängig davon, ob mit dem Bauvorhaben ein Grenzüberbau, nach Aktenlage wohl jedenfalls, soweit es die Neuerrichtung des Daches betrifft, realisiert würde (vgl. Art. 68 Abs. 4 BayBO). Der Beigeladenen konnte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage, der bei der vorliegenden Nachbarklage der des Bescheiderlasses ist, insbesondere auch kein fehlendes Sachbescheidungsinteresse entgegengehalten werden.
Hierzu hätte feststehen müssen, dass die Beigeladene aus Gründen, die jenseits des – auf die Erteilung der Baugenehmigung beschränkten – Verfahrensgegenstands liegen, an einer Verwertung der begehrten Genehmigung gehindert ist, die Erteilung der Genehmigung im Ergebnis daher für sie nutzlos wäre. Eine solche Sachlage kann zwar grundsätzlich auch dann vorliegen, wenn die privatrechtlichen Verhältnisse die Verwirklichung des Vorhabens nicht zulassen. Das Sachbescheidungsinteresse kann sowohl bei zivilrechtlichen als auch bei öffentlich-rechtlichen Hinderungsgründen jedoch nur dann verneint werden, wenn sich die Hinderungsgründe schlechthin nicht ausräumen lassen. Für eine Ablehnung ist es hingegen nicht ausreichend, dass Hinderungsgründe bestehen, die lediglich in absehbarer Zeit nicht beseitigt werden können (vgl. BayVGH, U.v. 28.11.2013 – 2 B 13.1587 – juris Rn. 27 m.w.N.; U.v. 25.11.2014 – 9 B 13.1401 – juris Rn. 25 m.w.N.; Greim-Diroll in BeckOK BauordnungsR Bayern, Stand 1.6.2020, BayBO, Art. 68 Rn. 20).
Das Verwaltungsgericht hat dementsprechend zu Recht darauf abgestellt, dass sich bei Erlass der Baugenehmigung nicht absehen ließ, dass eine privatrechtliche Berechtigung zum Grenzüberbau nicht zumindest noch erreichbar ist. Allein der Hinweis des Antragstellers im Rahmen seiner Beschwerde, dass er den Bauantrag nicht unterschrieben und schließlich gegen den Bescheid Klage erhoben habe, vermag diese Annahme nicht zu entkräften.
2. Ein Abwehranspruch des Antragstellers resultiert nicht aus dem aus bauplanungsrechtlicher Sicht einzig in Betracht kommenden Gebot der Rücksichtnahme, hier in seiner Ausprägung im Gebot des Einfügens in der Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, die vorliegend gemäß § 30 Abs. 3 BauGB Anwendung findet.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kommt in Betracht, wenn das genehmigte Vorhaben zwar in jeder Hinsicht den aus seiner Umgebung ableitbaren Rahmen wahrt, sich aber gleichwohl in seine Umgebung nicht einfügt, weil es an der gebotenen Rücksicht auf die sonstige, also vor allem auf die in unmittelbarer Nähe vorhandene Bebauung fehlt, oder wenn sich ein Vorhaben entgegen § 34 Abs. 1 BauGB nach den dort genannten Merkmalen nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695 – juris Rn. 16 m.w.N.). Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris Rn. 17 m.w.N.).
a) Wie der im Genehmigungsverfahren eingereichte Lageplan M 1:1000 erkennen lässt, sind in der näheren Umgebung, auch dann, wenn man deren Rahmen wesentlich enger als das Verwaltungsgericht ziehen würde und mit dem Antragsteller davon ausginge, dass deren nördliche Grenze die G.-gasse und deren südliche Grenze die H.-gasse bildet, selbst ohne die gegenüberliegende Straßenseite der H.-gasse mitzubetrachten (vgl. BVerwG, B.v. 19.7.2018 – 4 B 27/18 – juris Rn. 4; B.v. 11.2.2000 – 4 B 1/00 – juris Rn. 18), Gebäude deutlich überwiegend sowohl in geschlossener als auch in halboffener Bauweise vorhanden (vgl. § 22 Abs. 2 und 3 BauNVO; vgl. z.B. FlNr. … … … … … … … … Gemarkung M.). Ergibt die im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durchzuführende Bestandsaufnahme des Vorhandenen – wie hier, dass die den Maßstab bildende Bebauung Gebäude mit und ohne seitlichen Grenzabstand umfasst, ohne dass eine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise eingestuft werden kann (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO), dann hält sich sowohl ein Gebäude mit als auch ein Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand im Rahmen des Vorhandenen (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695 – juris Rn. 16 m.w.N.). Angesichts der tatsächlichen Umstände ist deshalb davon auszugehen, dass in der hier nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilenden planungsrechtlichen Situation an die seitliche Grenze zum Antragsteller gebaut werden darf. Darüber verlässt auch die Bebauung der gesamten seitlichen Grundstücksgrenze, woraus der Antragsteller nur, soweit es seine Grundstücksgrenze anbelangt, seine Drittbetroffenheit ableiten könnte und was ebenfalls in der näheren Umgebung des Bauvorhabens auch an anderer Stelle anzutreffen ist (vgl. z.B. FlNr. … … … … … … Gemarkung M.), nicht den Rahmen der Umgebungsbebauung hinsichtlich der Einfügensmerkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695 – juris Rn. 17).
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ist in dieser Situation nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der grenzständigen Terrasse zutreffend darauf hingewiesen, dass das Bauplanungsrecht grundsätzlich keinen Schutz vor unerwünschten Einblicken gewährleistet und sich allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen etwas anderes ergeben könnte (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.2305 – juris Rn. 15). Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass es diese Betrachtungsweise auf die Möglichkeit des Mithörens von Gesprächen übertragen und im Einzelfall einen Ausnahmefall insgesamt nicht angenommen hat, wobei es auch zu Recht berücksichtigte, dass das Grundstück des Antragstellers unbebaut ist (zu Einsichtnahmemöglichkeit in Garten: vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 19), das „Mithören“ von einem unbebauten Bereich des Baugrundstücks in gleicher Weise wie von der Terrasse aus möglich wäre, und außerdem, dass ein Bedürfnis der Beigeladenen an der baulichen Ausnutzbarkeit ihres kleinen Grundstücks besteht, während aufgrund seiner Größe von vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten hinsichtlich des Antragstellergrundstücks auszugehen ist. Die östliche Grundstücksgrenze der Beigeladenen nimmt nur einen kleinen Teil, ca. 11 m, der ca. 38 m langen westlichen Grundstücksgrenze des Antragstellers ein, der neue Anbau davon sogar nur etwas mehr als 5 m. Eine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinn einer „abriegelnden“ oder „erdrückenden“ Wirkung kann sich auch aus der Höhe des maximal zweigeschossigen Bauvorhabens mit ausgebautem Dachgeschoss nicht ergeben. Der Antragsteller setzt mit seinem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen, wonach er die Argumentation des Verwaltungsgerichts in Abrede stellt, nichts Durchgreifendes entgegen. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris Rn. 17 m.w.N.). Bei Würdigung der tatsächlichen Umstände besteht ein erhebliches Interesse der Beigeladenen, die aus der Umgebungsbebauung folgende Möglichkeit eines Grenzanbaus an der östlichen Grundstücksgrenze in Gänze auszunutzen. Das gegenläufige Interesse des Antragstellers, vor einer umfangreicheren Grenzbebauung auf dem Baugrundstück als bisher verschont zu bleiben, ist dagegen nicht in gleichem Maße schutzwürdig.
b) Soweit der Antragsteller eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme auch noch aus dem in Rede stehenden Grenzüberbau ableitet, kann dies ebenfalls nicht zum Erfolg seines Antrags führen. Die Frage, ob der Antragsteller den Grenzüberbau zu dulden hat (vgl. § 912 Abs. 1 BGB), ist eine rein zivilrechtliche (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695 – juris Rn. 22).
3. Die Baugenehmigung verstößt auch nicht gegen nachbarschützendes Abstandsflächenrecht.
Nach der dem Städtebau den Vorrang einräumenden Bestimmung in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an den Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder – wie hier, an die seitliche bzw. östliche Grundstücksgrenze – zumindest gebaut werden darf (s. o.). Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass der Umstand, dass das Bauvorhaben als Überbau errichtet ist bzw. werden soll, die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht hindern, sondern ein solcher einem Grenzanbau gleichzustellen sein dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 9 CS 15.1695 – juris Rn. 21). Hiergegen wendet der Antragsteller, der die Vereinbarkeit der Grenzbebauung mit dem Bauplanungsrecht anzweifelt und deshalb das Abstandsflächenrecht als verletzt ansieht, nichts Substantiiertes ein.
4. Schließlich kann auch das Vorbringen dazu, dass der erforderliche Brandschutz nicht eingehalten sei, nicht zum Erfolg der Beschwerde führen, nachdem die angefochtene Baugenehmigung, worauf in ihr auch ausdrücklich hingewiesen wird, im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO erteilt wurde. Die Feststellungswirkung der Genehmigung ist deshalb auf die in Art. 59 Satz 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt. Die Prüfung der brandschutzrechtlichen Vorschriften ist darin nicht vorgesehen; eine Abweichung von der Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften wurde weder beantragt noch erteilt. Den beschränkten Prüfungsmaßstab des Art. 59 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde außer im Fall der Versagung der Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO, dessen Anwendung der Antragsteller nicht beanspruchen kann (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2018 – 2 B 18.681 – juris Rn. 16; B.v.10.1.2020 – 15 ZB 19.425 – juris Rn. 11), nicht selbst erweitern. Eine Verletzung von Nachbarrechten des Antragstellers durch die angefochtene Baugenehmigung wegen Nichteinhaltung von brandschutzrechtlichen Vorschriften kommt deshalb nicht in Betracht. Mangels Zulassung einer Abweichung in der Baugenehmigung von denjenigen des Abstandsflächenrechts scheidet auch eine Prüfung der brandschutzrechtlichen Vorschriften in diesem Rahmen aus (BayVGH, B.v. 22.7.2020 – 9 CS 20.1083 – juris Rn. 13 m.w.N.).
5. Die mit Schreiben vom 13. Juli 2020 zusätzlich erhobenen Einwendungen des Antragstellers betreffend die Eigentümerstellung der Beigeladenen sowie die Stellplatzfrage führen ebenfalls nicht zum Erfolg der Beschwerde; sie betreffen keine Nachbarrechte des Antragstellers und sind jedenfalls auch verspätet erhoben worden (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 und 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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