Baurecht

Nachbarklage gegen eine Sichtschutzwand

Aktenzeichen  AN 3 K 20.01482

Datum:
17.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13620
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6, Art. 57 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Als grundsätzliche Faustregel gilt, dass Mauern mit einer mittleren Höhe von über zwei Metern eine gebäudeähnliche Wirkung auslösen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abstandsflächenvorschriften, die von dem vorhandenen Geländeniveau ausgehen, sollen eine Bebauung gewährleisten, die mit dem gebotenen Nachbarschutz vereinbar ist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Richtigkeitsvermutung des Grundbuchs erstreckt sich auf den im Liegenschaftskataster dargestellten Grenzverlauf. Stimmen die abgemarkten Grenzpunkte mit den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen nicht überein, muss der Eigentümer seine Rechte zunächst im Zivilrechtsweg geltend machen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Abweichungen von den Abstandsflächen lassen sich in erster Linie dann rechtfertigen, wenn die strikte Einhaltung des Abstandsflächenrechts aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls mit Blick auf dessen Ziele (Belichtung und Lüftung der Grundstücke) nicht geboten ist. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
5. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 BayBO vor, so ist es regelmäßig ermessensgerecht, die Abweichung zuzulassen, es sei denn, besondere Umstände stünden dem entgegen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 7. Juli 2020 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung, die gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO zu erteilen ist, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, entgegenstehen, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass die Nachbarn durch die Genehmigung zugleich in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. etwa BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – juris).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Durch das inmitten stehende Vorhaben wird der Kläger nicht in Vorschriften des öffentlichen Baurechts, die dem Schutz seiner individuellen Interessen dienen, verletzt.
1. Die der Beigeladenen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilte Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächen ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten. Diese für Gebäude getroffenen Regelungen gelten sinngemäß für andere bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen, wenn von diesen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO.
a) Die streitgegenständliche Sichtschutzwand der Beigeladenen, welche sich grenzständig zu dem klägerischen Grundstück weitgehend auf eine Höhe von über 2 m erstreckt und damit gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 7a BayBO nicht verfahrensfrei ist, weist eine gebäudeähnliche Wirkung auf, so dass eine Abstandsfläche von 1 H, mindestens 3,00 m, einzuhalten ist. Eine zulässige Errichtung der streitgegenständlichen Sichtschutzwand ohne Einhaltung einer Abstandsfläche gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO scheidet indes vorliegend bereits deshalb aus, weil die Sichtschutzwand die in dieser Vorschrift festgelegte Höhe von 2,00 m überschreitet. Aus der Freistellung von geschlossenen Einfriedungen bis zu einer Höhe von zwei Metern in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO ergibt sich, dass eine mittlere Höhe von über zwei Metern eine gebäudeähnliche Wirkung auslöst (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 15 ZB 18.946 – juris Rn. 12). Als grundsätzliche „Faustregel“ gilt, dass eine gebäudeähnliche Wirkung von „Mauern“ über 2 m Höhe stets, von Mauern zwischen 1,50 und 2 m Höhe nach Lage des Einzelfalls ausgeht (vgl. etwa BayVGH, U.v. 7.8.2009 – 15 B 1239 – juris Rn. 17 m.w.N.). Den unteren Bemessungspunkt für die Berechnung der Wandhöhe eines Vorhabens bildet dabei nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO die Geländeoberfläche. Dabei differenziert der Gesetzgeber seit der Neufassung im Jahre 2008 nicht mehr zwischen natürlicher oder festgelegter Geländeoberfläche, so dass grundsätzlich auf das vorhandene Geländeniveau auf dem Baugrundstück abzustellen ist. Etwas anderes gilt dann, wenn die Geländeoberfläche im Zusammenhang mit dem zur Genehmigung gestellten Bauvorhaben ohne rechtfertigenden Grund verändert worden ist. Auch ohne direkten Bezug zu dem Bauvorhaben herbeigeführte Niveauveränderungen durch Aufschüttungen oder Abgrabungen können zu Lasten des Bauherrn berücksichtigt werden, um einem missbräuchlichen sukzessiven Vorgehen wirksam entgegenwirken zu können. Dabei verlangen die Regelungen der Abstandsflächen aber nicht, dass ein ursprüngliches Gelände heranzuziehen ist, das weit in der Vergangenheit einmal vorhanden war und in der Zwischenzeit verändert wurde. Die Abstandsflächenvorschriften sollen in Gegenwart und Zukunft eine Bebauung gewährleisten, die mit den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und dem gebotenen Nachbarschutz vereinbar ist. Es soll deshalb vermieden werden, durch Manipulationen des Geländes die gesetzlichen Regelungen zu unterlaufen. Ist die Geländeoberfläche in den letzten 30 Jahren nicht verändert worden, so ist allein der Zeitablauf ausreichend, um von der Rechtmäßigkeit der Veränderung auszugehen. Aber auch eine kürzere Frist kann genügen, um von einer in der Vergangenheit veränderten Geländeoberfläche auszugehen. Es kommt entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an (BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 1 ZB 15.1839 – juris Rn. 5 f.).
Nach diesen rechtlichen Maßgaben sind die vorliegend von der Beigeladenen gewählten und von dem Beklagten der Abweichung zugrunde gelegten Bezugspunkte für die Höhe der streitgegenständlichen Sichtschutzwand nicht zu beanstanden. Seit wann der in den Bauvorlagen der Beigeladenen dargestellte Geländeverlauf zwischen den streitgegenständlichen Grundstücken in der heutigen Ausgestaltung vorhanden ist, kann dahingestellt sein. Selbst wenn das Gelände in dem hier verfahrensgegenständlichen Grenzbereich möglicherweise „erst“ mit Errichtung des im Jahre 1991 bauaufsichtlich genehmigten Einfamilienhauses verändert worden sein sollte, ist dieses aufgrund der zugunsten der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung sowie überdies des Zeitablaufes als vorhandenes Geländeniveau zugrunde zu legen.
Im Übrigen ist im Hinblick auf eine etwaige Grenzsteinversetzung seitens der Beigeladenen darauf hinzuweisen, dass eine von der katastermäßigen Eintragung der Grundstückgrenze abweichende Lage der Grenzsteine ohne Folge für die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung ist. Maßgeblich ist nicht die Lage der Grenzsteine, sondern der Grenzverlauf des Baugrundstückes, wie er sich aus dem zu den Bauvorlagen gehörenden Auszug aus dem Katasterkartenwerk (§ 1 Abs. 1 Nr. 7, § 7 Abs. 1 BauVorlV) ergibt. Denn die Richtigkeitsvermutung des Grundbuches (§ 891 BGB) bezüglich der Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück erstreckt sich auf den im Liegenschaftskataster dargestellten Grenzverlauf. Stimmen das Liegenschaftskataster oder die abgemarkten Grenzpunkte mit den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen nicht überein, muss der Eigentümer seine Rechte (§§ 985 ff., §§ 919 f. BGB) zunächst im Zivilrechtsweg geltend machen (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 14.6.2007 – 1 CS 07.265 – juris Rn. 31).
b) Gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen der Bayerischen Bauordnung und aufgrund derer erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Diese Voraussetzungen sind in dem hier zu entscheidenden Fall erfüllt.
aa) Die Abweichung ist „unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung“, vorliegend mithin der Anforderungen des Abstandsflächenrechts, vertretbar.
Die Anforderungen des Abstandsflächenrechts sollen Gebäudeabstände und dadurch in erster Linien eine ausreichende Belichtung und Lüftung der Grundstücke gewährleisten sowie sicherstellen, dass Flächen für Nebenanlagen frei bleiben (BayVerfGH, E.v. 12.5.2004 – Vf. 7-VII-02 – juris Rn. 38 f.). Das Abstandsflächenrecht ist in diesem Sinn ausreichend berücksichtigt und folglich ein Zurückbleiben hinter dem angestrebten Schutzniveau vertretbar, wenn die strikte Einhaltung des Abstandsflächenrechts aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls mit Blick auf dessen Ziele nicht geboten ist. Abweichungen von den Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO lassen sich deshalb in erster Linie dann rechtfertigen, wenn Gründe vorliegen, durch die sich der Einzelfall vom gesetzlichen Regelfall unterscheidet und wegen derer die Einbuße an Belichtung und Lüftung zu vernachlässigen ist. Dabei vermögen insgesamt nur objektive Gründe und nicht etwa subjektive Gesichtspunkte, die speziell den Bauherrn betreffen, eine Abweichung rechtfertigen. Diese können sich beispielsweise – wie vorliegend bei den in Hanglage befindlichen Grundstücken der Beteiligten – aus einem besonderen Grundstückszuschnitt sowie der Lage und des Zuschnitts der benachbarten Grundstücke zueinander oder topographische Besonderheiten des Geländeverlaufs ergeben (vgl. hierzu etwa BayVGH, U.v. 28.7.2009 – 22 BV 08.3427 – juris Rn. 29 m.w.N.), so dass in dem hier zu entscheidenden Fall das Erfordernis der Atypik erfüllt und eine etwaige Einbuße an Belichtung und Lüftung – welche aufgrund der bei der Inaugenscheinnahme erlangten Erkenntnisse der Kammer an sich bereits fraglich ist – zu vernachlässigen ist. Seit wann der Geländeverlauf auf Seiten der Beigeladenen in der heutigen Ausgestaltung vorhanden, kann insoweit dahingestellt sein, da dieser – wie bereits oben ausgeführt – jedenfalls mit Erteilung der Baugenehmigung für das Wohngebäude der Beigeladenen genehmigt wurde und im Übrigen seit mindestens 30 Jahren vorhanden ist.
bb) Die nachbarlichen Interessen sind hinreichend gewürdigt. In Anbetracht der beschriebenen besonderen örtlichen Situation sind weitere zu würdigende nachbarliche Interessen nicht betroffen. Über die Sichtbarkeit der Wand hinausgehende und durch die Abweichung berührte Interessen hat der Kläger nicht geltend gemacht. Irgendeine auch nur näherungsweise erdrückende oder bedrückende Wirkung auf das klägerische Wohngrundstück, dessen Gebäude und Terrassenbereich sich im nördlichen Teil des Anwesens befinden, während in dem südlichen Teil des Grundstückes, dem weitläufigen Gartenbereich, in welchem die streitgegenständliche Sichtschutzwand ihre maximale Höhe erreicht, in Grenznähe lediglich das klägerische Nebengebäude (Poolhaus) sowie der dahinterliegenden Schottergarten vorhanden sind, geht von der Sichtschutzwand nicht aus. Auch insoweit kommt es nur auf objektive, nicht auf subjektive Gesichtspunkte an.
Zu beachten ist im Übrigen auch, dass die Sichtschutzwand der Beigeladenen in dem südlichen Bereich aufgrund der klägerseits angebrachten circa 1 m hohen Quadersteine, hinter welchen der Sichtschutz errichtet werden soll, für den Kläger faktisch lediglich in einer Höhe von circa 2 m und überdies weitgehend auch lediglich bei einem Aufenthalt im Bereich hinter dem Poolhaus sichtbar ist. Unbeachtlich ist indes, ob und wie der Kläger die bauliche Gestaltung des südlichen Grundstücksbereiches irgendwann zu ändern beabsichtigt. Des Weiteren vermag auch der klägerische Einwand, dass die streitgegenständliche Sichtschutzwand ihren Zweck nicht erfüllen könne, da aufgrund der niedrigen Höhe stellenweise über diese geschaut werden könne, der inmitten stehenden Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Hierdurch sowie durch die Gestaltung seines Grundstückes hat der Kläger vielmehr zu erkennen gegeben, dass es auch ihm um eine möglichst umfassende Unterbrechung der Sichtverbindung zwischen seinem Grundstück und dem der Beigeladenen geht.
cc) Die Abweichung ist auch mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Insbesondere sind die allgemeinen Anforderungen an bauliche Anlagen gewahrt, Art. 3 Abs. 1 BayBO.
dd) Ferner ist die Abweichung ermessensfehlerfrei zugelassen worden. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 BayBO vor, so ist es regelmäßig ermessensgerecht, die Abweichung zuzulassen, es sei denn, besondere Umstände stünden dem entgegen (BayVGH, U.v. 25.11.2004 – 15 B 03.245 – juris Rn. 18). Solche Umstände sind vorliegend weder vorgetragen noch erkennbar.
2. Aus den unter Ziffer 1 c) bb) genannten Gründen verstößt das streitgegenständliche Vorhaben auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Daher kann es auch auf sich beruhen, ob die Bebauung im südlichen Bereich des klägerischen Grundstückes selbst Abstandsflächen zu dem Beigeladenengrundstück hin einzuhalten gehabt hätte und gegebenenfalls nicht vollständig einhält.
3. Eine Rechtsverletzung des Klägers ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen bauleitplanerische Festsetzungen. Der qualifizierte Bebauungsplan Nr. … „…“ der Gemeinde … aus dem Jahre 1977 enthält lediglich Festsetzungen über die Gestaltung von Einfriedungen, welche zu öffentlichen Verkehrsflächen gerichtet sind.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO), trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst (vgl. hierzu etwa BayVGH, U.v. 4.8.2017 – 15 N 15.1713 – juris Rn. 50).


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