Handels- und Gesellschaftsrecht

Rückzahlungsansprüche nach erklärter Insolvenzanfechtung

Aktenzeichen  34 O 1624/18

Datum:
1.8.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55520
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
InsO § 129, § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1
ZPO § 1, § 12, § 13
GVG § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1
BGB § 242, § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1, § 291, § 814, § 817, § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1
EGInsO Art. 103 j Abs. 1, 2
GKG § 39 f.,§ 63

 

Leitsatz

Auszahlungen von in „Schneeballsystemen“ erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner sind als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar (BGH, Urteil vom 22.04.2010 – IX ZR 163/09). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 892,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.05.2015 sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 124,00 € (netto) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.01.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für den Beklagten gegen den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 13.287,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist lediglich teilweise begründet, so dass sie im Übrigen abzuweisen war.
I.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Memmingen ist das örtlich gemäß §§ 12, 13 ZPO und sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zuständige Gericht.
II.
Der Kläger hat gegen den Beklagten lediglich einen Zahlungsanspruch in Höhe von 892,75 € zuzüglich Zinsen seit 02.05.2015 aus § 143 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 129, 134 Abs. 1 InsO.
1. Die unstreitigen Auszahlungen der Insolvenzschuldnerin im Zeitraum vom 16.09.2013 bis zum 23.07.2014 in Höhe von 13.287,- € stellen Leistungen der Insolvenzschuldnerin i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO dar, die allesamt nicht mehr als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sind.
a) Diese Leistungen erfolgten jedoch nur in Höhe von 892,75 € nachweislich unentgeltlich. Auszahlungen von in „Schneeballsystemen“ erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner sind als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar (BGH, Urteil vom 22.04.2010 – IX ZR 163/09 m.w.N.).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass es sich bei der Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin um ein sog. „Schneeballsystem“ gehandelt hat, in dem keine reale Geschäftstätigkeit erfolgt ist, und dass es sich bei den erfolgten Auszahlungen um einen Scheingewinn handelt. Es stützt sich insoweit maßgeblich auf die dahingehenden Feststellungen der 2. Strafkammer des … in dem seitens des Klägers als Anlage vorgelegten Urteils vom 15.03.2016, Az. …, rechtskräftig seit dem 23.03.2016 bzw. 09.12.2016. Zwar besteht keine Bindungswirkung des Zivilrichters an strafgerichtliche Urteile. Es bedarf jedoch der Auseinandersetzung mit den Feststellungen, die für die eigene Beweiswürdigung von Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 16.03.2005 – IV ZR 140/04). Diese Auseinandersetzung verschafft dem Gericht vorliegend den erforderlichen Grad an Gewissheit für seine Überzeugungsbildung – zumal der Beklagte das Vorliegen eines „Schneeballsystems“ lediglich – in zulässiger und nachvollziehbarer Weise – mit Nichtwissen bestritten hat, während die Klägerseite das Geschäftsmodell ausführlich beschrieben und erläutert hat. Die Strafkammer des Landgerichts Augsburg stützt ihre Feststellungen nachvollziehbar auf die Aussage des als Zeuge auftretenden ermittelnden Kriminalbeamten, der insbesondere auch die in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens eingeführten Kontoauszüge ausgewertet hat und auf Grund dieser Auswertung bekunden konnte, dass es die behaupteten Investitionen in die angeblichen Werbeanzeigen nicht gegeben habe, vielmehr nur gefälschte Schreiben angeblicher Werbepartner vorhanden gewesen seien und im Wesentlichen nur das Geld der Anleger umgewälzt worden sei. Das Fehlen eines tragfähigen Geschäftsmodells wird im Übrigen auch durch die undurchsichtigen und teilweise widersprüchlichen Vertragsdokumente deutlich.
Allerdings handelt es sich lediglich bei den Positionen „Startpaket 312,5“ vom 25.11.2013 (625,- €) und „Leadprovision Auftrag 3277“ vom 23.07.2014 (267,75 €) um klassische Zahlungen im Rahmen des beschriebenen Schneeballsystems.
b) Bei den übrigen Positionen in Höhe von insgesamt 12.394,25 € ist dem diesbezüglich darlegungs- und beweispflichtigen Kläger nicht der Nachweis der Unentgeltlichkeit der anfechtbaren Leistungshandlungen gelungen. Diese Zahlungen wurden in den Rechnungen durch die Insolvenzschuldnerin (vgl. Anlagenkonvolut B 1) als „Vertriebsprovisionen“ sowie „Provisionsgutschrift für Vermittlungen“, zum Teil unter namentlicher Nennung der geworbenen Kunden, bezeichnet. Das Werben von Neukunden stellt nach Auffassung des Gerichts jedoch eine entgeltliche Leistung dar, so dass eine Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO und ein hierauf gestützter Rückzahlungsanspruch ausscheidet. Der Kläger hat die Entgeltlichkeit in unzulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten. Während der Beklagte neben der Vorlage der einzelnen Abrechnungen noch die geworbenen Kunden namentlich als Zeugen benannt hat, ist der Kläger dieser Beweisführung des Beklagten nicht mit Gegenbeweisangeboten entgegengetreten. Die Voraussetzungen für eine Vorsatz- oder sonstige Anfechtung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass diesbezüglich kein Rückzahlungsanspruch besteht.
2. Die von Beklagtenseite erhobenen Einwendungen gegen den bestehenden Rückzahlungsanspruch greifen nicht durch.
a) Der aus der Anfechtung der Auszahlung von Scheingewinnen resultierende Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters ist nicht mit den als Einlage des Anlegers erbrachten Zahlungen zu saldieren (BGH, Urteil vom 22.04.2010 – IX ZR 163/09).
b) Weitere Entreicherungsgründe (wie etwa Luxusaufwendungen, etc.) wurden von Beklagtenseite nicht substantiiert vorgetragen. Die bereicherungsrechtlichen Vorschriften der §§ 814, 817 BGB greifen auf Grund des Vorranges des insolvenzrechtlichen Rückzahlungsanspruchs aus § 143 Abs. 1 InsO nicht (BGH, Beschluss vom 16.07.2009 – IX ZR 53/08).
c) Hinsichtlich der Umsatzsteuerproblematik hat der Kläger lediglich vorgetragen, dass derzeit eine Klärung mit dem zuständigen Finanzamt erfolgt. Der Beklagte trägt nicht schlüssig und unter Beweisantritt vor, dass der Kläger eine an das Finanzamt entrichtete Umsatzsteuer für Rückzahlungen, die sich im Nachhinein als Scheingewinne dargestellt haben, zurückerhalten hat. Nur dann würde sich eine Rückforderung des Umsatzsteuerbetrags von dem Beklagten als doppelt darstellen.
d) Der insolvenzrechtliche Rückzahlungsanspruch ist auch nicht gemäß § 242 BGB wegen Treuwidrigkeit in Folge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ausgeschlossen. Zwar kann in Extremfällen die Geltendmachung rechtsmissbräuchlich sein. Daran fehlt es vorliegend jedoch schon deshalb, da die Ausübung des Anfechtungsrechts nach der gesetzgeberischen Konzeption ausschließlich dem Insolvenzverwalter zusteht und diesem die Entscheidung obliegt, ob der Anspruch durchzusetzen ist und auf welche Art und Weise dies geschehen soll. Außerhalb der Insolvenzzweckwidrigkeit folgt aus der alleinigen Zuständigkeit des Insolvenzverwalters für die Anfechtung, dass die Entscheidung des Insolvenzverwalters auf Grund des ihm zugebilligten Ermessensspielraums lediglich eingeschränkt überprüfbar ist. Vorliegend sind Anhaltspunkte, dass der Kläger seinen Ermessensspielraum überschritten hat weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
3. Die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten) sind in der tenorierten Höhe ebenfalls begründet.
a) Der Zinsanspruch seit dem 02.05.2015 bis zum 05.04.2017 folgt aus § 143 Abs. 1 S. 2 InsO a.F., §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 BGB. § 143 Abs. 1 S. 2 InsO a.F. ist gemäß Art. 103 j Abs. 1, 2 EGInsO anwendbar, da es sich um ein Insolvenzverfahren handelt, das vor dem 05.04.2017 eröffnet wurde.
b) Der Zinsanspruch seit dem 06.04.2017 folgt aus § 143 Abs. 1 S. 3 InsO i.V.m. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB, da sich der Beklagte mit Ablauf der mit Anwaltsschreiben vom 12.10.2016 (Anlage K 9) gesetzten Frist (02.11.2016) in Verzug befand.
c) Da sich der Beklagte in Verzug befand, hat er auch die berechtigt entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten zu erstatten (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB), die ab Rechtshängigkeit zu verzinsen sind, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, S. 2, 711 ZPO.
V.
Der Streitwert wurde nach §§ 63, 39 ff. GKG, 3 ff. ZPO festgesetzt.


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