Baurecht

Nachbarschutz gegen Baugenehmigung für einen Reihenhausanbau

Aktenzeichen  Au 5 S 20.200

Datum:
20.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2123
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30, § 31 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1, § 22 Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

1. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz ausschließlich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben in Folge einer zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Festsetzung über die Zulässigkeit bestimmter Hausformen nach § 22 Abs. 2 Satz 3 BauNVO sind regelmäßig nicht drittschützend. Durch die ausschließliche Zulässigkeit bestimmter Hausformen wird ein nachbarschaftliches Austauschverhältnis nämlich nicht begründet. Denn die Zulassung einzelner Hausformen trifft weder eine Aussage über die Größe und Zahl der Wohnungen in den auf dem Baugrundstück zulässigen Gebäuden noch über sonstige Umstände, die für das nachbarliche Austauschverhältnis von Bedeutung sein könnten. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben „Reihenhausanbau mit 3 Garagen (2 aus Bestand) und 1 Stellplatz“ auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung …
Die Antragsteller sind Eigentümer des westlich an das vorgesehene Baugrundstück angrenzenden Grundstücks mit der Fl.Nr. …, welches mit einem Wohnhaus bebaut ist.
Die Baugrundstücke befinden sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … „…“ der Gemarkung … Maßgeblich für die streitgegenständlichen Grundstücke ist die Fassung der 1. Änderung vom 9. August 1995, die dort ein Allgemeines Wohngebiet festsetzt. Außerdem ist ausweislich der Planzeichnung auf dem Grundstück des Beigeladenen nur eine Bebauung mit Einzel- und Doppelhäusern zulässig sowie ein Satteldach mit einer Dachneigung von 38° – 43°. Unter § 5 5.1 der Textlichen Festsetzungen zur 1. Änderung ist die offene Bauweise festgelegt. Weiter ist unter § 5 5.2 geregelt, dass Nebengebäude und Garagen an der seitlichen Grundstücksgrenze zu errichten sind. Ausnahmsweise können sie an anderer Stelle errichtet werden – auch außerhalb der Baugrenzen -, wenn dadurch Verkehrsbelange und die beabsichtigte Gestaltung des Straßen- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden.
Ausweislich der Planzeichnung umfasst die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. … „…“ in der Fassung vom 7. August 1996 die streitgegenständlichen Grundstücke nicht. Auch die 3. Änderung des Bebauungsplans in der Fassung vom 30. Januar 2014 betrifft einen Geltungsbereich des Baugebietes, in welchem die streitgegenständlichen Grundstücke ausweislich Nr. 3.1 der Begründung gerade nicht liegen.
Der Beigeladene hat im Wege des Genehmigungsfreistellungsverfahrens mit Antrag vom 27. August 2019 einen Reihenhausanbau mit 3 Garagen (2 aus Bestand) und 1 Stellplatz beantragt.
Die Gemeinde … hat ihr Einvernehmen zum Bauvorhaben sowie zu den Befreiungen vom Bebauungsplan mit Beschluss vom 5. September 2019 erteilt.
Die Antragsteller haben die im Verfahren vorgelegten Pläne des Beigeladenen nicht unterzeichnet.
Mit Bescheid des Landratsamtes … vom 31. Oktober 2019 (Az. …) wurde dem Beigeladenen die Baugenehmigung für das Vorhaben „Reihenhausanbau mit 3 Garagen (2 aus Bestand) und 1 Stellplatz“ auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … entsprechend den mit dem Genehmigungsvermerk vom 31. Oktober 2019 versehenen Bauvorlagen erteilt.
Dagegen ließen die Antragsteller mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2019 Klage (Au 5 K 19.2106) und mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2019 Eilantrag (Au 5 S 19.2210) erheben.
Das Landratsamt … hat mit Bescheid vom 2. Januar 2020 die Baugenehmigung vom 31. Oktober 2019 zurückgenommen (Nr. 1 des Bescheides). Daraufhin ließen die Antragsteller die Klage (Au 5 K 19.2106) und den Eilantrag (Au 5 S 19.2210) mit Schriftsatz vom 31. Januar 2020 für erledigt erklären. Das Landratsamt … hat vorab der Erledigungserklärung mit Schreiben vom 31. Januar 2020 zugestimmt. Beide Verfahren wurden daher mit Beschluss vom 3. Februar 2020 eingestellt.
Das Landratsamt … hat mit Bescheid vom 2. Januar 2020 (Az. …) dem Beigeladenen erneut die Baugenehmigung für das Vorhaben „Reihenhausanbau mit 3 Garagen (2 aus Bestand) und 1 Stellplatz“ auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … entsprechend den mit dem Genehmigungsvermerk vom 31. Oktober 2019 versehenen Bauvorlagen erteilt (Nr. 2 des Bescheides). Von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. … „…“ der Gemeinde … wurden folgende Befreiungen erteilt:
3.1 Die Dachneigung darf wie beantragt mit einer Neigung von 30° anstatt der zulässigen 38°- 43° errichtet werden.
3.2 Die Garagen dürfen wie beantragt mit einem Flachdach anstatt mit einem Satteldach errichtet werden.
3.3 Die Garagen dürfen wie beantragt außerhalb der südlichen Baugrenze errichtet werden.
3.4 Der Anbau an das Doppelhaus darf zu einem Reihenhaus führen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Einvernehmen mit der Gemeinde die ausgesprochenen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt werden konnten, weil die Abweichungen städtebaulich vertretbar seien und die Grundzüge der Planung nicht berührt würden und weil die Abweichungen auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar seien. Die Abweichungen seien städtebaulich vertretbar, da insbesondere die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB festgelegten Belange nicht in unvertretbarer Weise verändert würden, soweit diese überhaupt tangiert seien. Insbesondere sei vorliegend auch auf die Befreiung von der Festsetzung, wonach nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig seien, einzugehen. Die 1. Änderung zum Bebauungsplan Nr. … für das Gebiet zwischen …-, …- und …-straße setze im Baubebauungsplan fest, dass nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig seien, gleichzeitig lasse der Bebauungsplan zeichnerisch im gleichen Baufenster jedoch auch ein Reihenhaus zu. Dieses Reihenhaus im selben Baufenster bestehe derzeit auch noch. Das Interesse der Eigentümer der …-str. … an einer Beibehaltung des bisherigen Zustandes müsse hinter dem Interesse des Bauherrn an der Durchführung seines Vorhaben zurückstehen, da die erforderlichen Befreiungen unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar seien. Die oben ausgesprochenen Abweichungen würden Abweichungen von nicht nachbarschützenden Vorschriften darstellen. Die Nachbarn könnten das Bauvorhaben, für das eine Befreiung erteilt worden sei, nur dann mit Erfolg angreifen, wenn dieses ihnen gegenüber rücksichtslos sei. Das Landratsamt gelange zu dem Ergebnis, dass die erteilten Befreiungen insbesondere aufgrund der geringen Intensität der Beeinträchtigungen für die Nachbarn zumutbar seien und das Interesse des Bauherrn an der Durchführung der geplanten Bebauung und Ausnutzung seines Grundstückes die Interessen der Nachbarn an dem derzeitigen Zustand überwiege. Dabei sei berücksichtigt worden, dass zwischen dem geplanten Reihenhausanbau und dem Reihenhaus der Eigentümer der …-str. … bereits jetzt eine Doppelhaushälfte liege.
Die Antragsteller ließen mit Schriftsatz vom 31. Januar 2020, eingegangen bei Gericht per Telefax am selben Tag, unter dem Aktenzeichen Au 5 K 20.199 Klage erheben und im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 (Az.: …) zur Errichtung eines Reihenhausanbaus auf dem Grundstück …-str., der Gemarkung, Flur-Nr. … anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben im Bereich eines Bebauungsplans liege, der ein allgemeines Wohngebiet mit offener Bauweise festlege. Der Bebauungsplan lege zudem fest, dass in dem Bebauungsgebiet ausschließlich Einzel- und Doppelhäuser zugelassen seien. Befreiungen seien nicht vorgesehen. Die Antragsgegnerin stütze die genehmigte Ausnahme auf ein weiteres Reihenhaus, welches als Ausnahme vom Bebauungsplan im streitgegenständlichen Baugebiet errichtet sei. Dieses Reihenhaus sei jedoch nicht beispielhaft für den Gebietscharakter, sondern vielmehr ein Sonderfall. Die Bebauung sei im Übrigen durch eine Vielzahl von Einzelhäusern und durch einige Doppelhäuser geprägt. Die Zulassung einer Reihenhausbebauung würde den Gebietscharakter verändern und die Intensität der Flächen- und Grundstücksnutzung massiv erhöhen. Darüber hinaus werde der ursprüngliche Charakter des Doppelhauses massiv verändert. Die Antragsteller hätten einen Gebietserhaltungsanspruch. Zudem würde die Erweiterung zu einem Reihenhaus einen unzumutbaren Wertverlust für ihre Doppelhaushälfte bedeuten.
Mit Beschluss des Gerichts vom 3. Februar 2020 wurde der Bauherr zum Verfahren notwendig beigeladen. Er äußerte sich mit Schreiben vom 17. Februar 2020, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, stellte jedoch keinen Antrag.
Das Landratsamt … hat für den Antragsgegner mit Schreiben vom 12. Februar 2020 beantragt,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass durch den Anbau einer weiteren Hauseinheit im vorliegenden Fall aus dem ursprünglichen Doppelhaus eine Hausgruppe mit seitlichem Grenzabstand werde. Das geplante Reihenhaus stehe hinsichtlich der Bauweise weiterhin im Einklang mit der im Bebauungsplan festgesetzten offenen Bauweise. Die Antragsteller würden außerdem nicht von einem fehlenden Grenzabstand bzw. direktem Grenzanbau betroffen, da die bereits bestehende, bisherige östliche Doppelhaushälfte trennend dazwischen liege. Das nachbarliche Austauschverhältnis im Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze bleibe weiterhin unverändert bzw. sei überhaupt nicht betroffen. Das zulässige Maß der baulichen Nutzung werde bei dem vorliegenden Vorhaben weiterhin eingehalten. Mit der Zulassung des Anbaus gehe vor allem keine Veränderung des hier vorliegenden Gebietscharakters einher. Die Art der Nutzung als Merkmal einer Gebietsverträglichkeit, hier als Wohngebäude, bleibe unverändert. Bei dem geplanten Reihenhaus handele es sich ebenso wie bei einem bestehenden Doppelhaus um ein Wohnhaus. Die im verfahrensgegenständlichen Bereich bereits vorhandene Bebauung weise keine „prägenden“ oder besonderen Einheitlichkeiten, Merkmale oder städtebaulichen Strukturen auf. Bereits die direkt östlich angrenzenden Grundstücke seien ebenfalls mit einer Hausgruppe in offener Bauweise bebaut. Zum Teil liege eine erhebliche, über das verfahrensgegenständliche Vorhaben deutlich hinausgehende Bebauungsdichte vor. Bodenrechtliche Spannungen löse das Vorhaben in Orientierung auch zum restlichen Gebietsbereich nicht aus. Ferner würden die erteilten Befreiungen keine öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechte berühren. Das Vorhaben sowie die Zulassung der Befreiungen würden auch das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzen. Eine Verletzung scheide hier schon deshalb aus, weil die vorgetragenen „Beeinträchtigungen“ offensichtlich und erkennbar nicht das Stadium der unzumutbaren Rücksichtslosigkeit erreichen würden, sondern sich allenfalls im Bereich der hinzunehmenden bloßen „Lästigkeiten“ bewegen würden. Die zugelassene Nutzung mit einer zusätzlichen Wohneinheit entspreche dem auf den Nachbargrundstücken vorhandenen Nutzungsrahmen. Weiter wird ausgeführt, dass Grundstückseigentümer öffentlich-rechtlich keinen Schutz genießen würden, dass der Wert des Grundstücks durch Einwirkungen, die von einem Vorhaben auf dem Nachbargrundstück ausgehen, nicht gemindert werde, wenn dies nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässig sei. Ein Abwehranspruch würde nur dann in Betracht kommen, wenn die Wertminderung gerade die Folge einer dem Betroffenen nach Maßgabe des Gebots der Rücksichtnahme unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks sei. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall.
Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten im Verfahren Au 5 K 19.2106 und Au 5 S 19.2210 Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nach § 80a Abs. 3, Abs. 1, § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist statthaft. Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.
Die Antragsteller sind auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Sie können sich als (noch) unmittelbar angrenzende Nachbarn im baurechtlichen Sinn auf die Möglichkeit der Verletzung in drittschützenden Normen stützen.
2. Der Antrag ist in der Sache aber nicht begründet.
a) Das Gericht trifft eine eigene Ermessensentscheidung über den Antrag nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse der Nachbarn an der aufschiebenden Wirkung der Klage und das Vollzugsinteresse des Bauherrn, von seiner Baugenehmigung trotz eingelegtem Rechtsmittel sofort Gebrauch machen zu können, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Deswegen sind im Rahmen der Interessenabwägung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgeblich. Fällt die Erfolgsprognose zugunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, so hat eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen stattzufinden (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 a.a.O. Rn. 18).
b) Die Antragsteller sind durch die streitgegenständliche Baugenehmigung voraussichtlich nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung hat der anfechtende Nachbar nur, wenn das Bauvorhaben den im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden, öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 55 ff. BayBO) und die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, ihr also drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – BVerwGE 82, 343). Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Weiterhin muss der Nachbar durch den Verstoß gegen diese Norm in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen sein. Eine objektive Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung reicht dabei nicht aus, denn der Nachbar muss in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein.
Da es sich vorliegend um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 ff. BauGB, den Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO), beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO).
c) Ein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften gemäß §§ 29 ff. BauGB liegt nicht vor.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 1 BauGB, da für die streitgegenständlichen Grundstücke der qualifizierte Bebauungsplan Nr. … „…“, in der maßgeblichen Fassung der 1. Änderung der Gemeinde … vom 9. August 1995 vorliegt.
aa) Eine Rechtsverletzung bezüglich der im Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung kommt nicht in Betracht. In Allgemeinen Wohngebieten sind gem. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO Wohngebäude allgemein zulässig. Insofern hält sich das beantragte und genehmigte Bauvorhaben „Reihenhausanbau“ im Rahmen der Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans.
Die Antragsteller können sich auch nicht auf den sog. „Gebietserhaltungsanspruch“ berufen.
Dieser ist im Ergebnis darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in diesem Gebiet zulässig sind, und setzt voraus, dass die Grundstücke in einem festgesetzten oder faktischen Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung liegen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris Rn. 13). Der Gebietsbewahrungs- bzw. Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 27). Alleine die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat grundsätzlich nachbarschützende Wirkung zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken eines wechselseitigen Austauschverhältnisses.
Da ein Verstoß gegen den allgemeinen Gebietserhaltungsanspruch nur vorliegen kann, wenn ein mit der Gebietsart unvereinbares Bauvorhaben zugelassen wird, scheidet vorliegend eine Verletzung aus. In einem Allgemeinen Wohngebiet ist Wohnbebauung allgemein zulässig. Insoweit führt auch die Tatsache, dass es sich beim genehmigten Vorhaben um einen Reihenhausanbau handelt, im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit der Art der Nutzung zu keinem anderen Ergebnis. Wohngebäude sind Gebäude, die dem dauernden Wohnen dienen (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 135. EL September 2019, § 3 BauNVO Rn. 34). Der Begriff des Wohngebäudes umfasst dabei alle Formen des Wohnens, vom Einfamilienhaus bis zum vielgeschossigen Mietshaus mit entsprechenden Wohnungen und Appartements (vgl. VG Neustadt, U.v. 12.12.2013 – 4 K 626/13.NW – juris Rn. 30). Wohnen in einem Reihenhaus dient ebenfalls dem dauernden Wohnen und stellt keine spezielle, bauplanungsrechtlich relevante (Unter-)Art der baulichen Nutzung im Vergleich zum Wohnen in Einfamilien- oder Doppelhäusern dar.
bb) Soweit sich die Antragsteller gegen die massive Erhöhung der Intensität der Flächen- und Grundstücksnutzung wenden, richtet sich ihr Einwand gegen das genehmigte Maß der baulichen Nutzung. Gemäß § 16 Abs. 2 BauNVO kann im Bebauungsplan das Maß der baulichen Nutzung insbesondere durch die Grundflächenzahl (Nr. 1) und die Geschoßflächenzahl (Nr. 2) festgesetzt werden. Zum Maß der baulichen Nutzung bestimmt der hier einschlägige Bebauungsplan Nr. … „…“ in der Fassung der 1. Änderung der Gemeinde … in § 3 3.1, dass die in der Bebauungsplanzeichnung eingetragenen Grund- und Geschossflächenzahlen als Höchstgrenzen gelten. Qualifizierte Einwände hiergegen haben die Antragsteller nicht erhoben. Es entspricht im Übrigen auch der ganz herrschenden Meinung, dass Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung nicht nachbarschützend sind (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – NVwZ 1996, 170; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3 zu § 34 BauGB; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 zu § 34 BauGB; B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3 zu § 34 BauGB). Eine Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung zu Lasten des jeweiligen Nachbarn kann damit allenfalls über die Grundsätze des drittschützenden Gebotes der Rücksichtnahme berücksichtigt werden.
cc) Ein nachbarlicher Abwehranspruch ergibt sich ferner nicht aus der Festsetzung über die Bauweise. Ausweislich § 5 5.1 der Textlichen Festsetzungen gilt im Plangebiet die offene Bauweise i.S. des § 22 BauNVO. Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet.
Zwar kommt der Festsetzung der offenen Bauweise im Bebauungsplan grundsätzlich nachbarschützende Wirkung zu (Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 22 BauNVO Rn. 49). Das mit Baugenehmigungsbescheid vom 2. Januar 2020 genehmigte Vorhaben „Reihenhausanbau“ steht der offenen Bauweise jedoch nicht entgegen. Rechtlich führt der Reihenhausanbau nämlich nicht zu einem baulichen Zustand, der als solcher bei der Festsetzung der offenen Bauweise planungsrechtlich unzulässig wäre. Reihenhäuser sind Hausgruppen i.S. des § 22 Abs. 2 BauNVO, die jedenfalls in offener Bauweise errichtet werden, sodass die Festsetzung der offenen Bauweise nicht betroffen ist (vgl. BVerwG, B. v. 31.1.1995 – 4 NB 48/93 – NVwZ 1995, 696, 697; BayVGH, B.v. 23.4.2004 – 20 B 03.3002 – juris Rn. 14). Der Begriff „Reihenhaus“ bedeutet, dass die Häuser in fortlaufender Reihe an der Grundstücksgrenze aneinandergebaut zu errichten sind, wobei die äußeren Kopfhäuser einen einseitigen Grenzabstand einhalten müssen (vgl. OVG Hamburg, U. v. 11.9.2018 – 2 Bf 43/15 – juris Rn. 40 m.w.N.). Die Grenzabstandserfordernisse ergeben sich dabei grundsätzlich aus den landesrechtlichen Vorschriften über die Abstandsflächen. Auch wenn es im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung noch nicht zu einer Grundstücksteilung des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung … gekommen ist, kommt es für die gerichtliche Beurteilung allein auf die von der Baugenehmigung umfassten Genehmigungslage an. Gegenstand dieser ist ein „Reihenhausanbau“. Die oben aufgezeigten Voraussetzungen für die Entstehung eines Reihenhauses müssen daher mit Errichtung vorliegen, ansonsten läuft die Baugenehmigung ins Leere. In der eingereichten Planzeichnung ist jedoch bereits eine neue Grenze eingezeichnet, sodass davon auszugehen ist, dass eine Grundstücksteilung auch tatsächlich beabsichtigt ist. Unabhängig davon würde der bloße Anbau an die bestehende Doppelhaushälfte der offenen Bauweise vorliegend ebenfalls nicht entgegenstehen.
dd) Eine Rechtsverletzung der Antragsteller in ihren nachbarschützenden Rechten ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die in der Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans. Dem Beigeladenen wurden insoweit Befreiungen von der Festsetzung der Dachneigung, der Dachform der Garage, der südlichen Baugrenzen sowie von der Festsetzung eines Einfamilien- bzw. Doppelhauses erteilt.
Die Festsetzungen, von denen dem Beigeladenen Befreiungen erteilt wurden, sind bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht zu Gunsten der Antragsteller drittschützend.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gemäß § 31 Abs. 2 BauGB hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn maßgeblich davon ab, ob den Festsetzungen nachbarschützende Funktion zukommt. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen ausschließlich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben in Folge einer zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 22 m.w.N.).
In Bezug auf die Festsetzungen eines Bebauungsplans ist festzuhalten, dass diesen – mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, die kraft Gesetzes Drittschutz vermitteln – grundsätzlich nicht von vorneherein eine nachbarschützende Wirkung zukommt. Das gilt insbesondere für die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2015 – 15 CS 14.2871 – juris Rn. 22; B.v. 14.8.2014 – 2 ZB 13.2011 – juris Rn 3). Der Drittschutz hängt im Einzelnen vielmehr von der Auslegung des Bebauungsplanes und damit vom Willen des Plangebers ab (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 24; B.v. 28.5.2014 – 9 CS 14.85 – juris Rn. 17; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 34). Ob einer Festsetzung im Bebauungsplan nachbarschützende Wirkung zukommt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Daher kann aus einer Nichtbeachtung bzw. Abweichung von solchen Festsetzungen nur dann ein subjektives nachbarliches Abwehrrecht gegen ein Bauvorhaben hergeleitet werden, wenn dem jeweiligen Bebauungsplan ein ausdrücklich erklärter oder zumindest aus den Planunterlagen oder der Planzeichnung unzweifelhaft erkennbarer dahingehender Regelungswille der Gemeinde entnommen werden kann. Ein derartiger Regelungswille ergibt sich aus den dem Gericht im Verfahren vorgelegten Unterlagen nicht. Insbesondere ergeben sich weder aus dem Bebauungsplan selbst, also der Planzeichnung und den textlichen Festsetzungen, noch aus dessen Begründung entsprechende Anhaltspunkte.
(1) Gemessen an diesen Maßstäben vermittelt die Festsetzung „nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig“, die u.a. für das streitgegenständliche Grundstück im Plangebiet getroffen wurde, keinen Nachbarschutz.
Die im streitgegenständlichen Bescheid unter Nr. 3.4 erteilte Befreiung von dieser Festsetzung betrifft die Zulässigkeit bestimmter Hausformen. Diese Festsetzungen nach § 22 Abs. 2 Satz 3 BauNVO sind aber regelmäßig nicht drittschützend (vgl. OVG Saarlouis, B. v. 9.2.2005 – 1 W 1/05 – juris Rn. 20; OVG NRW, B.v. 6.2.1996 – 11 B 3046/95 – juris Rn. 13; Siegmund in BeckOK BauGB, 47. Ed. Stand 1.8.2019, § 31 Rn. 90; Schilder in Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 2. Aufl. 2018, § 22 Rn. 29; König/Petz in König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 4. Aufl. 2019, § 22 Rn. 35: nachbarschützend nur dann, soweit der seitliche Grenzabstand und das Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze betroffen ist). Durch die ausschließliche Zulässigkeit bestimmter Hausformen wird ein nachbarschaftliches Austauschverhältnis nämlich nicht begründet (vgl. Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 22 BauNVO Rn. 51). Denn die Zulassung einzelner Hausformen trifft weder eine Aussage über die Größe und Zahl der Wohnungen in den auf dem Baugrundstück zulässigen Gebäuden noch über sonstige Umstände, die für das nachbarliche Austauschverhältnis von Bedeutung sein könnten (vgl. OVG NRW, B.v. 6.2.1996 – 11 B 3046/95 – juris Rn. 15 ff.). Jedenfalls betrifft das streitgegenständliche Bauvorhaben nicht die gemeinsame Grundstücksgrenze der Antragsteller und des Beigeladenen und damit nicht deren nachbarliches Austauschverhältnis.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem zugrundeliegenden Bebauungsplan. Im vorliegenden Einzelfall ist weder aus den Textlichen Festsetzungen, der Planzeichnung noch aus den sonstigen Umständen erkennbar, dass der Festsetzung von Einzel- bzw. Doppelhäusern nachbarschützende Wirkung zukommen soll. Bis auf die Aussage in der Planzeichnung, dass u.a. auf dem streitgegenständlichen Grundstück nur ein Einzel- bzw. Doppelhaus zulässig ist, gibt es keine weiteren Hinweise darauf, dass die Festsetzung zugunsten der Grundstückseigentümer der Nachbargrundstücke getroffen wurde. Dagegen spricht vielmehr der Umstand, dass durch die in der 1. Änderung zum Bebauungsplan Nr. … „…“ gezogenen Baugrenzen in der Breite keine Beschränkungen für das streitgegenständliche Grundstück vorgenommen wurden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Gemeinde durch die Festsetzung bestimmter Hausformen in einem Bebauungsplan die Bebaubarkeit eines Grundstücks einschränkt und daher die Festsetzung anhand von Art. 14 GG, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 3 GG, dem Gesichtspunkt der sozialgerechten Bodennutzung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB, dem sparsamen Umgang mit Grund und Boden nach § 1a Abs. 2 BauGB sowie dem städtebaulichen Schutzzweck i.S. des § 1 Abs. 6 BauGB gemessen werden muss (vgl. Hornmann in BeckOK BauNVO, 20. Ed. Stand 15.12.2019, § 22 Rn. 44; Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 22 BauNVO Rn. 33).
Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht die von der Rechtsprechung entwickelte Doppelhausrechtsprechung, wonach die Doppelhaus-Festsetzung in der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO nachbarschützend ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris; BayVGH, B.v. 8.12.2017 – 9 CS 17.1987 – juris Rn. 36). Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass aus dem wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine enge Wechselbeziehung resultiert, die jeden Grundstückseigentümer zugleich begünstigt und belastet. Möchte man diese Rechtsprechung auch auf Hausgruppen übertragen (so OVG Hamburg, U. v. 11.9.2018 – 2 Bf 43/15 – juris Rn. 42 m.w.N.; VG München, B.v. 16.10.2019 – M 29 SN 19.4852 – juris Rn. 19; im Ergebnis offen gelassen BayVGH, B.v. 2.7.2010 – 9 CS 10.894 – juris Rn. 3), weil auch in diesem Fall durch den wechselseitigen Verzicht auf die seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine enge Wechselbeziehung zwischen den jeweiligen Grundstücksnachbarn entsteht, die nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf, begründet dies dennoch keinen Abwehranspruch für die Antragsteller, da durch das Vorhaben „Reihenhausanbau“ lediglich die Grundstücksgrenze zwischen der bestehenden Doppelhaushälfte auf dem Grundstück Fl.-Nr. … und dem künftigen Anbau an der östlichen Seite betroffen ist. Der Grenzanbau zum Grundstück der Antragsteller wird hingegen nicht berührt. Unabhängig davon wird durch das geplante Vorhaben auch nicht der Rahmen der gegenseitigen Grenzbebauung überschritten. Der Reihenhausanbau erfolgt deckungsgleich zum bestehenden Doppelhaus auf dem Grundstück Fl.-Nr. … Daher kann auch die Frage, ob Reihenhäuser einheitlich, symmetrisch und in den wesentlichen städtebaulich relevanten Merkmalen gleichförmig zu errichten sind, dahingestellt bleiben (verneinend OVG Hamburg, U. v. 11.9.2018 – 2 Bf 43/15 – juris Rn. 43).
Auch an dieser Stelle sei nochmals darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der gerichtlichen Eilentscheidung das durch die Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 genehmigte Vorhaben „Reihenhausanbau“ ist. Ein solcher kann im vorliegenden Fall ausweislich der Begriffsbestimmung „Reihenhaus“ (s.o. 2.c) cc)) nur entstehen, wenn das Grundstück Fl.-Nr. … an der Stelle des geplanten Anbaus an die derzeit bestehende Doppelhaushälfte geteilt wird. Ein bloßer Anbau an die bestehende Doppelhaushälfte ohne Entstehung eines Reihenhauses liegt der Genehmigung nicht zugrunde. Würde eine Grundstücksteilung mit Errichtung des Anbaus nicht stattfinden, wäre diese baurechtliche Situation nicht von der Baugenehmigung umfasst und liefe daher ins Leere. Eine Rechtsverletzung ergibt sich daraus aber für die Antragsteller nicht. Im Übrigen spricht nach summarischer Prüfung einiges dafür, dass auch in diesem Fall nachbarliche Rechte der Antragsteller nicht verletzt sind.
(2) In Nr. 3.1 des angefochtenen Bescheides wurde eine Befreiung von der Dachneigung von 30° anstatt der zulässigen 38° – 43 ° und in Nr. 3.2 eine Befreiung von der Dachform der Garage erteilt.
Die Festsetzungen zur Dachneigung (Planzeichnung) und zur Dachform der Garage (§ 6 6.2 der Textlichen Festsetzungen) sind jedoch nicht nachbarschützend. Es handelt sich hierbei um ortsgestalterische Festsetzungen, die grundsätzlich lediglich das gewünschte städtebauliche Konzept der Gemeinde zum Ausdruck bringen, jedoch nicht erkennen lassen, dass mit ihnen ein wechselseitiges Austauschverhältnis begründet werden soll und sie sind dementsprechend in der Regel nicht nachbarschützend. Dass hier etwas anderes gilt, kann aufgrund der dem Gericht im Verfahren vorgelegten Unterlagen nicht festgestellt werden. Der Wille des Plangebers, diesen Festsetzung ausnahmsweise drittschützende Wirkung zukommen zu lassen, ergibt sich weder aus der Planzeichnung noch aus den Textlichen Festsetzungen der maßgeblichen 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. … „…“.
(3) In Nr. 3.3 des angefochtenen Bescheides wurde eine Befreiung für die Garagen von der Einhaltung der südlichen Baugrenze erteilt.
Die Festsetzung der Baugrenzen im maßgeblichen Bebauungsplan ist vorliegend nicht nachbarschützend. Ein derartiger Wille des Plangebers ist den Bebauungsplanunterlagen nicht zu entnehmen. Nach der zugrundeliegenden Planzeichnung sind die Baugrenzen insgesamt großzügig ausgestaltet worden. Die damit verbundene umfangreiche Möglichkeit der Positionierung der Haupt- und Nebengebäude spricht gerade gegen eine Schutzwirkung zugunsten der Nachbarn. Außerdem ist in den Textlichen Festsetzungen unter § 5 5.2 ausdrücklich geregelt, dass Nebengebäude und Garagen ausnahmsweise auch außerhalb der Baugrenzen errichtet werden können, wenn dadurch Verkehrsbelange und die beabsichtigte Gestaltung des Straßen- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden. Damit verdeutlicht der Plangeber gerade, dass es ihm um ortsgestalterische und verkehrssicherheitsrechtliche Gesichtspunkte als um nachbarliche Belange geht. Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass Garagen ausweislich § 5 5.1 der Textlichen Festsetzungen zur 1. Änderung des Bebauungsplans Nebengebäude und Garagen gerade an der seitlichen Grundstücksgrenze zu errichten sind. In der Gesamtschau spielten daher nach Auffassung der Kammer seitens des Plangebers in Bezug auf die Festsetzung der Baugrenzen, insbesondere für Garagen, nachbarliche Belange keine Rolle.
Die Befreiungen betreffen allesamt Festsetzungen, denen keine nachbarschützenden Funktionen zukommen. Die Antragsteller können sich diesbezüglich nur auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen.
d) Einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vermag die Kammer jedoch nicht zu erkennen. Bei summarischer Prüfung ist insoweit eine Verletzung von Rechten der Antragsteller nicht ersichtlich.
Das Gebot der Rücksichtnahme findet in qualifiziert beplanten Bereichen nach § 30 Abs. 1 BauGB über § 15 Abs. 1 BauNVO bzw. bei der Gewährung von Befreiungen bezüglich nicht nachbarschützender Vorschriften gemäß § 31 Abs. 2 BauGB über das Tatbestandsmerkmal der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung.
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Für eine sachgerechte Einzelfallbewertung kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte, wehrfähige Position inne hat (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 9). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12).
Es ist zudem allgemein anerkannt, dass aus tatsächlichen Gründen das Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist, wenn die Abstandsflächenvorschriften eingehalten werden (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2013 – 15 NE 12.2637). Hält ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlich für eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung erforderlichen Abstand von den Nachbargrundstücken ein, ist darüber hinaus für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr.
Das genehmigte Vorhaben des Beigeladenen hält die gesetzlichen Vorschriften des Abstandsflächenrechts jedenfalls zum Grundstück der Antragsteller mit der Fl.-Nr. … der Gemarkung … ein. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass es die abstandsflächenrechtliche Situation zum westlich gelegenen Grundstück der Antragsteller in keiner Weise verändert. Der Anbau erfolgt auf der Ostseite, also auf der zum Grundstück der Antragsteller abgewandten Seite. Der Grenzanbau an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken Fl.-Nr. … und Fl.-Nr. … bleibt unverändert. Aus demselben Grund sind auch eine im Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme zu beachtende Riegelwirkung oder erdrückende Wirkung des Bauvorhabens oder anderweitige unzumutbare Beeinträchtigung des Grundstücks der Antragsteller im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Wohnfriedens durch den profilgleichen Anbau an die bestehende Doppelhaushälfte ist nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht ersichtlich.
e) Soweit sich die Antragsteller schließlich auf den Wertverlust ihres eigenen Grundstücks berufen, ergibt sich daraus kein Abwehranspruch gegen das streitgegenständliche Bauvorhaben. Bei summarischer Prüfung verletzt das Bauvorhaben das Rücksichtnahmegebot auch nicht unter diesem Gesichtspunkt.
Es besteht kein Anspruch darauf, vor einer mit einer Nachbarbebauung verbundenen Änderung der Situation und einer damit einhergehenden Wertminderung bewahrt zu bleiben (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 16.12.2019 – 1 ZB 18.268 – juris Rn. 6; B.v. 18.6.2018 – 1 ZB 18.696 – juris Rn. 9). Denn Grundstückseigentümer genießen öffentlich-rechtlich keinen Schutz, dass der Wert des Grundstücks durch Einwirkungen, die von einem Vorhaben auf ein Nachbargrundstück ausgehen, nicht gemindert wird, wenn dieses nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässig ist (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 66 Rn. 451). Ein allgemeiner Rechtssatz, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, besteht nicht (vgl. BayVGH, B.v. 1.3.2016 – 15 CS 16.244 – juris). Für eine schwere und unerträgliche Nutzungsbeeinträchtigung ist von den Antragstellern weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.
3. Nach alledem verletzt die mit der Klage angefochtene Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 die Antragsteller voraussichtlich nicht in nachbarschützenden Rechten. Die Klage erweist sich voraussichtlich als erfolglos. Damit überwiegt auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände das Interesse des Beigeladenen an der sofortigen Vollziehbarkeit der ihm erteilten Baugenehmigung das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Der Antrag ist demzufolge abzulehnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Als im Verfahren unterlegen haben die Antragsteller die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen. Da der Beigeladenen keinen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch nicht dem Prozessrisiko ausgesetzt hat, trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst (§ 154 Abs. 3 VwGO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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