Europarecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Berufung, Rechtsanwaltskosten, Sittenwidrigkeit, Antragstellung, Beschlussverfahren, Erfolgsaussicht, Sperrwirkung, Fahrzeug, Klage, Anmeldung, Freistellung, Umfang, von Amts wegen, fehlende Erfolgsaussicht, Erstattung des Kaufpreises

Aktenzeichen  13 U 5442/19

Datum:
8.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47932
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

1 O 1043/18 2019-09-05 Endurteil LGPASSAU LG Passau

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Passau vom 05.09.2019, Az. 1 O 1043/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
Das Landgericht Passau hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers konnte nicht aufzeigen, dass die Entscheidung des Landgerichts Passau auf einer Rechtsverletzung gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO beruht oder dass nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß Ziffer 2 der Berufungsbegründung vom 11.02.2020 bleibt es bei der Unzulässigkeit der Klage (nachfolgend Ziffer 1). Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Leistungsantrags gemäß Ziffer 4 und des Antrags auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß Ziffer 3 der Berufungsbegründung ist die Klage zwar nunmehr zulässig (nachfolgend Ziffer 2), aber unbegründet (nachfolgend Ziffer 3). Eine Zurückweisung der Berufung im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO ist auch dann möglich, wenn das Berufungsgericht die Klage (teilweise) als unbegründet statt als unzulässig betrachtet (nachfolgend Ziffer 4).
1. Der Feststellungsantrag gemäß Ziffer 2 der Berufungsbegründung vom 11.02.2020 genügt den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht und ist deshalb schon unzulässig.
a) Das festzustellende Rechtsverhältnis ist im Antrag hinreichend genau zu bezeichnen, sodass aufgrund der Antragstellung der Umfang der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft feststehen. Bei Schadensersatzansprüchen erfordert dies eine bestimmte Bezeichnung des zum Ersatz verpflichtenden Ereignisses (Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 40. Aufl., § 253 Rn. 13; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 253 Rn. 13).
b) Der vorliegende Feststellungsantrag erfüllt diese Anforderungen nicht, wovon auch das Landgericht zutreffend ausgeht.
Die allgemein gehaltene Bezeichnung des festzustellenden Rechtsverhältnisses, wonach Schadensersatz zu leisten sei für „Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Audi Q5 [folgt FIN] durch die Beklagtenpartei resultieren“, individualisiert das haftungsbegründende Verhalten der Beklagten nicht hinreichend. Der Antrag stellt nicht klar, aufgrund welcher konkreten „Manipulation“ eine Schadensersatzpflicht der Beklagten festgestellt werden soll.
2. Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Leistungsantrags gemäß Ziffer 4 und des Antrags auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß Ziffer 3 der Berufungsbegründung ist die Klage zwar nunmehr zulässig.
Der Klägervertreter hat in der Berufungsbegründung vom 11.02.2020 unter Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 26.08.2019 unbestritten vorgetragen, dass die Anmeldung des Klägers zur Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) am 26.08.2019 zurückgenommen wurde und zum Beweis entsprechende Unterlagen vorgelegt (Anlagen R 25 und 26). Die von Amts wegen zu prüfende Sperrwirkung der rechtshängigen Musterfeststellungsklage für die Individualklage des Klägers nach § 610 Abs. 3 ZPO ist durch die Rücknahme der Anmeldung gemäß § 608 Abs. 3 ZPO entfallen und die Klage im oben genannten Umfang nunmehr zulässig geworden (vgl. Zöller/G. Vollkommer, a.a.O., § 610 Rn. 8; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl., § 610 Rn. 5 und § 613 Rn. 6).
3. Die Klage erweist sich insofern aber – wovon das Landgericht in seinen ergänzenden Erwägungen zu Recht ausgeht – als unbegründet.
a) Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 311, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB oder aus § 443 Abs. 1 BGB, gerichtet auf Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs, scheidet aus.
Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 76; Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 11), sodass bereits deshalb ein Schadensersatzanspruch aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB wegen der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens bzw. aus § 443 Abs. 1 BGB wegen einer konkludenten Garantie der Beklagten nicht in Betracht kommt. Im Übrigen ist weder dargetan noch ersichtlich, aus welchen Gründen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Dieselmotors und nicht am Kaufvertragsschluss zwischen dem Kläger und der Fahrzeughändlerin beteiligte Dritte wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten haften sollte.
Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB im Zusammenhang mit der Vereinbarung zum Aufspielen des Software-Updates kann nicht zur Rückabwicklung des Kfz-Kaufvertrages führen.
b) Auch die Voraussetzungen für deliktische Schadensersatzansprüche sind nicht erfüllt.
Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu.
Das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger ist vorliegend nicht als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 27 ff.).
Die Adhoc-Mitteilung und die gleichlautende Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 waren objektiv geeignet, das Vertrauen potentieller Käufer von gebrauchten Dieselfahrzeugen aus dem VW-Konzern in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, eine diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten Dieselfahrzeugen aus dem VW-Konzern die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr (BGH a. a.O., Rdn. 37). Der vorliegende Fahrzeugerwerb datiert auf den 13.03.2017.
Unerheblich ist auch, dass das Software-Update bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug erst nach dem Erwerb durch den Kläger aufgespielt wurde (BGH a.a.O.).
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom Fahrzeugverkäufer darauf aufmerksam gemacht wurde, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über einen Dieselmotor des Typs EA 189 verfügt und dass ein Software-Update aufzuspielen ist (Seite 2 des Protokolls vom 01.08.2019 = Blatt 404 der Akten). Diese Information durch den Verkäufer steht erkennbar im Zusammenhang mit den Mitteilungen und Aktivitäten der Beklagten ab dem 22.09.2015.
Unerheblich ist schließlich auch, ob die Beklagte bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug durch das Aufspielen des Software-Updates eine neue unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten „Thermofensters“ implementiert hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat das streitgegenständliche Software-Update unstreitig geprüft und freigegeben. Bei der Freigabe hat die Behörde ausdrücklich bestätigt, dass das Update keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle (Seiten 21 f. der Klageerwiderung vom 29.03.2019 = Blatt 164 f. der Akten).
Selbst wenn dies unzutreffend und die Abschalteinrichtung wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung 715/2007/EG unzulässig sein sollte, wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 19). Der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat hierzu nichts vorgetragen.
Jedenfalls aber muss der Kläger unter den gegebenen Umständen – Freigabe und ausdrückliche Bestätigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorliegt – nicht damit rechnen, dass das Kraftfahrt-Bundesamt den Betrieb seines Fahrzeugs einschränkt oder untersagt. Die Gefährdung der Betriebserlaubnis war aber ein wesentlicher Grund für die Bewertung des ursprünglichen Verhaltens der Beklagten als sittenwidrig (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.). Etwaige negative Auswirkungen des Software-Updates wie ein Mehrverbrauch oder ein erhöhter Bauteilverschleiß werden vorliegend vom Schutzzweck des § 826 BGB nicht erfasst.
Dem Kläger steht ferner kein Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB gegen die Beklagte zu.
Es fehlt jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des auf Seiten der Beklagten erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden des Klägers (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 17 ff.).
Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung des Kaufpreises kann schließlich nicht aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG hergeleitet werden Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt weder im Aufgabenbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (s. hierzu die Nachweise oben unter Buchst. a) noch im Aufgabenbereich des Art. 5 VO 715/2007/EG (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 12 ff.).
4. Eine Zurückweisung der Berufung im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO ist auch dann möglich, wenn das Berufungsgericht die Klage (teilweise) als unbegründet statt als unzulässig betrachtet.
a) Entscheidend für die offensichtlich fehlende Erfolgsaussicht einer Berufung nach § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO ist, ob für das Berufungsgericht kein Gesichtspunkt erkennbar ist, der dem Rechtsmittelbegehren zum Erfolg verhelfen könnte. Deshalb ist eine Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO auch dann möglich, wenn das Berufungsgericht das Urteil der Vorinstanz nur im Ergebnis, nicht aber in der Begründung bestätigen will und zum Beispiel die Klage als unbegründet statt als unzulässig betrachtet (Rimmelspacher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 522 Rn. 21 m.w.N.).
b) Für das Urteilsverfahren ist anerkannt, dass das Berufungsgericht auf die Berufung des Klägers gegen ein Prozessurteil die Abweisung der Klage als unbegründet statt als unzulässig aufrechterhalten kann (BGHZ 23, 36, 50; Zöller/Heßler, a.a.O., § 528 Rn. 32). Nichts anderes kann für die Entscheidung des Berufungsgerichts im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO gelten, da der Beschluss an die Stelle des Berufungsurteils tritt. Der Wortlaut und der Zweck des § 522 Abs. 2 ZPO stehen nicht entgegen, ebenso wenig das Verschlechterungsverbot aus § 528 ZPO oder die Grundsätze der materiellen Rechtskraft (OLG Rostock OLG-NL 2003, 139, 140 f. m.w.N.).
II.
Mangels begründeten Hauptsacheanspruchs stehen dem Kläger auch die geltend gemachten Nebenansprüche auf Zinszahlung und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zu.
III.
Der Senat rät dem Kläger insbesondere aus Kostengründen, die Berufung zurückzunehmen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
IV.
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 26.250,00 € festzusetzen.


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