Medizinrecht

Corona-Testpflicht für Besucher von Altenheimen und Seniorenresidenzen

Aktenzeichen  20 NE 21.369

Datum:
2.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3228
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 32 S. 1, § 32 Abs. 1 S. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 15
BayIfSMV § 9 Abs. 2 Nr. 1 11

 

Leitsatz

1. § 9 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbs. 11. BayIfSMV (Corona-Testpflicht für Besucher von Altenheimen und Seniorenresidenzen) ist voraussichtlich rechtmäßig. (Rn. 10 und 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angesichts des pandemischen Geschehens und dem Ziel der von § 9 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbs. 11. BayIfSMV vorgesehenen Testpflicht, die Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung insgesamt einzudämmen, dürfte ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung der Gruppe der Geimpften mit der Gruppe der Nichtgeimpften im Hinblick auf die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen in Einrichtungen der Altenhilfe bestehen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist der Sohn einer in einer Einrichtung der Altenpflege in Bayern lebenden Frau. Er erstrebt mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Außervollzugsetzung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbsatz der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 737) in der Fassung vom 24. Februar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 149), mit dem er zur Vorlage eines negativen Testergebnisses in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bei dem Besuch seiner Mutter in der Altenpflegeeinrichtung verpflichtet wird.
Seine Mutter sei zweifach geimpft. Dasselbe gelte auch für die übrigen Bewohner des Seniorenzentrums. Für den Wohnbereich seiner Mutter legte der Antragsteller für 12 weitere Personen eine Liste vor, aus der sich der Impfstatus ergibt. Die Besuche fänden in einem Besuchsraum statt, in den sich der Besucher sofort nach Betreten der Einrichtung begebe. Kontakt zu anderen Bewohnern oder Mitarbeitern finde nicht statt. Gleichwohl müsse er für jeden Besuch einen Termin im Testzentrum wahrnehmen und diesen mit den eingeschränkten Besuchszeiten in der Einrichtung koordinieren. Dies führe zu erheblichen Problemen. Die angegriffene Norm unterwerfe jeden Besucher einer Testpflicht. Da die Vorschrift keine Ausnahmen zulasse, liege ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vor. Nach den aktuellen fachwissenschaftlichen Stellungnahmen des Robert-Koch-Instituts sei bei der Mutter des Antragstellers infolge der zweifachen Impfung von einer um 95% herabgesetzten Wahrscheinlichkeit einer Infektion auszugehen. Zur Anordnung einer Testpflicht fehle es an einer gesetzlichen Ermächtigung, insbesondere lägen auch die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 IfSG nicht vor. Außerdem stünde die starre Testpflicht für Besucher von Einrichtungen der Altenpflege, wie sie in § 9 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbsatz 11. BayIfSMV normiert sei, nicht in Einklang mit den Empfehlungen des RKI. Anlasslose Reihentestungen asymptomatischer Personen sollten unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles in Abstimmung mit der lokalen Gesundheitsbehörde stattfinden. Es sei jedenfalls die Möglichkeit zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen vorzusehen. In einem vollständig geimpften Umfeld erweise sich die bestehende Testpflicht für Besucher als unangemessen. Auch der Deutsche Ethikrat erwäge wegen der besonderen Belastungen durch umfängliche Kontaktrestriktionen strenge Schutzmaßnahmen für nicht geimpfte Bewohner und empfehle mit Fortschreiten des Impfprogramms möglichst schnell die Aufhebung der Isolationsmaßnahmen. Außerdem liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin, dass jeder Besucher der Testpflicht unterworfen werde, unabhängig davon, ob der Besuchte geimpft sei oder nicht. Insgesamt sei die angeordnete Testpflicht zur Infektionsbekämpfung schon nicht geeignet, weshalb sich ihr Wegfall nach den fachwissenschaftlichen Stellungnahmen nicht negativ auf das Infektionsgeschehen auswirken könne.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. Es handele sich bei der Regelung nicht um die Anordnung einer Testpflicht, sondern um die Beschränkung des Zugangs zu der Altenpflegeeinrichtung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein in der Hauptsache noch zu erhebenden Normenkontrollantrag gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbsatz 11. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg (2.). Auch eine Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus (3.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 14) voraussichtlich nicht gegeben.
a) Im Hinblick auf die Frage, ob die angegriffene Beschränkung des Betretens von Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens durch § 9 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbsatz 11. BayIfSMV auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruht, die insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genügt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf den Beschluss des Senats vom 8. Dezember 2020 (20 NE 20.2461, BeckRS 2020, 34549, Rn. 22 ff.), wonach gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 28a IfSG jedenfalls im Rahmen des Eilrechtsschutzes keine durchgreifenden Bedenken bestehen.
b) Die von dem Antragsteller angegriffene Bestimmung steht mit der Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 15, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Einklang und erweist sich bei summarischer Prüfung nicht als offensichtlich unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig.
(1) Die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG liegen vor. Das Infektionsgeschehen ist weiter auf hohem Niveau. Nach dem Situationsbericht des RobertKoch-Instituts (RKI) vom 28. Januar 2021 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-02- 28-de.pdf? _blob=publicationFile) ist weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld sowie in Alten- und Pflegeheimen. Die Inzidenz in Bayern betrug am 28. Februar 2021 62 und bundesweit 64.
Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen sind nach §§ 28a Abs. 3 Satz 4 und 5, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.
(2) Die in der angefochtenen Bestimmung ausgesprochene Verpflichtung zur Vorlage eines negativen Testnachweises vor dem Besuch eines Bewohners gehört zu den Katalogmaßnahmen des § 28a Abs. 1 Nr. 15 IfSG. Sie beschränkt den Besuch bzw. das Betreten von Einrichtungen des Sozialwesens, zu welchen Altenheime gehören, indem sie das Betreten einer Einrichtung an die Bedingung knüpft, dass ein hinreichend aktueller negativer Testnachweis im Hinblick auf eine Infektion mit dem Coronavirus vorliegt. Diese Maßnahme kann nach § 28a Abs. 6 Satz 1 IfSG kumulativ neben weiteren Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung angewendet werden, soweit und solange es für eine wirksame Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 erforderlich ist. Dabei sind soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und auf die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 vereinbar ist (§ 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG). Mit der Aufnahme in den Katalog der Schutzmaßnahmen nach § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Entscheidung, dass es sich dabei grundsätzlich um eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handeln kann, vorweggenommen.
Sinn der Regelung ist es, die Ausbreitung einer Infektion mit dem Coronavirus in Einrichtungen der Altenpflege zu verhindern, da Ausbrüche dort wegen der Vulnerabilität der Bewohner zu hohen Todeszahlen führen können und auch schon geführt haben (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/F eb_2021/2021-02-28-de.pdf? _blob=publicationFile, Seite 6; RKI, Prävention und Management von Covid-19 in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, Stand 11. Februar 2021, Seite 4). Damit dient sie unmittelbar dem Lebens- und Gesundheitsschutz. Sie ermöglicht die Pflege eines Mindestmaßes an sozialen Kontakten und beugt einer Isolation von Bewohnern vor, indem Besuchs- und Betretensverbote verhindert werden können, die grundsätzlich, da sie soziale Kontakte reduzieren, geeignete Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind (vgl. BT-Drs. 19/24334 Seite 72, 73, Begründung zu § 28a Abs. 1 Nr. 15 IfSG). Damit trägt sie auch den Anforderungen des § 28a Abs. 2 Satz 2 IfSG Rechnung (zum Problem der Besuchsverbote in Einrichtungen: Glaab/Schwedler, Besuchsbeschränkungen in Pflegeheimen zur Bekämpfung des Coronavirus, NJW 2020, 1702).
(3) Die Verpflichtung zum Nachweis eines hinreichend aktuellen negativen Testergebnisses vor dem Besuch der Einrichtung erweist sich aller Voraussicht nach als (noch) verhältnismäßig und nicht als offensichtlich gleichheitswidrig.
aa. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist nach dem Willen des Gesetzgebers, der in § 28a Abs. 3 IfSG zum Ausdruck kommt, ein gestuftes Vorgehen geboten, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 31). Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben (§ 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG). Dabei bestand und besteht sowohl zum Zeitpunkt der letzten Änderungsverordnung als auch zum Zeitpunkt dieser Entscheidung Handlungsbedarf zur effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/F eb_2021/2021-02-28-de.pdf? _blob=publicationFile).
bb. Die Testpflicht für Besucher von Einrichtungen nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbsatz 11. BayIfSMV ist zur Verhinderung eines Eintrags des Coronavirus in Einrichtungen geeignet und erforderlich. Sowohl ein POC-Antigen-Schnelltest als auch ein PCR-Test sind nach heutigem Kenntnisstand geeignet, um den Erreger SARS-CoV-2 nachzuweisen. Damit unterbleibt im Falle eines positiven Testergebnisses ein Betreten der Einrichtung mit der Folge einer Ansteckungsgefahr für die Bewohner. Auch wenn die Testungen eine Infektion nicht gänzlich ausschließen können, tragen sie dazu bei, Virusträger aus dem Kreis der Besucher herauszufiltern und so einen Eintrag des Erregers in die Einrichtung zu verhindern (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Teststrategie/Nat-Teststrat.html). Soweit der Antragsteller einwendet, dass sowohl seine Mutter als auch die in den Nachbarzimmern untergebrachten Bewohner vollständigen Impfschutz nach erfolgter Zweitimpfung hätten und die Besuche ausschließlich in einem separaten Besuchszimmer stattfänden, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach den derzeitigen Empfehlungen des RKI sollten auch nach einer vollständigen Impfung von Bewohnern und Personal die Infektionsschutzempfehlungen weiterhin unverändert fortgesetzt werden. Hierzu gehören auch die Beachtung gegenwärtiger Besuchskonzepte und die Durchführung von Testungen. Das RKI führt hierzu aus (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Alten_Pflegeeinrichtung_Empfehlung.pdf? _blob=publicationFile, Stand 11. Februar 2021, Seite 31:
„Für dieses Vorgehen gibt es mehrere Gründe:
1. In vielen Einrichtungen sind nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner geimpft.
2. Auch ist nicht immer das gesamte Personal geimpft (der Anteil des geimpften Personals ist meist geringer als der Anteil geimpfter Bewohnerinnen und Bewohner).
3. Die meisten Besucherinnen und Besucher sind noch nicht geimpft.
4. Bisher ist unklar, ob geimpfte Personen das Virus weitergeben können.
5. Obwohl Studien zu den derzeit eingesetzten mRNA-Impfstoffen stark darauf hindeuten, dass der Impfschutz auch bei alten Menschen mit Vorerkrankungen gegen den Virustyp, der seit fast 12 Monaten in Deutschland anzutreffen ist („Wildtyp SARS-CoV-2“), sehr gut ist (> 90% Wirksamkeit), ist dies noch nicht sicher nachgewiesen.
6. Es gibt verschiedene neue Virusvarianten (B1.1.7 v.a. aus England, B 1.351 v.a. aus Südafrika, P.1 v.a. aus Brasilien), für die noch nicht bekannt ist, ob die Impfung mit der gleichen Stärke einen Schutz bietet.“
cc. An der Angemessenheit der auf §§ 28a Abs. 1 Nr. 15, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützten Maßnahme bestehen keine durchgreifenden Zweifel. Die negativen Folgen für den Antragsteller, insbesondere der Eingriff in sein Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, stehen nicht außer Verhältnis zu dem mit den Maßnahmen verfolgten Zweck. Der Antragsteller macht geltend, mit einem hohen Organisations- und Zeitaufwand belastet zu sein. Dieser Aufwand erscheint gemessen an dem Schutzzweck der angegriffenen Maßnahme jedoch zumutbar. Nach den „Handlungsempfehlungen (Rahmenkonzept) für ein Besuchskonzept in Alten- und Pflegeheimen und stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, die Leistungen der Eingliederungshilfe über Tag und Nacht erbringen“ (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 17. Februar 2021, Az. G43g-G8300-2020/1007-53, BayMBl. 2021 Nr. 130, Seite 3) besteht für die in § 4 Abs. 1 TestV (Coronavirus-Testverordnung – TestV vom 27. Januar 2021, BAnzAT 27.1.2021 V2) genannten Einrichtungen die Möglichkeit, bei Besuchern Schnelltests selbst durchzuführen. Damit könnte der von den Betroffenen zu betreibende Aufwand für die Testungen erheblich vermindert werden.
(4) Der Verordnungsgeber ist zur regelmäßigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit seiner Maßnahmen verpflichtet. Aus diesem Grund sind die Maßnahmen nach § 28a Abs. 5 Satz 2 IfSG zu befristen und nach § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG mit einer Begründung zu versehen. Für die Fortdauer der Maßnahmen sind zur Rechtfertigung der mit ihnen verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffe die Entwicklung der Inzidenz und das Fortschreiten des Impfprogramms von Bedeutung. Angesichts der bisher geringen Impfquote in der Bevölkerung insgesamt (in Bayern 5,5% Erstimpfungen und 2,7% Zweitimpfungen; https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquoten-Tab.html), der zuletzt wieder steigenden Infektionszahlen und der Befürchtungen, dass sich Virusmutationen verstärkt ausbreiten (https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02- 28-de.pdf? _blob=publicationFile, Seite 2), begegnet die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Testpflicht für Besucher in Altenheimen – unabhängig von den regional herrschenden Inzidenzen – beizubehalten, derzeit keinen durchgreifenden Bedenken.
(5) Ein Verstoß der angegriffenen Vorschrift gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist gegenwärtig nicht feststellbar. Angesichts des pandemischen Geschehens und dem Ziel der Maßnahmen, die Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung insgesamt einzudämmen, dürfte ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung der Gruppe der Geimpften mit der Gruppe der Nichtgeimpften im Hinblick auf die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen in Einrichtungen der Altenhilfe bestehen (Empfehlungen des RKI zu Prävention und Management von COVID-19 in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Alten_Pflegeeinricht ung_Empfehlung.pdf? _blob=publicationFile, a.a.O.). Dies gilt (momentan) auch in Bezug auf die regional sehr unterschiedlich gelagerten Inzidenzwerte (im Landkreis Würzburg liegt die 7-Tages-Inzidenz bei 33,9/100.000). Bundesweit besteht eine sehr labile Situation, in der sich bereits ein Anstieg der Infektionszahlen abzeichnet. Das RKI führt hierzu aus: „Der Rückgang der täglichen Fallzahlen seit Mitte Januar 2021 setzt sich aktuell nicht fort. Der 7-Tage-R-Wert liegt um 1. Es besteht durch das Auftreten verschiedener Virusvarianten (s.u.) ein erhöhtes Risiko einer erneuten Zunahme der Fallzahlen. Bundesweit gibt es in verschiedenen Kreisen Ausbrüche, die nach den an das RKI übermittelten Daten aktuell vor allem in Zusammenhang mit Alten- und Pflegeheimen, privaten Haushalten und dem beruflichen Umfeld stehen. Zusätzlich findet in zahlreichen Kreisen eine diffuse Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung statt, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind. Das genaue Infektionsumfeld lässt sich häufig nicht ermitteln. https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Fe b_2021/2021-02-28-de.pdf? _blob=publicationFile, Seite 2). In dieser Situation dürfte die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Testpflicht für Besucher von Altenheimen unabhängig von den örtlich herrschenden Inzidenzwerten vorzuschreiben, jedenfalls solange gerechtfertigt sein, bis ein Trend zu einem dauerhaften Rückgang der Infektionszahlen und eine Stabilisierung der Lage erkennbar wird (vgl. insofern anknüpfend an: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Teststrategie/Nat-Teststrat.html., das die Testung von asymptomatischen Besuchern in Einrichtungen ohne COVID-19-Fall ab einer 7-Tage-Inzidenz > 50/100.000 am Herkunftsort des Besuchers vorsieht).
3. Selbst wenn man von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausginge, ergibt eine Folgenabwägung, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen des Antragstellers in der gegenwärtigen Pandemiesituation (noch) überwiegen.
Das pandemische Geschehen ist weiterhin auf hohem Niveau. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 28. Februar 2021 (https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02- 28-de.pdf? _blob=publicationFile) ist nach wie vor eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI (Stand 12.2.2021, vgl. https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) ist die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten (VOC) von SARS-CoV-2 besorgniserregend. Es ist noch unklar, wie sich deren Zirkulation auf die Situation in Deutschland auswirken wird. Aufgrund der vorliegenden Daten zu einer erhöhten Übertragbarkeit der VOC besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Verschlimmerung der Lage. Ob und in welchem Maße die VOC die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe beeinträchtigen, ist derzeit noch nicht sicher abzuschätzen. Das individuelle Risiko, schwer zu erkranken, kann anhand der epidemiologischen bzw. statistischen Daten nicht abgeleitet werden.
Auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen kann es zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen können auch nach leichten Verläufen auftreten.
In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Grundrechte des Antragstellers.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von dem Antragsteller angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 7. März 2021 außer Kraft tritt (§ 29 11. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das
Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.


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