Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung zur Errichtung eines Dreifamilienhauses

Aktenzeichen  AN 3 S 18.2139

Datum:
26.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31869
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 6 Abs. 6, Abs. 9 S. 1 Nr. 1
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO § 15, § 22 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein privilegiertes Vorhaben nach Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO ist insbesondere als Anbau an ein nicht-privilegiertes Hauptgebäude, sofern dieses die Abstandsflächen einhält und das privilegierte Gebäude dem Hauptgebäude nicht zurechenbar ist, mithin räumlich-funktional getrennt vom Hauptgebäude ist, zulässig.  (Rn. 33 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Welche Größe ein Baukörper hat und wie viele Wohnungen sich darin befinden, ist für die Frage, ob es sich um ein Einzelhaus handelt, ohne Belang.  (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage, die den bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften entspricht, eine unzumutbare einmauernde oder erdrückende Wirkung entfalten. (Rn. 51 – 52) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung … Das Grundstück ist mit einem Wohngebäude bebaut und liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. … „…“. Dieser setzt für den nordöstlichen Bereich des Baugrundstücks eine Baugrenze fest.
Mit Unterlagen vom 24. Juli 2018 reicht der Beigeladene einen Bauantrag zum Neubau eines Dreifamilienhauses in Holzbauweise auf dem östlich der Antragstellerin gelegenen Grundstück FlNr. …, das sich ebenfalls im Geltungsbereich des genannten Bebauungsplans befindet, ein. Zugleich wurde vom Beigeladenen ein Befreiungsantrag von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der nordöstlichen Baugrenzen gestellt.
Die Stadt … hat in der Sitzung des Stadtrates vom 26. Juli 2018 hierzu ihr Einvernehmen erteilt.
Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 11. Oktober 2018 wurde dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren sowie die beantragte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt.
Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 6. November 2018 ließ die Antragstellerin Klage erheben (AN 3 K 18.02139) und mit weiterem Schriftsatz vom 7. November 2018 Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die streitgegenständliche Baugenehmigung verletze zum einen die Rechte der Antragstellerin im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung sowie die erteilte Befreiung.
Genehmigt sei vorliegend die Errichtung eines Dreifamilienwohnhauses. Im Hinblick auf die Größe, insbesondere die Höhe des Gebäudes weiche das Bauvorhaben damit von der übrigen Bebauung des Bebauungsplansgebiets ab, das ausnahmslos Einfamilienhäuser aufweise. Überdies werde vorliegend die Baugrenze des Bebauungsplans im Norden und Osten des Baugrundstücks überschritten. Es sei jedoch lediglich eine Befreiung für die östlichen Überschreitungen erteilt worden. Auch insoweit stelle sich die Baugenehmigung als rechtswidrig dar, als eine Befreiung wegen Überschreitung der nördlichen Baugrenzen nicht erteilt worden sei.
Die Befreiung von der Überschreitung der östlichen Baugrenze verletze das Gebot der Rücksichtnahme. Die Festsetzungen des Bebauungsplanes würden durch die ausgewiesen Baugrenzen gewährleisten, dass die Bebauung auf benachbarten Grundstücken eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung der Grundstücke gewährleisten soll. Die Festsetzung von Baugrenzen habe damit erkennbar nachbarschützenden Charakter. Die Überbauung der Baugrenze stelle insoweit eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dar.
Das Bauvorhaben verletze darüber hinaus das Gebot der Rücksichtnahme, da Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin nicht eingehalten seien.
An der Grundstücksgrenze, mit einem Abstand von 1 m, solle ein Technik- und Abstellraum mit einer Höhe von ca. 3 m errichtet werden. Das Gebäude halte insoweit erforderliche Abstandsflächen nicht ein. Geplant sei zudem eine Überdachung über der Eingangstür zum Gebäude, die auch bis ca. 1 m an die Grundstücksgrenze heranreiche. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO seien vor allen Außenwänden eines Gebäudes und anderen Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgingen, Abstandsflächen einzuhalten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Bei dem streitgegenständlichen Anbau handele es sich nicht um ein privilegiertes Vorhaben gemäß Art. 6 Abs. 9 BayBO. Zudem sei der Anbau an das Mehrfamilienhaus angebaut, sodass es die Abstandsflächen des Hauptgebäudes einzuhalten habe. Nachdem es sich bei dem Bauvorhaben um ein Gebäude in Holzbauweise handele, sei eine Reduzierung der erforderlichen Abstandsflächen aus Brandschutzgründen rechtswidrig.
Letztlich verstoße das geplante Haus auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da von ihm negative Wirkungen ausgingen, die der Antragstellerin nicht zumutbar seien. Aufgrund der Höhe des Gebäudes sowie der Situierung im Süden des Grundstücks der Antragstellerin werde es durch das Gebäude zu unzumutbaren Verschattungen auf dem Grundstück der Antragstellerin kommen.
Es wird beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der beim Verwaltungsgericht Ansbach anhängigen Klage gegen den Bescheid des … … vom 11. Oktober 2018, Az. …, wird angeordnet.
Der Beklagte beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Bebauungsplan Nr. … setze die offene Bauweise sowie Einzel- und/oder Doppelhäuser fest, § 22 Abs. 1 und 2 BauNVO. Kennzeichnend für ein Einzelhaus im Sinne des § 22 BauNVO sei, dass es sich um ein allseitig freistehendes Gebäude handele. Dabei könne es sich um ein Einfamilienhaus ebenso handeln wie um einen mehrgeschossigen Wohnblock oder um ein Hochhaus, sofern die Seitenlänge von 50 m nicht überschritten werde. Die Voraussetzungen für ein Einzelhaus seien bei dem eingereichten Baugesuch über ein freistehendes Gebäude mit einer maximalen Gebäudelänge von 12,50 m eingehalten. Daher entspreche das Vorhaben diesbezüglich den Festsetzungen des Bebauungsplans. Eine Begrenzung der Anzahl der Wohnungen sei mithilfe von Festsetzungen zur Bauweise nicht möglich. Eine zulässige Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB zur Begrenzung der Anzahl von Wohnungen enthalte der Bebauungsplan nicht.
Der Bebauungsplan Nr. … setze für den nordöstlichen und südwestlichen Bereich des Baugrundstücks eine Baugrenze gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO fest. Im Zuge der Erteilung der Baugenehmigung sei die beantragte Befreiung von der nordöstlichen Baugrenze erteilt worden. Die im Südwesten situierten baulichen Anlagen hätten gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden können.
In welchem Maß eine erteilte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB Nachbarschutz vermittele, hänge nach der obergerichtlichen Rechtsprechung davon ab, ob die Befreiung eine bereits aus sich heraus Nachbarschutz vermittelnde Festsetzung des Bebauungsplans oder eine nicht nachbarschützende Festsetzung betreffe. Nach der Begründung des Bebauungsplans sei erkennbar, dass die Baugrenze im Nordosten (zusammen mit einem Pflanzgebot) zur Sicherstellung einer Ortsrandeingrünung festgesetzt worden sei. Diese Festsetzung diene damit ausschließlich städtebaulichen Belangen, eine nachbarschützende Intention des Satzungsgebers sei nicht erkennbar.
Die Befreiung sei zudem unter Würdigung nachbarlicher Interessen erfolgt. Das geplante Vorhaben halte die erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO ein. Die erteilte Befreiung hinsichtlich der Baugrenze sei nicht rücksichtslos.
Letztlich seien auch die Abstandsflächen eingehalten. Die nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO zu ermittelnde Tiefe der Abstandsfläche bemesse sich nach der Wandhöhe. Die Wandhöhe sei das Maß einer natürlichen Geländeoberkante bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut. Dem Schnitt A-A sei zu entnehmen, dass die erforderliche Tiefe der Abstandsfläche 6,34 m betrage. Der Abstand von der Gebäudeaußenkante bis zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin betrage 4 m. Die maximale Länge der Außenwand betrage 12,50 m. Demnach habe das Vorhaben eine Abstandsfläche von 3 m zur Grundstücksgrenze unter Berücksichtigung des 16 m-Privilegs nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO einzuhalten. Die Abstandsfläche zum Grundstück der Antragstellerin sei damit eingehalten.
In Bezug auf den geplanten Technikraum sei Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO anzuwenden. Demnach seien ohne eigene Abstandsflächen Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m zulässig. Der geplante Technikraum mit Überdachung sei ein solch privilegiertes Vorhaben ohne eigene Abstandsflächen. Diese Privilegierung erstrecke sich auf Gebäude unabhängig davon, ob diese räumlich-funktional einem Hauptgebäude zu- oder untergeordnet seien. Die privilegierten Gebäude müssten selbstständig benutzbare Gebäude sein. Sie könnten frei stehen oder auch an ein anderes Gebäude angebaut sein. Ein privilegiertes Gebäude nach Art. 6 Abs. 9 BayBO könne auch an ein vorhandenes Wohngebäude angebaut werden, das für sich die Abstandsflächen einhalte und könne auch in Abstandsflächen dieses bestehenden Gebäudes liegen. Die weiteren tatbestandsmäßigen Voraussetzungen seien erfüllt, da weder ein Aufenthaltsraum noch eine Feuerstätte geplant seien. Die mittlere Wandhöhe von bis zu 3 m werde mit 2,83 m nicht überschritten, die zulässige Länge von nicht mehr als 9 m je Grundstücksgrenze werde eingehalten.
Entspreche ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften, sei insoweit für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr. In Bezug auf eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung sei das Rücksichtnahmegebot in den Abstandsflächenvorschriften konkretisiert worden. Auch die Anforderungen an einen ausreichenden Brandschutz seien gewahrt. Die Außenwände des Technikraumes würden nachweislich die Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 BayBO erfüllen. Das Vorhaben sei damit insgesamt nicht rücksichtslos.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
Streitgegenstand vorliegenden Antrags ist die Beseitigung der sofortigen Vollziehbarkeit der dem Beigeladenen durch den Antragsgegner mit Bescheid vom 11. Oktober 2018 erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Dreifamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.
In Fällen, in denen die gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO dem Grundsatz nach gegebene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wie vorliegend durch ein Bundesgesetz ausgeschlossen ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB) kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtzeitig erhobenen Klage anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht in einer dem Charakter des summarischen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechenden Weise die Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners sowie der Beigeladenen gegeneinander abzuwägen, wobei vorrangig die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sind.
Nach diesen Grundsätzen muss der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin ohne Erfolg bleiben.
Nach Überzeugung der Kammer hat die Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Oktober 2018 keine so hinreichende Aussicht auf Erfolg, dass das kraft Gesetzes nach § 212a Abs. 1 BauGB bereits bestehende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Baugenehmigung ausnahmsweise zurücktreten müsste.
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung, die nur versagt werden darf, wenn das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass die Nachbarn durch die Genehmigung zugleich in ihren Rechten verletzt sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. z.B. BVerwG v. 6.10.1989 – 4 C 87).
Vorliegend ist eine Verletzung solch drittschützender Rechte aller Voraussicht nach nicht gegeben.
Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die Nichteinhaltung von Abstandsflächenvorschriften ist aller Vorrausicht nach nicht gegeben, da das Vorhaben die Anforderungen des Art. 6 BayBO einhält (dazu 1.). Eine Rechtsverletzung ergibt sich wohl auch nicht aus der Bauweise des Vorhabens als Dreifamilienhaus, da es nicht der Festsetzung des Bebauungsplans über die Bauweise der baulichen Anlagen im Plangebiet widerspricht (dazu 2.). Auch eine Rechtsverletzung der Klägerin durch die erteilte Befreiung hinsichtlich der Baugrenzen ist nicht ersichtlich (dazu 3.). Letztlich sind im vorläufigen Verfahren keine Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme erkennbar (dazu 4).
1. Die Kammer geht in ihrer vorläufigen Auffassung davon aus, dass nach Aktenlage die Abstandsflächen des geplanten Vorhabens zum Grundstück der Antragstellerin eingehalten sind und sie deshalb nicht in ihren Rechten verletzt ist.
Nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO bemisst sich die Tiefe der Abstandsflächen nach der Wandhöhe. Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsflächen 1 H, mindestens jedoch 3 m. Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO genügt vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge als Tiefe die Hälfte der nach Abs. 5 erforderlichen Tiefe, mindestens jedoch 3 m.
Dem Abstandsflächenplan des Beigeladenen (Behördenakte Bl. 40) ist zu entnehmen, dass von dem sog. 16 m Privileg an der nordwestlichen Außenwand und an der südöstlichen Außenwand Gebrauch gemacht wurde. Die mittlere Wandhöhe der Außenwand, die zum Grundstück der Antragstellerin hin gerichtet ist, wird mit 6,50 m angegeben, was sich auch aus den Draufsichten auf Blatt 39 der Behördenakte ergibt. Da die nordwestliche Wand eine Länge von lediglich 12,50 m aufweist, konnte der Beigeladene richtigerweise vom 16 m-Privileg Gebrauch machen, weshalb sich für die nordwestliche Außenwand eine Abstandsfläche von 3,25 m (0,5 H) ergibt. Da der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und Außenwand 4 m beträgt, liegt die eben diskutierte Abstandsfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen selbst, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO.
Der an diese Außenwand angebaute Technikraum führt zu keinem anderen Ergebnis, da er ein privilegiertes Vorhaben nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO darstellt.
Danach sind in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer Wandhöhe bis 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstückgrenze von 9 m zulässig. Nach Art. 2 Abs. 5 BayBO sind Aufenthaltsräume Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Zulässig ist insbesondere der Anbau an ein nicht-privilegiertes Hauptgebäude, sofern dieses die Abstandsflächen einhält und das privilegierte Gebäude dem Hauptgebäude nicht zurechenbar ist, mithin räumlich-funktional getrennt vom Hauptgebäude ist (Simon/Bus-se/Dhom/Franz/Rauscher BayBO Art. 6 Rn. 511; BeckOK BauordnungsR Bayern/Schönfeld BayBO Art. 6 Rn. 232).
Bei dem Technik- und Abstellraum, in dem sich laut Plänen ein Lüftungsgerät sowie Wasser- und Stromanschlüsse befinden, handelt es sich nicht um einen Aufenthaltsraum, da er nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet ist.
Zudem besteht keine Durchgangstür zum Hauptgebäude, weshalb eine klare räumliche und funktionelle Trennung des Technikraums zum Hauptgebäude vorliegt.
Mit einer mittleren Wandhöhe von 2,83 m und einer Länge von 5,81 m hält er die Maßvorgaben des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO ein.
Bei der Überdachung des Eingangs handelt es sich um ein untergeordnetes Bauteil, das bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht bleibt, Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO.
Damit hält das Vorhaben insgesamt die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin ein.
2. Das geplante Wohnhaus verstößt nicht gegen die Festsetzung einer offenen Bauweise sowie Einzel- und/oder Doppelhäuser. Denn es handelt sich um ein nach § 22 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauNVO zulässiges Einzelhaus mit einer Länge von nicht mehr als 50 m und seitlichem Grenzabstand. Welche Größe der Baukörper hat und wie viele Wohnungen sich darin befinden, ist für die Frage, ob es sich um ein Einzelhaus handelt, ohne Belang (OVG Hamburg, B.v. 8.1.2008 – 4 Bs 207/07; VG Augsburg U.v. 8.11.2017 – Au 4 K 17.701; EZBK/Blechschmidt BauNVO § 22 Rn. 25). Der Begriff des Einzelhauses unterscheidet sich damit insbesondere vom Begriff des Einfamilienhauses. Eine Begrenzung der Wohnungsanzahl lässt sich dem Bebauungsplan nicht entnehmen.
3. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ergibt sich voraussichtlich auch nicht aus der erteilten Befreiung.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von welchen die Befreiung erteilt wird, Nachbarschutz vermitteln oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536; BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13).
Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen lediglich nach dem im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebot. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 a.a.O., m.w.N.).
Nach der hier maßgeblichen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofes haben dabei Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung – anders als Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung – grundsätzlich keine drittschützende Funktion im Rahmen eines nachbarlichen Gegenseitigkeits- und Austauschverhältnisses (BayVGH, B.v. 27.6.2018 – 9 ZB 16.1012). Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus.
Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung können aber dann ausnahmsweise drittschützende Wirkung entfalten, wenn sich aus dem im Einzelfall zu ermittelnden Willen der Gemeinde als Planungsträger ergibt, dass diese Festsetzungen auch dem Schutz der Nachbarn dienen (BayVGH, B.v. 27.6.2018, a.a.O.; Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Oktober 2017, § 23 BauNVO Rn. 56; BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95).
Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln. Ein entsprechender Wille muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben. Maßgebend ist, ob die Festsetzung auf Basis einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll (BayVGH, B.v.28.3.2017 – 15 ZB 16.1306; zum Ganzen z.B. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 m.w.N.).
Ein solchermaßen erkennbarer Wille der Stadt … (vgl. BayVGH v. 19.3.2013 – 2 B 13.99), dass die hier inmitten stehenden Festsetzungen hinsichtlich der Baugrenzen dem Nachbarschutz dienen sollen, ist nicht ersichtlich.
Weder ergeben sich aus den textlichen Festsetzungen noch aus der Begründung des Bebauungsplans Nr. … Anhaltspunkte dafür, dass über die Aufstellung von Planungsgrundsätzen im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung hinaus mit den Festsetzungen über Baugrenzen (dazu BayVGH, B.v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207) gerade den jeweiligen Grundstücksnachbarn im Sinne eines wechselseitigen Austauschverhältnisses schützenswerte Rechtspositionen eingeräumt werden sollten.
Auch ergeben sich nach summarischer Prüfung keine Anhaltspunkte dafür, dass die erteilte Befreiung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass von der Baugrenze im nördlichen bzw. nordöstlichen Teil des Baugrundstücks befreit wurde und damit überwiegend zu der dem Antragstelleringrundstück abgewandten Seite.
4. Auch eine darüber hinausgehende Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ist wohl nicht ersichtlich.
Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommen soll, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG in ständiger Rechtsprechung z.B. U. v. 23.9.1999, Az.: 4 C 6.98 und B.v. 18.11.2004, Az.: 4 C 1/04).
Von dem vom Beigeladenen geplanten Wohnhaus gehen keine unzumutbaren Störungen und Belästigungen für die Antragstellerin aus, die zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würden. Entspricht ein Bauvorhaben – wie hier oben unter 1. ausgeführt – den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO), ist für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2018 – 4 B 50.17; BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – NVwZ-RR 1997, 516;). Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage dennoch eine unzumutbare einmauernde oder erdrückende Wirkung entfalten (BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98; BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 m.w.N.).
Eine solche ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, in dem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018 a.a.O.; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536; OVG NRW, B.v. 10.1.2013 – 2 B 1216/12.NE;). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454; B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153; B.v. 12.9.2013 – 2 ZS 13.1351).
Anhaltspunkte dafür, dass das geplante Wohnhaus eine solche erdrückende oder einmauernde Wirkung auf das Grundstück der Antragstellerin hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Aus den (im vorliegenden Verfahren nicht geprüften) Brandschutzvorschriften ergibt sich ebenfalls keine Rücksichtslosigkeit, insbesondere da die Brandschutzanforderungen laut Akten (Bl. 76) erfüllt sind.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. Oktober 2018 war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung bezüglich der Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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