IT- und Medienrecht

Unbegründeter Schmerzensgeldanspruch als Folgeanspruch eines Arbeitsunfalls

Aktenzeichen  21 Ca 13730/18

Datum:
11.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38399
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 104
EMRK Art. 14

 

Leitsatz

1. Allein der Verstoß gegen zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzpflichten indiziert keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls. Ein solcher ist nur dann vorsätzlich herbeigeführt, wenn dieser gewollt war (dolus directus) oder sein Eintritt billigend in Kauf genommen wurde (dolus eventualis). Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Demnach verbietet es sich, die vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Unfallfolge mit einem gewollten Arbeitsunfall gleich zu behandeln (ebenso BAG BeckRS 2011, 75828). (Rn. 32 – 33) (red. LS Andy Schmidt)
2. § 104 SGB VII verstößt nicht gegen Art. 14 der EMRK. Denn die Arbeitnehmerin – als Kassiererin – ist gegenüber einer Nichtarbeitnehmerin, die in gleiche Weise wegen des nassen Bodens gestürzt wäre, etwa als Kundin der Filiale, nicht diskriminiert.  (Rn. 39 – 41) (red. LS Andy Schmidt)

Tenor

1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 19.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der zulässige Klageantrag 1) ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an die Klägerin Schmerzensgeld zu zahlen.
1) Gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 SBG VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Der Haftungsausschluss ist im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität (§§ 249 ff., 842 ff. BGB) auf Personenschäden beschränkt. Personenschäden sind alle Schäden, die ihre tatsächliche Grundlage in einem Gesundheitsschaden haben, z. B. Heilbehandlungskosten. Ausgeschlossen ist somit ein Verdienstausfall in Folge von Arbeitsunfähigkeit oder Erwerbsminderung, Aufwendungen für Pflege, medizinische oder berufliche Rehabilitation, entgangener Unterhalt für die Angehörigen (Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 104 Rz. 12) und Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB (LAG Köln, Urteil vom 29.1.2008, 9 Sa 1208/07; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl. 2009, § 104 Rn. 16). Der Anspruchsausschluss greift auch dann ein, wenn die Schäden durch die Unfallversicherung nicht ersetzt werden. Dies ist insofern nicht unproblematisch, als dadurch speziell Schwerverletzte nach einem Arbeitsunfall deutlich schlechter stehen als nach einem anderen Unfall. Gleichwohl liegt kein Verstoß gegen Art. 3 GG vor (BVerfG, Beschluss vom 7.11.1972, 1 BvL 4/71), u.a. deshalb, weil die die Versicherten im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung kaum Anspruchsminderungen wegen eigenen (Mit-)Verschuldens hinnehmen müssen und sie nicht befürchten müssen, im Falle der Verursachung eines Arbeitsunfalls von geschädigten Arbeitskollegen (auf Schmerzensgeld) in Anspruch genommen zu werden (§ 105 SGB VII); ferner steht ihnen in Gestalt des Unfallversicherungsträgers ein stets leistungsfähiger Anspruchsgegner gegenüber.
2) In Anwendung dieser Grundsätze ist die Beklagte nicht verpflichtet, an die Klägerin Schmerzensgeld zu zahlen.
a) Die Beklagte ist gemäß § 104 SGB VII nicht verpflichtet, an die Klägerin Schmerzensgeld zu zahlen (s.o.)
b) Die Beklagte hat nicht vorsätzlich gehandelt. Auch bei einer ev. vorsätzlichen Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Unfall vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Allein der Verstoß gegen zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzpflichten indiziert keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls. Ein solcher ist nur dann vorsätzlich herbeigeführt, wenn dieser gewollt war (dolus directus) oder sein Eintritt billigend in Kauf genommen wurde (dolus eventualis, vgl. BAG 31.10.1991, 8 AZR 637/90). Der Vorsatz des Schädigers muss nämlich nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Demnach verbietet es sich, die vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Unfallfolge mit einem gewollten Arbeitsunfall gleichzubehandeln (BAG, Urteil vom 28.04.2011, 8 AZR 769/09: BAG, Urteil vom 19.2.2009, 8 AZR 188/08; BAG, Urteil vom 19.8.2004 – 8 AZR 349/03).
Dafür, dass einer der Mitarbeiter der Beklagten vorsätzlich den Sturz der Klägerin beabsichtigt hat bzw. diesen billigend in Kauf genommen hat, ist kein Anhaltspunkt ersichtlich.
II.
Der zulässige Klageantrag 2) ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin den künftigen immateriellen Schaden aus dem Unfall an der Arbeitsstätte vom 30.12.2015 zu ersetzen (siehe unter I.).
III.
Der zulässige Klageantrag 3) ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an die Klägerin Ersatz für den aufgrund der Verletzung entgangenen Verdienst zzgl. Zinsen zu zahlen (siehe unter I.).
IV.
Der zulässige Klageantrag 4) ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, auch für den zukünftig aufgrund der Verletzung entstehenden Verdienstausfall einzustehen (siehe unter I.).
V.
Es besteht keine Veranlassung, die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen dem EuGH zur Beantwortung vorzulegen.
1) § 104 SGB VII verstößt nicht gegen die Rahmenrichtlinie 89/391/EEC-OSHA, da sie keine Grundsätze zur Reichweite der Arbeitgeberhaftung oder der Ansprüche der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit erlittenen Arbeitsunfällen aufstellt. Im Übrigen werden die Nachteile eines fehlenden Schmerzensgeldanspruchs durch die Zurverfügungstellung eines stets solventen Schuldners für Personenschäden aufgewogen.
2) § 104 SGB VII verstößt auch nicht gegen Art. 14 der EMRK (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten).
Gemäß Art. 14 der EMRK (Diskriminierungsverbot) ist der Genuss der in der EMRK anerkannten Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.
Die Klägerin wird als Arbeitnehmerin nicht gegenüber einer Nichtarbeitnehmerin der Beklagten, die in gleiche Weise wegen des nassen Bodens gestürzt wäre, etwa als Kundin der Beklagten, nicht diskriminiert. Zwar hat sie keinen Schadensersatzanspruch, weder gegen die Berufsgenossenschaft als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung noch gegen die Beklagte, dafür hat sie hinsichtlich ihrer Personenschäden einen stets solventen Schuldner. Im Übrigen muss sie sich nicht wegen eines ev. Mitverschuldens mit der Beklagten auseinandersetzen, weil sie keine Sicherheitsschuhe getragen hat bzw. das Hinweisschild im Eingangsbereich der Filiale gekannt hat oder kennen konnte.
VI. Kosten und Gegenstandswert
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands auf § § 42 Abs. 4 GKG i.V.m. § § 3 ff ZPO. Bei der Gegenstandsfestsetzung ist die Kammer von folgenden Werten ausgegangen:
Klageantrag 1) 9.000,00 € Klageantrag 2) 5.000,00 € gemäß § 13 Abs. 3 RVG Klageantrag 3 und 4) 5.000,00 € gemäß § 13 Abs. 3 RVG
VII. 19.000,00 €


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