IT- und Medienrecht

Anspruch aus § 852 BGB bei verjährtem Anspruch aus § 826 BGB für vom VW-Diesel-Abgasskandal betroffenes Neufahrzeug

Aktenzeichen  3 U 1705/21

Datum:
27.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28126
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 195, § 199, § 214, § 249, § 812 Abs. 1 S. 1, § 818, § 826, § 852
ZPO § 287

 

Leitsatz

1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten “Diesel-Fällen” vgl. auch OLG Stuttgart BeckRS 2021, 5075; LG Regensburg BeckRS 2021, 24604; LG Landshut BeckRS 2021, 3479; LG Hildesheim BeckRS 2020, 35828; BeckRS 2021, 4473; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2021, 4493; BeckRS 2021, 10581; OLG Oldenburg, BeckRS 2021, 10558; aA LG München I BeckRS 2021, 1049 zum Gebrauchtwagenkauf; LG Osnabrück BeckRS 2021, 4305; offen gelassen von BGH BeckRS 2020, 37753. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass – nach Aufspielen des von VW entwickelten Software-Updates – durch eine temperaturabhängige Steuerung das Emissionskontrollsystem bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für VW handelnden Personen ein (eigenständiges) sittenwidriges Gepräge zu geben. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Kauf eines Neuwagens bei einem Vertragshändler erhält der Hersteller den Kaufpreis oder das wirtschaftliche Äquivalent auf Kosten des Endkunden; anders ist dies bei Gebrauchtwagenkäufen, da sich dort die relevante Vermögensverschiebung, auf die im Rahmen des § 852 BGB abzustellen ist, nicht zwischen Gebrauchtwagenkäufer und Hersteller vollzieht, sondern bereits im Rahmen des ersten Kaufes zwischen Neuwagenkäufer und Hersteller. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da § 852 S. 1 BGB eine Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht darstellt, bewirkt die Vorschrift eine Beschränkung des verjährten deliktischen Anspruchs „auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte“; es findet somit eine doppelte Deckelung statt, zum einen durch den verjährten Schadensersatzanspruch zum anderen durch das erlangte Etwas. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

27 O 9470/20 2021-03-15 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15.03.2021, Az. 27 O 9470/20, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: 1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 17.470,92 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.06.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges VW Golf mit der FIN …214.
1) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges VW Golf mit der FIN …214 seit dem 24.06.2020 in Annahmeverzug befindet.
1) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 526,58 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.06.2020 zu bezahlen.
1) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 19.598,36 festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin des von dem Kläger erworbenen Pkw VW Golf Variant Schadensersatz infolge des Einbaus einer abgasbeeinflussenden Software in die Motorsteuerung des Fahrzeuges.
Der Kläger erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug am 17.08.2012 vom V-Zentrum P., das unter anderem Neufahrzeuge der VW AG als Vertragshändler vertreibt, zu einem Kaufpreis von € 27.546,99. Es handelte sich um einen Neuwagen, der im Kaufzeitpunkt einen Kilometerstand von 12 aufwies und mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet ist. Das Fahrzeug wurde übergeben, der Kaufpreis vom Kläger bezahlt und an die Beklagte weitergeleitet.
Das Fahrzeug ist vom sogenannten Abgasskandal betroffen, da in ihm eine Software verbaut ist, welche bewirkt, dass es im Abgasrückführungsmodus 1, der im NEFZ aktiv ist, zu einer höheren Abgasrückführungsrate kommt. Die vom Motorhersteller installierte Software, die für die Abgaskontrollanlage zuständig ist, erkennt dabei die Prüfungssituation durch ein unnatürliches Fahrverhalten. Bei diesen Bedingungen ist die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenig Stickoxide entstehen. Im normalen Fahrbetrieb hingegen sind die Abgasaufbereitung und -rückführung so gestaltet, dass die Stickoxid-Emissionen erheblich höher sind. Das Fahrzeug wurde in die Schadstoffklasse Euro 5 eingeordnet, da die nach dieser Abgasnorm geltenden Stickoxid-Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Am 22.09.2015 gab die Beklage eine Ad-hoc-Mittelung heraus, in der sie auf Unregelmäßigkeiten bei der Steuerungssoftware von Diesel-Motoren hinwies. Durch das Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) wurde mit Bescheid vom 15.10.2015 dieses Programm als unzulässige Abschalteinrichtung eingeordnet, zugleich wurde durch das KBA eine nachträgliche Nebenbestimmung für die jeweils erteilte Typengenehmigung angeordnet, dergestalt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Im Jahr 2016 wurde der Kläger über den Rückrufbescheid informiert und aufgefordert, ein Software-Update durchführen zu lassen.
Am Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig (Az 4 MK 1/18) hat sich der Kläger nicht beteiligt.
Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wies das Fahrzeug einen Kilometerstrand von 91.452 auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat dem Kläger einen Anspruch aus § 852 BGB zugesprochen und die Beklagte zur Bezahlung von € 19.598,36 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt sowie die Feststellung ausgesprochen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet und die Beklagte zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von € 582,67 verurteilt. Die Nutzungsentschädigung wurde dabei basierend auf einer Gesamtlaufzeit von 300.000 km berechnet. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Ein Anspruch aus § 852 S. 1 BGB sei ausgeschlossen, weil dem Kläger kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Die Vorschrift sei zudem aufgrund teleologischer Reduktion nicht auf Käufer anzuwenden, die ihre Ansprüche zum Musterfeststellungsverfahren hätten anmelden können, da sie nur auf Konstellationen mit besonderem Prozessrisiko anwendbar sei. Ein solches Risiko habe wegen des gerade für die streitgegenständlichen Ansprüche geschaffenen Musterfeststellungsverfahrens nicht bestanden. Die Vorschrift sei jedenfalls ausgeschlossen in Konstellationen, in denen das Absatzrisiko im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags des Klägers nicht mehr bei der Beklagten gelegen habe, wie beim Kauf von Gebrauchtwagen, Re-Importen, Leasingfahrzeugen oder Vorführfahrzeugen. Im Hinblick auf die Rechtsfolge sei ein eventueller Anspruch aus § 852 BGB darauf beschränkt, was die Beklagte auf Kosten des Käufers erlangt habe. Dies könne vorliegend nur der Gewinn aus dem Fahrzeugverkauf sein, da § 852 BGB auf Gewinnabschöpfung angelegt sei. Richtigerweise sei dabei das Erlangte auf € 93 beschränkt, der Betrag, den die Beklagte für die Umrüstung pro betroffenem Fahrzeug aufgewandt habe. Der durchschnittliche Gewinn pro VW-Fahrzeug habe in den Jahren 2012 bis 2015 bei € 600 gelegen. Zudem sei ein Anspruch aus § 852 BGB um diverse bereicherungsmindernde Abzugskosten zu reduzieren, insbesondere die Kosten für die Entfernung der Umschaltlogik. Dem stehe eine eventuell anzunehmende Bösgläubigkeit der Beklagten nicht entgegen. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls seien Aufwendungen der Beklagten für Schadensbegrenzung, -beseitigung und -abwicklung anteilig in Abzug zu bringen.
Darüber hinaus sei das klägerseits in der Berufung geltend gemachte Thermofenster nicht als unerlaubte Abschalteinrichtung anzusehen.
Die Beklagte beantragt (Bl. 140),
das am 15.03.2021 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Az. 27 O 9470/20, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Der Kläger beantragt (Bl. 171),
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und schließt sich dessen Ausführungen an.
Die mündliche Verhandlung fand am 26.07.2021 statt. Hinsichtlich des Inhalts und Ergebnisses wird auf das Protokoll (Bl. 174/176) Bezug genommen.
Ergänzend darf auf die von den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen werden.
II.
Die zulässige Berufung ist weitgehend unbegründet. Das landgerichtliche Urteil ist mit Ausnahme der Berechnung der Nutzungsentschädigung zutreffend.
1. Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020, Az. VI ZR 252/19).
1) Das Verhalten der Beklagten ist im Verhältnis zum Kläger objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Sie hat durch die strategische Unternehmensentscheidung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Gewinnstreben die Arglosigkeit ihrer Kunden systematisch und über Jahre ausgenutzt. Ein solches Vorgehen verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint, unabhängig davon, ob sich der einzelne Käufer konkrete Vorstellungen über die Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung und die Erfüllung der gesetzlichen Abgasgrenzwerte gemacht hat (BGH aaO, Rz. 23). Die unzweifelhaft vorhandene Kenntnis des vormaligen Leiters der Entwicklungsabteilung und des verantwortlichen vormaligen Vorstands von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung muss sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen lassen (BGH aaO, Rz. 29 ff).
1) Der Kläger hat das streitgegenständliche Dieselfahrzeug im August 2012 gekauft und damit vor dem öffentlichen Bekanntwerden des „Dieselskandals“ am 22.09.2015 (zur Maßgeblichkeit dieses Stichtags vergleiche BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az VI ZR 5/20).
1) Die Höhe des Schadensersatzes, der Zug um Zug gegen Weggabe des Fahrzeugs zu zahlen ist, errechnet sich aus dem Kaufpreis abzüglich Nutzungsersatz. Der Senat schätzt in diesem Zusammenhang die Laufleistung eines Diesel-Pkw mit einem Motor EA 189 nach § 287 ZPO auf 250.000 km. Eine darüber hinausgehende Laufleistung resultiert bei wirtschaftlicher Betrachtung regelmäßig nicht aus dem ursprünglichen Kauf, sondern aus späteren Investitionen in das Fahrzeug insbesondere in Form von Reparaturen und Instandhaltungen.
Da das Fahrzeug im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen geringeren Kilometerstand als 250.000 aufweist, wird der vom Kaufpreis abzuziehende Nutzungsersatz nach folgender Formel berechnet: x * y / z. Dabei sind:
x: Kaufpreis.
y: Von der Klagepartei genutzte km.
z: 250.000 (ggf. abzüglich Kilometerstand bei Erwerb) .
Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung wies der von dem Kläger als Neuwagen mit 12 km gekaufte VW Golf einen Kilometerstand von 91.452 auf. Dies ergibt nach obiger Formel eine Nutzungsentschädigung in Höhe von € 10.076,07, die im Rahmen der Schadensberechnung als Vorteilsausgleich vom Kaufpreis abzuziehen ist.
Im Ergebnis ist somit ein Schadensersatzanspruch in Höhe von € 17.470,92 entstanden, Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des Fahrzeugs aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte.
2. Dem Anspruch aus § 826 BGB steht jedoch gemäß § 214 BGB die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen, so dass die Beklagte die Leistung verweigern kann.
2) Die Beklagte hat mit der Klageerwiderung vom 22.09.2020 (Bl. 34) die Einrede der Verjährung erhoben.
2) Die Verjährungsfrist ist mit Schluss des Jahres 2019 abgelaufen, so dass die am 26.07.2020 eingereichte Klage die Verjährung nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen konnte. Im Unterschied zu dem vom BGH am 29.07.2021, VI ZR 1118/20, entschiedenen Fall wurde vorliegend die Klage erst im Jahr 2020 erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch bereits verjährt, ohne dass es dabei auf die Frage einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers noch im Jahr 2015 ankommt. Dem Kläger wurde im Jahr 2016 das Rückrufschreiben der Beklagten mit der Aufforderung zur Aufspielung des Software-Updates übermittelt. Damit wurde der Kläger auf Probleme mit der Abgasbehandlung im Dieselmotor seines Fahrzeugs ausdrücklich hingewiesen. Dass die Beklagte in diesem Rückrufschreiben die Manipulation nicht ausdrücklich einräumt, ist für den Verjährungsbeginn unerheblich. Der Kläger wusste ab diesem Zeitpunkt von einem Rückrufbescheid und von Unregelmäßigkeiten bei der Abgasbehandlung in seinem Fahrzeug. Eine Kenntnis aller notwendigen Details oder gar die Einräumung der Haftung durch die Beklagte ist für den Verjährungsbeginn nicht erforderlich. Ebensowenig ist es notwendig, dass ein etwaiger Gerichtsprozess für den Käufer risikolos ist (BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20). Mangels Anmeldung zur Musterfeststellungsklage kommt auch eine darauf basierende Verjährungshemmung nicht in Betracht. Die dreijährige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 BGB begann somit mit dem Schluss des Jahres 2016 und endete mit dem Schluss des Jahres 2019.
2) Ein Anspruch aus § 826 BGB aufgrund des Software-Updates existiert nicht. Der Kläger stellt zusätzlich darauf ab, dass maßgeblich für den Schadensersatzanspruch nicht die Prüfstanderkennung in dem ursprünglich hergestellten Motor sei, sondern vielmehr die Beklagte durch das Aufspielen des Updates eine neue vorsätzliche sittenwidrige Handlung begangen habe, in dem in diesem Update eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters installiert worden sei. Das von der Klagepartei inkriminierte Thermofenster ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., s. nur BGH ZIP 2020, 1715 Rn. 29; ZIP 2020, 1179 Rn. 15; NJW 2019, 2164 Rn. 8; NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH ZIP 2020, 1715 Rn. 29; ZIP 2020, 1179 Rn. 15; NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH ZIP 2020, 1715 Rn. 29; ZIP 2020, 1179 Rn. 15; NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN).
Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – Az.: VI ZR 433/19).
3. Dem Kläger steht allerdings der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB trotz Verjährung aufgrund der Regelung des § 852 BGB zu. Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des 10. Senats des Oberlandesgerichts Stuttgart im Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, an.
3) Die Rechtsnatur des § 852 BGB ist umstritten, sie kann vorliegend aber offen bleiben. Vertreten wird, dass es sich bei § 852 BGB um eine „Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung“ (BGH, NJW 1978, 1377, zur Rechtslage vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz), einen sonstigen Rechtsbehelf (MükoBGB/Wagner, § 852, Rz. 3) oder eine eigene Anspruchsgrundlage handelt (zum Diskussionsstand siehe Bruns, Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121). Jedenfalls „verlängert“ § 852 BGB einen bestehenden deliktischen Anspruch in die verjährte Zeit hinein. Der Streitgegenstand dieses „Restschadensersatzanspruches“ entspricht dem des deliktischen Anspruchs, so dass eine Prüfung nur den Vortrag der Klagepartei voraussetzt, die Beklagtenpartei habe aufgrund der deliktischen Handlung etwas erlangt. Der Kläger hat unbestritten vorgetragen, dass die Beklagte den vollen Kaufpreis erlangt hat.
3) Die Vorschrift des § 852 BGB ist auf die vorliegende Konstellation grundsätzlich anwendbar: 3) Der Anwendung des § 852 BGB steht nicht entgegen, dass der Kläger das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten, sondern über einen Vertragshändler erworben hat. Der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB setzt voraus, dass der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Verletzten erlangt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Formulierung „auf Kosten“ in § 852 S. 1 BGB (der § 852 Abs. 3 BGB in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung entspricht) nicht identisch mit der in § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, da es sich nicht um eine Rechtsgrund-, sondern um eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Danach behält der Bereicherungsanspruch des § 852 Abs. 3 BGB die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen. Er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt. § 852 S. 1 BGB enthält somit eine Regelung des Umfangs der deliktischen Verschuldenshaftung. Aus der Verwendung der Worte „auf Kosten … erlangt“ kann nicht hergeleitet werden, dass die Voraussetzungen der Bereicherungshaftung den §§ 812 ff. BGB zu entnehmen sind. Würde man das Merkmal „auf Kosten … erlangt“ in § 852 BGB analog der Eingriffskondiktion in § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB zur Bestimmung des Zuweisungsgehalts der rechtlich geschützten Position begreifen und nur unmittelbare Vermögensverschiebungen akzeptieren, würde das den Zweck des § 852 BGB konterkarieren, wonach derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung einen anderen geschädigt und dadurch sein eigenes Vermögen vermehrt hat, nicht im Genuss dieses unrechtmäßig erlangten Vorteils bleiben soll (BGH, Urteil vom 14. 02.1978, X ZR 19/76 Fahrradgepäckträger II). Die Vermögensverschiebung muss sich daher nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen. Der Begriff „auf Kosten (…) erlangt“ stellt in § 852 S. 1 BGB auf die Handlung ab, durch die die Vermögensverschiebung bewirkt worden ist. Da es eine unerlaubte Handlung war, kommt es nicht darauf an, auf welchem Wege sich die dadurch veranlasste Vermögensverschiebung vollzogen hat (BGH aaO).
Der Kläger hat vorliegend einen Neuwagen bei einem Vertragshändler der Beklagten gekauft. In einem solchen Fall erhält die Beklagte den Kaufpreis oder das wirtschaftliche Äquivalent. Dies geschieht auf Kosten des Endkunden und nicht auf Kosten des Händlers, den in diesem Fall kein Absatzrisiko trifft. Anders ist dies bei Gebrauchtwagenkäufen. Dort vollzieht sich die relevante Vermögensverschiebung auch bei der vom BGH betonten „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ (BGH aaO, Rn 63 bei juris) nicht zwischen Gebrauchtwagenkäufer und Hersteller, sondern bereits im Rahmen des ersten Kaufes zwischen Neuwagenkäufer und Hersteller. Der Gebrauchtwagenkäufer ist zwar Geschädigter im Sinne des § 826 BGB (BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962), der ihm durch Abschluss des aufgrund falscher Vorstellungen über die Eigenschaften des Fahrzeugs unerwünschten Kaufvertrags entstandene Schaden steht aber außerhalb der durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zugunsten der Beklagten in Gang gesetzten Vermögensverschiebung, auf die im Rahmen des § 852 BGB abzustellen ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, Rz. 42). Ob in Fällen des Leasings, des Re-Imports oder eines Vorführwagens ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB gegen die Beklagte in Frage kommt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
3) Die Anwendung des § 852 S. 1 BGB kann nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass der Kläger durch die dem Anspruch aus § 826 BGB zugrunde liegende deliktische Handlung keinen wirtschaftlichen Schaden erlitten habe (so aber OLG Oldenburg Hinweisbeschl. gem. § 522 II ZPO v. 5.1.2021 – 2 U 168/20, BeckRS 2021, 1641). Diese Ansicht stützt sich darauf, dass der Schaden des Fahrzeugkäufers gemäß der Grundsatzentscheidung des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, nicht in einem wirtschaftlichen Minus, sondern in einer ungewollten Verbindlichkeit bestehe. Diese Argumentation überzeugt im Lichte der Rechtsprechung des BGH nicht. Stellt die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit einen Schaden gemäß § 826 BGB dar, so ist kein Grund ersichtlich, dies im Rahmen des § 852 BGB abweichend zu beurteilen. § 852 BGB verlängert den deliktischen Anspruch in die verjährte Zeit hinein, an den Haftungsvoraussetzungen des § 826 BGB ändert § 852 BGB nichts. Die Rechtsfolgen des § 852 BGB sind dem Bereicherungsrecht zu entnehmen, das ebensowenig einen (noch) wirtschaftlichen Schaden beim Geschädigten fordert.
3) Die Anwendung des § 852 BGB ist nicht aufgrund einer teleologischen Reduktion der Vorschrift ausgeschlossen.
Die Beklagte beruft sich auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens von Martinek (vorgelegt als „Beilage § 852 BGB“) darauf, dass aufgrund einer teleologischen Reduktion § 852 BGB nur anwendbar sei auf Konstellationen mit besonderem Prozessrisiko; ein solches habe wegen der gerade für diese Fälle geschaffenen Musterfeststellungsklage hier nicht bestanden. Diese Auffassung wird damit begründet, dass im Zusammenhang mit der Schuldrechtsreform die Abschaffung dieser Regelung (§ 852 Abs. 3 BGB aF) erwogen worden sei. Sie sei aber aufrechterhalten worden wegen ihrer zeitlichen Begünstigungsfunktion. Die „einzigartige Besonderheit“ im vorliegenden Fall liege darin, dass die Musterfeststellungsklage zielgerichtet darauf angelegt worden sei, gerade den Prozesskostenrisiken potenzieller Anspruchsteller und Kläger sowie den Unsicherheiten der Informationslage angesichts der drohenden Verjährung zu begegnen (Gutachten Martinek Seite 29 ff). Das Gesetz sei am 1.11.2018 in Kraft getreten, um einer Verjährung zuvor zu kommen.
Im Zusammenhang mit der Reform des Verjährungsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts wurde die Aufhebung des damaligen § 852 Abs. 3 BGB aF diskutiert, aber letztlich verworfen. In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt (BT-Drs. 14/6040, 270):
„Bedeutung erlangt der deliktische Bereicherungsanspruch beispielsweise in dem Fall, dass der Dieb nach seiner Festnahme behauptet, das Diebesgut „versetzt“ und den Erlös verbraucht zu haben, oder in dem Fall, dass ein Lösegelderpresser behauptet, das Lösegeld auf seiner Flucht „verjubelt“ zu haben. Der Gläubiger kann dann auch nach der Verjährung des Schadensersatzanspruchs innerhalb der zehnjährigen Verjährungsfrist für den deliktischen Bereicherungsanspruch entscheiden, ob er den Bekundungen des Täters Glauben schenken oder ihn auf Herausgabe der Bereicherung verklagen möchte. Es hat sich zudem gezeigt, dass die Beibehaltung des Bereicherungsanspruchs bei deliktsähnlichen Verletzungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums erforderlich ist (s. die Erläuterungen zur Änderung des Patent-, Gebrauchsmuster-, Marken-, Halbleiterschutz-, Urheberrechts-, Geschmacksmuster- und Sortenschutzgesetzes). Daher soll der Bereicherungsanspruch auch für die §§ 823 ff. fortbestehen.“
Die Argumentation der Beklagten stützt sich darauf, § 852 BGB sei angesichts dieser Gesetzesbegründung zu weit formuliert, da es an einem einschränkenden Tatbestandsmerkmal fehle, das den vom Gesetzgeber bei Aufrechterhaltung der Norm verfolgten Zweck berücksichtige. Da es im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage kein Prozesskostenrisiko gegeben habe, das einen Käufer davon hätte abhalten können, bis spätestens 2018 seinen Anspruch zu verfolgen oder zumindest eine Hemmung der Verjährung zu bewirken, müsse die Norm dahingehend teleologisch reduziert werden, dass sie jedenfalls bei Käufern, die sich der Musterfeststellungsklage hätten anschließen können, nicht anwendbar sei.
Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Sie steht im diametralen Gegensatz zur Intention des Gesetzgebers bei Einführung der Musterfeststellungsklage, deren Ziel es – neben der Effektivierung des gerichtlichen Verfahrens – insbesondere war, dem Verbraucher eine zusätzliche leicht handhabbare und niederschwellige Klagealternative zu bieten, um dem vor allem bei geringen Schäden in der Gesetzesbegründung so bezeichneten „rationalen Desinteresse“ entgegenzuwirken (Gesetzesbegründung zum Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, BT-Drs. 19/2439, S. 1). Keinesfalls hat der Gesetzgeber beabsichtigt, mit der Einführung der Musterfeststellungsklage bestehende Rechte der Verbraucher zu beschränken. Es kann für den Verbraucher gute Gründe geben, den Anspruch per Individualklage zu verfolgen und sich nicht vom Engagement und Verhandlungsgeschick Dritter abhängig zu machen, auf die der Verbraucher keinen Einfluss hat. Hinzu kommt, dass es zwar zutreffend ist, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung des § 852 Abs. 3 BGB aF damit begründete, dass die Regelung in Fällen Bedeutung erlange, in denen im Hinblick auf das Bestehen des Anspruchs oder die Solvenz des Schuldners eine Klage innerhalb der Verjährungsfrist mit Risiken verbunden wäre. Anhaltspunkte dafür, dass diese Begünstigung des Geschädigten nur dann eingreifen soll, wenn ein solches Risiko auch tatsächlich besteht, ergeben sich jedoch weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung.
Da somit schon nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Wortlaut zu weit gefasst ist, besteht keinerlei Notwendigkeit für eine teleologische Reduktion der Norm. Es ist der Beklagten unbenommen zu versuchen, durch die Finanzierung von Auftragsgutachten, zweifelhafte Rechtsansichten „wissenschaftlich“ zu untermauern. Es ist allerdings den Gerichten ebenso unbenommen, sich diesen Ansichten nicht anzuschließen.
3) Dem Kläger steht gemäß §§ 826, 852, 812 BGB ein Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu.
3) Da § 852 S. 1 BGB eine Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht darstellt (vgl. nur BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 15), bewirkt die Vorschrift eine Beschränkung des verjährten deliktischen Anspruchs „auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte“ (BGH 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 20). Es findet somit eine doppelte Deckelung statt, zum einen durch den verjährten Schadensersatzanspruch zum anderen durch das erlangte Etwas. Daher ist zunächst die Höhe des verjährten Anspruchs aus § 826 BGB festzustellen und danach, was die Beklagte durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten erlangt hat.
3) Die Höhe des Anspruchs aus § 826 BGB ergibt sich aus den Ausführungen unter Ziff. 1. Dabei ist auch der nach Eintritt der Verjährung entstehende Nutzungsvorteil zu berücksichtigen. Denn hätte die Beklagte sich nicht auf die Einrede der Verjährung berufen, wären bei der Schadensberechnung die bis zur Rückabwicklung durch Herausgabe des Fahrzeugs gezogenen Nutzungen zu berücksichtigen. Dass die Beklagte sich auf die Einrede der Verjährung berufen hat, kann nicht zur Erhöhung des Anspruchs führen, da die Vorschrift eine Beschränkung des verjährten deliktischen Anspruchs auf das durch den Schädiger Erlangte bewirkt (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 20) und damit keine Erweiterung des Anspruchs zulässt. Der verjährte Schadensersatzanspruch beträgt somit € 17.470,92, Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des Fahrzeugs
3) Als erlangt in diesem Sinne ist vorliegend der Kaufpreis anzusehen, den die Beklagte aus der Veräußerung des Fahrzeugs erzielt hat.
Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten, ob im Rahmen des § 852 BGB als „erlangtes Etwas“ der Kaufpreis (so OLG Stuttgart, 10. Senat, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20; OLG Oldenburg, Urteil vom 22.04.2021, 14 U 22/20) oder ein eventueller Gewinn (OLG Stuttgart, 9. Senat, Urteil vom 10.02.2021, 9 U 402/20, OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2021, 23 U 143/20) anzusehen ist.
Richtigerweise ist auf den Kaufpreis abzustellen. Dies ergibt sich dogmatisch aus dem Verweis des § 852 BGB auf die bereicherungsrechtlichen Vorschriften. Die Verpflichtung des Bereicherungsschuldners besteht darin, das erlangte Etwas, also exakt jenen Vorteil herauszugeben, der ihm zugeflossen ist. Es ist eben gerade nicht – anders als im Schadensersatzrecht – eine vermögensorientierte Differenzhypothese aufzustellen. Einfach ausgedrückt lautet die richtige Frage im Bereicherungsrecht: „Was habe ich bekommen?“. Die Frage „Was hat es mir gebracht?“ stellt sich erst auf der Ebene des Haftungsumfangs nach § 818 BGB (MüKoBGB/Schwab, 8. Auflage 2020, § 812, Rz. 1).
(1) Sinn und Zweck des § 852 BGB ist, dass der Deliktsschuldner nicht besser stehen sollte als der Empfänger einer Nichtschuld vom Zeitpunkt seiner Bösgläubigkeit an (Staudinger/Hager, § 852, Rz. 1). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, den deliktischen Schuldner im Hinblick auf die Rechtsfolge gegenüber dem bösgläubigen Nichtschuldner zu privilegieren, indem er dem Deliktsschuldner systemwidrig erlaubte, bereits bei Ermittlung des erlangten Etwas eine Saldierung in Form der Gewinnermittlung vorzunehmen. Dafür finden sich weder in der Gesetzesbegründung noch im Wortlaut der Vorschrift Anhaltspunkte. Ganz im Gegenteil hat sich der Gesetzgeber durch den insoweit eindeutigen Wortlaut entschieden, das Rückabwicklungsregime des Bereicherungsrechts zur Anwendung zu bringen. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, dies anders zu regeln und z.B. hinsichtlich der Rechtsfolgen auf die schadensersatzrechtlichen Vorschriften der §§ 249 BGB zu verweisen. Dies ist jedoch nicht erfolgt, die diesbezügliche gesetzgeberische Entscheidung ist zu respektieren.
Der gegenteiligen Ansicht, wie sie zum Beispiel vom 9. Senat des OLG Stuttgart im Urteil vom 10.02.2021, 9 U 402/20, vertreten wird, ist nicht zuzustimmen. Wie dargestellt ist ein Abstellen auf die vermögensrechtliche Differenz dem Bereicherungsrecht fremd. Damit fehlt es an jeglicher rechtlichen Grundlage den Restschadensersatzanspruch des § 852 BGB als Gewinnabschöpfungsanspruch zu qualifizieren. Die hierfür vorgebrachte Begründung erschöpft sich in der Aussage, dass sich „im Bereicherungsrecht jede schematische Betrachtungsweise verbietet“ (OLG Stuttgart aaO, Rz. 48). Diese die Gerichte zu jeder beliebigen Lösung legitimierende Aussage ist nur dann gerechtfertigt, wenn andernfalls ein schlechterdings unter keinen Gesichtspunkten zu rechtfertigendes Ergebnis stünde. Das ist aber vorliegend nicht der Fall. Der Restschadensanspruch nach § 852 BGB ist auf die Höhe des ursprünglichen deliktischen Schadensersatzanspruchs begrenzt. Damit steht dem Anspruch des Klägers auf Kaufpreisrückerstattung ein Anspruch der Beklagten sowohl auf Rückgabe des Fahrzeugs als auch auf Nutzungsersatz zu. Unter der Prämisse der korrekten Nutzungsersatzberechnung ist dieser Anspruch mit dem auf Gewinnabschöpfung wirtschaftlich identisch. Er unterscheidet sich nur in der Verteilung des Risikos der Unveräußerlichkeit oder sonstigen Verschlechterung des Fahrzeugs. Dieses Risiko kann angesichts des deliktischen Handeln der Beklagten auferlegt werden, ohne dass sich dadurch eine inakzeptable Lastenverteilung ergeben würde.
(2) Die Beklagte hat durch das Inverkehrbringen des mit einer manipulierten Software ausgestatteten Fahrzeugs den Kaufpreis oder ein wirtschaftliches Äquivalent z.B. in Form eines Anspruchs gegen den Vertragshändler erlangt. Die genaue Konstruktion der Transaktion zwischen Hersteller und Vertragshändler kann regelmäßig offenbleiben, da es an der Höhe des erlangten Etwas nichts ändert, ob der Beklagten Bargeld, ein auf einer Überweisung basierender Bankanspruch oder eine sonstige Gutschrift zu Gute gekommen ist.
(3) Auf der Ebene des erlangten Etwas scheidet jegliche Saldierung aus. Es ist eben gerade nicht so, dass bei der Frage des erlangten Etwas bereits Abzugsposten oder Gegenforderungen der Beklagten zu berücksichtigen wären. Dies geschieht erst im Rahmen der Bestimmung des Umfangs der Bereicherung nach § 818 BGB.
Der Abzug von Herstellungskosten und sonstigen Aufwendungen der Beklagten scheidet aufgrund der von Anfang an bestehenden Bösgläubigkeit der Beklagten aus. Die Beklagte wusste bereits bei Herstellung des Fahrzeugs, dass die Autos mit einer manipulierten Software ausgestattet waren, sie war daher schon bei Herstellung der Fahrzeuge bösgläubig im Sinne des § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB. Aus diesem Grund ist ihr ein Abzug etwaiger Herstellungskosten oder sonstiger Aufwendungen im Rahmen der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB nicht zuzugestehen. Mangels berücksichtigungsfähiger Abzugsposten verbleibt es hinsichtlich des Haftungsumfangs bei der Herausgabe des erlangten Etwas im Sinne des § 812 BGB, mithin der Rückzahlung des Kaufpreises. Eine etwaige Händlermarge wäre grundsätzlich bei der Bestimmung des erlangten „Etwas“ abzuziehen, da die Beklagte in dieser Höhe keinen Vermögenszuwachs zu verzeichnen hat. Eine Händlermarge wurde im vorliegenden Fall jedoch nicht geltend gemacht. Dass sie den Kaufpreis nicht in Gänze erhalten hätte, hat die Beklagten trotz diesbezüglicher Aufforderung durch den Kläger nicht vorgetragen.
3) Der Rückzahlungsanspruch ist allerdings durch den ursprünglichen deliktischen Anspruch in der Höhe begrenzt. Bei § 852 BGB handelt es sich um die Verlängerung eines deliktischen Anspruchs in dessen verjährte Zeit hinein. Die Haftung aus § 852 BGB kann somit nicht weitergehen als der dieser Haftung zugrunde liegende deliktische Anspruch. Der Anspruch auf das Erlangte wird daher begrenzt durch den dem Deliktsgläubiger entstandenen Schaden. Bei Austauschgeschäften, die einem deliktischen Anspruch zugrunde liegen, kann danach die Anwendung des § 852 S. 1 BGB dazu führen, dass der Deliktsschuldner nach Eintritt der Verjährung des ursprünglichen deliktischen Anspruchs über § 852 S. 1 BGB im Umfang des verjährten deliktischen Anspruchs weiterhin haftet. Dies entspricht allerdings der Intention des Gesetzgebers, der den Deliktsschuldner hinsichtlich des Umfangs der Haftung (und ursprünglich auch hinsichtlich der Dauer der Haftung, was heute keine Rolle mehr spielt) nicht besserstellen wollte als einen bösgläubigen Bereicherungsschuldner.
Diesem Verständnis steht die – von den Besonderheiten des Patentrechts geprägte – Entscheidung des BGH vom 26.3.2019 (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496) nicht entgegen. Der BGH hatte sich in dieser Entscheidung mit dem dort geltend gemachten Anspruch auf Herausgabe des erzielten Gewinns zu beschäftigen, da bei Patentverletzungen der ersatzfähige Schaden unter anderem auf der Grundlage des vom Schädiger erzielten Gewinns berechnet werden kann (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 17). Es kam daher nicht darauf an, ob dem Gläubiger auch ein Anspruch auf Herausgabe des Erlangten im Sinn einer Gegenleistung zusteht, weshalb sich der BGH auch nicht mit den Motiven des Gesetzgebers auseinandersetzen musste. Im Übrigen ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass es der BGH für möglich hält, dass die Herausgabe des Erlangten nach einer Patentverletzung nicht nur in der Herausgabe eines Gewinns, sondern auch in der Zahlung einer für die Nutzung des Schutzguts angemessenen Lizenzgebühr bestehen kann (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 23). Der BGH ging auch in einer weiteren Entscheidung vom 15.1.2015 davon aus, dass § 852 BGB nicht voraussetze, dass der Verletzer einen Gewinn erzielt hat. Vielmehr genüge es, dass er einen Vermögensvorteil in Gestalt eines Gebrauchsvorteils erlangt habe. Mit dem Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB könne daher die Herausgabe des durch die Verletzung eines Schutzrechts erlangten Gebrauchsvorteils im Wege der Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr verlangt werden (BGH NJW 2015, 3165 Rn. 34).
Die Lizenzgebühr ist die Gegenleistung für die Benutzung des Schutzrechts und kann – abhängig von der Höhe des Aufwandes, der dem Schädiger bei der wirtschaftlichen Verwertung des Patents entsteht – höher sein als der dabei entstehende Gewinn. Der Anspruch aus § 852 BGB kann sich demnach gemäß der Rechtsprechung des BGH auf den durch den deliktischen Vorgang erzielten Gewinn beziehen, aber auch auf eine ersparte Gegenleistung wie eine Lizenzgebühr und muss damit nicht auf den Gewinn beschränkt sein; maßgeblich ist vielmehr das erlangte Etwas. Wenn nach der Rechtsprechung des BGH die Gegenleistung Inhalt des Anspruchs nach § 852 BGB sein kann, dann muss dies auch auf eine deliktisch erlangte Gegenleistung wie hier den von der Beklagten erlangten Kaufpreis gelten.
Nach unstrittigem Klägervortrag hat die Beklagte den Kaufpreis in Höhe von € 27.546,99 erlangt. Dieser Betrag liegt über dem sich aus § 826 BGB ergebenden und bereits um die gezogenen Nutzungen gekürzten Schadensersatzanspruch einschließlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten, so dass im Ergebnis der verjährte Anspruch aus § 826 BGB den Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB der Höhe nach beschränkt.
4. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB. Mit Schreiben vom 9.6.2020 (Anlage K 4) setzte der Kläger eine angemessene Frist und ließ sich eine Nutzungsentschädigung in Abzug bringen. Verzug liegt somit jedenfalls seit 24.6.2020 vor.
5. Wie vom Kläger begehrt, war auch festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet. Mit Schreiben vom 9.6.2020 (Anlage K4) hat der Kläger die Schadensersatzforderung unter Anrechnung einer angemessenen Nutzungsentschädigung geltend gemacht und die Rückgabe des Fahrzeuges ordnungsgemäß angeboten. Ein zur Begründung des Annahmeverzugs geeignetes Angebot ist somit gegeben.
6. Ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht gemäß § 826 BGB in der vom Kläger geltend gemachten Höhe. Die Höhe der Gebühren berücksichtigt den um den Vorteilsausgleich geminderten Streitwert, der im Vergleich zur erstinstanzlichen Entscheidung aufgrund des Zugrundelegens einer Gesamtlaufzeit von 250.000 km etwas geringer ausfällt.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 92 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO, da die geringfügige Klageabweisung aus der nach richterlichem Ermessen erfolgten Berechnung der Nutzungsentschädigung resultiert.
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
3. Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO zugelassen: Insbesondere die Frage, ob und in welcher Höhe nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB besteht, ist für zahlreiche andere rechtshängige Verfahren relevant und hat grundsätzliche Bedeutung. Sie ist zudem, wie oben ausgeführt, zwischen den Oberlandesgerichten umstritten, so dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.


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