Kosten- und Gebührenrecht

Erstattungsfähigkeit von Kosten bei Mandatierung eines auswärtigen Rechtsanwalts

Aktenzeichen  9 C 19.2411

Datum:
29.6.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18538
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 162, § 173
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Gemäß § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO sind die Auslagen eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten stets erstattungsfähig. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig seien, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die VwGO nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung. Der Gesetzgeber wollte die Parteien im Verwaltungsprozess bei der Wahl eines Bevollmächtigten freier stellen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die als Ausfluss des Rechts auf eine freie Anwaltswahl zu verstehende Regelung des § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO als lex spezialis in dem Sinne anzusehen ist, dass dadurch das Gebot des kostenbewussten Verhaltens bei der Verursachung von Aufwendungen, die für die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckmäßigerweise ergriffen werden sollten (§ 162 Abs. 1 VwGO), außer Kraft gesetzt würde. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allerdings dürfen die Anforderungen insofern nicht überspannt werden. Eine zu „kleinliche Handhabung“ ist nicht angebracht. Die Anforderungen an einen vernünftigen, kostenbewussten Rechtssuchenden lassen sich somit dahingehend zusammenfassen, dass es für die Wahl eines „auswärtigen“ (anstelle eines im Gerichtsbezirk ansässigen) Anwalts einen „hinreichend gewichtigen Grund“ geben muss. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 M 19.349 2019-10-31 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 31. Oktober 2019 und der Kostenfestsetzungsbeschluss der dortigen Urkundsbeamtin vom 14. Januar 2019 werden geändert.
Die der Klägerin im Verfahren W 5 K 16.1228 zu erstattenden Kosten werden auf 2.936,53 Euro festgesetzt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 219,16 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. Januar 2019, soweit darin Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgeld für die Teilnahme eines Rechtsanwalts aus der von ihr mandatierten und in M. ansässigen Rechtsanwaltskanzlei zu der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2018 vor dem Verwaltungsgericht Würzburg in Höhe von 219,16 Euro (incl. Mehrwertsteuer) als nicht erstattungsfähig eingestuft wurden. In diesem Kostenfestsetzungsbeschluss wurden die der Klägerin zu erstattenden Kosten abweichend von der von ihr beantragten Höhe von 2.936,53 Euro auf lediglich 2.717,37 Euro festgesetzt. Anstelle der begehrten Reisekosten (netto: 220,17 Euro) und des Abwesenheitsgeldes (netto: 70,00 Euro) erstellte die Urkundsbeamtin eine Vergleichsberechnung und erkannte auf deren Grundlage nur fiktive Fahrtkosten für eine fiktive Fahrtstrecke von dem am weitesten entfernt gelegenen Ort im Gerichtsbezirk (Fladungen) nach Würzburg und zurück (netto: 66,00 Euro) sowie ein fiktives Tage- und Abwesenheitsgeld für eine Abwesenheit von mehr als vier bis acht Stunden gemäß Nr. 7005 (2) VV RVG (netto: 40,00 Euro) an.
Mit Beschluss vom 31. Oktober 2019 wies das Verwaltungsgericht die Erinnerung der Klägerin zurück und machte sich die Begründung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses zu eigen. Eine Partei sei verpflichtet, ihre Kosten – unter Berücksichtigung ihrer berechtigten Belange und einer möglichst wirtschaftlichen Prozessführung – möglichst niedrig zu halten. Für die Beauftragung eines Rechtsanwalts, der seine Kanzlei weder am Wohnsitz des Mandanten noch am Gerichtssitz habe, bedürfe es besonderer Gründe bzw. eines hinreichend gewichtigen Grundes. Solche gebe es hier nicht. Anhaltspunkte für das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen der Klägerin und ihrem Bevollmächtigten vor der Mandatierung seien nicht ersichtlich. Zwar weise der Streitgegenstand des zugrundeliegenden Verfahrens (Erteilung der Zustimmung zur Änderung oder Ergänzung des gemeinsamen Flächennutzungsplans der Klägerin sowie dreier anderer Gemeinden für den sachlichen Teilbereich der Darstellung von Sondergebieten für Windkraftanlagen) sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf. Auch verfügten einzelne Partner bzw. juristische Mitarbeiter der bevollmächtigten Kanzlei – wie in ihrem Internetauftritt aufgeführt – über spezielle Kenntnisse im Bereich des Rechts der Bauleitplanung und des Raumordnungsrechts. Dies gelte aber nicht für den in der mündlichen Verhandlung tatsächlich für die Klägerin aufgetretenen Rechtsanwalt. Zudem sei gerichtsbekannt, dass im Gerichtsbezirk, insbesondere in der Stadt Würzburg, mehrere Kanzleien mit vergleichbaren Spezialkenntnissen ansässig seien.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie macht geltend, das Verwaltungsgericht habe die Maßstäbe für die Erstattung der Reisekosten eines auswärtigen Anwalts, der am Sitz des Rechtsmittelgerichts ansässig sei, zu restriktiv angelegt. Hinsichtlich des Vorliegens von Spezialkenntnissen habe das Verwaltungsgericht in unzutreffender Weise allein auf den im Verfahren vertretenden Rechtsanwalt abgestellt, während das Mandatsverhältnis mit der gesamten Sozietät abgeschlossen werde und nicht mit einem einzelnen sachbearbeitenden Anwalt. Maßgeblicher Blickwinkel bei dieser Beurteilung sei aber die Frage, ob die Klägerin eine fachlich versierte Kanzlei beauftrage. Nach den Vorstellungen des Verwaltungsgerichts wäre die Klägerin faktisch wohl zur Beauftragung einer Würzburger Kanzlei gezwungen gewesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses vom 31. Oktober 2019 die geltend gemachten Reisekosten einschließlich des Abwesenheitsgeldes in voller Höhe (220,17 Euro Fahrtkosten sowie 70,00 Euro Abwesenheitsgeld) festzusetzen.
Der Beklagte hat sich nicht geäußert.
Die Beigeladenen sind der Auffassung, die Reisekosten seien bis zur Gerichtsgrenze berechtigt gekürzt worden. Für eine Kostenerstattung darüber hinaus bestehe kein Raum.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und vorgelegten Behördenakten sowie der Akten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht W 5 K 16.1228 und der Normenkontrollakten des Verwaltungsgerichtshofs (9 N 17.2480) verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Die Reisekosten einschließlich des Abwesenheitsgeldes der auswärtigen Klägerbevollmächtigten sind zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Klägerin im Sinn des § 162 Abs. 1 und 2 VwGO notwendig gewesen und somit zu erstatten. Die angegriffenen Beschlüsse der Urkundsbeamtin vom 14. Januar 2019 und des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 31. Oktober 2019 sind daher zu ändern und die zu erstattenden Kosten der Klägerin antragsgemäß festzusetzen.
1. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind die Auslagen eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten stets erstattungsfähig. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig seien, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung. Der Gesetzgeber wollte die Parteien im Verwaltungsprozess bei der Wahl eines Bevollmächtigten freier stellen (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2007 – 9 KSt 5.07 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 26.6.2015 – 4 M 15.1062 – juris Rn. 11.).
Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die als Ausfluss des Rechts auf eine freie Anwaltswahl zu verstehende Regelung des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO als lex spezialis in dem Sinne anzusehen ist, dass dadurch das Gebot des kostenbewussten Verhaltens bei der Verursachung von Aufwendungen, die für die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckmäßigerweise ergriffen werden sollten (§ 162 Abs. 1 VwGO), außer Kraft gesetzt würde. Allerdings dürfen die Anforderungen insofern nicht überspannt werden; eine zu „kleinliche Handhabung“ ist nicht angebracht (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 22 C 17.1418 – juris Rn. 11 m.w.N.). Die Anforderungen an einen vernünftigen, kostenbewussten Rechtssuchenden lassen sich somit dahingehend zusammenfassen, dass es für die Wahl eines „auswärtigen“ (anstelle eines im Gerichtsbezirk ansässigen) Anwalts einen „hinreichend gewichtigen Grund“ geben muss (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2018 a.a.O. Rn. 13).
2. Nach diesen Maßstäben sind hier die Anforderungen an die Bejahung eines solchen hinreichend gewichtigen Grundes für die Mandatierung eines bestimmten, nicht im Gerichtsbezirk des zuständigen Gerichts ansässigen Rechtsanwalts erfüllt.
a) Soweit als Voraussetzung insoweit das Vorliegen von Spezialkenntnissen des mandatierten Anwalts verlangt wird, hat das Veraltungsgericht allein auf den im Verfahren vertretenden Rechtsanwalt der bevollmächtigten Rechtsanwaltskanzlei abgestellt. Es hat damit verkannt, dass das Mandatsverhältnis mit der gesamten Sozietät als solches zustande kommt und nicht mit einem einzelnen sachbearbeitenden Anwalt (vgl. BGH, B.v. 16.4.2008 – XII ZB 214/04 – juris Rn. 10). Gegenteiliges lässt sich hier auch nicht der erteilten Prozessvollmacht entnehmen. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht nicht in Zweifel gezogen, dass einzelne Partner bzw. juristische Mitarbeiter der bevollmächtigten Kanzlei über spezielle Kenntnisse im Bereich des Rechts der Bauleitplanung und des Raumordnungsrechts sowie über Erfahrungen bei der Vertretung von Kommunen verfügen. Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich vorliegend auch nicht etwa deshalb, weil der Termin vor dem Verwaltungsgericht tatsächlich von einem Anwalt der mandatierten Kanzlei ohne Fachanwaltstitel oder im Internetauftritt genau bezeichneter Spezialgebiete wahrgenommen wurde. Ob eine bestimmte Maßnahme der Rechtsverfolgung notwendig ist, ist aufgrund einer typisierenden Betrachtung zu prüfen. Der Gewinn an Gerechtigkeit, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den Nachteilen, die sich einstellen, wenn in nahezu jedem Einzelfall mit Recht darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Maßnahme der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu erstatten sind oder nicht (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 22 C 17.1418 – juris Rn. 17; BGH, B.v. 16.4.2008 – XII ZB 214/04 – juris Rn. 19).
b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann hier zudem nicht außer Betracht bleiben, dass die Klägerin die hier mandatierte Rechtsanwaltskanzlei auch in einem Normenkontrollverfahren beim Verwaltungsgerichtshof gegen die 12. Verordnung zur Änderung des Regionalplans der Region Würzburg des Regionalen Planungsverbandes Würzburg mit ihrer Vertretung beauftragt hat. Zwar hat das Verwaltungsgericht insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Verordnung erst am 23. Dezember 2016 – und damit nach Klageerhebung in dem vorliegenden Verfahren vorausgegangen Klageverfahren (W 5 K 16.1228) – in Kraft getreten ist. Wie sich den beim Senat befindlichen Planaufstellungsakten zu diesem Normenkontrollverfahren aber ohne weiteres entnehmen lässt, steht diese 12. Änderungsverordnung in direktem sachlichen Zusammenhang mit dem Streitgegenstand des Verfahrens W 5 K 16.1228, in dem die Klägerin einen Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 9. November 2016 angefochten hatte, mit dem der Beigeladenen die Zustimmung erteilt worden war, den gemeinsamen Flächennutzungsplan der Klägerin, der Gemeinde Bieberehren, der Gemeinde Riedenheim und der Beigeladenen für den sachlichen Teilbereich der Darstellung von Sondergebieten für Windkraftanlagen vom 30. Mai 2003 in der Fassung vom 11. Mai 2004 zu ändern oder zu ergänzen. Wie aus den Normaufstellungsakten ebenfalls ersichtlich ist, wurde das Planaufstellungsverfahren für die 12. Änderungsverordnung bereits im Jahre 2013 eingeleitet und damit lange vor Erlass des Bescheids des Landratsamts Würzburg vom 9. November 2016 und sollte dem Ziel dienen, das Vorbehaltsgebiet „WK 36“ (früher WK 33) zur Verwirklichung von Windkraftanlagen in diesem Gebiet festzulegen. Dieses Vorbehaltsgebiet liegt im Geltungsbereich des oben genannten gemeinsamen Flächennutzungsplans, der in seiner ursprünglichen Fassung dieser Verwirklichung entgegenstand. Mit dem Bescheid des Landratsamts vom 9. November 2016 sollte deshalb der Beigeladenen ermöglicht werden, den gemeinsamen Flächennutzungsplan entsprechend zu ändern oder dazu ergänzen. Ausweislich der Normaufstellungsakten stand die Klägerin der Ausweisung dieses Vorbehaltsgebiets von Anfang an ablehnend gegenüber.
Dies hat nach Auffassung des Senats – zusammen mit der genannten Qualifikation der mandatierten Kanzlei – hinreichend Gewicht, um aus der objektiven Sicht eines „verständigen Beteiligten“, der weder besonders „ängstlich noch besonders sorglos ist“ (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 22 C 17.1418 – juris Rn. 22), die Beauftragung derjenigen Kanzlei als „zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig“ anzusehen, die aus Sicht der Klägerin für die Stellung eines absehbaren Normenkontrollantrags gegen die 12. Änderungsverordnung in Betracht kam und ihren Sitz am Sitz des Normenkontrollgerichts hat.
3. Kostenpositionen in der Abrechnung der Rechtsanwaltskanzlei der Klägerin, die aus anderen Gründen als den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt des „auswärtigen Rechtsanwalts“ nicht hätten anerkannt werden dürfen, sind nicht ersichtlich. Die erstattungsfähigen Kosten der Kläger waren deshalb antragsgemäß festzusetzen und die entgegenstehenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichts zu ändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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