Europarecht

Rückabwicklung eines Kaufvertrags über den Erwerb eines Audi A 4 2.0 TDI mit unzulässiger Abschalteinrichtung

Aktenzeichen  21 U 4760/19

Datum:
8.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17168
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 849
ZPO § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 138 Abs. 3, Abs. 4, § 540 Abs. 1 Nr. § 542 Abs. 2 S. 1
EG-FGV § 6, § 27
RL 2007/46/EG Art. 5 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwerben, arglos davon ausgehen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Sie dürfen darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verhalten der Organe bzw. Mitarbeiter des Herstellers ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht haben, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder – untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Käufer kann den von ihm aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des erlangten Fahrzeugs zurückverlangen. Er muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

51 O 238/18 2019-08-02 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 02.08.2019, Az. 51 O 238/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 14.219,33 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem gültigen Basiszinssatz seit 26.01.2018 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs AUDI A4, FIN: …51 und Rückgabe der Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II und der zugehörigen Fahrzeugschlüssel zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.029,35 € freizustellen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 28% und die Beklagten als Gesamtschuldner 72% zu tragen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 34% und die Beklagten als Gesamtschuldner 66% zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten wegen des Erwerbs eines Audi A 4 2.0 TDI, in den ein Dieselmotor vom Typ EA 189 eingebaut ist, Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des mit einem Dritten geschlossen Kaufvertrags.
Mit Kaufvertrag vom 20./21.12.2014 erwarb der Kläger von einem privaten Verkäufer den vorgenannten Pkw zu einem Preis von 21.500,00 €. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt des Kaufs betrug 20.000 km. Am 04.06.2020 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 114.018 km auf.
Zum Zeitpunkt des Kaufs befand sich in dem Fahrzeug eine Software zur Abgassteuerung, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxidoptimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstandes schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Nach Bekanntwerden dieser sog. Umschaltlogik ordnete das Kraftfahrtbundesamt als nachträgliche Nebenstimmung zur EG-Typgenehmigung die technische Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware an. Es wurde daraufhin ein Software-Update entwickelt, welches im Juni 2016 auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielt worden ist, Anlage K 3.
Der Kläger ist der Ansicht, dass ein Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB gegeben sei. Er trägt vor, die Beklagten hätten gemeinsam den in dem Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor entwickelt und über tatsächlich nicht zutreffende Schadstoffimmissionen getäuscht. Mit der Werbung der besonderen Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs habe der Kläger einen für ihn letztlich nachteiligen Vertrag geschlossen, den er bei Kenntnis der wahren Umstände nie eingegangen wäre. Die Beklagten müssten für die unerlaubten Handlungen ihrer verfassungsmäßigen Vertreter haften. Es sei lebensfremd, dass ein einzelner Mitarbeiter der Beklagten ohne Wissen der Beklagten dafür gesorgt haben soll, dass in mehreren Millionen Fahrzeugen eine betrügerische Software eingebaut wird. Angesichts der Tragweite und der Risiken spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Entscheidung durch die Geschäftsleitung der Beklagten selbst getroffen worden sei.
Die Beklagten hingegen halten die eingebaute Software nicht für gesetzeswidrig und sehen weder eine Täuschung noch einen Schaden beim Kläger. Die Beklagte zu 1) verweist darauf, dass sie den Motor nicht entwickelt habe und es auch keine gemeinsame Entwicklungsabteilung mit der Beklagten zu 2) gegeben habe. Die Beklagten sind weiter der Meinung, dass sie nicht sittenwidrig gehandelt hätten und ein Schädigungsvorsatz nicht vorliege. Nach derzeitigem Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien, von der Entwicklung der Software gewusst hätten und deren Einsatz gebilligt hätten. Sie vertreten ferner die Ansicht, dass der Kläger sich auch in Kenntnis der verbauten Software für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs entschieden hätte.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass dem Kläger gegenüber den Beklagten ein Anspruch nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff. BGB auf Rückabwicklung des Kaufvertrages durch Rückzahlung des Kaufpreises nach Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zustehe. Der Verstoß gegen das Schutzgesetz sei kausal für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen, wovon bereits nach der Lebenserfahrung auszugehen sei. Die Täuschungshandlung sei der Beklagten zu 1) als Herstellerin des Fahrzeugs und der Beklagten zu 2) als Entwicklerin und Herstellerin des Motors EA 189 zuzurechnen. Einer konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich gehandelt habe, habe es nicht bedurft, weil der Kläger keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten habe. Es wäre Sache der Beklagten gewesen im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast den Vortrag des Klägers zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs sei nicht anzuzweifeln, weil ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten anzusehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar sei. Von dem Kaufpreis seien die Gebrauchsvorteile in Form der gefahrenen Kilometer abzuziehen. Der Anspruch auf Rückforderung des Kaufpreises sei zu verzinsen, jedoch nicht nach § 849 BGB. Aufgrund des Schreibens des Klägers vom 11.01.2018 befänden sich die Beklagten im Annahmeverzug.
Dagegen richten sich die von allen drei Parteien eingelegten Berufungen.
Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen den vom Landgericht vorgenommenen Vorteilsausgleich zu Gunsten der Beklagten, weil diese damit unbillig begünstigt würden. Der Vorteilsausgleich stehe auch im Widerspruch zur Auslegung europäischer Rechtsnomen. Hilfsweise trägt der Kläger vor, dass die Gesamtlaufleistung höher, nämlich auf 500.000 km anzusetzen sei. Weiter macht der Kläger einen Zinsanspruch für den Zeitraum von der Kaufpreiszahlung bis zum Verzugseintritt aus §§ 849, 246 BGB in Höhe von 4 Prozentpunkten (über dem Basiszinssatz) geltend. Der Entzug von Geld im Rahmen einer freiwilligen Weggabe aufgrund einer Täuschung sei ebenfalls als Wegnahme einer Sache zu werten. Darüber hinaus verlangt der Kläger von den Beklagten die Zahlung weiterer außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 142,32 €, weil diese aus dem Gegenstandswert von 21.500 € zu berechnen seien.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren,
das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 02.08.2019, Az. 51 O 238/18 teilweise abzuändern und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen:
1. an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 8.733,25 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten auf den Betrag in Höhe von 21.500,00 EUR seit dem 21.12.2014 zu zahlen; Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges AUDI A4, FIN: …51 und Rückgabe der Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II und der zugehörigen Fahrzeugschlüssel zu zahlen.
2. den Kläger von den vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von weiteren außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 142,32 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf den Betrag in Höhe von 1.171,67 EUR seit dem 25.01.2018 freizustellen.
Ferner beantragt der Kläger, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen im Berufungsverfahren,
das am 2. August 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt im Umfang der jeweiligen Beschwer der Beklagten zu 1) und zu 2) abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Ferner beantragen sie, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 1) sieht einen Anspruch auf der Grundlage der EG-FGV für nicht gegeben, aber auch andere deliktische Anspruchsgrundlagen kämen nicht in Betracht, insbesondere nicht § 826 BGB, weil es u.a. an einer sittenwidrigen Handlung der Beklagten zu 1) fehle. Eine Täuschungshandlung gegenüber dem Kläger scheide schon deshalb aus, weil der Kläger ein gebrauchtes Fahrzeug erworben hat. Das Landgericht gehe rechtsfehlerhaft von der Kausalität zwischen der Schutzgesetzverletzung und der Kaufentscheidung des Klägers aus und verkenne, dass der Kläger insoweit beweisfällig geblieben sei. Rechtsfehlerhaft komme das Landgericht auch zu dem Ergebnis, dass die unterstellt pflichtwidrige Handlung nicht näher spezifizierter Mitarbeiter zuzurechnen sei. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast hätten nicht herangezogen werden dürfen. Die Beklagte zu 1) habe substantiiert bestritten, dass ihre Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn keine Kenntnis von der Software gehabt hätten oder die Entwicklung oder Verwendung der Software in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Zu internen Vorgängen der Motorenentwicklung und den hieran beteiligten Personen müsse nichts vorgetragen werden. Dem Kläger sei kein ersatzfähiger Schaden entstanden, weil der Kläger das Fahrzeug bis heute ausgiebig und ohne jede Einschränkung nutze. Zumindest sei der Schaden durch das Aufspielen des Softwareupdates entfallen. Keinesfalls hätte das Landgericht der Klage stattgeben dürfen ohne der von der Beklagten zu 1) angebotenen Parteivernehmung des Klägers zur fehlenden Kausalität nachzukommen. Der Annahmeverzug sei zu Unrecht bejaht worden, weil die Leistung nicht so wie geschuldet angeboten worden sei. Die vom Landgericht angenommene Gesamtlaufleistung sei überhöht, es sei von max. 250.000 km auszugehen. Auch die vorgenommene Berechnung sei fehlerhaft, weil sie das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot verletze. Die Berufung des Klägers sei bereits unzulässig, da sie nicht der Form des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO entspreche. Im Übrigen sei sie auch unbegründet. Die Nutzungsentschädigung sei anzurechnen, deliktische Zinsen hingegen nicht geschuldet. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung und -erwiderung der Beklagten zu 1), Schriftsatz vom 13.11.2019, Bl. 435 ff. d.A., sowie die ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 04.06.2020, Bl. 535 ff. d.A., Bezug genommen.
Auch die Beklagte zu 2) ist der Auffassung, dass das Urteil rechtsfehlerhaft der Klage überwiegend stattgegeben habe und zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch bejaht habe. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Schaden angenommen, der aber nicht vorliege. Die nachträgliche Ungewolltheit der Verbindlichkeit könne einen Schaden nicht begründen. Ein konkreter Nachteil sei nicht ersichtlich, weil das Fahrzeug jederzeit voll brauchbar gewesen sei. Jedenfalls nach dem Update sei ein Schaden entfallen. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht auch einen Kausalzusammenhang zwischen Verschweigen der Umschaltlogik bei Kaufvertragsschluss und der Kaufentscheidung der Klagepartei angenommen, wofür der Kläger die Darlegungs- und Beweislast trage. Schließlich seien die vom Landgericht getroffenen Nebenentscheidungen rechtsfehlerhaft. Es bestehe weder ein Annahmeverzug noch schulde die Beklagte zu 2) Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Berufung des Klägers sei zurückzuweisen. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten zu 2), Schriftsatz vom 05.10.2019, Bl. 379 ff. d.A., sowie die Berufungserwiderung vom 06.02.2020, Bl. 512 ff. d.A., verwiesen.
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 08.06.2020 mündlich verhandelt und in diesem Termin den Kläger als Partei einvernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll, Bl. 549 ff. d.A., Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, weil die gezogenen Nutzungen in Form der gefahrenen Kilometer als Vorteilsausgleich zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen sind, die das Landgericht zutreffend berechnet hat. Ein Anspruch auf deliktische Zinsen seit Kaufvertragsabschluss besteht nicht. Weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten werden von den Beklagten nicht geschuldet.
Die zulässigen Berufungen der Beklagten haben nur insoweit Erfolg, als sich die vom Kaufpreis in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung aufgrund der unstreitigen weiteren Nutzung des Fahrzeugs erhöht hat und der Annahmeverzug zu Unrecht festgestellt worden ist. Der Tenor des erstinstanzlichen Urteils war auch insoweit zu korrigieren, als keine Zinsen bei einem Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren zu leisten sind.
Im Ergebnis hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagten dem Kläger gesamtschuldnerisch aus Delikt haften. Die Haftung der Beklagten besteht jedoch wegen der fehlenden drittschützenden Wirkung nicht aufgrund der §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 und 27 der EG-FGV, sondern aufgrund der §§ 826, 31 BGB, was der Bundesgerichtshof in Bezug auf die Beklagte zu 2) für eine vergleichbare Konstellation mit Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, festgestellt hat. Die vorgenannte Entscheidung ist aber auch auf die Beklagte zu 1) zu übertragen, die vorträgt den streitgegenständlichen Motor EA 189 nicht entwickelt zu haben.
1. Alle drei Berufungen sind zulässig. Die Berufungsbegründungen entsprechen den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und sind konkret genug auf den Streitfall bezogen. Die Parteien haben jeweils ausreichend dargelegt, inwieweit sie die Entscheidung des Landgerichts für unzutreffend halten.
2. Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 14.219,33 € Zug um Zug gegen Rückgabe des im Tenor genannten Fahrzeugs aus §§ 826, 31 BGB nebst Verzugszinsen und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im tenorierten Umfang. Darüber hinaus gehende Ansprüche bestehen nicht.
a) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Umschaltlogik verfügt, stellte eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch beide Beklagte dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwerben, vgl. BGH, Urteil vom, 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rdnr. 25, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 II 1 VO (EG) Nr. 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war, vgl. BGH Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, Az. VIII ZR 225/17.
b) Durch diese Täuschung entstand dem Kläger als Käufer eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrages als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Der Bundesgerichtshof hat in seiner jüngsten Entscheidung klargestellt, Rdnr. 44 f., dass auch dann, wenn die Differenzhypothese vordergründig nicht zu einem rechnerischen Schaden führt, die Bejahung eines Vermögensschadens auf einer anderen Beurteilungsgrundlage nicht von vornherein ausgeschlossen ist, weil die Differenzhypothese stets einer normativen Kontrolle zu unterziehen ist. Er hat weiter ausgeführt, dass derjenige, der durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht wird, den er sonst nicht geschlossen hätte, auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Schaden erleidet, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Hier ist der Vertragsschluss nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden anzusehen, sondern auch nach der Verkehrsanschauung der Vertragsschluss unter Berücksichtung sämtlicher Umstände als unvernünftig und den konkreten Vermögensinteressen des Käufers nicht angemessen und damit nachteilig zu bewerten. Durch die fehlende Offenlegung des abgasmanipulierten Motors wurde die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers und sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt, was von § 826 BGB geschützt wird. Der Bundesgerichtshof hat auch weiter klargestellt, vgl. Rdnr. 58, dass sich an der Ungewolltheit der eingegangenen Verbindlichkeit durch das später durchgeführte Software-Update nichts geändert hat und der einmal eingetretene Schaden nicht beseitigt worden ist.
c) Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde durch das Handeln der Beklagten verursacht. Der Senat geht wie das Landgericht davon aus, dass die haftungsbegründende Kausalität zwischen schädigender Handlung der Beklagten und dem Eintritt des Schadens bei dem Kläger gegeben ist. Den erforderlichen Kausalitätsbeweis hat der Kläger erbracht. In seiner Parteieinvernahme vor dem Senat hat der Kläger ausführlich begründet, dass ihm ein Fahrzeug mit Euro 5 Norm sehr wichtig gewesen sei, weil er aus beruflichen und familiären Gründen auch in Städte fahren müsse, die hohe Umweltanforderungen stellen und für die Einfahrt eine grüne Plakette fordern. Ausdrücklich erklärte der Kläger, dass er – wenn er von der unzulässigen technischen Einrichtung gewusst hätte – den Wagen nicht gekauft hätte. Diese Einlassung des Klägers ist nachvollziehbar und glaubhaft und entspricht auch der Lebenserfahrung, die der Bundesgerichtshof in dem von ihm entschiedenen Fall angenommen hat. Der Kläger machte auf den Senat einen glaubwürdigen und ehrlichen Eindruck. Er erklärte weiter nachvollziehbar, dass er zwar zunächst viel über den Abgasskandal gehört und gelesen hätte, aber nicht gewusst hätte, dass man dafür die Beklagten haftbar machen könne. Deshalb sei zwischen dem Aufspielen des Softwareupdates und dem Entschluss gegen die Beklagten vorzugehen noch einige Zeit vergangen. Insoweit spricht auch das von den Beklagten herangeführte „Nachtatverhalten“ nicht gegen eine Kausalität.
d) Das Verhalten beider Beklagter war sittenwidrig. In Bezug auf die Beklagte zu 2), die unstreitig den Motor EA 189 entwickelt hat, hat der Bundesgerichtshof dies in seinem Urteil vom 25.05.2020 ausführlich dargestellt, was auf vorliegenden Sachverhalt ebenfalls vollumfänglich zutrifft. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs können auch uneingeschränkt auf die Beklagte zu 1) als Herstellerin des Fahrzeugs übertragen werden.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem erfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutrage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann, st. Rspr. des BGH, Urteil vom 28.06.16, VI ZR 536/15 oder vom 7.5.2019, VI ZR 512/17, zuletzt, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19.
Das Verhalten der Beklagten ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil beide Beklagte auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht haben, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder – untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, vgl. BGH aaO Rdnr. 16 ff. Auch wenn die Entwicklung des streitgegenständlichen Motors von den Beklagten zu 1) und 2) nicht gemeinsam erfolgt sein sollte, sondern ausschließlich durch die Beklagte zu 2) geschehen sein sollte, so trifft das Urteil der Sittenwidrigkeit gleichwohl auch die Beklagte zu 1). Auch letztere hat zur Überzeugung des Senats das an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns ausschließlich dadurch erreicht, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die zuständige Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden technischen Dienste arglistig getäuscht hat. Als Herstellerin der Audi-Fahrzeuge ist die Beklagte zu 1) gegenüber der Typgenehmigungsbehörde für alle Belange des EG-Typgenehmigungsverfahrens und die Übereinstimmung der Produktion verantwortlich, vgl. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2007/46/EG. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Beklagte vorträgt, dass an dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs eine Vielzahl unterschiedlicher Abteilungen beteiligt sind. Jedenfalls den letzten Akt, die Antragstellung beim Kraftfahrtbundesamt zur Erreichung der EG-Typgenehmigung müssen die Organe der Beklagten zu 1) vornehmen, die in dem gesamten Entstehungsprozess, den die Beklagte zu 1) im Schiftsatz vom 04.06.2020, ab Seite 8 ff. schildert, keine Erwähnung finden. Zur Erlangung der Typgenehmigung hat die Beklagte zu 1) wie die Beklagte zu 2) beim Kraftfahrtbundesamt u.a. Beschreibungsunterlagen eingereicht, die auch den Motor umfassen und konkludent erklärt, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorgaben entspricht und die erforderlichen Genehmigungen und Zulassungen erteilt werden können. Mit der Abgabe der Beschreibungsunterlagen und ihrem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung hat die Beklagte zu 1) eine eigene Erklärung gegenüber der Genehmigungsbehörde abgegeben, die mit der Entwicklung des Motors bei der Konzernmutter nichts zu tun hat. Sollte die Beklagte keine Kenntnis von der Funktionsweise der verwendeten Software gehabt haben, so hätte sie gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt Angaben ins Blaue hinein gemacht und gegen ihre Pflicht verstoßen, den Motor der Konzernmutter eigenständig auf seine Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen.
Auch die Käufer von Fahrzeugen der Beklagten zu 1) vertrauten darauf, dass die Beklagte zu 1) die gesetzlichen Vorgaben eingehalten hat und wurden darin arglistig getäuscht.
Zusammenfassend ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, der Täuschung des Kraftfahrtbundesamts, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse.
e) Die Beklagten sind für das Handeln ihrer Organe und Repräsentanten verantwortlich, die auch mit Schädigungsvorsatz gehandelt haben.
Der Kläger hat hier vorgetragen, es sei lebensfremd, dass ein einzelner Mitarbeiter der Beklagten ohne Wissen der Beklagten dafür gesorgt haben soll, dass in mehreren Millionen Fahrzeugen eine betrügerische Software eingebaut wird. Es spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Entscheidung, ausnahmslos bei jedem Motor der Serie EA 189 eine manipulierte Motorsteuerungssoftware zu verwenden, eine Entscheidung war, die angesichts der Tragweite und Risiken für die gesamten Geschicke des so agierenden Konzerns durch die Geschäftsleitung selbst getroffen wurde und damit den Beklagten zurechenbar ist gemäß § 31 BGB. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft habe gemäß den gesetzlichen Bestimmungen das Unternehmen so zu organisieren und zu führen, dass organisatorische Maßnahmen vorhanden sind, wonach Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand über alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung auch durch Kontrollmaßnahmen gewährleistet ist. Von der Verwendung der manipulierten Software hätten die verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten wissen müssen. Damit hat der Kläger ausreichend und entgegen der Ansicht der Beklagten schlüssig dargelegt, warum davon auszugehen ist, dass die damals bei den Beklagten tätigen Repräsentanten, nicht notwendig der Vorstand im aktienrechtlichen Sinn, Kenntnis von der Entwicklung des Motors, dessen Einbau sowie Verwendung und letztlich dem Inverkehrbringen der so manipulierten Fahrzeuge gehabt haben müssen. Ein weitergehender Vortrag, insbesondere die Nennung von Namen, war ihm wegen des fehlenden Einblicks in die internen Entscheidungsvorgänge bei den Beklagten nicht möglich.
Die Beklagten haben sich demgegenüber bis zuletzt, vgl. u.a. Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 04.06.2020, Seite 4, Bl. 538 d.A., nur dahingehend eingelassen, dass nach derzeitigem Stand der internen Ermittlungen keine Erkenntnisse darüber vorlägen, dass einzelne Vorstandmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt waren oder die Entwicklung und Verwendung seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt haben. Nach derzeitigem Entwicklungsstand habe der Vorstand der Beklagten zu 1) auch im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses am 21.12.2014 von dem Einbau der Software (Umschaltlogik) in die betroffenen Fahrzeuge mit EG-Typgenehmigung keine Kenntnis. Dies ist als unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen anzusehen, § 138 Abs. 4 ZPO, weshalb der Vortrag des Klägers als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO, vgl. BGH aaO Rndr. 30.
Die Beklagten hätten im Rahmen der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast, vgl. BGH aaO Rdrn. 37, um einer Haftung zu entgehen, darlegen und erklären müssen, wie die Entscheidungsstrukturen zur damaligen Zeit waren, welche Organe oder Repräsentanten wann Kenntnis von der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware hatten und wer den Einbau und das Inverkehrbringen der so ausgerüsteten Fahrzeug veranlasst hat. Was letzteres betrifft, so wird auch im Schriftsatz vom 04.06.2020, Seite 8, Bl. 542 d.A., von der Beklagten zu 1) nicht erklärt, wer den Einsatz der EA 189 Motoren in Fahrzeugen der Beklagten zu 1) beschlossen hat. Dass dies durch die Beklagten zu 2) erfolgt ist, hält der Senat für ausgeschlossen, da die Beklagte zu 1) eine eigenständige rechtliche Person ist. Die Beklagten erklären sich weder zu ihrer damaligen Organisationsstruktur, ihrer Arbeitsorganisation und ihren internen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, noch zu Berichtspflichten und internen Ermittlungen. Sie teilen nicht mit, ob und mit welchem Ergebnis die damaligen Organe oder Repräsentanten zu den Vorgängen befragt worden sind und legen auch nicht offen, wie es zum serienmäßigen Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung im Rahmen der internen Abläufe kommen konnte. Der pauschale Einwand, die Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn hätten zum Kaufvertragszeitpunkt nichts gewusst, ist nicht ausreichend.
Dass die sekundäre Darlegungslast zwangsläufig damit einhergeht, dass die belastete Partei Tatsachen vortragen muss, von denen der Prozessgegner andernfalls keine Kenntnis erlangt hätte oder erlangen können, ist wegen der aus den verfassungsrechtlich geschützten Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz folgenden Verpflichtung zu einer fairen Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten hier hinzunehmen, weil hinreichende Anhaltspunkte für ein deliktisches Verhalten der Beklagten zu Lasten des Klägers vorliegen und dieser außerhalb des vom ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht, vgl. BGH aaO Rdnr. 39 ff.
Für den Senat besteht kein Zweifel, dass auch Organe und/oder Repräsentanten der Beklagten zu 1) Kenntnis von den abgasmanipulierten Motoren hatten und die grundlegende strategische Entscheidung getroffen haben, die von der Konzernmutter hergestellten Motoren in Fahrzeuge ihrer Herstellung einzubauen und die so bemakelten Fahrzeuge unter Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes in Verkehr zu bringen. Dafür spricht nicht nur der Umstand, dass es sich bei dem Motor um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung handelt, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden war. Weiter spricht dafür auch die Bedeutung der gesetzlichen Grenzwerte und die für die Geschäftstätigkeit der Beklagten entscheidende Frage, wie diese technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können. Die Beklagte zu 1) hat eingeräumt auch selbst Dieselmotoren zu entwickeln, vgl. Schriftsatz vom 04.06.2020, Seite 6, Bl. 540 d.A., so dass sie ein Interesse daran hatte zu wissen, wie der Mutterkonzern es geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es erscheint ausgeschlossen, dass die Beklagte zu 1) den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat und dann gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zugesichert hat. Es liegt auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten jeweils mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt aus der Tragweite der Entscheidung, weil die Software flächendeckend in unzähligen Fahrzeugen eingesetzt worden ist. Insoweit folgt der Senat nicht der von der Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Oldenburg vom 06.02.2020, Az. 8 U 214/19, weil es sich bei dem Motor eines Fahrzeugs – wie ausgeführt – um das Kernstück eines Kraftfahrzeugs handelt und die Beklagte zu 1) gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt als EG-Typgenehmigungsbehörde eine eigene Erklärung in Bezug auf den Motor abgegeben hat. Daher hätte – falls nicht geschehen – der Motor auf die Gesetzeskonformität von der Beklagten zu 1) überprüft werden müssen. Die von der Beklagten zu 1) zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Urteil vom 3.6.1975, Az. VI ZR 192/73, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr auch dort ausgeführt, dass einem Unternehmer, der für die von ihm hergestellten Geräte vorgefertigte Einbauteile verwendet, grundsätzlich die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen. Davon kann es zwar Ausnahmen geben, wovon hier allerdings schon wegen der Bedeutung des Motors für das Fahrzeug nicht auszugehen ist. Die Beklagte zu 1) durfte sich hier nicht allein auf die fachliche Betriebserfahrung ihrer Konzernmutter und deren durchgeführte Prüfungen verlassen, sie hatte sich vielmehr selbst von der mangelfreien Beschaffenheit des Motors zu überzeugen.
f) Auf der Basis der getroffenen Feststellungen ist auch von einem Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auszugehen, die von den sittenwidrigen strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Bei beiden Beklagten ist davon auszugehen, dass die jeweiligen Entscheidungsträger nicht nur den objektiven Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente in ihrer Person verwirklichten. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner gemäß §§ 826, 31 BGB, 249 ff. BGB dem Kläger sämtlichen aus der sittenwidrigen Schädigung resultierende Schäden zu ersetzen.
Der Kläger kann den von ihm aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des erlangten Fahrzeugs an die Beklagten zurückverlangen. Er muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. Dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB anzuwenden sind, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt, Rdnr. 66 ff. Er hat auch ausgeführt, dass dem keine europarechtlichen Normen entgegenstehen. Der Senat nimmt auf diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs Bezug, aaO Rdnr. 73 ff. Geklärt ist mit dieser Entscheidung weiter, dass die vom Landgericht vorgenommene Berechnungsweise nach der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Restlaufleistung keinen rechtlichen Bedenken unterliegt und die Höhe der gezogenen Vorteile nach § 287 ZPO geschätzt werden kann. Vorliegend hatte das Fahrzeug beim Erwerb durch den Kläger einen Kilometerstand von 20.000 km. Am 04.06.2020 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 114.018 km auf, vgl. Lichtbild als Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, wobei der Kläger aber eingeräumt hat, dass er danach noch etwa 800 km gefahren ist. Dies wurde von den Beklagten nicht bestritten, sondern unstreitig gestellt. Gefahren ist der Kläger mit dem Fahrzeug damit 94.818 km. Unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 21.500,00 € ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer in Höhe von 7.280,67 €. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km. Wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall handelt es sich auch hier um einen 2,0 l Motor, so dass eine Vergleichbarkeit der Fälle besteht. Es bestand weder Veranlassung die Gesamtlaufleistung – wie vom Kläger beantragt – auf 500.000 km heraufzusetzen oder – wie von den Beklagten beantragt – auf 250.000 km herabzusetzen.
4. Die Verzinsung des gezahlten Kaufpreises in Höhe von 4%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem Kaufdatum gemäß § 849 BGB hat nicht zu erfolgen.
Die besonderen Voraussetzungen dieser Norm liegen nicht vor. Diese billigt dem Geschädigten einer unerlaubten Handlung ohne Nachweis eines konkreten Schadens Zinsen als pauschalierten Schadensersatz für die entgangene Nutzung einer ihm durch den Schädiger entzogenen oder beschädigten Sache zu. Der Zinsanspruch soll den endgültig verbleibenden Verlust der Nutzbarkeit der Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann, wobei die Norm auch bei der Entziehung von Geld gilt. Der Regelung kann aber kein allgemeiner Rechtsgrundsatz dahingehend entnommen werden, dass deliktische Schadensersatzansprüche stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen sind, vielmehr ist maßgeblich der Zweck der Norm zu berücksichtigen, den später nicht mehr nachholbaren Verlust der Sache auszugleichen, vgl. Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 26.11.2007, Az. II ZR 167/06.
Dieser Schutzzweck ist hier nicht betroffen. Der Kläger hat zwar einen Geldbetrag in Höhe des Kaufpreises weggegeben, er hat dafür aber im Gegenzug das streitgegenständliche Fahrzeug erworben, das er anschließend jederzeit nutzen konnte und auch genutzt hat. Zudem ist auch davon auszugehen, dass der aufgewandte Kaufpreis bei Kenntnis des vorliegenden Mangels nicht im Vermögen des Klägers verblieben wäre, sondern er sich stattdessen ein anderes Fahrzeug gekauft hätte. Damit fehlt es aber an einer auf das deliktische Handeln der Beklagten zurückzuführenden entgangenen Nutzungsmöglichkeit des Geldes, vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 28.08.2019, Az. 5 U 1218/18, OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019, Az. 13 U 37/19.
Im Übrigen entnimmt der Senat der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass ein deliktischer Zinsanspruch nicht gegeben sein dürfte, weil ansonsten in der dortigen Entscheidung der Zinslauf nicht hätte verkürzt werden dürfen.
5. Erfolg hat die Berufung der Beklagten dahingehend, dass das Landgericht die Feststellung des Annahmeverzugs nicht hätte zusprechen dürfen. Der Kläger hat die Beklagten im Hinblick darauf, dass er in den Schreiben vom 11.01.2018, Anlagen K 6 und K 8, die Erstattung des gesamten Kaufpreises in Höhe von 21.500,00 € verlangt hat und sich noch in der Berufung gegen die Anrechnung des Nutzungsersatzes gewehrt hat, die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Er hat damit durchgängig die Zahlung eines deutlich höheren Betrages verlangt, als er hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben, vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rdnr. 82.
6. Die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldner als Teil seines Schadens nach § 826 BGB verlangen. Er besteht in der vom Landgericht zugesprochenen Höhe.
Allerdings besteht kein Anspruch auf Verzinsung des Freistellungsanspruchs ab Rechtshängigkeit gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 BGB. Danach sind nur Geldschulden zu verzinsen, zu denen ein Freistellungsanspruch nicht gehört, vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 20.12.2018, Az. 8 U 33/17, BeckRS 2018, 35942 Rn. 86; OLG Hamm, Urteil vom 19.01.2012, Az. 24 U 32/11, juris Rn. 44; OLG Stuttgart, Urteil vom 04.10.2010, Az. 5 U 60/10, NJW-RR 2011, 239, 243.
III.
Die Kostenentscheidung des Berufungsverfahrens folgt aus § § 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Teilunterliegen der Parteien.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Einige wesentliche Punkte sind zwar durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 geklärt. Nicht geklärt ist jedoch die Frage, ob auch ein Anspruch auf Zahlung von deliktischen Zinsen gegeben ist und ob auch die Beklagte zu 1) als Herstellerin der Fahrzeuge haftet.


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