Europarecht

Rückabwicklung des Kaufs eines gebrauchten PKW wegen der Nutzung einer unzulässigen “Aufheizstrategie” auf dem Prüfstand

Aktenzeichen  11 O 569/20

Datum:
7.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20234
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Weiden
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Wird in einem Dieselmotor eine “Aufheizstrategie” verwendet, die so konzipiert ist, dass sie praktisch nur unter den definierten Prüfbedingungen des NEFZ wirkte und in Kombination mit der weiteren Strategie “Alternatives Aufheizen” dafür sorgte, dass die Überschreitung des Nox-Grenzwertes von 80 mg/km sicher vermieden wurde, stellt dies eine unzulässige Abschalteinrichtung iSv Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007, Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 dar. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verwendung und das Verschweigen einer unzulässigen “Aufheizstrategie” in einem Dieselmotor stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar, die einen kausalen Schaden hervorgerufen hat, der nach § 826 BGB zu ersetzen ist. (Rn. 27 – 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.192,90 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.07.2020 zu zahlen, Zug u Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke … mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer 1.) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass der in Ziffer 1.) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.434,74 € freizustellen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 7 % und die Beklagte 93 % zu tragen.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist zum weitaus überwiegenden Teil begründet.
Der Klager kann von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes seinen Kaufpreis unter Anrechnung der von ihm gezogenen Nutzungen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen. Des Weiteren hat er einen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten. Im Übrigen war festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet
1.
Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte ergibt sich aus § 826 BGB.
a) Der Kläger ist Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs, welches er mit einer Laufleistung von 33.500 km zu einem Preis von 42.500 € im Januar 2017 gekauft hat.
b) In das streitgegenständliche Fahrzeug ist unstreitig ein von der Beklagten hergestellter Motor eingebaut worden, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrags mehrere gesetzlich unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 3 Nr. 10. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 vom 20. Juni 2007 enthalten hat.
Die von der Beklagten verwendeten Mechanismen zur aktiven Unterdrückung der tatsächlichen Schadstoffemissionen im für die Betriebsgenehmigung des Fahrzeugs relevanten Prüfmodus stellen auch nach Auffassung der Kammer unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 vom 20. Juni 2007 dar. Nach der betreffenden Norm ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wobei die Regelung getragen wird von dem im Unionsrecht für die Auslegung maßgeblichen Sinn und Zweck, eine bessere Luftqualität durch eine tatsächliche Reduktion der Abgasemissionen von Kraftfahrzeugen zu erreichen (vgl. die Erwägungsgründe 6 ff. der EU-Verordnung 715/2007 vom 20. Juni 2007). Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte hielt es die Kommission insbesondere für erforderlich, eine erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen zu erreichen (vgl. Erwägungsgrund 6 der EU-Verordnung 715/2007). Für die Kammer ist es selbstverständlich, dass der europäische Gesetzgeber im Rahmen der Festsetzung der Emissionsgrenzwerte nach Euro 5 und Euro 6 cavon ausging, dass diese Grenzwerte auch im normalen Fahrbetrieb und gerade nicht nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Dies wird auch untermauert dadurch, dass in den Erwägungsgründen aufgeführt wird, dass weitere Anstrengungen unternommen werden sollen, um sicherzustellen, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen und dass Überprüfungen erforderlich sein können, um zu gewährleisten, dass die bei der Typengenehmigungsprüfung gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen (vgl. Erwägungsgründe 12 und 15 der EU-Verordnung 715/2007). Demzufolge wären diese Erwägungen überflüssig, ginge der Gesetzgeber davon aus, dass sein Emissions-Regelwerk lediglich im Prüfstandmodus im Rahmen der Typengenehmigung eingehalten werden müsse. Ausnahmen von dem stnkten Handlungsverbot in Gestalt des Verbots der Verwendung von Abschalteinrichtungen können sich demnach allein aus der Norm selbst ergeben (vgl. Landgericht Krefeld, Urteil vom 12.07.2017, Az.: 7 O 159/16. RdNr. 50, zitiert nach juris).
Aus dem von Klägerseite vorgelegten maßgeblichen Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 01.12.2017 geht die Funktionsweise der von der Beklagten hauptsächlich verwendeten Aufheizstrategie hervor, insbesondere, dass diese aufgrund der Konzeption praktisch nur unter den definierten Prüfbedingungen des NEFZ wirkte und in Kombination mit der weiteren Strategie „Alternatives Aufheizen“ dafür sorgte, dass die Überschreitung des Nox-Grenzwertes von 80 mg/km sicher vermieden wurde.
Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Nach Auffassung der Kammer ergibt sich daraus auch die Schlussfolgerung, dass ohne diese – gerade für den Prüfstand konzipierte Motorsteuerung – der Grenzwert nicht hätte eingehalten werden können. Für den Nachweis, dass dies trotzdem der Fall gewesen wäre, wäre angesichts des nicht angegriffenen Rückrufbescheides die Beklagte beweispflichtig.
Die von der Beklagten verwendete Abschalteinrichtung fällt nach Auffassung der Kammer nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007.
c) Den Umstand, dass in dem von ihr verwendeten Motor Abschalteinrichtungen verbaut waren. hat die Beklagte bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes erging, verschwiegen oder unterdrückt Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit derartigen Abschalteinrichtungen, wie vom Kraftfahrtbundesamt gerügt stellt eine der Beklagten zurechenbare Täuschung der Genehmigungsbehörde dar, da die Beklagte als Herstellerin bei vorstellung des Fahrzeugs mit allen technischen Details bei der Genehmigungsbehörde die Erklärung abgibt, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr ureingeschränkt zulässig ist. Mit den unzulässigen Abschalteinrichtungen hätte das Fahrzeug eine EU-Typengenehmigung jedoch nicht erhalten bzw. unmittelbar nach vollzogener Täuschung drohte deren Widerruf.
Der Käufer eines Kraftfahrzeugs kann aber grundsätzlich davon ausgehen, dass keine nachträgliche Rucknahme oder Änderung der notwendigen EG-Typgenehmigung droht, weil die materiellen Voraussetzungen bereits bei der Erteilung nicht vorgelegen haben. Entsprechend dieser selbstverständlichen Käufererwartung ist der Inverkehrgabe des Fahrzeugs deshalb der Erklärungswert beizumessen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung vorlagen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, Az.: 13 U 142/18 Rn. 13 m.w.N.)
d) Durch das Verhalten der Beklagten ist dem Kläger ein Schaden entstanden.
Schaden i.S. des § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage des Geschädigten, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004, Az. II 402/02, Rn. 41: Urteil vom 28.10.2014, Az.: VI ZR 15/14, jeweils zitiert nach juris).
Hier liegt der Schaden des Klagers in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit. Allein maßgebend ist, dass der abgeschlossene Vertrag in Bezug auf die Eigenschaften des Kaufgegenstandes nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH. Urteil vom 28.10.2014, Az.: VI ZR15/14, Rn. 16 ff., zitiert nach juris).
Beim Kauf im Januar 2017 war die Situation gegeben, dass die Softwaresteuerung des Motors des Fahrzeugs eine Überarbeitung benötigt hätte, um damit die unzulässige Abschalteinrichtung zu beseitigen. Deshalb drohte zu diesem Zeitpunkt die Untersagung der Nutzung des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen (§ 5 Abs. 1 FZV). Zwar war es zu diesem Zeitpunkt aufgrund der erteilten Typengenehmigung zugelassen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV). Es war jedoch nicht der Fortbestand der erteilten Typengenehmigung und damit die weitere Zulassung des Fahrzeugs gewährleistet. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Hinweis im verpflichtenden Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes.
Demzufolge hätte ein Käufer, dem diese Problematik des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Kaufzeitpunkt in vollem Umfang bekannt gewesen wäre, das Fahrzeug nicht gekauft, da er bei konsequentem Handeln der zuständigen Behörden mit dessen unmittelbarer oder zumindest in absehbarer Zeit erfolgender Stilllegung aufgrund der darin verbauten Abschalteinrichtung hätte rechnen müssen. Gerade der Hauptzweck eines Kraftfahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu können, war damit bereits vor der (drohenden) tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet. Wird die EG-Typgenehmigung entzogen, droht die Stillegung des Fahrzeugs. werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig, was bedeutet, dass im Auslieferungszustand ebenfalls ohne eine entsprechende Nachrüstung die Stilllegung des Fahrzeugs droht. Maßgeblich für die Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, ist allein der Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses. Das später von der Beklagten zur Erfüllung der vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelte Software-Update ist nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot der Schadenswiedergutmachung zu bewerten (vgl. OLG-Karlsruhe. Beschluss vom 05.03.2019, Az.: 13 U 142/18. Rn. 20. zitiert nach juris).
e) Das Verhalten der Beklagten war vorliegend auch kausal für den Vertragsschluss.
Nach allgemeiner Erfahrung wird ein Fahrzeug in Kenntnis einer oder mehrerer gegen gesetzliche Vorschriften verstoßenden Einrichtungen, die die auf dem Prüfstand erzielte Verbrennung von Stickoxiden bei normalem Betrieb auf öffentlichen Straßen nicht gewährleisten und die eine Untersagung der Nutzung des Fahrzeugs befürchten lassen, von einem Kaufinteressenten nicht erworben. Diese auf dem üblichen Verhalten eines objektiven Käufers beruhende Annahme gilt vorliegend auch für den Kläger Der Zweck eines Autokaufs ist grundsätzlich der Erwerb zur Fortbewegung im öffentlichen Straßenverkehr. Dass dies vorliegend beim Kläger nicht der Fall gewesen sein sollte, trägt die Beklagte nicht vor und ist auch mit den vom Kläger mit dem Fahrzeug bislang gefahrenen Kilometern nicht in Einklang zu bringen.
Völlig abwegig erscheint die Behauptung der Beklagten, der Kläger hätte dass Fahrzeug auch bei Kenntnis aller Umstände erworben, weshalb die Kammer darauf nicht eingeht.
f) Das Handeln der Beklagten ist auch als sittenwidrig im Sinn des § 826 BGB zu qualifizieren.
Objektiv sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt. Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15. Rn. 16. zitiert nach juris).
Das bewusste Inverkehrbringen einer mangelhaften Sache ist vorliegend als sittenwidrig zu werten. Zwar ist allein ein Handeln mit Gewinnstreben nicht als verwerflich zu beurteilen. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten jedoch aus folgenden zusätzlichen Umständen: Zum einen wurden die unzulässigen Abschatteinrichtungen in einer hohen Zahl von Fahrzeugen der Beklagten verbaut, so dass das Ausmaß der Täuschung und die Anzahl der getäuschten Personen beträchtlich ist. Auch die Art und Weise des Handelns ist als verwerflich zu charakterisieren, da sich die Beklagte durch die dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge vorangegangene Täuschung der Typgenehmigungsbehörde das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch ir die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht hat (vgl. OLG Karlsruhe. Beschluss vom 05.03.2019. Az.: 13 U 142/18 Rn. 34, zitiert nach juris). Weitere Umstände für die Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten resultieren aus den den Käufern drohenden Schäden sowie der Inkaufnahme von erheblichen Umweltbeeinträchtigungen durch den Einbau der Abschalteinrichtung. da die Emissionen im Normalbetrieb der damit versehenen Fahrzeuge die zugelassenen Emissionen deutlich überstiegen. Überdies liegt nach Auffassung der Kammer eine vorsätzliche Täuschung seitens der Beklagten vor, mit dem Ziel, unter Ausnutzung der Fehlvorstellung der Kunden hohe Absatzzahlen zu erreichen.
g) Die Beklagte hat auch mit Schädigungsvorsatz und in Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, gehandelt.
Anders als vorsätzlich ist eine entsprechende Manipulation an der Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht denkbar. Zu beachten ist, dass es sich bei der Manipulation nicht um einen Einzelfall handelt, sondern um eine tausendfach von der Beklagten verbaute Software. Aus dem Verschweigen einer solchen, gegen die Typengenehmigung verstoßenden Einrichtung gegenüber jedem Käufer folgt, dass dessen Täuschung, Irrtum. Schaden und Entreicherung gewollt und der Beklagten auch bewusst gewesen ist. Eine Behauptung der Beklagten. Vorstandsmitglieder hätten von der tausendfachen Manipulation nichts gewusst, ist im Hinblick auf die beanstandete Aufheizstrategie schon gar nicht erfolgt. Nach Auffassung der Kammer gilt deshalb die Kenntnis der Vorstandsmitglieder der Beklagten von den streitgegenstandlichen Manipulationen als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Eine Haftung der Beklagten nach den §§ 826, 31 BGB für „verfassungsmäßig berufene Vertreter“ ist deshalb nach Auffassung der Kammer gegeben. Dabei ist der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ weit auszulegen, so dass danach auch Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, zu verstehen sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019. Az.: 13 U 142/18, Rn. 48 m.w.N., zitiert nach juris).
h) Selbst wenn man nicht von einer Haftung der Beklagten gem. den §§ 826, 31 BGB ausgehen würde, stünde dem Kläger gegen die Beklagte ein gleichartiger Schadensersatzanspruch nach den §§ 831 Abs. 1 S. 1. 826 BGB zu. Unstreitig ist die Entscheidung für den Einsatz der Software in den für die Serienproduktion vorgesehenen Motoren von einem Arbeitnehmer der Beklagten erfolgt Sollte dies nicht auf Veranlassung oder zumindest mit Kenntnis und Billigung eines Vorstandsmitglieds oder eines Repräsentanten i.S. des § 31 BGB erfolgt sein – wofür die Beklagte nach den §§ 826, 31 BGB haften würde – wäre die Haftung für den Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 BGB gegeben. Dabei stehen selbst vorsätzliche unerlaubte Handlungen des Verrichtungsgehilfen noch in unmittelbarem Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen, wenn sie gerade die übertragene Hauptpflicht verletzen (vgl. OLG Karlsruhe. Beschluss vom 05.03.2019 Az.: 13 U 142/18, Rn. 103 m.w.N., zitiert nach juris). Den nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zulässigen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht angetreten.
i) Die Beklagte haftet deshalb dem Kläger für den Ersatz seiner Schäden dergestalt, als ob der aufgrund der vorsätzlichen sittenwidrigen Täuschung erfolgte Kauf des Fahrzeugs und die Begleichung des Kaufpreises sowie die Übergabe unterblieben wären (§ 249 Abs. 1 BGB).
k) Der Kläger muss sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Dabei orientiert sich deren Berechnung auch am tatsächlichen Kaufpreis (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 64 ff. zitiert nach juris). Richtschnur ist dabei die Methode des linearen Wertschwundes, welche der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 26.06.1991 (BGH NJW 1991, 2484) generell gebilligt hat.
Die Kammer folgt letztlich der Auffassung des Bundesgerichtshofs (kritisch dazu: Heese, NJW 2020, 2779), dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB gelten und es nicht geboten sei, im Hinblickauf die sich als nützliche Folge aus der Kompensation ergebende Prävention des Deliktsrechts die Vorteilsausgleichung grundsätzlich auszuschließen (vgl. BGH. Urteil vom 25.05.2020, Rn. 67, zitiert nach juris). Dabei bleibt es jedoch nach Auffassung der Kammer be der Methode des linearen Wertschwundes. Eine andere Auffassung ist auch der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zu entnehmen.
Der von der Beklagten zu leistende Schadenersatz berechnet sich sodann wie folgt: Von dem Kaufpreis ist eine Nutzungsentschädigung für die vom Kläger gefahrenen Kilometer in Abzug zu bringen.
Die Kammer geht bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug von einer regelmäßig zu erzielenden Laufleistung von 300.000 km aus. Das streitgegenständliche Fahrzeug war ausweislich des Kaufvertrages zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger ein Fahrzeug mit einer Laufleistung von 33.500 km. Die voraussichtliche Restlaufleistung betrug zum Kaufzeitpunkt damit 266.500 km. Zurückgelegt hat der Kläger mit dem Fahrzeug insgesamt 58.361 km (91.861 km – 33.500 km).
Der anzurechnende Gebrauchsvorteil ergibt sich aus der Formel:
Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer
voraussichtliche Restlaufleistung
in Zahlen:
42.500 € × 58.361 km
266.500 km
Dies ergibt eine vom Kaufpreis in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.307,10 €. sodass dem Kläger ein Zahlungsbetrag von 33.192,90 € (42.500,00 € – 9.307,10 €) zuzusprechen war.
Bei der Berechnung war vom Bruttokaufpreis auszugehen. Der Kläger ist nach dem Kenntnisstand der Kammer … im … und damit kein Unternehmer, der vorsteuerabzugsberechtigt wäre.
Dieser Betrag ist gemäß den Vorschriften der §§ 286, 288 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.072020, zu verzinsen. Mit Schreiben vom 19.062020 wurde die Beklagte unter Fristsetzung und dem Angebot der Zug-um-Zug Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs aufgefordert, den Kaufpreis, abzüglich einer noch zu berechnenden Nutzungsentschädigung zurückzuerstatten. Es liegt deshalb ein wirksames In-Verzug-Setzen der Beklagten zum Zeitpunkt 17.07.2020 vor.
Soweit ein höherer Betrag in der Hauptsache vom Kläger begehrt wurde, war die Klage dagegen abzuweisen.
2.
Auch der Antrag des Klägers auf Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, ist begründet. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes tatsächliches Angebot auf Obergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist mit dem vorgelegten Aufforderungsschreiben vom 19.06.2020 (Anlage K 7) erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 85, zitiert nach juris).
3.
Zuzusprechen war dem Kläger unter Schadensersatzgesichtspunkten auch der geltend gemachte Freistellungsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Dieser Ist jedoch auf einen Betrag in Höhe von 2.434,74 € beschränkt.
Hinsichtlich des darüber hinaus geltend gemachten Betrags war die Klage ebenfalls abzuweisen
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus den Vorschriften der §§ 91, 92 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich für den Kläger aus der Vorschrift des § 709 ZPO. für die Beklagte aus den Vorschriften der §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Kosten hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils des ursprünglichen Klageanspruchs fallen auch dem Kläger zur Last.


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