Kosten- und Gebührenrecht

Verwirkung eines kostenrechtlichen Erstattungsanspruchs

Aktenzeichen  M 21 M 17.3201

Datum:
3.1.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15744
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 164, § 117 Abs. 3 S. 2
BGB § 197 Abs. 1 Nr. 3, § 839
RVG § 33 Abs. 1, 2

 

Leitsatz

Hat sich ein Beteiligter bei Geltendmachung seiner kostenrechtlichen Erstattungsforderung offensichtlich (zu seinen Ungunsten) verrechnet, kann sich der andere Teil nicht auf die berechtigte Erwartung stützen, der (weitere) Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger stand im hier interessierenden Zeitraum als Erster Polizeihauptkommissar im Dienst der Beklagten und war bei dem (Querschnitts-)Sachgebiet 55 des Bundespolizeipräsidiums – Dienststelle Rosenheim – beschäftigt, als er sich am 29. April 2010 auf einen von Europol in Den Haag (Niederlande) ausgeschriebenen Dienstposten bewarb. Seine Bewerbung wurde am 11. Mai 2010, da Unionsrecht hierfür die Benennung einer zentralen „nationalen Stelle“ vorschrieb, vom Bundespolizeipräsidium an das zuständige Bundeskriminalamt abgegeben, jedoch von diesem verspätet an Europol weitergeleitet, sodass bei dortigem Eingang die am 27. Mai 2010 endende Bewerbungsfrist verstrichen war. Der Kläger wurde wegen dieser Fristversäumnis vom Auswahlverfahren ausgeschlossen.
Er erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 4. November 2010 durch seine Bevollmächtigten bei dem Verwaltungsgericht München Klage mit dem Antrag, die (durch das Bundeskriminalamt vertretene) Beklagte unter Aufhebung der von diesem erlassenen Ablehnungs- und Widerspruchsbescheide zum Ersatz des ihm durch die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung entstandenen Schadens zu verpflichten. Zur Begründung der Klage wies er u.a. darauf hin, dass er sein Begehren auf die in § 78 BBG wurzelnden Grundsätze über unmittelbar aus dem Beamtenverhältnis herzuleitende Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer sonstigen Dienstherrenpflicht stütze.
Mit Beschluss vom 19. März 2012 (Az. 21 K 10.5317) erklärte die erkennende Kammer den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Wiesbaden. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei wegen seines Begehrens auf einen Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG verwiesen, da das Bundeskriminalamt bei der Behandlung seiner Bewerbung nicht in Wahrnehmung einer ihm gegenüber bestehenden, in § 78 BBG verankerten Dienstherrenpflicht gehandelt habe. Dies habe die (alleinige) Zulässigkeit des Zivilrechtswegs zur Folge.
Auf die hiergegen von dem Kläger durch seine Bevollmächtigten eingelegte und unter dem 10. April 2012 dem Landgericht Wiesbaden verkündete Rechtswegbeschwerde hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 19. Juni 2012 (Az. 6 C 12.857) den Verweisungsbeschluss vom 19. März 2012 auf und erklärte den Verwaltungsrechtsweg für zulässig. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens wurden der Beklagten auferlegt. Mit weiterem Beschluss vom 13. Juli 2012 (Az. wie vor) setzte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof außerdem auf Antrag der Bevollmächtigten des Klägers nach § 33 Abs. 1 und 2 RVG unter Annahme eines in der Hauptsache festzusetzenden Streitwerts von 45.459,90 € den Gegenstandswert für das Rechtswegbeschwerdeverfahren auf 9.091,98 € fest.
Mit nach beiderseitigem Verzicht auf mündliche Verhandlung erlassenem Urteil vom 25. Juli 2012 (Az. M 21 K 12.2968) wies die Kammer daraufhin die am 4. November 2010 erhobene Klage auf Kosten des Klägers unter Festsetzung eines Streitwerts von 5.000,00 € ab.
Der hiergegen von dem Kläger durch seine Bevollmächtigten gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 2013 (Az. 6 ZB 12.1829) abgelehnt. Der Streitwert wurde für das Antragsverfahren sowie für das erstinstanzliche Verfahren auf jeweils 45.459,90 € festgesetzt.
Im daran anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren beantragte die Beklagte durch das Bundeskriminalamt unter dem 10. März 2014 die Erstattung der Kosten des von ihr in dem Verfahren des Landgerichts Wiesbaden (Az. 9 O 84/12) aufgrund des dort herrschenden Anwaltszwangs bestellten Rechtsanwalts in Höhe von 1.152,51 €.
Diese wurden mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. März 2014 (Az. M 21 K 12.2968) antragsgemäß nebst Zinsen ab 13. März 2014 zugunsten der Beklagten festgesetzt.
Hiergegen beantragte der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 21. März 2014 die Entscheidung des Gerichts. Zur Begründung wurde vorgetragen, die von der Beklagten geltend gemachten Anwaltskosten seien nicht erstattungsfähig. Zum einen sei die Verweisung, die sich im Übrigen als rechtswidrig erwiesen habe, auf Veranlassung der Beklagten erfolgt. Zum andern hätten sich die Bevollmächtigten der Beklagten im landgerichtlichen Verfahren erst unter dem 20. April 2012 und damit nach Einlegung der Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss bestellt. Zu diesem Zeitpunkt sei die Bestellung eines Anwalts bereits überflüssig gewesen. Diese könne nach alledem nicht dem Kläger angelastet werden. Auch der Kostenentscheidung im Urteil vom 25. Juli 2012 könne nicht entnommen werden, dass das Verwaltungsgericht die bei einem anderen Gericht angefallenen, erheblichen Anwaltskosten als erstattungsfähig angesehen habe. Hierfür gebe es keine Rechtsgrundlage.
Mit Beschluss vom 4. April 2014 (Az. M 21 M 14.1383) wies die Kammer die Erinnerung zurück. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juni 2014 (Az. 6 C 14.903) zurückgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Am 16. Dezember 2016 beantragte die Beklagte durch das Bundeskriminalamt die Festsetzung weiterer Anwaltskosten in Höhe von 489,45 € nebst Zinsen ab Antragstellung gegen den Kläger. Zur Begründung wurde vorgetragen, der betreffende Betrag sei bereits aufgrund vorgelegter (früherer) Anwaltshonorarrechnung vom 29. Juni 2012 wegen des bis dahin angenommenen Streitwerts von 5.000,00 € verauslagt und von den beauftragten Rechtsanwälten in der Kostenrechnung vom 26. November 2013 daher in Abzug gebracht worden. Die Beklagte habe also versehentlich anstelle des ihr tatsächlich entstandenen Gesamtaufwands in Höhe von 1.641,96 € bislang nur den Differenzbetrag in Höhe von 1.152,51 € verlangt.
Hiergegen wandte der Kläger durch seine Bevollmächtigten u.a. ein, er erhebe gegen die weitere Forderung die Einrede der Verjährung, hilfsweise werde Verwirkung geltend gemacht.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Mai 2017 setzte die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts München die weiteren 489,45 € als notwendige Aufwendungen der Beklagten aus dem Verfahren M 21 K 12.2968 nebst Zinsen ab 16. Dezember 2016 gegen den Kläger fest.
Hiergegen beantragte dieser durch seine Bevollmächtigten am 1. Juni 2017 die Entscheidung des Gerichts. Zur Begründung wurde vorgetragen, die Kostenbeamtin habe sich zu den gegen die Nachforderung erhobenen Einwendungen nicht geäußert. Auf das weitere Vorbringen in den Schriftsätzen der Klagepartei vom 21. Juni 2017 und der Beklagtenvertretung vom 31. August 2017 wird Bezug genommen.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie am 3. Juli 2017 dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Der gemäß § 165, § 151 VwGO statthafte Antrag vom 1. Juni 2017 auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) ist nicht begründet.
Durch den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juni 2014 (Az. 6 C 14.903) ist zwischen den Beteiligten unanfechtbar geklärt, dass die nach dem rechtskräftigen Urteil der Kammer vom 25. Juli 2012 (Az. M 21 K 12.2968) von dem Kläger dem Grunde nach zu tragenden Kosten gemäß § 162 Abs. 1 VwGO auch die im Verfahren vor dem Landgericht Wiesbaden (Az. 9 O 84/12) angefallenen Anwaltsgebühren und -auslagen als zur Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen der Beklagten umfassen. Geklärt ist dadurch auch, dass – trotz der Nichtbeachtung des § 17b Abs. 1 Satz 1 GVG sowohl durch das Verwaltungsgericht als auch das Landgericht – aus dem hier maßgeblichen Blickwinkel eines verständigen Beteiligten im Zeitpunkt der kostenverursachenden Handlung die Kostenabrechnung der für das zivilgerichtliche Verfahren bestellten Rechtsanwälte sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich des Abstellens auf den mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Juli 2012 (Az. 6 C 12.857) festgesetzten Gegenstandswert berechtigt war. Daraus folgt, dass der Kläger zur Erstattung aller der Beklagten durch die fehlerhafte Verweisung an das Landgericht Wiesbaden entstandenen Rechtsverteidigungskosten verpflichtet ist.
Er kann hiergegen nicht mit Erfolg die Einrede der Verjährung erheben. Der der Verjährung unterliegende Erstattungsanspruch der Beklagten beruht auf dem Urteil der Kammer vom 25. Juli 2012 (Az. M 21 K 12.2968), welches nach Ablehnung des hiergegen gestellten Antrags auf Zulassung der Berufung durch Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 2013 (Az. 6 ZB 12.1829) mit dessen Zustellung rechtskräftig geworden ist. Somit handelt es sich um einen rechtskräftig festgestellten Anspruch, welcher gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB in 30 Jahren verjährt (BGH vom 23.03.2006 – V ZB 189/05 – FamRZ 2006, 854 = NJW 2006, 1962; VG Berlin vom 01.03.2012 – 35 KE 39.11 – juris). Die Verjährungsfrist ist nach § 201 BGB mit der Rechtskraft des Urteils an- und bislang nicht abgelaufen.
Der Erstattungsanspruch ist auch nicht verwirkt. Zwar ist der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben auch im öffentlichen Recht einschließlich des Beamtenrechts anwendbar (BVerwG vom 29.10.2008 – 2 B 22.08 – juris, m.w.N.). Für die Annahme der Verwirkung genügt aber – anders als für den Eintritt der Verjährung – nicht der bloße Zeitablauf. Vielmehr setzt sie zusätzlich ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten voraus, das geeignet ist, beim anderen Teil die Vorstellung zu begründen, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht werden. Außerdem wird eine Verletzung oder Gefährdung berechtigter Interessen des anderen Teils gefordert, etwa weil dieser sich auf die vom Berechtigten erweckte Erwartung, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht, einrichten durfte und eingerichtet hat (st. Rspr., BVerwG vom 29.10.2008, a.a.O.). Vorliegend fehlt es sowohl an einem bestimmten Verhalten der Beklagten, das geeignet war, bei dem Kläger die Vorstellung zu begründen, die Beklagte werde den weiteren Erstattungsanspruch nicht mehr erheben, als auch an der Verletzung oder Gefährdung berechtigter Interessen des Klägers. Vielmehr musste dieser stets mit einer ergänzenden Erstattungsforderung rechnen. Denn aus der ursprünglichen Kostenforderung der Beklagten vom 10. März 2014, welche dem Kläger mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. März 2014 zugestellt wurde, ging – auch für einen rechtlichen oder kaufmännischen Laien hinreichend ersichtlich – bereits hervor, dass die Beklagte mit der Forderung von nur 1.152,51 € nicht bewusst auf einen Teil ihrer Erstattungsforderung verzichten wollte, sondern sich lediglich zu ihren Ungunsten verrechnet hatte. Bei dem Differenzbetrag handelte es sich im Übrigen nicht etwa um eine fragwürdige Zusatzgebühr des bestellten Anwalts, sondern um den seit jeher unbestreitbaren Mindestumfang seines Honoraranspruchs. Da die Beklagte demnach früher oder später bemerken musste, dass sie mit Rechnung vom 29. Juni 2012 bereits weitere 489,45 € an Anwaltskosten bezahlt hatte, war die Erwartung des Klägers, der Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht, nicht von einem berechtigten Interesse getragen.
Nach alledem war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Da das Erinnerungsverfahren gebührenfrei ist (vgl. oben), ist eine Streitwertfestsetzung nicht erforderlich.


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