Medizinrecht

Betriebsuntersagung, Verwaltungsgerichte, Antragsgegner, Anfechtungsklage gegen, Aufschiebende Wirkung, Vorläufiger Rechtsschutz, Antragstellers, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Geschäftsbetrieb, Außervollzugsetzung, Anfechtbarer Verwaltungsakt, Prozeßkostenhilfeverfahren, Geschäftsräume, Folgenabwägung, Vertragsschluss, Normenkontrollverfahren, Kostenentscheidung, Festsetzung des Gegenstandswertes, Beschwerdeentscheidung, Beschwerdeschrift

Aktenzeichen  Au 9 S 20.2794

Datum:
8.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1572
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BayIfSMV § 12 Abs. 1 der 11.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Schließung ihrer Filiale für den Kundenverkehr auf Grundlage der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung.
Die Antragstellerin betreibt im Stadtgebiet der Antragsgegnerin einen Gewerbebetrieb für den An- und Verkauf gebrauchter Fahrzeuge. Der Ankaufsprozess der Fahrzeuge wird unter Verwendung der Online-Plattform „*“ angebahnt und in den Geschäftsräumlichkeiten der Antragstellerin abgewickelt. Ein potentieller Verkäufer lädt zunächst die Daten über sein Fahrzeug auf der Internetplattform hoch, anschließend erhält er von der Antragstellerin ein Ankaufsangebot. Bei Interesse wird mit dem Kunden zeitnah ein Termin in der Filiale der Antragstellerin vereinbart, bei dem das Fahrzeug bewertet und im Falle der Übereinstimmung mit den auf der Internetplattform angegebenen Daten ein Kaufvertrag geschlossen bzw. ein Alternativangebot abgegeben wird. Das verkaufte Fahrzeug kann direkt nach dem Vertragsschluss in der Filiale der Antragstellerin übergeben werden. Die auf dieser Weise angekauften Fahrzeuge werden über die Online-Plattform „*“ an gewerbliche Autohändler weiterverkauft und außerhalb der Filialen übergeben. Daneben betreibt die Antragstellerin über die Internetplattform „*“ einen Autohandel, bei dem der Vertragsschluss ausschließlich online erfolgt und die gekauften Fahrzeuge nach Vertragsschluss an die Anschrift des Käufers geliefert bzw. in der Filiale der Antragstellerin von dem Kunden abgeholt werden.
Die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 737), die nach § 29 Abs. 1 der 11. BayIfSMV mit Ablauf des 10. Januar 2021 außer Kraft tritt, hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
§ 12
Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
(1) Die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr und zugehörige Abholdienste sind untersagt. Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel, der Verkauf von Weihnachtsbäumen und sonstige für den tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel (…).
Am 16. Dezember 2020 wurde die für den Kundenverkehr geöffnete Filiale der Antragstellerin im Stadtgebiet der Antragsgegnerin von der Polizei kontrolliert. Mit Schreiben vom gleichen Tag übersandte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Kopie der 11. BayIfSMV sowie die dazugehörige „Positiv-Liste“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und wies darauf hin, dass Autohandel nach den Regelungen der 11. BayIfSMV ab dem 16. Dezember 2020 untersagt sei. Zulässig sei dagegen ein (reiner) Online-Handel. Die Antragstellerin werde daher gebeten, den Autohandel umgehend einzustellen.
Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 erhob die Antragstellerin gegen die Schließungsanordnung der Antragsgegnerin Klage (Au 9 K 20.2793) und beantragt die Anordnung vom 16. Dezember 2020 aufzuheben. Über die vorbezeichnete Klage ist noch nicht entschieden.
Gleichzeitig hat die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der mit gleichem Schriftsatz erhobenen Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die am 16. Dezember 2020 erteilte Anordnung der Schließung des Geschäftsbetriebs der Filiale der Antragstellerin in … GmbH & Co. KG, …-Straße, … durch die Antragsgegnerin, Az., anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sei statthaft, da eine Anfechtungsklage gegen die Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) gemäß § 28 Abs. 3 i.V.m § 16 Abs. 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung hätten. Die Schließungsanordnung der Antragsgegnerin sei offensichtlich rechtswidrig, da die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV nicht vorlägen. Der Geschäftsbetrieb der Antragstellerin falle nicht in den Anwendungsbereich der 11. BayIfSMV. Bereits im Bund-Länder-Beschluss vom 13. Dezember 2020 seien der Großhandel sowie die Durchführung von Abhol- und Lieferdiensten ausdrücklich aus dem Regelungsbereich ausgenommen worden. Die entsprechenden Ausnahmetatbestände ergäben sich aus § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV. Auch nach Ziffer 1 der offiziellen FAQ’s zu Corona-Krise und Wirtschaft sei der Online-Handel von der Betriebsuntersagung ausdrücklich ausgenommen. Das Geschäftsmodell der Antragstellerin ziele nicht auf den Absatz an private Abnehmer und Letztverbraucher, was Wesensmerkmal des Einzelhandels sei. Es handele sich vielmehr um eine Vertriebsform des Großhandels. Der Ankauf der Gebrauchtwagen komme über die Online-Plattform „*“ zustande. Die angekauften Fahrzeuge würden sodann über die Online-Plattform „*“ an gewerbliche Kunden weiterverkauft. Die einzelnen Filialen würden der Übergabe der Fahrzeuge im Rahmen des Ankaufs dienen. Da von den angeordneten Betriebsschließungen Abhol-, Übergabe- und Lieferdienste nicht erfasst seien, die der Abwicklung von Fernabsatzgeschäften dienten, würde § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV für den Geschäftsbetrieb der Antragstellerin nicht gelten. Die Umsetzung der Geschäftsmodelle der Antragstellerin erfolge unter konsequenter Einhaltung eines strengen und verordnungskonformen Hygienekonzepts. Jedenfalls falle die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage überwögen deutlich, denn einer allenfalls sehr geringfügigen Bedeutung für das Infektionsgeschehen stünden erhebliche wirtschaftliche Einbußen aufseiten der Antragstellerin gegenüber. In der Filiale der Antragstellerin komme es nicht zu unkontrollierbaren und nicht mehr nachvollziehbaren Kontakten, die es nach der Intention des Verordnungsgebers zu vermeiden gelte. Die epidemiologischen Risiken seien im Geschäftsbetrieb der Antragstellerin deutlich geringer, als bei sonstigen, durch die Verordnung ausdrücklich erlaubten Abholdiensten (wie der Gastronomie), die nicht auf vorheriger (Einzel-)Terminvereinbarung beruhten und bei denen eine Warteschlangenbildung durchaus vorkäme. Die Antragstellerin sei durch die Anordnung der Filialschließung in besonderer Weise in ihrer Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG betroffen. Die behördliche Anordnung komme einem Berufsausübungsverbot gleich. Dem … Konzern und der Antragstellerin als Teil dieser wirtschaftlichen Einheit drohten daher bei Schließung der verfahrensgegenständlichen Filiale erhebliche finanzielle Einbußen.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2020 hat die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage sei bereits unzulässig, da es sich bei dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2020 nicht um einen Verwaltungsakt handele. In dem gegenständlichen Schreiben werde lediglich die aktuelle Rechtslage erläutert. Der Verordnungsgeber habe in der 11. BayIfSMV die Schließungsanordnung getroffen. Das Schreiben selbst enthalte keinen eigenen Regelungsgehalt. Es werde vielmehr lediglich erläutert, wie die Regelungen der aktuellen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung zu verstehen seien. Das Schreiben diene lediglich der Information. Die äußere Form und der Wortlaut des Schreibens machten deutlich, dass es sich nicht um verbindliche Anordnungen mit eigenständigem Regelungscharakter handele. Der Antrag sei darüber hinaus auch unbegründet. Gemäß § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV in Verbindung mit der Positiv-Liste des Gesundheitsministeriums sei der Autohandel derzeit untersagt. Zwischen Autohäusern und dem Autohandel könne aus Infektionsschutzsicht kein Unterschied gemacht werden. Nach der 11. BayIfSMV sei Beratung und Verkauf vor Ort nicht möglich. Bei dem Unternehmen der Antragstellerin handele es sich nicht um einen Großhandel. Die Bezeichnung Großhandel weise in der funktionalen Interpretation auf ein Unternehmen hin, das überwiegend Großabnehmer und Wiederverkäufer beliefere. Der Geschäftsbetrieb der Antragstellerin richte sich dagegen überwiegend an End- bzw. Privatkunden. Ferner betreffe Ziffer 5 der FAQ zur Corona-Krise und Wirtschaft nur Fahrzeuge, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 11. BayIfSMV bereits verkauft oder geleast gewesen seien.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den von den Beteiligten gewechselten Schriftverkehr verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg.
1. Er ist bereits unzulässig, da ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorliegend nicht statthaft ist.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage im Sinn des § 42 Abs. 2 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Allerdings entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage, wenn dies durch ein Gesetz vorgeschrieben ist. Bei Anfechtungsklagen gegen Einzelmaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz entfällt die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG, sodass grundsätzlich ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft wäre. Voraussetzung ist insoweit, dass es sich bei der angegriffenen Maßnahme um einen Verwaltungsakt im Sinn des Art. 35 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) handelt.
Vorliegend fehlt es bereits an einer infektionsschutzrechtlichen Einzelmaßnahme mit Verwaltungsaktqualität, da das angegriffene Schreiben der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2020 die Voraussetzungen des Art. 35 BayVwVfG nicht erfüllt.
Nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt es sich bei einem Verwaltungsakt um eine Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Unabdingbare Voraussetzung für die Einordnung einer Maßnahme als Verwaltungsakt ist daher eine Regelungswirkung in Bezug auf einen konkreten Einzelfall. Das streitgegenständliche Schreiben der Antragstellerin enthält jedoch lediglich Hinweise auf geltende Bestimmungen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und ist somit nicht auf die Regelung eines bestimmten Sachverhalts gerichtet. Die Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr ergibt sich unmittelbar aus § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV, ohne dass es hierfür einer gesonderten Einzelfallanordnung der Kreisverwaltungsbehörde bedarf. Die Verordnung sieht auch keine Möglichkeit einer Ausnahmeerteilung durch die Kreisverwaltungsbehörde vor, die einschlägigen Ausnahmetatbestände sind vielmehr explizit in der Verordnung geregelt. Das Schreiben vom 16. Dezember 2020 enthält offensichtlich lediglich Ausführungen der Antragsgegnerin zur rechtlichen Einschätzung des streitgegenständlichen Sachverhalts sowie eine Bitte, die geltenden Regelungen der Verordnung zu befolgen. Dem Inhalt des Schreibens ist nicht zu entnehmen, dass damit eine verbindliche Anordnung der Schließung des Geschäftsbetriebs der Antragstellerin beabsichtigt war.
Da es somit bereits an einem anfechtbaren Verwaltungsakt fehlt, ist eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht statthaft. Damit ist auch ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht einschlägig.
2. Der Antrag bliebe jedoch auch in der Sache ohne Erfolg.
Selbst wenn das Rechtsschutzbegehren der anwaltlich vertretenen Antragstellerin dahingehend auszulegen wäre (§ 88 VwGO), dass im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Feststellung begehrt wird, dass die Regelungen der aktuellen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung dem Betrieb der Filiale der Antragstellerin nicht entgegenstehen, wäre der Antrag gleichwohl abzulehnen. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf entsprechende Feststellung zur Seite, da der Filialbetrieb der Antragstellerin von der Betriebsuntersagung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV erfasst ist.
a) Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV sind die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr und zugehörige Abholung untersagt. In § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV ist geregelt, dass bestimmte Betriebe, wie z.B. Lieferdienste und Großhandel von der Anordnung der Betriebsschließung nach Absatz 1 ausgenommen sind. Damit sind nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV sämtliche Betriebe erfasst, bei denen die Abwicklung von Rechtsgeschäften in Räumlichkeiten des Unternehmers stattfindet und die zu diesem Zwecke von Kunden betreten werden. Bei der Filiale der Antragstellerin handelt es sich offensichtlich um Geschäftsräume mit Kundenverkehr, sodass ihr Geschäftsbetrieb von der Betriebsuntersagung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV erfasst ist.
Das Geschäftsmodell der Antragstellerin fällt insbesondere nicht unter die nach § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV von der Betriebsuntersagung ausgenommenen Lieferdienste, da es sich jedenfalls beim Ankaufsprozess nicht um eine bloße Lieferung bzw. Abholung von bereits zuvor fernmündlich oder im Internet verbindlich bestellten Waren handelt. Nach Angaben der Antragstellerin ist zur Abwicklung des Fahrzeugankaufs die Wahrnehmung eines persönlichen Termins in der Filiale der Antragstellerin erforderlich. Die vertragliche Abwicklung des Ankaufs erfolgt damit gerade nicht ausschließlich über eine Internetplattform, sondern in den Geschäftsräumen der Antragstellerin bei persönlicher Anwesenheit beider Vertragsparteien. Aus Infektionsschutzsicht unterscheidet sich das Geschäftsmodell der Antragstellerin für den Fahrzeugankauf grundlegend von reinen Fernabsatzgeschäften, da die infektionsschutzrechtliche Gefahrenlage bereits wegen der Erforderlichkeit eines – längeren – persönlichen Kundenkontakts und der damit einhergehenden erhöhten Infektionsgefahr anders zu bewerten ist. Auch mit Blick auf die Zielsetzung der angeordneten Betriebsuntersagungen, die nach dem Willen des Verordnungsgebers der Unterstützung von verhängten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen und damit der Eindämmung des Infektionsgeschehens dienen sollen, kann der Filialbetrieb der Antragstellerin nicht mit einem reinem Online-Handel mit dazugehörigem Liefer- oder Abholdienst gleichgesetzt werden. Durch Schließung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr soll ein weiterer Anlass zum Verlassen der eigenen Wohnung entfallen, um Kontakte weiter zu beschränken und das Infektionsgeschehen einzudämmen. Zwar findet vorliegend die Vertragsanbahnung durch Austausch wesentlicher Fahrzeugdaten und Abgabe eines Ankaufsangebots mittels einer Online-Plattform statt. Der Vertragsschluss und die Ankaufsabwicklung erfolgen jedoch in den Geschäftsräumlichkeiten der Antragstellerin, was bereits im Hinblick auf längere Verweildauer in geschlossenen Räumen nicht mit einem bloßen Lieferdienst vergleichbar ist.
Soweit die Antragstellerin auf weitere Geschäftsbereiche verweist, die ausschließlich über Internetplattformen außerhalb ihrer Filialen abgewickelt werden, ist darauf hinzuweisen, dass diese seitens der Antragsgegnerin gerade nicht beanstandet wurden. Insoweit handelt es sich aus Infektionsschutzsicht um getrennte Lebenssachverhalte, die hinsichtlich der infektionsschutzrechtlichen Gefahrenlage unterschiedlich zu bewerten sind. Bereits aus diesem Grund kann der Filialbetrieb der Antragstellerin nicht unter den Begriff des Großhandels im Sinn des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV subsumiert werden, da aus infektionsschutzrechtlicher Sicht zwischen dem Ankaufsprozess und dem Weiterverkauf an gewerbliche Kunden zu trennen ist. Nach Angaben der Antragstellerin erfolgt die Abwicklung des gewerblichen Weiterverkaufs nicht in ihren Geschäftsräumen, sodass hierfür die Öffnung ihrer Filiale für den Kundenverkehr gerade nicht erforderlich ist. Da der Ankauf der Fahrzeuge von privaten Einzelverkäufern erfolgt, kann dieses Geschäftsmodell der Antragstellerin bereits deswegen nicht dem Großhandel im Sinn des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV zugeordnet werden.
Nach alldem ist festzuhalten, dass die Öffnung der Filiale der Antragstellerin für den Kundenverkehr im Stadtgebiet der Antragsgegnerin nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV untersagt ist.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Filialbetrieb der Antragstellerin auch nach der voraussichtlich ab dem 11. Januar 2021 geltenden Fassung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung von der Betriebsuntersagung erfasst wäre. Zwar soll laut Kabinettsbeschluss der Bayerischen Staatsregierung vom 6. Januar 2021 die Abholung online oder telefonisch bestellter Ware in Ladengeschäften (sog. click-and-collect oder call-and-collect) gestattet werden. Jedoch wäre auch nach der geplanten Neuregelung ausschließlich die Übergabe von zuvor verbindlich bestellten Waren erlaubt, nicht jedoch die vertragliche Abwicklung eines Rechtsgeschäfts.
b) Angesichts des für eine Entscheidung zur Verfügung stehenden kurzen Zeitraums und der in der Sache gebotenen Beschränkung auf eine summarische Überprüfung von Sach- und Rechtslage, kann offenbleiben, ob § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV rechtmäßig ist. Dies kann im Rahmen der lediglich inzidenten Normprüfungs- bzw. Normverwerfungskompetenz des Verwaltungsgerichts nicht abschließend geklärt werden und bleibt einem eventuellen Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 6 VwGO vorbehalten.
Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist jedenfalls nicht zu erkennen. Lässt sich die Rechtmäßigkeit der hier in Streit stehenden Vorschrift der 11. BayIfSMV nicht abschließend klären, ist eine Folgenabwägung durchzuführen. Die für eine Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen. Den Interessen der Antragstellerin, ihre Filiale für den Kundenverkehr zu öffnen, stehen dabei die Interessen der Allgemeinheit an einem möglichst wirksamen Schutz von Leib und Leben und dem öffentlichen Gesundheitssystem gegenüber. Nachdem sich die Situation über den Sommer entspannt hatte, ist jetzt im Herbst/Winter ein drastisches Ansteigen der Infektionen zu verzeichnen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) weist darauf hin, dass es sich derzeit weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation handle; die Anzahl der Fälle nehme rasant zu. Die Belastung des Gesundheitssystems hänge maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den hauptsächlich betroffenen Bevölkerungsgruppen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (beispielsweise Kontaktbeschränkungen, physische Distanzierung) ab. Diese Situation sei aktuell in weiten Teilen Deutschlands bereits angespannt und könne sehr schnell weiter zunehmen, sodass das öffentliche Gesundheitswesen, aber auch die Einrichtungen für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung örtlich stark belastet würden. Nach dem Situationsbericht vom 7. Januar 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-07-de.pdf? blob=publicationFile) ist aktuell nach wie vor eine sehr hohe Anzahl an SARS-CoV-2-Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Die Inzidenz der letzten 7 Tage liegt deutschlandweit bei 122 Fällen pro 100.000 Einwohner (EW). Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen, mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten und Alten- und Pflegeheimen. Am 7. Januar 2021 befanden sich 5.491 COVID-19-Fälle in intensivmedizinischer Behandlung. Seit dem Vortag erfolgten 767 Neuaufnahmen von COVID-19-Fällen auf eine Intensivstation. Es wurden 26.391 neue Fälle und 1.070 neue Todesfälle übermittelt. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt als sehr hoch ein.
Unter Berücksichtigung dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass im Hinblick auf die mit der Außervollzugsetzung der streitgegenständlichen Norm einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten die zu erwartenden Folgen schwerer ins Gewicht fallen, als die Folgen des Normvollzugs für die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) bzw. allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Antragstellerin. Gegenüber den aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der von Betriebsschließungen und Nutzungsbeschränkungen Betroffenen derzeit zurücktreten (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 20 NE 20.2482 Rn. 50 m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVBl. Sonderbeilage Januar 2014). Nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs wurde der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert.


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