IT- und Medienrecht

Abgasskandal: Keine Kenntnis und kein Kennenmüssen durch Ad-hoc-Mitteilung im September 2015 oder die nachfolgende allgemeine Berichterstattung innerhalb einer Karenzzeit von drei Monaten

Aktenzeichen  9 O 6684/19

Datum:
23.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5844
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 195, § 199 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 4, § 288 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 849
StGB § 263 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Motorherstellerin haftet als mittelbare Täterin gemäß § 25 Abs. 1 Fall 2 StGB für den durch die Verkäuferin als vorsatzloses Werkzeug begangenen Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) eines Kraftfahrzeugkäufers auf Ersatz der ihm aus dem Kauf des Pkws mit unzulässiger Abschalteinrichtung entstandenen Schäden (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Motorherstellerin hat den Käufer für den Ersatz seiner Schäden so stellen, wie wenn der auf Grund vorgenannten Täuschung erfolgte Kauf des Fahrzeugs sowie dessen Bezahlung, Übergabe und Übereignung unterblieben wären. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von Kaufpreis sind die aus der Nutzung des Fahrzeugs vom Zeitpunkt der Übergabe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gezogenen Vorteile abzuziehen, wobei der Abzug der Nutzungsentschädigung im Rahmen der Vorteilsanrechnung erfolgt. Dabei ist von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km auszugehen. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die bloße im September 2015 erfolgte ad-hoc-Mitteilung begründet eine Kenntnis oder Kennenmüssen des Käufers ebenso wenig wie die nachfolgende allgemeine Berichterstattung hierüber in den Medien – zumindest nicht innerhalb einer Karenzzeit, wofür dem Gericht nach umfassender Würdigung der Gesamtumstände 3 Monate angemessen erscheinen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, 7.629,00 € nebst Zinsen aus 20.200,00 € in Höhe von 4% seit dem 15.08.2013 bis 07.03.2019 und von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 08.03.2019, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrzeugidentifikationsnummer zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1. bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.%
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 38% und die Klagepartei zu 62%.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 20.200,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
A. – Zulässigkeit
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth insbesondere ergibt sich daraus, dass nach klägerischem Vortrag eine unerlaubte Handlung (Betrug in mittelbarer Täterschaft durch die Verkäuferin an deren Sitz) in Oberasbach begangen worden sein soll.
B. – Begründetheit
1. Der Klagepartei steht hingegen gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Satz 2 StGB zu.
Die Beklagte haftet als mittelbare Täterin gemäß § 25 Abs. 1 Fall 2 StGB für den durch die Verkäuferin als vorsatzloses Werkzeug begangenen Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) der Klagepartei auf Ersatz der ihr aus dem Kauf des streitgegenständlichen Pkw entstandenen Schäden (§ 823 Abs. 2 BGB).
a) In das streitgegenständliche Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Motor (EA 189) eingebaut worden, der eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist. Dies steht fest auf Grund des Bescheids des KBA vom 14.10.2015 bzw. 11.12.2015, auf den das KBA in seinem beklagtenseits als Anlage vorgelegten Schreiben Bezug nimmt. Zudem stellt ein Programm, das eine auf dem Prüfstand erhöhte Rückführung und Verbrennung von Abgasen (Modus 1) bei Fahrten auf öffentlichen Straßen abschaltet (Modus 0), eine Konstruktion dar, mit der eine wirksame Kontrolle und Einschränkung der im normalen Betrieb zu erwartenden Emissionen (hier: Stickoxide) verhindert wird.
b) Diese Tatsache war zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrags unstreitig weder der Klagepartei noch der Verkäuferin bekannt. Die Beklagte ist aber verpflichtet gewesen (§ 13 StGB), als Herstellerin des Motors über dessen (technische) Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben sowohl für den Erhalt der Typengenehmigung (Art. 4 Absatz 2 VO/EG 715/2007) das KBA als auch, weil dies unterblieben war, spätestens zum Zeitpunkt des vorliegenden Fahrzeugkaufs die entsprechenden Kraftfahrzeug-Händler davon zu unterrichten. Es bestand daher bei der Klagepartei ein von der Beklagten durch Verschweigen verursachter Irrtum über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
c) Mangels hinreichend konkreter Darlegungen der Beklagten ist davon auszugehen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter (vgl. § 31 BGB) der Beklagten die Anordnung traf, die streitgegenständliche Manipulationssoftware in den Motor EA 189 einzubauen und dies geheim zu halten. Genauere Feststellungen diesbezüglich sind aufgrund der Besonderheiten der streitgegenständlichen Problematik nicht erforderlich, genauerer Vortrag hinsichtlich der bei der Beklagten verantwortlichen Personen kann von der Klagepartei, die Verbraucher ist und keinerlei Kenntnisse über die Strukturen der Beklagten haben muss, nicht verlangt werden. Vielmehr ist es allein die Beklagte, die interne Ermittlungen durchführen lässt und Auskunft über die handelnden Personen geben könnte, was sie aber weder im vorliegenden Verfahren noch in anderen, dem Gericht bekannten gleichgelagerten Fällen tut. Ein Hinweis gemäß § 139 ZPO musste diesbezüglich nicht erfolgen, da die Beklagte mehrfach geäußert hat, Einzelheiten zu handelnden Personen nicht mitteilen zu wollen. Auch nach Hinweisen anderer Gerichte (vgl. LG Offenburg, Urt. v. 12.05.2017, Az. 6 O 119/166, BeckRS 2017, 109841) erfolgte kein konkretisierender Vortrag diesbezüglich. Die Beklagte trägt hinsichtlich ihrer Entscheidungsstrukturen im Hinblick auf die streitgegenständliche Problematik die sekundäre Darlegungslast, insbesondere hinsichtlich des behaupteten Umstands, dass die Entscheidung unterhalb der Vorstandsebene getroffen worden sei (vgl. LG Paderborn, Urt. v. 07.04.2017, Az. 2 O 118/16). Diese Behauptung ist ohne nähere Begründung nicht glaubhaft. Vielmehr spricht bereits eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Entscheidung mit dieser Tragweite (unstreitig sind von der streitgegenständlichen Problematik insgesamt mehr als 10 Millionen Fahrzeuge betroffen) nicht unterhalb der Vorstandsebene getroffen werden konnte. Hinzu kommt, dass angesichts der lange bekannten technischen Problematik, die Euro 5-Norm erfüllen zu müssen, ohne dass es gleichzeitig zu (nachteiligen) Leistungsänderungen oder Motorschäden kommt, für den Vorstand der Beklagten ein deutlicher Anlass zu einer genaueren Überprüfung der Abläufe in ihrem eigenen Unternehmen bei der Herstellung der Motoren bestanden hätte, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Mitarbeiter die Auflösung dieser technischen Problematik auf einmal gelungen war (vgl. LG Krefeld, Urt. v. 19.07.2017, Az. 7 O 147/16, BeckRS 2017, 117776).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH mit Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15. Insoweit unterscheidet die streitgegenständliche Thematik sich grundsätzlich von der Thematik des zitierten BGH-Urteils. So handelte es sich in diesem BGH-Urteil um einen Fall der Prospekthaftung (§ 826 BGB), wobei es wohl nur ein Vorstandsmitglied der dortigen Beklagten gegeben hat und der BGH den personellen Charakter der Haftung nach § 826 BGB betont. Vorliegend handelt es sich bei der Beklagten um einen großen Autokonzern, bei dem die Entscheidungsstrukturen für Außenstehende nicht einsehbar sind, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ i.S.d. § 31 BGB weit zu verstehen ist, so dass es sich nicht zwingend um ein Vorstandsmitglied handeln muss. Es genügt, dass ihm durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und er die juristische Person insoweit repräsentiert (Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 31 BGB, Rn. 6, m.w.N.). Hinzu kommt, dass auch nach BGH-Rechtsprechung die Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern der juristischen Personen jedenfalls im Rahmen der Arglist nicht logisch-stringent, sondern nur in wertender Betrachtung zu entscheiden ist (vgl. BGH NJW 1996, 1339, m.w.N.).
Daraus folgt, dass bereits aufgrund des bestehenden enormen Informationsgefälles zwischen den Kunden und der Beklagten diese jedenfalls im Rahmen der sekundären Darlegungslast (ggf. Zwischen-)Ergebnisse der internen Ermittlungen vorzutragen hat. Für die Beklagte wäre es möglich, die Entscheidungsstrukturen hinsichtlich der streitgegenständlichen Problematik so nachvollziehbar darzulegen, ohne einzelne Personen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, dass die oben geäußerte tatsächliche Vermutung widerlegt wird. Ein solcher Vortrag fehlt jedoch.
d) Der Abschluss des Kaufvertrags und die anschließende Zahlung des Kaufpreises durch die Klagepartei an die Verkäuferin stellte eine Vermögensverfügung dar, die zur Schadensentstehung führen kann und im Falle einer behördlichen Stilllegungsanordnung oder eines anderweitigen behördlich veranlassten Verlusts der Zulassung bzgl. des Fahrzeugs auch führen wird. Die Beklagte handelte in der Absicht, den Verkäufer als Dritten i.S.d. § 263 StGB zu bereichern. Die unmittelbare Drittbereicherung insoweit vorsatzloser Zwischenhändler stellt sich als notwendige Voraussetzung der Erlangung eines eigenen Vermögensvorteils dar, weil ohne diese kein breiter Vertrieb der Fahrzeuge möglich wäre (LG Krefeld, a.a.O.). Die Bereicherungsabsicht bestand hinsichtlich aller Personen, die das Fahrzeug schließlich in Verkehr bringen oder weiterverkaufen, unabhängig davon, ob es sich um Neu- oder Gebrauchtfahrzeuge handelte. Insbesondere war der Beklagten bewusst, dass die Fahrzeuge mit dem von ihr hergestellten Motor in der Regel mehrfach weiterverkauft werden. Die Beklagte muss die wirtschaftlichen Folgen der garantenpflichtwidrig unterlassenen Mitteilung über die streitgegenständliche Software ungeschehen machen, indem sie Schäden erstattet, die für das Vermögen der Klagepartei aus einer möglichen behördlichen Stilllegungsanordnung bzw. aus einem Verlust der Zulassung bzgl. des Fahrzeugs eintreten.
e) Der Klagepartei ist in Höhe des sich aus dem Tenor zu 1. ergebenden Betrages ein Schaden entstanden.
Die Beklagte hat die Klagepartei für den Ersatz ihrer Schäden so stellen, wie wenn der auf Grund vorgenannten Täuschung erfolgte Kauf des Fahrzeugs sowie dessen Bezahlung, Übergabe und Übereignung unterblieben wären (§ 249 Absatz 1 BGB).
aa) Daraus folgt zunächst, dass die Beklagte das Fahrzeug bei Erstattung des gezahlten Kaufpreises zurückzunehmen hat.
Die Klagepartei hat (nachvollziehbar) vorgetragen, sie hätte in Kenntnis der Abschalteinrichtung den Vertrag nicht geschlossen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es nach der BGH-Rechtsprechung ausreichend ist, wenn die Täuschung für die Vermögensverfügung des Getäuschten zumindest mitbestimmend war, sie muss also nicht alleinige Ursache sein (vgl. BGH, NStZ 1999, 558). Selbst wenn die Leistung der Beklagten objektiv werthaltig wäre, wäre ein Schaden des Käufers anzunehmen, wenn diese für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht voll brauchbar ist (vgl. LG Krefeld, a.a.O., m.w.N.). Dies ist vorliegend bereits deshalb der Fall, weil durch den Einsatz der Manipulationssoftware und die damit verbundene öffentliche Diskussion ein Weiterverkauf des Fahrzeugs nur unter Inkaufnahme eines nicht unerheblichen Preisnachlasses möglich ist, auch nach möglicher Durchführung des Software-Updates. Es liegt auch „Stoffgleichheit“ vor. Diese ist anzunehmen, wenn dieselbe Vermögensverfügung des Getäuschten, die den Täter oder einen Dritten bereichern soll, den Schaden unmittelbar herbeiführt, wobei ein der Höhe nach mit dem Schaden identischer Vorteil nicht vorausgesetzt wird (BGH, NJW 1988, 1397). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt: Der Erwerb des Fahrzeugs führte zur Schadensentstehung bei der Klagepartei und gleichzeitig zum Vermögensvorteil bei der Händlerin und auch im Ergebnis bei der Beklagten. Die Beklagte muss die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis gegen Herausgabe des PKWs erstattet (vgl. LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az. 3 O 139/16). Die Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs ergibt sich aus §§ 249 ff. BGB und entspricht im Ergebnis daher der der Rückabwicklung (vgl. BGH NJW 2011, 1962).
bb) Der der Klagepartei entstandene Schaden, der auch darin liegt, dass die Klagepartei täuschungsbedingt zum Erwerb eines so (offenkundig) nicht gewollten Fahrzeugs veranlasst wurde, und die damit verbundene Unsicherheit hinsichtlich der Werthaltigkeit des Fahrzeugs würde auch nicht nach Durchführung des von der Beklagten entwickelten Software-Updates entfallen. Die (technische) Tauglichkeit des Software-Updates ist umstritten. Das betrifft vor allem (etwaige) Schäden am Motor und dessen dauerhafte Haltbarkeit. Diese Gefahren sind durch die Bestätigung des KBA nicht ausgeschlossen. Nach den dortigen Angaben sind für die Fahrzeugklasse auch des streitgegenständlichen Fahrzeugs u.a. die Schadstoff- und Geräuschemissionen, unveränderte Leistung des Motors sowie Kraftstoffverbrauchswerte überprüft worden. Damit fehlt aber die für die Käufer der betroffenen Fahrzeuge entscheidende Aussage, dass auf Grund des Updates keine Schäden am Motor auftreten und er für die übliche Dauer halten werde. I.Ü. fehlen konkrete Angaben dazu, was genau geprüft wurde, also z.B. wie viele Fahrzeuge von einem Fahrzeugtyp, welche Vergleichswerte der Prüfung zugrunde lagen etc. Eine Garantie o.ä. hat die Beklagte außerdem bislang unstreitig nicht abgegeben. Die von der Beklagten inzwischen angebotenen „vertrauensbildenden Maßnahmen“ werden nur unter einer Vielzahl von Bedingungen gewährt (dies ist aus anderen Verfahren aus dem streitgegenständlichen Themenkomplex gerichtsbekannt), die enormes Streitpotential aufweisen und daher auch nicht als Garantie oder garantieähnliche Erklärung angesehen werden können. Eine verlässliche Erklärung der Beklagten, das Software-Update werde weder Schäden am Motor auslösen noch dessen Haltbarkeit verkürzen, wurde nicht vorgelegt. Eine Prüfung durch das KBA diesbezüglich erfolgte offenbar auch nicht, die Prüfung des KBA erfolgte nach dem Wortlaut des vorgelegten Schreibens im Hinblick darauf, ob die für die betroffenen Fahrzeuge vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet sei, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen. Dass durch das Software-Update keinerlei Schäden am Fahrzeug entstehen, ist daher nicht sichergestellt. Würde das Software-Update zu Folgeschäden am Fahrzeug (z.B. Motorschäden, höherer Verbrauch, verminderte Leistung) führen, wären dies keine neuen Sachmängel, sondern die Mangelbeseitigung wäre gescheitert, so dass es nicht zu einem neuen Gewährleistungsprogramm inkl. Verjährungsneubeginn käme (vgl. Reinking/Eggert: Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 692a, m.w.N.). Da es für die Käufer nicht absehbar ist, zu welchem Zeitpunkt mögliche Schäden auftreten können (was möglicherweise erst Jahre nach dem Software-Update erfolgt), hätten sie im Fall eines späteren Schadenseintritts keine Möglichkeit mehr, vom Vertrag zurückzutreten. Hinzu kommt, dass nach BGH-Rechtsprechung der Käufer die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass es sich um das erneute Auftreten des Mangels und nicht um unsachgemäße Behandlung nach erneuter Übernahme durch den Käufer handelt, wenn dies nach vorausgegangener Nachbesserung durch den Verkäufer ungeklärt bleibt (BGH NJW 2011, 1664, m.w.N.). Auch diesbezüglich besteht daher ein ganz erhebliches Kostenrisiko und auch keine Planungssicherheit für den Kläger. Soweit die Beklagte beantragt, zur Unschädlichkeit des Software-Updates für den Motor des Klägers ein Gutachten eines Sachverständigen zu erholen sowie Dirk Neumann als sachverständigen Zeugen zu vernehmen, muss die Klagepartei, die zur weiteren Verwendung ihres Fahrzeugs schnelle Gewissheit benötigt, solche sachverständigen Untersuchungen und Erläuterungen erst während eines gerichtlichen Verfahrens weder hinnehmen noch abwarten. Es ist auch davon auszugehen, dass die betroffenen Fahrzeuge – auch nach der Durchführung des Updates – einen geringeren Wiederverkaufswert haben, dies bereits aufgrund der Berichterstattung in den Medien und der auch aktuell bestehenden Rechtsunsicherheit z.B. hinsichtlich drohender (Teil) Fahrverbote für Dieselfahrzeuge.
cc) Vom Preis sind die aus der Nutzung des Fahrzeugs vom Zeitpunkt der Übergabe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gezogenen Vorteile abzuziehen, wobei der Abzug der Nutzungsentschädigung im Rahmen der Vorteilsanrechnung erfolgt (vgl. BGH NJW 2015, 3160 zur Zug-um-Zug-Verurteilung bei fehlender Gleichartigkeit zwischen Ersatzanspruch und Vorteil). Die Nutzungsentschädigung errechnet sich für das streitgegenständliche Fahrzeug aus der Multiplikation des Kaufpreises (brutto) mit der von der Klagepartei zurück gelegten Fahrstrecke geteilt durch die beim Kauf zu erwartende restliche Laufleistung. Dazu schätzt das Gericht die für das Fahrzeug zu erwartende gesamte Laufleistung auf 300.000 km, im Zeitpunkt des Kaufs also noch 252.300 km. Dem klägerischen Vortrag zu dem für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Kilometerstand von 204.713 km ist die Beklagtenseite nicht entgegengetreten. Daraus folgen gezogene Nutzungen von 12.571,00 €. Diese sind mit dem zu erstattenden Kaufpreis zu saldieren.
dd) Die Zinsentscheidung hinsichtlich dieses Anspruchs ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB, wobei Verzugsbeginn bereits mit dem Tattag des vorliegenden Delikts, spätestens also mit dem hier beantragten Verzinsungsdatum, unabhängig von einer Mahnung eintritt, da sich dieser Anspruch auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB ergibt. Gem. § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB ist der Verzugseintritt im Falle besonderer Gründe unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ausnahmsweise auch ohne Mahnung möglich. Um einen solchen besonderen Fall handelt es sich im Falle der Geltendmachung von Schäden, die aus einer unerlaubten Handlung beziehungsweise einer Schutzgesetzverletzung erwachsen. Der so Handelnde unterfällt nicht dem Schutzzweck des § 286 Abs. 1 BGB, der darin besteht, den säumigen Schuldner an seine Zahlungspflicht zu erinnern. Dass § 849 BGB eine Verzinsung des zu ersetzenden Betrages ohne Mahnung nur bei der Entziehung oder Beschädigung einer Sache eintreten lässt, steht dem nicht entgegen (a.A. LG Saarbrücken, BeckRS 2017, 120402), denn § 849 BGB ist insoweit nicht abschließend, sondern als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgedankens zu verstehen (BGH NJW-RR 2008, 918; Palandt/Grüneberg Rn. 25; MüKoBGB/Ernst BGB § 286 Rn. 70; BeckOK BGB/Lorenz BGB § 286 Rn. 37).
f) Der Anspruch ist auch nicht verjährt.
Für deliktische Schadensersatzansprüche gilt grundsätzlich die dreijährige Verjährungsfrist der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Verjährungsbeginn ist damit der Schluss des Jahres, in dem (1.) der Anspruch entstanden ist und (2.) der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Kenntniserlangung und des Kennenmüssens ist der Schuldner primär darlegungsbelastet. Den Zeitpunkt der Kenntniserlangung und des Kennenmüssens trägt die Beklagte aber bereits nicht schlüssig vor. Weder trägt sie vor, dass die Klagepartei tatsächlich positive Kenntnis der Klagepartei von den technischen Abläufen der Umschaltlogik der Software (in Grundzügen) und davon, dass diese tatsächlich auch in ihrem Fahrzeug vorlag, hatte, noch ist ihr Vortrag schlüssig, dass die Klagepartei hiervon Kenntnis hätte haben müssen. Das wäre etwa der Fall, wenn die Beklagte die Klagepartei als Halter konkret und individuell angeschrieben und über die streitgegenständliche Motorsteuerungssoftware und deren Umschaltlogik informiert hätte.
Die bloße im September 2015 erfolgte ad-hoc-Mitteilung, wie sie im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) geregelt war und zwischenzeitlich auf der in der europarechtlichen Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) beruht, begründet eine Kenntnis oder Kennenmüssen des Käufers ebenso wenig wie die nachfolgende allgemeine Berichterstattung hierüber in den Medien – zumindest nicht innerhalb einer Karenzzeit, wofür dem Gericht nach umfassender Würdigung der Gesamtumstände 3 Monate angemessen erscheinen. Dem Eigentümer oder Halter eines Fahrzeugs obliegt nämlich nicht, sich nach Erwerb noch laufend über die Zulassungsfähigkeit seines Fahrzeugs zu informieren. Auch obliegt ihm/ihr nicht, im Übrigen allgemeine Nachrichten zu konsumieren und hieraus Rückschlüsse über die Zulassungsfähigkeit seines in der Vergangenheit erworbenen Fahrzeugs zu schließen. Zwar mag die allgemeine Debatte über die Thematik per se sehr breit geführt worden sein. Der Eigentümer oder Halter eines Fahrzeugs verstößt jedoch nicht gegen eine allgemein übliche Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, wenn er sich von der allgemeinen Nachrichtenlage abkoppelt. Eine Obliegenheit zum Nachrichtenkonsum würde insoweit auch gegen das Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) verstoßen.
Ob, wie die Beklagte weiterhin argumentiert, eine zwischenzeitliche Anmeldung zur Musterfeststellungsklage zur Verjährungshemmung rechtsmissbräuchlich sei, kann hier daher dahinstehen.
2. Der klägerische Antrag auf Feststellung von Annahmeverzug ist hinsichtlich der Beklagten begründet, da sich diese mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug gemäß § 293 BGB befindet.
Das Schreiben der anwaltlich Bevollmächtigten der Klagepartei an die Beklagte mit der Aufforderung zur Erstattung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKWs erfüllt die Anforderungen des § 295 BGB an ein wörtliches Angebot. Insbesondere war die eigene Schuld der Klagepartei zu Übereignung und Übergabe des PKWs an deren Wohnsitz zu erfüllen. Spätestens mit Ablauf der mit anwaltlichem Schreiben gesetzten Frist, geriet die Beklagte damit Annahmeverzug.
3. Der Klagepartei steht gegen die Beklagten jedoch kein Anspruch auf Freistellung hinsichtlich der beantragten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.
Beklagtenseits wurde insofern zu Recht die Aktivlegitimation bestritten. Aus dem Umstand, dass der Kostenvorschuss vor Klagezustellung durch die IDEAL Versicherung einbezahlt wurde, ergibt sich, dass die Klagepartei rechtsschutzversichert ist. Gemäß § 86 VVG gehen Schadensersatzansprüche auf die Rechtsschutzversicherung über. Der Klagepartei fehlt insoweit auch hinsichtlich eines Freistellungsanspruchs die Aktivlegitimation. Dass die Klagepartei durch die Rechtsschutzversicherung etwa zur Geltendmachung gegenüber der Beklagten ermächtigt worden ist, trägt die Klagepartei nicht vor.
Ein Hinweis gem. § 139 ZPO konnte insoweit unterbleiben, da von der Hinweispflicht gem. § 139 ZPO bloße Nebenforderungen i.S.d. § 4 Abs. 1, 2. Halbs., die den Betrag der Hauptforderung nicht übersteigen (Früchte, Nutzungen, Zinsen, Kosten) ausgenommen sind (Musielak/Voit ZPO/Heinrich ZPO § 4 Rn. 16).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1 ZPO und entspricht dem anteiligen Unterliegen der jeweils kostenbelasteten Partei.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.
C.
Der Streitwert war entsprechend der klägerseitigen Bewertung des Zahlungsantrags festzusetzen. Nebenforderungen bleiben außer Betracht. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (BGH NJW-RR 2010, 1295; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2016, Az. I-22 U 84/16, BeckRS 2016, 118018; OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 1213).


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