Baurecht

Nachbarschutz gegen Verkürzung der Abstandsfläche durch Balkonanbau

Aktenzeichen  15 B 16.1009

Datum:
24.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 107839
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

1 Bauliche Änderungen eines Gebäudes wie die Anbringung eines (großen) Balkons lösen grundsätzlich eine abstandflächenrechtliche Neubeurteilung aus, wenn sich im Vergleich zum bisherigen Zustand spürbare nachteilige Auswirkungen auf die von diesen Änderungen betroffenen Nachbargrundstücke hinsichtlich der durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange ergeben. (redaktioneller Leitsatz)
2 Rechte des oder der jeweiligen Nachbarn werden in solchen Fällen aber nur dann verletzt, wenn die bauliche Änderung die dem jeweiligen Nachbargrundstück zugewandte Außenwand betrifft und diese infolge der Gesamtbetrachtung die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhält. Keine Rechtsverletzung ergibt sich hingegen, wenn die abstandsrelevante(n) bauliche(n) Änderung(en) nur vom Grundstück des klagenden Nachbarn aus gesehen abgewandte, seitliche oder rückwärtige Außenwandseiten des Vorhabens betreffen.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2 K 14.454 2015-01-22 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. Januar 2015 ist wirkungslos geworden.
II.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Beklagte. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beigeladene.
III.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, weil der Rechtsstreit durch die übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten in der Hauptsache erledigt ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist wirkungslos geworden (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO).
Über die Kosten des Verfahrens ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO). In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Dabei sind für die notwendige überschlägige Überprüfung des Streitstoffs aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit Beweise nicht mehr zu erheben und schwierige Rechtsfragen nicht mehr zu klären (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5/07 – juris Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 161 Rn. 15).
1. Nach diesem Maßstab erscheint es billig, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, weil die Klage vor dem Erlass des Klarstellungsbescheids vom 12. Oktober 2016 (erledigendes Ereignis) voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.
Der ursprüngliche Baugenehmigungsbescheid vom 5. Februar 2014 war aller Wahrscheinlichkeit nach schon deswegen rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Nachbarrechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil er in Bezug auf den Balkon im Dachgeschoss auf der Westseite des Gebäudes nicht hinreichend bestimmt i.S. des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG gewesen ist. Den genehmigten Eingabeplänen war – bis zum Erlass des Klarstellungsbescheids – nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Seiten dieses Balkons (einschließlich des Bodens) entsprechend den schräg auf die Hauswand zulaufenden Doppellinien oder gemäß der im rechten Winkel auf die Hauswand treffenden einfachen Linien ausgeführt werden sollten. Hierdurch wurden Rechte des Klägers verletzt, weil infolge der Unbestimmtheit nicht beurteilt werden konnte, ob das Vorhaben den nachbarschützenden Vorschriften des Art. 6 BayBO entsprach (vgl. zur Nachbarrelevanz unbestimmter Baugenehmigungen BayVGH, B.v. 18.7.2016 – 15 ZB 15.12 – juris Rn. 13; B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris Rn. 4). Nur die Realisierung entsprechend den schräg auf die Hauswand zulaufenden Doppellinien hat zur Folge, dass die Abstandsflächen vor den (fiktiven) Außenwänden des Balkons mit schräg auf die Hauswand zulaufenden Seitenteilen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO vollständig auf dem Baugrundstück liegen. Bei einer Bauausführung entlang der im rechten Winkel auf die Hauswand treffenden einfachen Linien wären hingegen die nördlichen, zum Grundstück des Klägers gerichteten Abstandsflächen dieses Bauteils nicht mehr auf dem Baugrundstück eingehalten gewesen, woraus dessen Rechtsverletzung resultiert hätte.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergibt sich eine Verletzung von Nachbarrechten des Klägers nach Art. 6 BayBO auch bei schräger Bauausführung nicht deswegen, weil das bestehende Gebäude auf dem Baugrundstück selbst auf der zum Kläger gerichteten Nordseite die Abstandsflächen nicht wahrt und der Balkon abstandsflächenrechtlich nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern eine „abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung“ der in ihrem äußeren Erscheinungsbild veränderten Wand zugrunde zu legen ist. Zwar lösen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bauliche Änderungen eines Gebäudes wie die streitgegenständliche Anbringung eines (großen) Balkons grundsätzlich eine abstandflächenrechtliche Neubeurteilung aus, wenn sich im Vergleich zum bisherigen Zustand spürbare nachteilige Auswirkungen auf die von diesen Änderungen betroffenen Nachbargrundstücke hinsichtlich der durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 20.2.1990 – 14 B 88.02464 – BayVBl 1990, 500 = juris Rn. 20 f.; B.v. 12.7.1999 – 14 B 95.2069 – juris Rn. 18; U.v. 11.11.2014 – 15 B 12.2672 – NVwZ-RR 2015, 247 Rn. 35 m.w.N.; B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris Rn. 11 m.w.N.). Rechte des oder der jeweiligen Nachbarn werden in solchen Fällen aber nur dann verletzt, wenn die – wie hier abstandsrechtlich nicht mehr untergeordnete (vgl. Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO) – bauliche Änderung die dem jeweiligen Nachbargrundstück zugewandte Außenwand betrifft und diese infolge der Gesamtbetrachtung die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhält. Keine Rechtsverletzung ergibt sich hingegen, wenn die abstandsrelevante(n) bauliche(n) Änderung(en) – wie hier auf der Westseite des Gebäudes – nur vom Grundstück des klagenden Nachbarn aus gesehen abgewandte, seitliche oder rückwärtige Außenwandseiten des Vorhabens betreffen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH, U.v. 20.2.1990 a.a.O. Rn. 14; B.v. 12.7.1999 a.a.O. Rn. 18; U.v. 11.11.2014 a.a.O. Rn. 35) und ergibt sich aus einem dem Abstandsflächenrecht zugrunde liegenden „ungeschriebenen gesetzlichen Strukturprinzip“. Danach kann die Verkürzung einer Abstandsfläche generell nur den Eigentümer in seinen Rechten verletzen, dessen Grundstück der betroffenen Außenwand gegenüberliegt (vgl. BayVGH Großer Senat, B.v. 17.4.2000 – GrS 1/1999 – VGH n.F. 53, 89 = juris Rn. 20).
Dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren selbst zu tragen hat, erscheint schon deswegen billig, weil er keinen Sachantrag gestellt und sich somit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO).
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens waren allein dem Beigeladenen aufzuerlegen, weil nur er, nicht aber der Beklagte gegen die erstinstanzliche Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Kostenregelung des § 154 Abs. 3 VwGO ist auch im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu beachten (vgl. BayVGH B.v. 23.5.2012 – 8 ZB 12.508 – juris Rn. 3).
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57) und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.


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