Europarecht

Kaufpreis, Italien, Mitgliedstaat, Verweisung, Schaden, Anerkennung, Verletzung, Fahrzeug, Verweisungsbeschluss, Vollstreckung, Software, Bindungswirkung, Anzahlung, Vertragsschluss, unerlaubten Handlung, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen

Aktenzeichen  101 AR 173/21

Datum:
9.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2114
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht Würzburg.

Gründe

I.
Mit seiner zum Landgericht Deggendorf erhobenen Klage begehrt der in diesem Bezirk wohnhafte Kläger von der in den Niederlanden ansässigen Beklagten zu 1) und der in Italien ansässigen Beklagten zu 2) Ersatz des Schadens, der ihm wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus dem Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs, Wohnmobil, der Marke Sun Living, Modell Lido A 49 DP, Fiat Ducato 2,3 Multijet 2130, gekauft im Bezirk des Landgerichts Würzburg, entstanden sein soll. Er behauptet, der im Fahrzeug verbaute, von der Beklagten zu 2) programmierte und sodann in Verkehr gebrachte Motor werde durch eine Software gesteuert, die aufgrund ihrer Wirkung als unzulässige Abschalteinrichtung zu werten sei. Den Inhabern von Fahrzeugen mit diesem Motorentyp drohe eine Betriebsuntersagung, auch wenn es bislang noch keinen offiziellen Rückruf beziehungsweise kein „freiwilliges“ Software-Update gebe. Die Beklagte zu 1) sei aus der Fusion der X N.V. mit der Y S.A. hervorgegangen und Rechtsnachfolgerin der Fahrzeugherstellerin. Diese habe die rechtswidrige Bedatung vorgenommen und das Verhalten der Beklagten zu 2) in der Folge geduldet. Indem die Beklagten das Fahrzeug auf den Markt gebracht hätten, hätten sie vorgetäuscht, dass es den gesetzlichen Vorgaben entspreche und im Straßenverkehr eingesetzt werden dürfe. Mit dieser Begründung verlangt der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldner Zahlung eines Betrags in Höhe von 42.840,38 €, der die Differenz zwischen dem Kaufpreis zuzüglich den für das Fahrzeug erbrachten Aufwendungen und dem berechneten Wertverlust aufgrund Fahrzeugnutzung darstellt, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Weiter beantragt er die Feststellung, dass sich die Beklagten mit der Entgegennahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befänden, und die Erstattung von Kosten für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung in Höhe von 1.877,11 €.
Das Landgericht hat mit seiner Eingangsverfügung auf Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit hingewiesen. Nach dem klägerischen Vortrag liege der Schaden im Abschluss des Kaufvertrags. Wo und wie der Kaufpreis gezahlt worden sei, sei nicht entscheidend, da der Schaden bereits in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit liege. Die Begleichung der Entgeltforderung perpetuiere lediglich den bereits mit Vertragsabschluss verwirklichten Schaden. Das schädigende Ereignis gemäß Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) 1215/2012 des Europäischen Parlaments und Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12. Dezember 2012 (ABl. 2012 L 351, S. 1, ber. 2016 L 264 S. 43 – im Folgenden: Brüssel-Ia-VO) sei daher am Ort des Abschlusses des Kaufvertrags im Bezirk des Landgerichts Würzburg eingetreten.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 29. September 2021 darauf hingewiesen, dass bei Kaufvertragsschluss lediglich eine Anzahlung i. H. v. 4.500,00 € in bar geleistet worden sei, den restlichen Kaufpreis i. H. v. 38.500,00 € habe er von zu Hause aus über ein im Bezirk des Landgerichts Deggendorf ansässiges Kreditinstitut angewiesen. Somit sei dieses Landgericht gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Geschädigte habe ein Wahlrecht, da bei einem Begehungsdelikt sowohl der Ort, an dem der Täter gehandelt habe (Handlungsort), als auch der Ort, in dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen worden sei (Erfolgsort), gewählt werden könne. Hilfsweise werde die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Würzburg beantragt.
Die Beklagte zu 1) hat mit ihrer Klageerwiderung vom 12. Oktober 2021, die Beklagte zu 2) bereits vor einer Klageerwiderung mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2021 die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Erstere hat einer Verweisung an das Landgericht Würzburg zugestimmt, falls die Klagepartei Verweisung beantragen sollte.
Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 15. Oktober 2021 hat sich das Landgericht Deggendorf für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Würzburg verwiesen. Gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO sei das Gericht des Ortes international und örtlich zuständig, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Als Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei, gelte sowohl der Ort des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens („Handlungsort“) als auch der Ort, an dem der Schaden eingetreten sei („Erfolgsort“ oder „Schadenseintrittsort“). Der Handlungsort befände sich dort, wo das schadensbegründende Geschehen seinen Ausgang genommen habe, der Verletzer gehandelt habe oder hätte handeln müssen. Der Schadenseintrittsort liege dort, wo das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt habe. Ein derartiger Erst- oder Primärschaden trete nicht unbedingt am Wohnsitz des geschädigten Klägers ein, es könne auch der Ort sein, an dem der Geschädigte eine Vermögensdisposition vorgenommen, insbesondere einen für ihn nachteiligen Vertrag geschlossen habe. Der Erstschaden realisiere sich mit dem Erwerb, so dass Schadenseintrittsort der Ort des Erwerbs sei. Dagegen komme es nicht darauf an, wo sich ein finanzieller Verlust in einer Kontenbewegung niederschlage. Der Schadenseintrittsort dürfe nicht in der Weise weit verstanden werden, dass er etwa jeden Ort erfasse, an dem die Folgen eines Ereignisses spürbar würden. Kein Gerichtsstand bestehe dort, wo der Geschädigte einen Vermögensschaden in der Folge eines woanders entstandenen Erstschadens erlitten zu haben behaupte, ebenso wenig dort, wo ein nur mittelbar Geschädigter die schädigenden Folgen für sein Vermögen feststelle. Im Übrigen hat das Landgericht die in der Eingangsverfügung getroffenen Ausführungen wiederholt und auf die von den Beklagten erhobene Rüge der Unzuständigkeit hingewiesen.
Das Landgericht Würzburg hat mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 27. Oktober 2021 die Übernahme abgelehnt. Zwar sei der Kauf im Bezirk dieses Gerichts getätigt worden. Es sei allerdings nur eine unerhebliche Anzahlung in bar geleistet worden. Der Kläger habe seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des abgebenden Gerichts. Von dort aus sei auch der Restkaufpreis geleistet worden. Zudem halte der Kläger dort sein Vermögen. Somit seien Teilakte der behaupteten unerlaubten Handlung im Bereich beider Gerichtsbezirke getätigt worden. Der Kläger habe sein Wahlrecht durch die Klageerhebung ausgeübt und verloren. Die Verweisung sei daher willkürlich und nicht bindend.
Mit Beschluss vom 5. November 2021 hat das Landgericht Deggendorf das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
Die Parteien, denen mit Verfügung vom 12. November 2021 Gelegenheit zur Äußerung bis 3. Dezember 2021 gewährt worden ist, haben keine Stellungnahme mehr abgegeben.
II.
Auf die zulässige Vorlage ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Würzburg auszusprechen.
1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der (örtlichen) Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
a) Das Landgericht Deggendorf hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 15. Oktober 2021 für unzuständig erklärt, das Landgericht Würzburg durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 27. Oktober 2021. Die jeweils den Parteien mitgeteilte und ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35; jeweils m. w. N.).
b) Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Landgerichte in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (München und Bamberg) liegen, so dass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.
2. Das Landgericht Würzburg ist zuständig, da der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Deggendorf vom 15. Oktober 2021 bindet.
a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Auch ein sachlich zu Unrecht oder verfahrensfehlerhaft ergangener Verweisungsbeschluss entzieht sich danach grundsätzlich der Nachprüfung. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss nur dann keinerlei Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16). Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9 m. w. N.).
b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die ausgesprochene Verweisung an das Landgericht Würzburg nicht willkürlich und hat daher dessen Zuständigkeit begründet, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Die Rechtsauffassung des Landgerichts Deggendorf, das zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit auf den Ort des Vertragsschlusses als denjenigen Ort abgestellt hat, an dem der Primärschaden eingetreten sei, ist keinesfalls willkürlich, sondern naheliegend.
aa) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist im Streitfall gegeben. Da die Beklagten ihren jeweiligen Sitz (Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 63 Brüssel-Ia-VO) in Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben, die Beklagte zu 1) in den Niederlanden und die Beklagte zu 2) in Italien, und auch im Übrigen die zeitlichen, sachlichen und räumlichen Anwendungsvoraussetzungen der BrüsselIa-VO vorliegen (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, Vorb. EuGVVO Rn. 15 – 17), richtet sie sich nach dieser Verordnung. Sie folgt für Klagen aus Anlass des Kaufs eines abgasmanipulierten Fahrzeugs unabhängig davon, an welchem Ort die Manipulation vorgenommen worden ist, aus dem Ort, an dem sich der Schadenserfolg durch den Erwerb verwirklicht hat, also aus dem Ort des Kaufvertragsschlusses (vgl. EuGH, Urt. v. 9. Juli 2020, C-343/19 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG, NJW 2020, 2869 Rn. 30).
(1) Da das Vorliegen einer unerlaubten Handlung als doppelrelevante Tatsache sowohl für die Zulässigkeits- als auch für die Begründetheitsprüfung von Bedeutung ist, genügt im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung, dass der Kläger anhand des von ihm unterbreiteten Sachvortrags das Vorliegen einer unerlaubten Handlung schlüssig dargetan hat (EuGH, Urt. v. 28. Januar 2015, C-375/13 – Kolassa, NJW 2015, 1581 Rn. 62 – noch zu Art. 5 Nr. 3 der Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 2001 L 12, 1; im Folgenden: Brüssel I-VO]; Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 63. EL Stand: Oktober 2021, VO [EG] 1215/2012 Art. 7 Rn. 166, 167; Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2018, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 68). Die vom Europäischen Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Verordnung gilt nach ständiger Rechtsprechung auch für die Brüssel-Ia-VO, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können. Dies ist bei Art. 5 Abs. 3 Brüssel-I-VO einerseits und Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO anderseits der Fall (EuGH, NJW 2020, 2869 Rn. 22 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG).
(2) Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO beschreibt als für unerlaubte Handlungen zuständig das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Der Begriff der unerlaubten Handlung ist autonom auszulegen und zwar in der Hinsicht, dass er sich auf jede Klage bezieht, mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO anknüpft (BGH, Urt. v. 20. Juli 2021, VI ZR 63/19, NJW 2021, 2977 Rn. 15; vgl. EuGH NJW 2015, 1581 Rn. 44 – Kolassa; Urt. v. 13. März 2014, C-548/12 – Brogsitter, NJW 2014, 1648 Rn. 20; Urt. v. 27. September 1988, Rs. 189/87 – Kalfelis, NJW 1988, 3088 Rn. 14 ff.). In Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO werden die internationale und die örtliche Zuständigkeit festgelegt; nationale Vorschriften treten zurück (Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 53, 75), weshalb die zu § 32 ZPO entwickelten Grundsätze vorliegend keine Anwendung finden.
Ebenso wie die erfassten Ansprüche ist auch der Tatortbegriff selbst vertragsautonom auszulegen. Eingetreten ist das schädigende Ereignis nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowohl am Handlungswie am Erfolgsort (Ubiquitätsprinzip), denn mit der Formulierung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ in Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowohl der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (unten [aa]) als auch der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs gemeint (unten [bb]) (vgl. EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 23 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG). Der Geschädigte hat grundsätzlich die Wahl, an welchem Ort er klagt (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 23 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG; Urt. v. 5. Juli 2018, C-27/17 – Lithuanian Airlines, NZKart 2018, 357 Rn. 28; Urt. v. 16. Juni 2016, C-12/15 – Universal Music International Holding, NJW 2016, 2167 Rn. 28; Urt. v. 3. Oktober 2013, C-170/12 – Pinckney, NJW 2013, 3627 Rn. 26 ff.; Urt. v. 30. November 1976, Rs. 21/76 – Mines de Potasse d’Alsace, EuGHE 1976, 1735 Rn. 24 f.; Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, Brüssel-Ia-VO Art. 7 Rn. 55 m. w. N.; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, EuGVVO Art. 7 Rn. 19; Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, VO (EG) 1215/2012 Art. 7 Rn. 183; Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 75).
(aa) Handlungsort im Sinn des Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO ist der Ort, an dem die schadensbegründende Handlung vorgenommen wurde (BGH, Urt. v. 18. Oktober 2016, VI ZR 618/15, IPRax 2017, 480 Rn. 12, 15; Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, Brüssel-Ia-VO Art. 7 Rn. 57; Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 76). Für den vorliegenden Fall gilt, dass der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens sich dort befindet, wo das fragliche Fahrzeug mit der Software ausgerüstet wurde, die nach der Behauptung des Klägers die Daten über den Abgasausstoß manipuliert hat (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 24 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG), mithin vorliegend wohl in Italien.
(bb) Der Erfolgsort als Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs liegt dort, wo das geschützte Rechtsgut tatsächlich oder voraussichtlich verletzt wird (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 23 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG). Der Europäische Gerichtshof qualifiziert denjenigen Ort als Erfolgsort, an dem „die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten“ (EuGH, Urt. v. 7. März 1995, C-68/93 – Shevill, NJW 1995, 1881 Rn. 28; Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 79). Auch dieses Merkmal ist autonom zu verstehen und vom anwendbaren nationalen Recht unabhängig (Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 79). Der Schadenseintrittsort liegt dort, wo das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat (Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 80). Dass nach nationalem Verständnis ein reiner Vermögensschaden inmitten steht und der Mittelpunkt des geschädigten Vermögens regelmäßig am Wohnsitz des Geschädigten liegt, erlaubt im unionsrechtlichen Kontext nicht den Schluss, der Erfolgsort liege am Wohnsitz des geschädigten Klägers. Vielmehr handelt es sich bei dem „Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs“ nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs um den Ort, an dem der Käufer des Fahrzeugs dieses erworben hat (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 30 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG).
(3) Der vom Kläger geltend gemachte Schaden liegt nach seinem Vortrag in der Anschaffung eines Fahrzeugs, die er in Kenntnis der wahren Sachlage nicht getätigt hätte. Er verwirklicht sich erst zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Erwerb (vgl. EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 30 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG). Ein solcher Schaden, der vor dem Kauf des Fahrzeugs noch nicht bestanden hat, stellt einen Primärschaden dar (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 31 – Verein für Konsumenteninformation/VW AG; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, Art. 7 EuGVVO Rn. 19b). Der Erwerbsort liegt im Streitfall daher in Deutschland.
bb) Das Landgericht Deggendorf hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die örtliche Zuständigkeit im Bezirk des Landgerichts Würzburg als Ort des Kaufvertragsschlusses angenommen.
Ersichtlich hat es sich von dem Gedanken leiten lassen, dass für die örtliche Zuständigkeit nicht auf nationales Zivilprozessrecht abgestellt werden kann, wenn die maßgebliche Bestimmung der Brüssel-Ia-VO mit der internationalen zugleich die örtliche Zuständigkeit regelt, und dass mit dem für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit maßgeblichen Erwerbsort auch die örtliche Zuständigkeit innerhalb des international zuständigen Mitgliedstaats feststehe. Darauf beruht die Verweisung an das Landgericht Würzburg, in dessen Bezirk der Erwerb stattgefunden hat.
Diese Rechtsmeinung ist keinesfalls willkürlich, wie das Landgericht Würzburg meint, sondern naheliegend.
Der Europäische Gerichtshof hat den Ort des Vertragsschlusses als maßgebliches Anknüpfungsmoment für die Bestimmung des Erfolgsorts erachtet, daraus aber nur den Schluss gezogen, der Erfolgsort liege bei einem Kaufvertragsschluss in Österreich in diesem Mitgliedstaat (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 25 ff. – Verein für Konsumenteninformation/VW AG). Zur örtlichen Zuständigkeit der Gerichte im jeweiligen Mitgliedstaat hat er sich damit ausdrücklich zwar nicht geäußert. Allerdings determiniert Art. 7 Nr. 2 Brüssel-IaVO nach allgemeinem Verständnis nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit (Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, VO (EG) 1215/2012 Art. 7 Rn. 140; Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, Brüssel-Ia-VO Art. 7 Rn. 46; Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO Rn. 75; Thode in BeckOK ZPO, Brüssel-Ia-VO Art. 7 Rn.67; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, EuGVVO Art. 7 Rn. 1). Deshalb ist es keinesfalls willkürlich, wenn das Landgericht Deggendorf der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Bedeutung beigemessen hat, dass danach als international und örtlich zuständiges Gericht allein das Gericht in Betracht komme, in dessen Bezirk der Vertragsschluss erfolgt sei. Damit stand dem Kläger im Inland nach der gut vertretbaren Ansicht des verweisenden Gerichts nur ein Gerichtsstand zur Verfügung, so dass § 35 ZPO entgegen der Meinung des Landgerichts Würzburg einer Verweisung nicht entgegengestanden hat.
cc) Das verweisende Gericht hat beachtet, dass es nicht nach Art. 26 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO infolge rügeloser Einlassung zuständig geworden war, denn es hat im Verweisungsbeschluss – wenn auch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf diese Vorschrift – auf die rechtzeitig von beiden Beklagten erhobene Rüge der Unzuständigkeit abgestellt.


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