Europarecht

Klage gegen die Ablehnung eines Asylantrags

Aktenzeichen  W 10 K 19.31019

Datum:
13.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34820
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 77 Abs. 1, § 34a Abs. 1 S. 1, § 38 Abs. 1, § 75 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
MuSchG § 3 Abs. 1
EMRK Art. 3
VO (EU) 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1b, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Denn die angegriffenen Behördenentscheidungen sind rechtmäßig beziehungsweise verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, siehe dazu 1., 3. und 4.). Der Klägerin steht auch nicht der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots hinsichtlich Italiens zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, siehe dazu 2.).
1. Die Beklagte hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO werden Anträge eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 – 15 Dublin III-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Maßgeblich für die Zuständigkeitsbestimmung nach diesen Kriterien ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO der Sachverhalt, welcher im Zeitpunkt des ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat gegeben war. Gegenüber den Kriterien des Kapitels III hat jedoch eine durch einen Fristablauf begründete Zuständigkeit Vorrang (EuGH, U.v. 26.7.2017 – Mengesteab, C-670/16 – juris; U.v. 25.10.2017 – Shiri, C-201/16 – juris; Günther in Kluth/Heusch, Beck´scher Onlinekommentar Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, AsylG, § 29 Rn. 14; Thomann in Decker/Bader/Kothe, Beck´scher Onlinekommentar Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2020, VO (EU) Nr. 604/2013, Art. 7 Rn. 21). Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Erweist es sich jedoch als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen, so besteht hinsichtlich dieses Mitgliedstaates gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO ein Überstellungshindernis. Unter diesen Umständen setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf den prüfenden Mitgliedstaat über, mithin auf die Beklagte.
a) Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags der Klägerin ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO, weil die Klägerin dort bereits internationalen Schutz beantragt hat, ohne dass ersichtlich wäre, dass ihr unanfechtbar internationaler Schutz gewährt worden ist. Italien ist auch gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zur Wiederaufnahme der Klägerin verpflichtet, weil das gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO rechtzeitig gestellte Übernahmeersuchen des Bundesamtes nicht innerhalb der Frist gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO beantwortet wurde. Die Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) ist (noch) nicht abgelaufen, weshalb kein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO in Betracht kommt. Die Anfechtungsklage gegen die vorliegend verfügte Abschiebungsandrohung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG hat aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1 Satz 1 und 38 Abs. 1 AsylG; vgl. VG Würzburg, U.v. 13.5.2020 – W 1 K 20.50043 – juris Rn. 22; U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – juris Rn. 34 f.). Die Aussetzung der Vollziehung durch das Bundesamt gemäß § 80 Abs. 4 VwGO geht damit ins Leere. Die Einlegung eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung gegen die Überstellungsentscheidung beziehungsweise gegen die damit verbundene Abschiebungsandrohung führt dazu, dass die Unterstellungsfrist unterbrochen wird. Sie läuft erst mit dem Ende der aufschiebenden Wirkung nach § 80b VwGO neu an (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 1 C 6.16 – juris Rn. 17 ff.), d.h. im vorliegenden Falle gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des Antrags auf Zulassung der Berufung (§ 78 Abs. 4 Satz 1, 4 AsylG).
b) Die Überstellung der Klägerin nach Italien ist auch nicht wegen systemischer, allgemeiner oder personenbezogener Mängel und eines daraus resultierenden Verstoßes gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gemäß Art. 4 EU-Grundrechtecharta ausgeschlossen. Die Kammer geht in ständiger Rechtsprechung, welcher sich der erkennende Einzelrichter anschließt, davon aus, dass im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen Italiens keine systemischen Mängel vorliegen (vgl. z.B. VG Würzburg, B.v. 20.8.2020 – W 10 S 20.50201; U.v. 14.7.2020, Az.: W 10 K 19.50515; U.v. 8.7.2020 – W 10 K 19.50373). Wie sich aus den vorgenannten Entscheidungen ergibt, besteht im Falle der Überstellung einer Familie bzw. einer alleinerziehenden Person mit einem oder mehreren Kindern unter drei Jahren nach der aktuellen Erkenntnislage (§ 77 Abs. 1 AsylG) auch nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta im Falle einer Rückführung nach der Dublin III-VO.
aa) Das auf der Grundlage des Art. 78 Abs. 2 AEUV eingerichtete Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beruht auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens. Danach beachten alle am GEAS beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte, welche ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) haben (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-GR-Charta sowie der GFK und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nur eine widerlegliche Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das GEAS in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, welche zu dem ernsthaften Risiko führen, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 f.). Im Hinblick auf den grundlegenden Charakter des Vertrauensgrundsatzes (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 81) sowie das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 82), kann die Sicherheitsvermutung jedoch nur widerlegt werden, wenn dem Asylbewerber aufgrund systemischer, allgemeiner oder personenbezogener Mängel im Asylsystem oder den Aufnahmebedingungen des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Das in Art. 4 EU-GR-Charta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ist von fundamentaler Bedeutung und muss aufgrund seiner engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 EU-GR-Charta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch bei Überstellungen von Asylbewerbern nach den Dublin-Verordnungen vollumfänglich beachtet werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 14.11.2013 – Puid, C-4/11 – NVwZ 2014, 129; U.v. 16.2.2017 – C.K. u.a., C-578/16 – NVwZ 2017, 691 Rn. 59; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 78). Dies entspricht der gemäß Art. 52 Abs. 3 EU-GR-Charta zu beachtenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Danach kann die Vermutung, wonach der Aufnahmestaat seinen Pflichten aus Art. 3 EMRK nachkommt, widerlegt werden, wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass die Person, deren Rückführung angeordnet wird, einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) entgegensehen würde, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, Nr. 29217/12 – NVwZ 2014, 127, Rn. 104; U.v. 21.1.2011 – M.S.S., Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 342). Die Ursache der Gefahr hat keine Auswirkungen auf das Schutzniveau der EMRK und befreit den überstellenden Staat nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und im Falle der Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung die Durchsetzung der Abschiebung auszusetzen (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, a.a.O. m.V.a. EGMR, U.v. 30.6.2005 – Bosphorus, Nr. 45036/98 – NJW 2006, 197).
Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH entschieden (U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 90 f.), dass „systemische oder allgemeine oder personenbezogene“ Mängel nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten sind, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese Schwelle ist aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats muss zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 f.). Dagegen kann nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK, dem Art. 4 EU-GR-Charta entspricht (vgl. Art. 52 Abs. 3 EU-GR-Charta), die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden soll, nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Art. 3 EMRK begründet demnach keine allgemeine Verpflichtung der Konventionsstaaten, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
Diesen Vorgaben des höherrangigen Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) sowie des für die EU und ihre Mitgliedstaaten verbindlichen internationalen Rechts trägt für den Fall systemischer Mängel die Regelung des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO Rechnung. Danach besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Unter diesen Umständen hat die Beklagte zunächst gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III (Art. 7 – 15 Dublin III-VO) fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf die Beklagte über.
bb) Gemessen an diesen Maßstäben geht das Gericht auf der Basis einer Gesamtwürdigung nach dem Erkenntnisstand im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen. Bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel sowie des Vorbringens des Klägers entsprechen das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien zumindest den internationalen und europäischen Mindeststandards und decken jedenfalls die elementaren Bedürfnisse der Asylbewerber, sodass die ernsthafte Gefahr einer Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Gesundheit aufgrund dieser Umstände oder einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Verelendung nicht besteht.
Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Die Anzahl der anhängigen Asylverfahren sowie deren Dauer in der ersten Instanz konnte mittlerweile deutlich reduziert werden (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 7 f., 34, 49; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (im Folgenden: BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien v. 9.10.2019, S. 6 ff.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NW vom 23.2.2016).
Auch ein möglicher Politikwechsel der italienischen Regierung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Änderungen infolge des Salvini-Dekrets führen nicht zu systemischen Mängeln, zumal weiterhin nicht davon auszugehen ist, dass der italienische Staat mit Gleichgültigkeit reagiert, sondern entsprechende Maßnahmen zur Bewältigung von Obdachlosigkeit trifft (vgl. VG Frankfurt, B.v. 27.12.2019 – 2 L 615/19.A – juris; VG Hannover, B.v. 14.1.2019 – 5 B 5153/18 – juris; VG Berlin, G.v. 9.1.2019 – 34 K 1131.17 A – juris).
Durch das am 4. Oktober 2018 erlassene und am 7. November durch den Senat sowie am 28. November durch das Parlament bestätigte Dekret No. 113/2018 über Sicherheit und Migration in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1. Dezember 2018 (sog. Salvini-Dekret) wurde der bisherige humanitäre Schutz stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen werden nicht erneuert und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können aber bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien v. 9.10.2019, S. 8). Zudem liegt die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der RL 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98, sog. Rückführungsrichtlinie) im Ermessen der Mitgliedstaaten. Demgegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechts die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags nicht zulässig ist. Im Übrigen ist der jeweilige Mitgliedstaat somit kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechts (vorübergehend) zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden, oder dass in der italienischen behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor.
Des Weiteren erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien nach wie vor Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 11, 20 f., 35, 43; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien v. 9.10.2019, S. 13). Auch wenn Italien diesbezüglich möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem bereitstellt, so begründet dies entsprechend den obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet. Auch diesbezüglich kommt es durch das Salvini-Dekret zu keinen Abstrichen. Insbesondere ist nach wie vor die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylbewerber garantiert. Bürokratische Hindernisse lassen sich mit Hilfe der Betreiber der Aufnahmeeinrichtungen überwinden. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass in Italien als EU-Mitgliedstaat medizinische Behandlungsmöglichkeiten wie generell in der EU in ausreichendem Maß verfügbar sind (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 10 f., 15 f. 21 f., 37 f., 45 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien v. 9.10.2019, S. 19 ff.).
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. Bundesamt, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: April 2019, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2018update.pdf, S. 80 ff.). Am 15. Januar 2020 befanden sich nur noch insgesamt 90.198 Migranten in staatlicher Unterbringung, nachdem es am 31. Januar 2019 131.067 und am 31. Januar 2018 182.537 waren, was im Wesentlichen auf den Rückgang der Anlandungszahlen in Italien sowie die Beschleunigung der Prüfung der Asylanträge zurückzuführen ist. Hierdurch ist zudem eine Aufnahmesituation in Italien eingetreten, die durch ein zunehmend strukturiertes und auf einen Ausgleich zwischen den italienischen Regionen gerichtetes System charakterisiert wird. Hierzu tragen die mittlerweile immer stärker greifenden Unterstützungsmaßnahmen der EU-Kommission über das European Asylum Support Office (EASO) in Italien bei (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 7 f., 51; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien v. 9.10.2019, S. 15 ff., 18 f.).
Durch das Salvini-Dekret wurde die bisherige Unterbringung völlig neu organisiert. Nunmehr wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene, dem sog. SIPROIMI unterschieden. Während die Erstaufnahmeeinrichtungen die bisherigen CAS- und CARA-Unterkünfte ersetzen, treten die SIPROIMI an die Stelle der früheren SPRAR-Unterkünfte, wobei letztere bisher vor allem für vulnerable Personen unabhängig von ihrem Schutzstatus vorgesehen waren. Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer werden jetzt in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, während Personen mit Schutzstatus sowie unbegleitete Minderjährige Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen erhalten, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das zum einen der Kritik des italienischen Rechnungshofs Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. Zum anderen wurde damit auf den Vorwurf reagiert, dass die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die nunmehrige Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen kann mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden. Darüber hinaus wird so eine bessere Planbarkeit der jeweils erforderlichen Kapazitäten ermöglicht. Die Bedürfnisse von Familien sowie vulnerablen Personen finden weiterhin Berücksichtigung. So sind etwa Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen, für die es spezielle Ausschreibungsspezifikationen gibt (z.B. bzgl. Personalschlüssel, Reinigungsintervallen oder Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner). Zudem erhalten bestimmte vulnerable Personengruppen (wie etwa alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern) eine besondere soziale und psychologische Betreuung. Da es auf einige Ausschreibungen keine oder zu wenige Bewerbungen gegeben hatte, weil die angebotenen finanziellen Bedingungen nicht ausreichend waren, bietet das neue Rundschreiben des italienischen Innenministeriums vom 4. Februar 2020 den Präfekturen nun mehr finanziellen Spielraum, um die Bedingungen entsprechend anzupassen. Zudem richten die neuen Regelungen ein besonderes Augenmerk auf die Kontrolle der Betreiber der Aufnahmeeinrichtungen inklusive detaillierten Regelungen zu Dokumentationspflichten der Betreiber (vgl. zum Ganzen Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 1, 6 ff., 9 ff., 37, 40, 44, 51 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien v. 9.10.2019, S. 10 f., 12 ff., 15 ff. S. 18 f.; Schweizerische Flüchtlinge, Aufnahmebedingungen in Italien vom Januar 2020, S. 16 f., 37 ff.).
Neben den staatlichen Einrichtungen existieren noch verschiedene karitative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. Zwar war es – jedenfalls nach bisherigen Erkenntnissen – in Einzelfällen gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhielten und vorübergehend obdachlos waren. Allerdings geht aus der aktuellen Erkenntnismittellage zum einen hervor, dass die Verwehrung des Unterkunftsplatzes nach einem Untertauchen nicht für Dublin-Rückkehrer gilt. Zum anderen bleibt der italienische Staat nicht untätig. So wurden insbesondere Vorkehrungen für die unverzügliche Verteilung von Dublin-Rückkehrern auf die entsprechende Unterkunftseinrichtung getroffen (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 1, 5 f., 18 f., 25 ff., 48 ff.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien v. 9.10.2019, S. 17).
Mithin sind etwaige defizitäre Umstände gerade vor dem Hintergrund der erreichten Verbesserungen nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung des EASO geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO Special Support Plan to Italy, 11.3.2015). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist sowie im Hinblick auf die Neustrukturierung der Unterbringung.
Auf der Basis der vorstehenden Ausführungen schließt sich das Gericht unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. etwa VG Bayreuth, G.v. 22.4.2020 – B 2 K 19.50647; VG Würzburg, G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – a.a.O. Rn. 30 ff. m.w.N.; VG Aachen, U.v. 6.3.2020 – 9 K 3086/18.A – juris; U.v. 17.12.2019 – 9 K 4401/18.A – juris; VG Würzburg, B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50089 – juris; U.v. 15.1.2020 – W 10 K 19.50634; B.v. 18.10.2019 – W 4 S 19.50706; VG Trier, U.v. 28.2.2020 – 7 K 1250/19.TR – juris; VG Köln, B.v. 19.2.2020 – 14 L 207/20.A – juris; VG Düsseldorf, G.v. 27.1.2020 – 22 K 13275/17.A – juris; U.v. 28.11.2019 – 12 K 14671/17.A – juris; VG Frankfurt, B.v. 27.12.2019 – 2 L 615/19.A – juris; VG Magdeburg, B.v. 14.11.2019 – 8 B 398/19 – juris; BayVGH, B.v. 17.9.2019 – 10 ZB 19.50031; B.v. 9.9.2019 – 10 ZB 19.50024; U.v. 18.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VG München, B.v. 4.6.2019 – M 19 S 19.50513 – juris; NdsOVG, B.v. 13.6.2018 – 10 LB 204/18, BeckRS 2018, 22826; B.v. 6.8.2018 – 10 LA 320/18 – juris; B.v. 2.7.2018 – 10 LB 249/18, BeckRS 2018, 24922; U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris; OVG NW, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A in juris; U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris; a.A. etwa VG Minden, U.v. 13.11.2019 – 10 K 2221/18.A – juris).
Diese Auffassung vertritt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der bereits in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt hat, dass zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Asylbewerber im Einzelfall keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht ist, die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien aber nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (EGMR, Tarakhel ./.Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.).
cc) Eine andere Beurteilung der Aufnahmebedingungen in Italien ist auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID-19-Pandemie („Corona-Krise“) angezeigt (vgl. VG Würzburg, G.v. 11.5.2020 – W 8 K 20.50114 – juris; U.v. 21.4.2020 – W 9 K 19.50705; G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – juris).
Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger in Italien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Das Gericht hat – auch angesichts der in Italien getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie auf der Grundlage aktueller Erkenntnismittel (z.B. EASO, COVID-19 emergency measures in asylum and reception systems vom 2.6.2020; BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation: ausgewählte Dublin-Länder, Balkan und Ukraine – aktuelle Lage in Zusammenhang mit COVID-19 (Corona-Pandemie) vom 18.5.2020, S. 1; Kurzinformation der Staatendokumentation: Ausgewählte Dublin-Länder und Ukraine – aktuelle Lage in Zusammenhang mit COVID-19 (Corona-Pandemie) vom 24.3.2020, S. 1 f.) – keine substantiierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalls in der Person des Klägers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Italien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Italien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen (siehe auch VG Würzburg, G.v. 11.5.2020 – W 8 K 20.50114 – juris; U.v. 21.4.2020 – W 9 K 19.50705; G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – a.a.O.; VG Aachen, U.v. 6.3.2020 – 9 K 3086/18.A – juris). Dies gilt umso mehr, als die von Italien ergriffenen, zunächst sehr strengen Maßnahmen zwischenzeitlich deutlich gelockert wurden und sich die Lage in dem anfänglich besonders stark betroffenen Land verbessert hat. An dieser Beurteilung ändern die zwischenzeitlich auch in Italien wieder stark gestiegenen Infektionszahlen sowie die Einstufung als Corona-Risikogebiet nichts. Diese führen nicht zur Feststellung systemischer Mängel, weil der italienische Staat umfassende Maßnahmen zur erneuten Eindämmung der Pandemie ergriffen hat (vgl. Auswärtiges Amt, Italien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand 6.11.2020). Darüber hinaus hat Italien zusammen mit anderen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Statement veröffentlicht, in dem die Erforderlichkeit gemeinsamer Anstrengungen zur Aufrechterhaltung europäischer Grundsätze betont und die Unterstützung der Europäischen Kommission bei der Beobachtung von Notmaßnahmen im Rahmen des EU-Rechts bekräftigt wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Italien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/italien-node/ italiensicherheit/211322, Stand: 2.7.2020; EASO, COVID-19 emergency measures in asylum and reception systems vom 2.6.2020, S. 7).
dd) Des Weiteren fehlt es auch an sonstigen außergewöhnlichen Umständen, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO begründen könnten (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K., C-578/16 PPU – juris Rn. 88; U.v. 30.5.2013 – Halaf, C-528/11 – juris Rn. 35 ff.).
Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO dient der Abgrenzung der Zuständigkeiten unter mehreren in Betracht kommenden Mitgliedstaaten. Er geht den allgemeinen und besonderen Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin III-VO vor, begründet aber – trotz der Bezeichnung als „Ermessensklausel“ – kein nach § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbares Verwaltungsermessen im Sinne des § 40 VwVfG (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 11, 32 ff.: „freies“ Ermessen). Deshalb kommt grundsätzlich auch keine Ermessensreduzierung auf Null im Einzelfall mit der Folge einer gerichtlich durchsetzbaren Rechtspflicht, den Selbsteintritt auszuüben, in Betracht (in diesem Sinne aber: BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124 – juris Rn. 22 ff.; Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2020, VO (EU) 604/2013 Art. 7 Rn. 18). Vielmehr begründet Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Befugnis der mitgliedstaatlichen Behörde, das Asylverfahren trotz fehlender oder ungeklärter internationaler Zuständigkeit an sich zu ziehen und über den Asylantrag materiell zu entscheiden. Die Auslegung und Anwendung dieser Befugnis unterliegt nicht (allein) dem nationalen Recht einschließlich der durch das Grundgesetz garantierten Grundrechte, sondern stellt eine Durchführung von Unionsrecht dar und ist damit gemäß Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta vorrangig an die EU-Grundrechtecharta gebunden (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K. u.a., C-578/16 PPU – juris Rn. 52 ff., 59; U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10 – juris LS 1 und Rn. 64 ff.). Da die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat auch dann zu einem Grundrechtsverstoß führen kann, wenn dort zwar keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben (siehe c)) genannten Sinne bestehen, aber dennoch aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta ernsthaft zu befürchten ist (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K. u.a., C-578/16 PPU – juris Rn. 73 ff.), kann es – als ultima ratio – geboten sein, den Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, um eine ernsthaft drohende Grundrechtsverletzung infolge der Überstellung abzuwenden. Denn ein Mitgliedstaat kann sich seiner Verantwortlichkeit für eine Grundrechtsverletzung infolge der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nicht unter Verweis auf dessen Zuständigkeit entziehen, wenn er die Befugnis zum Selbsteintritt – hier nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO – besitzt, von dieser Möglichkeit aber trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S., 30696/09, NVwZ 2011, 413 Rn. 340 m.V.a. EGMR, U.v. 30.6.2005 – Bosphorus, Nr. 45036/98 – NJW 2006, 197).
Aus dem allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 EU-GR-Charta geht hervor, dass die Überstellung eines Antragstellers in diesen Mitgliedstaat in all jenen Situationen ausgeschlossen ist, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragsteller bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung eine solche Gefahr laufen wird (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87). Es widerspräche dem absoluten Charakter des Art. 4 EU-GR-Charta und wäre rechtssystematisch nicht nachvollziehbar, wenn sich die Rechtsfolge bei andersartigen, d.h. nicht systemischen Mängeln, welche zur ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen, von derjenigen des Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO unterschiede. Dagegen kann einem drohenden Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta nicht mit der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach nationalem Recht (§ 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG) Rechnung getragen werden (BayVGH, B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705 – juris Rn. 11). Denn die Rechtsfolgen einer solchen Feststellung unterscheiden sich grundlegend von denjenigen, welche das Unionsrecht und das der Umsetzung desselben dienende nationale Recht im Falle des Zuständigkeitsübergangs und der daraus resultierenden Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 AsylG vorsehen. Insbesondere unterbleibt bei der Feststellung von Abschiebungsschutz – entgegen den unionsrechtlichen Garantien – die Durchführung eines (nationalen) Asylverfahrens, welches bei Vorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen zur Zuerkennung internationalen Schutzes nach §§ 3 ff. oder 4 AsylG führen würde.
Eine grundrechtlich begründete Pflicht zum Selbsteintritt besteht jedoch nicht, wenn der ernsthaft drohende Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta durch eine einzelfallbezogene und konkrete Zusicherung des an sich zuständigen Mitgliedstaates, dass der Antragsteller seinen individuellen und existenziellen Bedürfnissen (etwa nach besonderer ärztlicher Betreuung) entsprechend behandelt werden wird, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K. u.a., C-578/16 PPU – juris Rn. 73 ff.).
Im vorliegenden Falle liegen – trotz des Fehlens einer konkreten und einzelfallbezogenen Zusicherung des italienischen Staates, dass die Klägerin und ihre minderjährige Tochter im Falle der Überstellung angemessen untergebracht werden – die Voraussetzungen einer grundrechtlich begründeten Pflicht zum Selbsteintritt nicht vor. Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse ist das Gericht insbesondere davon überzeugt, dass der Klägerin und ihrer Tochter bei einer Rückkehr nach Italien keine vorübergehende Obdachlosigkeit droht.
Der EGMR hat für den Fall einer Familie mit minderjährigen Kindern in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt, dass die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, Rn. 114 ff.). Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Asylbewerbern keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht sei. Um sicherstellen zu können, dass die Aufnahmebedingungen an die Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen angepasst seien, müssten vor deren Abschiebung individuelle Garantien von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass diese Personen in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen werden, die ihrer Schutzbedürftigkeit angemessen sind (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, a.a.O., Rn. 120, 122 sowie dem folgend BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 – 2 BvR 746/15 – NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 u.a. – juris Rn. 16). Diese Rechtsprechung ist nicht durch das bereits zitierte Urteil des EuGH vom 19. März 2019 überholt (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – BeckRS 2020, 5588 Rn. 54 ff. m.w.N.).
Gemessen daran stellen sich die Aufnahmebedingungen für Familien bzw. Alleinerziehende mit Klein- oder Kleinstkindern in Italien wie folgt dar:
Nach den bisherigen Erkenntnissen war die Unterkunftssituation in Italien nicht immer unproblematisch. Insbesondere konnte nicht ausreichend sicher davon ausgegangen werden, dass eine angemessene Unterbringung von Familien bzw. Alleinerziehenden mit Klein- oder Kleinstkindern auch ohne individuelle Garantieerklärung gerade auch unmittelbar nach der Dublin-Rückkehr zuverlässig erfolgt, sofern nicht im Einzelfall konkrete Umstände vorlagen, die eine andere Einschätzung rechtfertigten. Vielmehr stand oftmals die Gefahr einer vorübergehenden Obdachlosigkeit im Raum (vgl. zur bisherigen Situation VG Würzburg, U.v. 3.4.2020, a.a.O. Rn. 60 ff.).
Auf der Basis der aktuellen Erkenntnismittellage ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass Familien mit minderjährigen Kindern auch ohne individuelle Garantieerklärung unmittelbar nach ihrer Rückkehr eine Unterkunft erhalten, die ihren besonderen Bedürfnissen entspricht. Dies gilt umso mehr, als die italienische Regierung – wie bereits ausgeführt – nach wie vor nicht untätig bleibt, sondern Maßnahmen ergreift, um Missstände auszuräumen und den Rahmen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Italien sowohl allgemein als auch speziell im Hinblick auf Familien mit minderjährigen Kindern zu verbessern. Selbst wenn es bei der Aufnahmesituation durchaus regionale Unterschiede geben kann, die auch mit der Größe der Aufnahmeeinrichtung zusammenhängen können, ist insgesamt die Sorge, dass eine Familie mit minderjährigen Kindern nach ihrer Rückkehr nicht unmittelbar angemessen untergebracht wird, auch aufgrund der Aussage des italienischen Flüchtlingsrats unbegründet. Zudem ist bei der Verteilung von Dublin-Rückkehrern auf die Unterkunftseinrichtungen die Einheit der Familie in geeigneten Einrichtungen zu gewährleisten. Insbesondere beim Flughafen Fiumicino in Rom, dem wichtigsten Flughafen für Dublin-Transfers, sind die Abläufe und Strukturen zwischen den verschiedenen relevanten Akteuren so strukturiert und organisiert, dass Rückkehrer angemessen empfangen werden können und bereits im Vorfeld eine angemessene Unterkunft gefunden werden kann. Im absoluten Notfall ist sogar eine Übernachtung im Transitbereich des Flughafens in einem Notschlafraum möglich. Darüber hinaus ist sichergestellt, dass zurückgekehrte Familien in ihre jeweiligen Unterkünfte gebracht werden bzw. diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. Sollten mehrere Tage zwischen Ankunft und Weiterreise innerhalb Italiens liegen, werden die Familien in einem CAS vor Ort untergebracht (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 5 f., 18 f., 25 ff.). Auch an anderen Flughäfen bzw. in anderen Regionen Italiens wurden Vorkehrungen getroffen, um eine Obdachlosigkeit zu vermeiden und eine unverzügliche angemessene Unterbringung sicherzustellen (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 30 f., 33 f., 43 f., 48 ff.). Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen des Bundesamtes im oben genannten Bericht zu zweifeln. Die dort getroffenen Feststellungen sind inhaltlich fundiert und differenziert. Des Weiteren ist die Untersuchung der Aufnahmebedingungen unter Beteiligung von Vertretern des italienischen Flüchtlingsrates erfolgt. Die Klägerin ist dem nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit ersichtlich, liegen auch keine anderweitigen Berichte vor, welche die Feststellungen des Bundesamtes ernsthaft und substantiiert in Zweifel ziehen würden. Insbesondere stellt der zeitlich früher herausgegebene Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, vgl. dort S. 36) die oben genannten Feststellungen nicht grundsätzlich in Frage, sondern bestätigt, dass an Rückführungsflughäfen Nichtregierungsorganisationen präsent sind, welche Dublin-Rückkehrer in Empfang nehmen und Schlafplätze für die ersten Nächte vor dem Transfer in eine Unterkunft organisieren. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer (auch nur vorübergehenden) Obdachlosigkeit lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen.
2. Der Klägerin steht auch die (hilfsweise) begehrte Feststellung eines nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nicht zu.
a) Zum einen droht der Klägerin unter den oben genannten Voraussetzungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, welche zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würde. Ein Unterschied des Niveaus der Sozialleistungen in einem Mitgliedstaat im Vergleich zu einem anderen Mitgliedstaat begründet kein solches Überstellungshindernis. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die Gleichgültigkeit der Behörden des zuständigen Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person wie die Klägerin sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubten, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einem Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Eine große Armut oder starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse erreichen diese Schwelle nicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren diese Person sich in einer solche schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Eine derartige Situation erwartet die Klägerin nach den obigen Ausführungen in Italien nicht, sodass im Falle seiner Überstellung nach Italien auch im konkreten Einzelfall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 3 EMRK droht, welcher zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen müsste.
b) Zum anderen liegt auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Insbesondere führt die derzeitige COVID-19-Pandemie, ausgelöst durch das SARS-CoV-2-Virus, in Italien nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann die Klägerin in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn sie bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihr trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60a Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition Stand: 15.8.2016, § 60 Rn. 45 m.w.N.).
Eine derartige Extremgefahr kann für die Klägerin im Fall ihrer Rückkehr nach Italien nicht angenommen werden. Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass die Klägerin als relativ junge Frau in Italien gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Auch unter Berücksichtigung der Entwicklung der Corona-Pandemie in Italien gehört die 22 Jahre alte Klägerin ohne substantiiert geltend gemachte bzw. nachgewiesene relevante Vorerkrankungen nach dem oben genannten Maßstab – selbst bei unterstellter (nicht zwangsläufiger) Infektion mit SARS-CoV-2 – nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung (vgl. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amts, https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2294930/ 0dfefacecb921344665d8abdeb9c3ec6/ncov-data.pdf, Stand: 2.7.2020, S. 3; Robert Koch-Institut, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Risikogruppen.html, Stand: 13.5.2020). Darüber hinaus besteht für die Klägerin auch in Deutschland das allgemeine (Lebens-)Risiko einer Ansteckung.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in Italien auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte. Insbesondere bleiben Lebensmittelgeschäfte, Supermärkte, Apotheken, Banken, Post und Behörden in Italien geöffnet; ebenso bleibt der Öffentliche Personenverkehr aufrechterhalten (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise für Italien, a.a.O.). Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist somit weiter sichergestellt. Es kann daher keine Rede davon sein, dass einem nach Italien überstellten Asylbewerber der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden infolge Mangelernährung drohen. Im Übrigen gelten für Asylsuchende in Italien dieselben Maßnahmen wie für italienische Staatsbürger, was Gesundheitskontrollen und Quarantäne betrifft (BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation, ausgewählte Dublin-Länder und Ukraine, aktuelle Lage im Zusammenhang mit COVID-19-Pandemie vom 24.3.2020, S. 2).
3. Soweit die Abschiebungsandrohung unter der Ziffer 3 des Bescheides der Beklagten rechtswidrig ist, führt dies nicht zum Erfolg der Klage.
Zwar ist die Abschiebungsandrohung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG objektiv rechtswidrig, weil im Falle einer Ablehnung des Asylantrags als unzulässig auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG anstelle einer nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG vorgesehenen Abschiebungsanordnung eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG nur dann ergehen darf, wenn eine Abschiebungsanordnung nicht ergehen kann. Diese Voraussetzungen lagen bzw. liegen weder im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 14. Mai 2019 noch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vor. Ausgehend von dem errechneten Entbindungstermin der Klägerin am 27. Juni 2019 (vgl. Mutterpass, Bl. 99 der Asylakte) begannen die sechswöchige vorgeburtliche Mutterschutzfrist und das daran anknüpfende Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, welches zu einem temporären innerstaatlichen Vollzugshindernis führt, am 16. Mai 2015. Der Umstand, dass die Klägerin tatsächlich bereits am … … 2019 und damit zu einem früheren Zeitpunkt entbunden hat, führt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 MuSchG nicht zu einer Verschiebung, sondern zu einer Verkürzung der Mutterschutzfrist. Des Weiteren führt der Umstand, dass sich die Tochter der Klägerin bei dieser in Deutschland aufhält, nicht zu einem Vollstreckungshindernis gemäß Art. 6 Abs. 1, 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, da bei der Tochter die Abschiebung in denselben Zielstaat – Italien – angeordnet wurde (vgl. das Urteil vom heutigen Tag im Klageverfahren der Tochter, Az.: W 10 K 19.50652).
Die rechtswidrige Abschiebungsandrohung verletzt die Klägerin aber nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn die hier verfügte Abschiebungsandrohung stellt im Vergleich zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die für die Klägerin günstigere Regelung dar, weil die Abschiebung nicht ohne Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise vollstreckt werden darf, sondern eine Ausreisefrist gemäß § 38 Abs. 1 AsylG von 30 Tagen gilt. Letzteres führt gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auch dazu, dass die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – juris Rn. 34 m.w.N.; U.v. 13.5.2020 – W 1 K 20.50043 – juris Rn. 22). Dass der Lauf der Überstellungsfrist infolge der Einlegung eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung gemäß Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO aufgeschoben wird – was bei einer Abschiebungsanordnung nicht der Fall wäre – verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Art. 27 Dublin III-VO verleiht dem betroffenen Antragsteller lediglich das Recht, den Ablauf der Überstellungsfrist mit einem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung geltend zu machen.
4. Schließlich ist auch das – implizit mit der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verfügte (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21.17 – juris Rn. 25; U.v. 25.7.2017 – 1 C 10.17 – juris Rn. 23 m.w.N.) – Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Anhaltspunkte für Ermessensfehler im Rahmen der Festsetzung der konkreten Frist von sechs Monaten ab dem Tag der Abschiebung bestehen nicht, zumal schutzwürdige Bindungen an sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Personen nicht ersichtlich sind. Hinsichtlich der im Bundesgebiet lebenden Tochter wird auf obige Ausführungen (4.) verwiesen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.


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