IT- und Medienrecht

Fahrzeugminderwert (sog. kleiner Schadensersatz) nicht ersatzfähig auf Grundlage des Deliktsrechts

Aktenzeichen  3 S 108/19

Datum:
29.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17182
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 263
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 214 Abs. 1, § 823 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Da das Deliktsrecht allein das Integritätsinteresse und damit das negative Interesse des Geschädigten schützt, kann er unter diesem Gesichtspunkt (§ 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB) vom Fahrzeughersteller, zu dem er in keinen vertraglichen Beziehungen steht, nicht den Ersatz seines positiven Erfüllungsinteresses – Behalten des Fahrzeugs und Ersatz des Minderwertes, sog. kleiner Schadensersatz – beanspruchen. Der Schaden des in die Irre geführten Käufers liegt in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen (ebenso OLG Koblenz BeckRS 2020, 6237). (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Verletzung einer Norm zum Schutz des Vermögens fehlt es anders als bei Verletzung eines absoluten Rechtsguts an einem feststellbaren Rechtsverhältnis, solange der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss ist. Bereits für die Zulässigkeit der Klage ist eine konkrete Vermögensgefährdung, das heißt die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens, substantiiert darzutun. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend und werden durch die vorgerichtliche Tätigkeit somit offensichtlich nur unnötige weitere Kosten verursacht, so sind diese mangels Zweckmäßigkeit nicht erstattungsfähig (ebenso BGH BeckRS 2013, 06434). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 C 196/19 2019-11-21 Urt AGHASSFURT AG Haßfurt

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Haßfurt vom 21.11.2019, Az. 2 C 196/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Haßfurt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.240,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg und war daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Revision war zuzulassen.
I.
Der Kläger macht im Rahmen des von der Beklagten als „Dieselthematik“ bezeichneten sog. „Abgasskandals“ im Zusammenhang mit einem PKW-Kauf gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin Schadensersatzansprüche geltend. Er begehrt mit seiner im Juni 2019 erhobenen Klage – gestützt auf deliktsrechtlicher Grundlage – Ausgleich des Minderwertes des betreffenden Fahrzeugs (sog. kleiner Schadensersatz) bzw. hilfsweise die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für manipulationsbedingte Schäden am Pkw.
Am 28.06.2014 erwarb der Kläger, der damals in H. wohnte, von der Autohändlerin A. den gegenständlichen Pkw VW Golf, Fahrgestellnummer: …, hergestellt durch die Beklagte, zum Preis von 16.200,- EUR mit einem Kilometerstand von 120.600 km. Am 07.06.2019 wies der Pkw einen Kilometerstand von zumindest 212.150 km auf.
In dem Pkw ist der Dieselmotortyp EA 189 verbaut, der den in D. allgemein bekannten sog. „Abgasskandal“ ausgelöst hat. Die Unzulässigkeit der mit dem vorerwähnten Motor zusammenhängenden Abgasreinigung durch unterschiedliche Abschalteinrichtungen infolge einer entsprechenden Software-Einstellung steht mittlerweile fest.
Im Jahre 2015 erließ das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) einen – inzwischen bestandskräftigen – Bescheid, wonach es feststellte, dass es sich bei der geschilderten Software-Einstellung um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/007 handele und in dem es den Rückruf der Fahrzeuge anordnete, die in einen Zustand zu bringen sind, der den öffentlichrechtlichen Normen entspricht. Seitens der Beklagten wird – in Abstimmung mit dem KBA – eine technische Überarbeitung mittels Software-Update angeboten, dessen Funktionsweise und Auswirkungen zwischen den Parteien streitig sind.
Dieses Software-Update wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug bereits aufgespielt. Der gegenständliche Pkw durfte auch nach Anordnung des Rückrufs weiter im Straßenverkehr genutzt werden.
Der Kläger trägt vor, er hätte den gegenständlichen Pkw nicht erworben, wenn er von der manipulierten Abschalteinrichtung gewusst hätte, weil es ihm auf die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte bzw. der in der Fahrzeugbroschüre genannten Abgaswerte besonders angekommen sei.
Er ist der Ansicht, ihm stehe aus § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Ausgleich des Minderwertes des Fahrzeuges in Höhe von 20% des Kaufpreises zu. Hilfsweise begehrt er die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für manipulationsbedingte Schäden an seinem Fahrzeug. Im Hinblick auf denkbare Kfz-Steuernachteile und nachteilige Nebenfolgen (etwa übermäßiger Verschleiß der Bauteile wie dem Partikelfilter), die aus der Verwendung des Pkws nach dem Software-Update eintreten könnten, sei jedenfalls das Feststellungsbegehren berechtigt.
Die Beklagte stellt die objektiven und subjektiven Voraussetzungen deliktischen Handelns in Abrede. Zudem erhob sie die Einrede der Verjährung.
Das Amtsgericht Haßfurt, auf dessen Urteil vom 21.11.2019 samt Berichtigungsbeschluss vom 31.01.2020 vollumfänglich Bezug genommen wird, hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB dem Grunde nach bestehe. Der Kläger könne die von ihm begehrte Rechtsfolge (Kaufpreisminderung) nicht aus § 826 BGB herleiten. Deliktische Anspruchsgrundlagen seien auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet, so dass über § 826 BGB allein eine Rückabwicklung des Kaufvertrages erreicht werden könne. Der Kläger mache demgegenüber sein Äquivalenzinteresse als Ausprägung des vertraglichen Schuldrechts geltend, § 826 BGB sei jedoch kein „Wunschkonzert der Rechtsfolgen“ zu entnehmen. Behalte der Kläger den Pkw und verlange die Herabsetzung des Kaufpreises stelle dies nicht sein Integritätsinteresse in Gestalt der Naturalrestitution dar, weil er dann immer noch den Pkw habe, den er mit der (manipulierten) Abschalteinrichtung nicht gewollt und ohne Täuschung nicht gekauft hätte. Auch der Hilfsantrag (Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten) sei unbegründet, da der Kläger nicht die Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs begehre, sondern ausschließlich Ersatz des Äquivalenzinteresses.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Ansprüche weiterverfolgt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts könne der Kläger auch unter deliktsrechtlichen Gesichtspunkten wählen, ob er das Fahrzeug behalte und den Minderwert beanspruche oder aber die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlange.
Der Kläger beantragt unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger Schadensersatz in Höhe von 3.240,- EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% seit dem 28.06.2014 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Hilfsweise beantragt er:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte und Berufungsbeklagte verpflichtet ist, dem Kläger und Berufungskläger Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf V, VI 2.0 TDI GT mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … durch die Beklagte und Berufungsbeklagte resultieren.
Weiterhin beantragt er:
3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger und Berufungskläger die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.266,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt demgegenüber,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Amtsgericht habe deliktische Ansprüche zutreffend und rechtsfehlerfrei abgelehnt, zumal der Kläger ausschließlich sein positives Interesse geltend mache, welches nicht über Deliktsrecht ersetzbar sei.
Mit Verfügung vom 06.05.2020 hat die Kammer auf die fehlende Erfolgsaussicht der Berufung hingewiesen, insbesondere darauf, dass der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag der Klägerseite nicht hinreichend bestimmt gefasst sein dürfte.
Die Kammer hat die Sach- und Rechtslage mit den Parteien in der öffentlichen Sitzung vom 15.05.2020 erörtert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2020 und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Insbesondere wird auf die Berufungsbegründung des Klägers vom 26.02.2020 und die Berufungserwiderung der Beklagten vom 30.04.2020 verwiesen.
II.
Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 511 Abs. 1, 2 Nr. 1 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§§ 517, 519, 520 Abs. 1, 2, 3 ZPO). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, da dem beanstandeten Urteil des Amtsgerichts kein entscheidungserheblicher Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers zu entnehmen ist. Die Klage ist im Hauptantrag (Ziffer 1. der klägerischen Anträge) und Nebenantrag (Ziffer 3. der klägerischen Anträge) unbegründet (unten 1. und 3.), im Hilfsantrag (Ziffer 2. der klägerischen Anträge) erweist sie sich bereits als unzulässig, jedenfalls aber gleichermaßen als unbegründet (unten 2.).
1. Erfolglosigkeit des Hauptantrags
Dem Kläger steht unter keinem deliktsrechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auf Ersatz des Minderwertes des erworbenen Pkws zu.
a) Zwar neigt die Kammer dazu, einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte jedenfalls aus §§ 826, 31 BGB dem Grunde nach zu bejahen (vgl. dazu statt vieler OLG Stuttgart, Urteil vom 11.12.2019 – 9 U 3/19 – Rn.25-53 m.w.N., beckonline; OLG Celle, Urteil vom 20.11.2019 – 7 U 244/18 – Rn. 26-35 m.w.N., juris; OLG Koblenz, Urteil vom 13.03.2020 – 8 U 1351/19 – Rn. 39-79 m.w.N., juris; die Kammer sieht an dieser Stelle bewusst davon ab, die hinlänglich bekannten, für gewöhnlich te…tbausteinartig wiedergegebenen Erwägungen zu wiederholen).
Auch geht die Kammer – mangels Ablaufs der Verjährungsfrist jedenfalls bis Ende 2019 – nicht von der fehlenden Durchsetzbarkeit der klägerischen Ansprüche infolge Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB aus. Die Beklagte begründet ihre Verjährungseinrede mit der Behauptung, dass dem Kläger bereits im Jahr 2015 alle notwendigen Informationen zur Verfügung gestanden hätten, um eine schlüssige Klage zu erheben. Die Ansprüche des Klägers seien daher mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt. Gleichzeitig trägt die Beklagte vor, dass sie gegenwärtig immer noch über keine hinreichenden Erkenntnisse dahingehend verfüge, dass einzelne Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der beanstandeten Umschaltlogik beteiligt waren oder die Entwicklung oder Verwendung der Umschaltlogik des Dieselmotors EA189 EU4 bzw. EU5 bzw. EU6 seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt haben. Damit räumt die Beklagte ein, auch 4 Jahre nach Bekanntwerden des sog. „Abgasskandals“ (theoretisch) selbst noch nicht in der Lage zu sein, zum subjektiven Tatbestand eines deliktischen Anspruchs näher vortragen zu können. Nach Ansicht der Kammer kann daher nicht von einer Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis des am Unternehmen der Beklagten nicht beteiligten Klägers hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen im Jahr 2015 ausgegangen werden. Auch der Verweis der Beklagten auf eine auf ihrer Seite liegende sekundäre Darlegungslast und der damit einhergehenden Möglichkeit für den Kläger, sich bezüglich des subjektiven Tatbestands hierauf zu berufen, kann nicht durchgreifen. Denn auch eine solche sekundäre Darlegungslast auf Seiten der Beklagten erlaubt dem Kläger keinen eigenen Vortrag „ins Blaue hinein“. Nach Ansicht der Kammer war es dem Kläger daher im Jahr 2015 noch nicht ohne Weiteres zumutbar, eine Klage zu erheben, zumal die ganze „Diesel-Thematik“ erst weit in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2015 öffentlich bekannt geworden ist. Der Verjährungsfrist begann daher nicht vor dem 31.12.2016 zu laufen, so dass die gegenständliche im Juni 2019 erhobene Klage die Verjährungshemmung des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB auszulösen vermochte.
b) Gleichwohl kann der Kläger gestützt auf die hier allein in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen (§ 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 27 Abs. 1 EG-FGV) die begehrte Rechtsfolge in Form des Ersatzes des Fahrzeugminderwertes nicht erfolgreich verlangen.
Da das Deliktsrecht das Integritätsinteresse des Geschädigten schützt, kann der Kläger unter diesem Gesichtspunkt nicht die von ihm begehrte Schadensfolge – Behalten des Fahrzeugs und stattdessen Ersatz des Minderwertes -, die seinem positiven Erfüllungsinteresse zuzuordnen ist, beanspruchen.
Der Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 249 ff. BGB (bzw. § 823 BGB) richtet sich allein auf Ersatz des negativen Interesses. Der Kläger selbst trägt vor, er hätte das gegenständliche Fahrzeug nicht erworben, wenn er von der manipulierten Abschalteinrichtung gewusst hätte, weil es ihm auf die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte bzw. der in der Fahrzeugbroschüre genannten Abgaswerte besonders angekommen sei. Durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten in Gestalt der Täuschung über die (tatsächlichen) Abgaswerte hat der Kläger demnach einen Vermögensschaden erlitten, der in dem Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist. § 826 BGB knüpft nicht an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter an, weshalb der nach dieser Norm ersatzfähige Schaden weit verstanden wird. Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung. Nach diesen Grundsätzen kommt es nicht darauf an, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs im Hinblick auf die unzulässige Abschalteinrichtung einen geringeren Marktwert hatte. Der Schaden des in die Irre geführten Käufers liegt in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Entscheidend ist, dass der abgeschlossene Vertrag, nämlich die Eigenschaften des Kaufgegenstands, nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und die erlangte Leistung, d.h. der erworbene Pkw, für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Beide Voraussetzungen waren im – maßgeblichen – Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gegeben, weil vorliegend wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Entziehung der EG-Typgenehmigung drohte bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen sowie bei deren Nichterfüllung die Stilllegung des Fahrzeugs (instruktiv OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 64, juris)
Auf der Rechtsfolgenseite könnte der Kläger danach verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte. Der Kläger könnte daher – unter Anrechnung der von ihm gezogenen Nutzungen nach dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung – die Rückzahlung des Kaufpreises unter Rückgabe des Fahrzeugs verlangen (vgl. OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 81, juris).
Der Kläger kann jedoch auf deliktischer Grundlage gegenüber der Beklagten, die nicht die Verkäuferin des erworbenen Fahrzeugs ist und zu der er keine vertraglichen Beziehungen hat, nicht sein Äquivalenzinteresse beanspruchen und so gestellt werden, als ob der Kaufvertrag gehörig erfüllt worden wäre. Namentlich kann er nicht den Pkw behalten und den Minderwert, d.h. die Herabsetzung des Kaufpreises, verlangen, weil er dann immer noch den Pkw hätte, den er mit der betreffenden Abschalteinrichtung – und allein dies ist mit Blick auf die §§ 823, 826 BGB haftungsbegründend – nicht gewollt und ohne die Täuschung hierüber nicht gekauft hätte. Qua der vom Kläger begehrten Rechtsfolge – Ersatz des Minderwertes – kann demnach das von §§ 823, 826 BGB geschützte Integritätsinteresse weder im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) noch im Wege geldwerter Kompensation (§ 251 Abs. 1 BGB) befriedigt werden.
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf Ersatz des Minderwertes des erworbenen Fahrzeugs in Höhe von 3.240,- EUR (= 20% des Kaufpreises) war nach alledem abzuweisen.
2. Erfolgslosigkeit des Hilfsantrages
Der hilfsweise – für den Fall der Abweisung des Hauptantrags – geltend gemachte Antrag auf Feststellung der Pflicht der Beklagten, für manipulationsbedingte Schäden einzustehen, erweist sich bereits als unzulässig (unten a), jedenfalls aber als unbegründet (unten b).
a) Der Feststellungsantrag ist zum einen entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu unbestimmt (unten aa) und zum anderen fehlt es an einem ausreichenden Feststellungsinteresse bzw. an einem feststellbaren Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO (unten bb).
aa) Zur Individualisierung des Anspruchs muss der Anspruchsgrund bereits im Antrag so konkret benannt werden, dass der Umfang der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft feststehen. Der Kläger begehrt die Haftung der Beklagten für die „Manipulation des Fahrzeugs (…) durch die Beklagte“. Diese Formulierung genügt den Anforderungen an die Bestimmtheit nicht. Sie lässt bereits nicht erkennen, aus welchen konkreten Handlungen der Beklagten dem Kläger möglicherweise Schäden entstanden sein könnten. Wann, in welcher Weise und in welchem Umfang das Fahrzeug von der Beklagten behandelt worden sein soll, ergibt sich aus dem Antrag nicht. Der Antrag kann auch nicht im Lichte des gesamten Klägervorbringens so ausgelegt werden, dass er bestimmt genug ist. Es ist in einem Verfahren, in dem Anwaltszwang besteht, bereits nicht Sache des Gerichts, unbestimmte Anträge der Parteien so auszulegen, dass sie zulässig werden. Das Gericht hat im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO lediglich auf sachdienliche Anträge hinzuwirken und gegebenenfalls auch auf Bedenken gegen unbestimmte Anträge aufmerksam zu machen. Die Kammer hat mit Verfügung vom 06.05.2020 den entsprechenden Hinweis erteilt, ohne dass der Kläger darauf reagiert hätte. Insbesondere ist eine eindeutige Auslegung nicht möglich. Könnte der Kläger damit einmal die Verwendung einer als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten Motorsteuerungssoftware meinen, so könnte nach seinem Vortrag an anderer Stelle als „Manipulation des Fahrzeugs“, also als „Veränderung“, ebenso gut (nur) das spätere Aufspielen des Softwareupdates erfasst werden. Es handelt sich um unterschiedliche Anknüpfungspunkte der Haftung. Nicht auszuschließen ist auch, dass der Kläger tatsächlich noch weitere Umstände der Herstellung des Fahrzeugs oder einer späteren Einwirkung auf das Fahrzeug meint. Dies zu klären, wäre Aufgabe des Klägers bzw. seiner Bevollmächtigten gewesen (vgl. zum Komple… ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 11.12.2019 – 9 U 3/19 – Rn. 60-62 m.w.N., beckonline).
bb) Zudem fehlt es an einem ausreichenden Feststellungsinteresse bzw. an einem feststellbaren Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO.
Bei Verletzung einer Norm zum Schutz des Vermögens – wie hier (oben 1.b) – fehlt es anders als bei Verletzung eines absoluten Rechtsguts an einem feststellbaren Rechtsverhältnis, solange der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss ist. In der hiesigen Konstellation muss der Kläger schon für die Zulässigkeit der Klage eine konkrete Vermögensgefährdung, das heißt die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens, substantiiert dartun (vgl. dazu Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 256 Rn. 9 m.w.N.; Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 256 Rn. 32 und 50 m.w.N., wonach die erforderliche gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in der obergerichtlichen Rechtsprechung teils als Voraussetzung des Feststellungsinteresses für die Zulässigkeit, teils als zusätzliche Voraussetzung für die Begründetheit der Klage angesehen wird; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Auflage 2020, § 256 Rn. 29 m.w.N.), woran es hier fehlt.
Vorliegend ist weder konkret dargelegt noch sonst erkennbar, dass und inwiefern ein ersatzfähiger Schaden künftig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein könnte. Der Kläger trägt insoweit allgemein gehalten vor, dass weitere, nicht unwahrscheinliche Schäden durch Steuernachteile oder durch die Verwendung des Fahrzeugs in Gestalt des Verschleißes von Bauteilen (etwa dem Partikelfilter), insbesondere mit Blick auf die durch das Software-Update bedingten Veränderungen am System zur Abgasreinigung, drohen würden, was beklagtenseits überdies bestritten wird.
Im Hinblick auf die behaupteten drohenden Kfz-Steuernachteile ist es für die Kammer indessen nicht nachvollziehbar, inwiefern solche Steuerschäden, die bislang offensichtlich nicht eingetreten sind, mehr als vier Jahre nach Aufdeckung des Dieselskandals in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 trotz (ununterbrochener) Verkehrsfähigkeit des gegenständlichen Fahrzeugs und Aufspielung des Software-Updates mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit noch erwachsen könnten. Ebenso wenig ist es für die Kammer ersichtlich, ob und inwieweit ein relevanter Verschleiß von Bauteilen, etwa infolge des Software-Updates, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein könnte, obschon das Vorhandensein eines solchen Verschleißes bislang (betreffend einen Zeitraum von knapp sechs Jahren seit Erwerb des gegenständlichen Pkws durch den Kläger) und insbesondere seit dem Software-Update klägerseits nicht einmal behauptet wird. Unbeschadet dessen wäre „üblicher“ Verschleiß an den Bauteilen schon im Ausgangspunkt nicht als ersatzfähiger Schaden zu qualifizieren, so dass insoweit allein „übermäßiger“ Verschleiß als denkbare Schadensposition gemeint sein kann. Auf Nachfrage der Kammer im Termin vom 15.05.2020 erklärte die Vertreterin des Klägers, die ausweislich der vorgelegten Terminsvollmacht der Hauptbevollmächtigten des Klägers u.a. umfassend unterrichtet und zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage war, dass sie keine Kenntnis darüber habe, ob durch das Software-Update zwischenzeitlich Schäden an den Bauteilen des Klägers oder durch das Update bzw. den Fahrzeugkauf Steuernachteile beim Kläger aufgetreten sind. Es erhellt nach alledem nicht ansatzweise, weshalb der Eintritt behaupteter Zukunftsschäden (Steuernachteile sowie „übermäßiger“ Verschleiß bzw. sonstige Schäden an Bauteilen) hinreichend wahrscheinlich sein soll.
Im Ergebnis ermangelt es aus Sicht der Kammer an einer gewissen Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Schäden zum Nachteil des Klägers im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Fahrzeugkauf. Für ein diesbezügliches Feststellungsbedürfnis ist nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger von der Beklagten die Rückabwicklung des täuschungsbedingt eingegangenen Kaufvertrags berechtigterweise verlangen kann (oben 1.b), fehlt es überdies mit Blick auf den grundsätzlichen Vorrang der Leistungsklage an einem schützenswerten rechtlichen Interesse einer diesbezüglichen Feststellung im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO.
b) Im Übrigen tangieren auch die vom Feststellungsantrag umfassten weiteren Schadenspositionen (behauptetermaßen drohende Kfz-Steuernachteile und nicht unwahrscheinlicher Verschleiß der Bauteile, insbesondere des Partikelfilters, durch Verwendung des Kfz nach Software-Update) das Erfüllungsinteresse des Klägers, welches auf deliktischer Grundlage nicht befriedigt werden kann (oben 1.b). Aus dieser Erwägung erweist sich der Feststellungsantrag in jedem Fall als unbegründet.
3. Erfolglosigkeit der Nebenforderungen
Da der Hauptanspruch nicht durchgreift (oben 1.), waren auch die akzessorischen Nebenforderungen (Zinsansprüche und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten), die das Schicksal der Hauptforderung teilen, als unbegründet abzuweisen.
Der Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten – in concreto das Erfordernis vorgerichtlicher Geltendmachung des gegenständlichen Hauptanspruches zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung – aus §§ 826, 823 BGB war überdies nicht schlüssig dargetan. Nachdem durch diverse obergerichtliche Entscheidungen sowie aus Presseveröffentlichungen davon auszugehen ist, dass jedenfalls den Prozessbevollmächtigten des Klägers – und damit gemäß § 166 BGB auch ihm selbst – bekannt war, dass ein vorgerichtliches Herantreten an die Beklagte zwecklos ist, scheidet ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von vornherein aus.
Ist der Schuldner – wie hier – bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend und werden durch die vorgerichtliche Tätigkeit somit offensichtlich nur unnötige weitere Kosten verursacht, so sind diese mangels Zweckmäßigkeit nicht erstattungsfähig (vgl. BGH vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10 – WM 2012, 1337 Rn. 70; BGH vom 26. Februar 2013 – XI ZR 345/10 – Rn. 38. juris). Hierbei handelt es sich um echte, vom Geschädigten darzulegende und zu beweisende Anspruchsvoraussetzungen und nicht lediglich um im Rahmen des § 254 BGB bedeutsame, die Ersatzpflicht beschränkende und damit in die Darlegungs- und Beweislast des Schädigers fallende Umstände (BGH, Urteil vom 27. Juli 2010 – VI ZR 261/09 -, Rn 26, juris). Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten sind Nebenforderungen gem. § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO (BGH vom 29.04.2010 – III ZR 145/09 – und 21.12.2010 – XI ZR 157/10 -), so dass auch kein vorheriger Hinweis des Gerichts erforderlich war (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15 – Rn. 37 vgl. ebenso zur Beauftragung eines Inkassobüros bei Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit des Schuldners: OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.06.1986 – 6 U 234/85 -, NJW-RR 1987, S. 15 OLG München a.a.O.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 286 Rn. 46).
Weiterhin erhellt nicht, warum der Kläger ausweislich des Anspruchsschreibens seiner Bevollmächtigten vom 18.12.2018 (Anlage K27) vorgerichtlich gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags (Rückzahlung des vollen Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs) geltend machte, weswegen die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auch nach dem Gegenstandswert in Höhe von 16.200,- EUR (vgl. Anlage K34) berechnet wurden, während hingegen mit der hiesigen Klage (allein) der Minderwert verlangt wird. Schließlich erhellt nicht ansatzweise, inwiefern die Fertigung von Standardschriftsätzen eine die Regelgebühr übersteigende Geschäftsgebühr auf Seiten der Bevollmächtigten des Klägers rechtfertigen könnte.
III.
Die Kostenentscheidung zur Lasten des Klägers – Kostentragungslast auch hinsichtlich der zweiten Instanz – beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die vorliegende Konstellation – Geltendmachung des sog. kleinen Schadensersatzes gegenüber dem Hersteller im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselabgasskandal“ – ist in einer Vielzahl von Fällen gegeben und wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt (vgl. zur abweichenden Rechtsauffassung OLG Stuttgart, Urteil vom 11.12.2019 – 9 U 3/19 – Rn. 56-58, beckonline; OLG Celle, Urteil vom 20.11.2019 – 7 U 244/18 – Rn. 35, juris). Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Revisionsgerichts erfordern die Zulassung, da zu befürchten ist, dass Unterschiede in der Rechtsprechung fortbestehen.


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