Medizinrecht

11 O 160/20 V

Aktenzeichen  11 O 160/20 V

Datum:
2.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1812
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Ist in einem Teilungsabkommen als Voraussetzung der abkommensgemäßen Beteiligung zwischen Krankenversicherer und Kraftfahrthaftpflichtversicherer ausdrücklich geregelt, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeugs und dem Eintritt des Schadensfalles bestehen muss, ist ein innerer Zusammenhang zwischen dem Schadensfall und dem versicherten Wagnis erforderlich. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein solcher innerer Zusammenhang setzt einen Kausalzusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn zwischen dem Verkehrsunfall und Gesundheitsschaden voraus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird bis zum 09.12.2020 auf 32.500,00 € festgesetzt, ab dem 10.12.2020 auf 27.500,00 €.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin kann auch nach Maßgabe des zwischen den Parteien unstrittig bestehenden Teilungsabkommens keine Ansprüche gegen die Beklagte auf Ersatz der ihr für die streitgegenständliche Behandlung der Frau … verh. S., entstandenen Aufwendungen verlangen.
In § 1 a Abs. 3 des streitgegenständlichen Teilungsabkommens (in der Folge: TA) ist als Voraussetzung der abkommensgemäßen Beteiligung ausdrücklich geregelt, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeugs und dem Eintritt des Schadensfalles bestehen muss. Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist es, die Erstattungspflicht des Haftpflichtversicherers davon abhängig zu machen, dass zwischen dem Schadensfall und dem versicherten Wagnis ein innerer und nicht etwa nur ein äußerlicher und zufälliger Zusammenhang besteht (BGH, Urteil vom 19.09.1979, IV ZR 87/78, Randnr. 13 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles kann ein solcher innerer Zusammenhang hier jedoch nur dann angenommen werden, wenn die Klägerin ihre Behauptung beweist, dass zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeugs, das heißt dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug am 19.11.2016, und den späterhin diagnostizierten Gesundheitsschäden ihrer Versicherten bzw. den aufgrund dieser Gesundheitsschäden erbrachten Aufwendungen der Klägerin ein Kausalzusammenhang in medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn besteht.
Nachdem die Klägerin diesen ihr obliegenden Beweis eines medizinisch-naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall vom 19.11.2016 und der in der Folge diagnostizierten Verletzung ihrer Versicherten nicht geführt hat, ist davon auszugehen, dass ein adäquater Kausalzusammenhang im Sinne des TA zwischen dem Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs und den streitgegenständlichen Aufwendungen der Klägerin nicht besteht.
Das rein zeitliche Zusammentreffen zwischen dem Unfall, den zwei Tage später erstmals aufgetretenen Beschwerden und der erstmaligen ärztlichen Behandlung drei Tage nach dem Unfall reicht offensichtlich nicht aus, um den erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem Schadensfall und dem versicherten Wagnis herzustellen. Eine solche bloß zeitliche Nähe zwischen dem Unfall und der Behandlung der Versicherten stellt vielmehr gerade ein typisches Beispiel für einen lediglich äußerlichen und zufälligen Zusammenhang dar, der auch nach dem Teilungsabkommen keine Einstandspflicht der Beklagten begründet.
Ebenso wenig kann es für einen inneren Zusammenhang zwischen einem Verkehrsunfall und den Aufwendungen eines gesetzlichen Krankenversicherers ausreichen, dass der Versicherte subjektiv einen Zusammenhang zwischen einem vorangegangenen Unfall und nachfolgenden körperlichen Beschwerden annimmt. Auch insoweit ist es völlig vom Zufall abhängig, ob der Versicherte zu dieser Auffassung gelangt, oder ob er seine Beschwerden auf andere Umstände, etwa auf Vorerkrankungen, zurückführt. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht wesentlich darauf ankommen, ob die behandelnden Ärzte einen derartigen Ursachenzusammenhang herstellen. Die behandelnden Ärzte übernehmen entsprechende Angaben der Patienten erfahrungsgemäß oft ungeprüft in ihre ärztlichen Berichte, nachdem die Frage nach der Ursache der Beschwerden für die Behandlung häufig belanglos ist und die Ärzte das Behandlungsverhältnis nicht durch Diskussionen über die von dem Patienten aufgestellten Theorien gefährden wollen. Auch unter diesem Aspekt ist es daher eher zufällig, ob sich in den Arztberichten entsprechende Angaben finden.
Dem steht auch nicht die Entscheidung des BGH vom 01.12.2007 (Aktenzeichen VI ZR 110/06) entgegen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich nämlich in wesentlichen Punkten von dem Fall, der der eben zitierten Entscheidung zu Grunde lag. In dem letztgenannten Fall wurde der Versicherte der klagenden Krankenversicherung bereits unmittelbar nach dem Unfall mit dem bei der beklagten Versicherung haftpflichtversicherten Kfz notfallmäßig ins Krankenhaus eingeliefert. Dort wurde eine unfallbedingte Verletzung diagnostiziert, was dann weiter zu den Aufwendungen der klagenden Krankenversicherung (Behandlungskosten, Krankengeld, Lohnersatzleistungen) führte. In dieser Fallkonstellation bestand jedoch offensichtlich ein Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensfall und dem versicherten Risiko, also dem Betrieb des Kraftfahrzeuges; dies gilt auch dann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die im Krankenhaus gestellte Diagnose falsch war und die Beschwerden des Versicherten in Wirklichkeit auf unfallunabhängige Vorerkrankungen zurückzuführen waren. Auch dann wäre es nämlich in diesem Fall ohne den Unfall nicht dazugekommen, dass die entsprechende Diagnose im Krankenhaus gestellt und in der Folge die entsprechenden Behandlungsmaßnahmen eingeleitet worden wären. Der Unfall konnte also in diesem Fall nicht hinweg gedacht werden, ohne dass auch die entsprechenden Aufwendungen der Krankenversicherung entfallen. Es kommt in diesem Zusammenhang dann auch nicht darauf an, ob die Vorerkrankungen des Versicherten auch ohne den Unfall irgendwann zu entsprechenden Aufwendungen geführt hätten, denn insoweit handelt es sich um einen unbeachtlichen alternativen Kausalverlauf.
Im vorliegenden Fall litt die Versicherte dagegen unmittelbar nach dem streitgegenständlichen Unfall vom 19.11.2016 auch nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht unter irgendwelchen Beschwerden. Die Versicherte hat sich dementsprechend wegen des Unfalls zunächst auch nicht in ärztliche Behandlung begeben. Es wurden deshalb bei der Versicherten unmittelbar nach dem Unfall auch keine Primärverletzungen diagnostiziert. Bei der Versicherten traten vielmehr erstmals zwei Tage nach dem streitgegenständlichen Unfall Schmerzen auf und sie begab sich erstmals am 22. 11.2016, also erst mehrere Tage nach dem Unfall, in ärztliche Behandlung. Unter diesen Umständen fehlt es grundsätzlich an einem irgendwie gearteten inneren Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Behandlung der Versicherten. Wie bereits ausgeführt stellt die bloße zeitliche Nähe – mit einem Abstand von zwei Tagen zwischen dem Unfall und dem erstmaligen Auftreten von Beschwerden und von drei Tagen zwischen dem Unfall und der erstmaligen ärztlichen Behandlung – lediglich ein äußerliches und zufälliges Zusammentreffen dar, das den von dem TA geforderten adäquaten Kausalzusammenhang nicht begründen kann.
Nachdem die Klägerin ihre Behauptung, es bestehe (jedenfalls auch) ein medizinisch-naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall, der Verletzung der Versicherten und den der Klägerin entstanden Kosten, nicht bewiesen hat, ist im übrigen der Beklagtenvortrag als wahr zu unterstellen, wonach ein solcher Zusammenhang tatsächlich nicht gegeben ist. Dann kann jedoch im vorliegenden Fall der Unfall ohne weiteres hinweg gedacht werden ohne dass sich am Verlauf irgendetwas geändert hätte, vielmehr wären die Aufwendungen der Klägerin auch dann in gleicher Weise entstanden.
Der vorliegende Fall lässt sich auch nicht mit den Fällen vergleichen, die den Entscheidungen des BGH vom 01.10.2008 (Az. IV ZR 285/06, IV ZR 157/07 und IV ZR 133/07) zu Grunde lagen. In diesen Fällen war jeweils unstrittig, dass sich die Versicherten der klagenden Krankenversicherung bei Stürzen in den von dem Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung betriebenen Pflegeheimen verletzt hatten. Es stand damit bereits fest, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem von der Haftpflichtversicherung gedeckten Risiko, nämlich dem Betrieb der Pflegeheime, und den Schadensfällen bestand, weshalb es nach den Teilungsabkommen dann nicht mehr darauf ankam, ob und auf welcher Grundlage im jeweiligen Einzelfall ein Verschulden des Heimpersonals gegeben war. Im vorliegenden Fall steht hingegen beim jetzigen Sach- und Streitstand gerade nicht fest, dass die Versicherte der Klägerin eine Verletzung erlitten hat, die in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit dem Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kfzs steht.
Ebenso ist auch der Fall, der der Entscheidung des 0LG Koblenz vom 21.08.2017 (Az.: 12 U 1102/18) zu Grunde lag, insofern anders gelagert, als dort unstrittig war, dass der Versicherte der klagenden Krankenversicherung bei dem streitgegenständlichen Unfall eine Primärverletzung im Bereich der Lendenwirbelsäule erlitten hatte und lediglich im Streit stand, ob späterhin, etwa drei Monate nach dem Unfall, aufgetretene Beschwerden Folge des Unfalls bzw. der Primärverletzung waren oder Folge unfallunabhängiger Vorerkrankungen.
Der der Entscheidung des 0LG Zweibrücken vom 25.08.2010 (Az.: 1 U 31/10) zu Grunde liegende Fall entspricht im Wesentlichen den oben zitierten Fall (BGH VI ZR 110/06); auch bei diesem Fall wurde bereits unmittelbar nach dem Unfall eine unfallbedingte Verletzung diagnostiziert, die zu einer Krankschreibung des Versicherten und entsprechenden Lohnfortzahlungsleistungen der Krankenversicherung führte. Auch in diesem Fall bestand daher ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den Aufwendungen der Krankenversicherung selbst dann, wenn die gestellte Diagnose falsch war.
Für die Auffassung der Klägerin scheint allerdings zunächst die Entscheidung des BGH vom 06.10.1982 (Az.: 4 a ZR 54/81) zu sprechen; hiernach sollte es genügen, wenn nach der Lebenserfahrung die bloße Möglichkeit besteht, dass – auch unbegründete – Haftpflichtansprüche gegen den Haftpflichtversicherten aus Anlass des Schadensereignisses erhoben werden. In diesem Fall war jedoch das Teilungsabkommen inhaltlich anders formuliert. Danach sollte es genügen, dass objektiv die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherten gegeben ist und es sollten bloß solche Schäden nicht unter das Teilungsabkommen fallen, bei denen es an einem offensichtlich erkennbaren Kausalzusammenhang zwischen Schaden und dem Handeln bzw. Unterlassen des in Anspruch Genommenen fehlt, die also nur rein äußerlich und zufällig mit dem versicherten Wagnis zusammen hängen. Das Erfordernis eines adäquaten Kausalzusammenhangs fand sich in dem dort zu Grunde liegenden Abkommen dagegen gerade nicht.
Im vorliegenden Fall haben dagegen die Parteien des Teilungsabkommens einen solchen Zusammenhang unter § 1 a Abs. 3 TA ausdrücklich zur Voraussetzung der Haftung gemacht, und sie haben auch von der Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, den Ausschluss der Haftung der Beklagten auf die sogenannten Groteskfälle zu beschränken, in denen ohne das Teilungsabkommen niemand auf die Idee käme, den Haftpflichtversicherer in Anspruch zu nehmen. Die in der zuletzt genannten Entscheidung aufgestellten Grundsätze können somit auf den vorliegenden Fall nicht entsprechend angewendet werden. Es genügt daher nicht, dass aufgrund des nahen zeitlichen Zusammentreffens zwischen dem streitgegenständlichen Unfall und dem erstmaligen Auftreten von Beschwerden bei der noch jungen Versicherten und aufgrund der in der Folge gestellten ärztlichen Diagnosen die Möglichkeit oder sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Beschwerden der Versicherten und damit die Aufwendungen der Klägerin tatsächlich eine Folge des streitgegenständlichen Unfalles sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZP0, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZP0.
Der Streitwert des bezifferten Klageantrags 1. entspricht der geltend gemachten Zahlungsforderung. Der Streitwert des Feststellungsantrages 2. entspricht dem Betrag, den die Klägerin nach einer Zahlung gemäß Ziff. 1 aufgrund des Teilungsabkommens zukünftig noch geltend machen könnte, somit einem Betrag in Höhe von 17.956,93 €. Ein Abschlag für die Feststellungsklage ist nicht geboten, nachdem anzunehmen ist, dass die Beklagte als große Versicherungsgesellschaft auch aufgrund eines bloßen Feststellungsantrages leisten wird. Den Streitwert des – dann zurückgenommen – Feststellungsantrages 3. schätzt das Gericht auf 5.000,00 €. Die weiter geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erhöhen den Streitwert als Nebenforderung gemäß § 43 Abs. 1 GKG nicht.


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