Medizinrecht

einstweiliger Rechtsschutz, kein Verwaltungsaktcharakter des Genesenennachweises, kein subjektiver Anspruch auf Ausstellung eines Genesenennachweises, gegen Verkürzung des Genesenenstatus gerichtetes Eilbegehren, fehlende Zulässigkeit, Änderung der Rechtslage, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Rechtsschutzbedürfnis, keine Verfassungswidrigkeit der nunmehr im Gesetz geregelten Dauer des Genesenenstatus

Aktenzeichen  W 8 E 22.383

Datum:
29.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11129
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
IfSG § 22a Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der ungeimpfte Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verkürzung seines Genesenenstatus auf 90 Tage ab Testung und die damit verbundenen Einschränkungen.
1. Der Antragsteller wurde am 15. Januar 2022 mittels PCR-Test positiv auf SARS-CoV-2 getestet.
Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2022 ließ der Antragsteller beim Gesundheitsamt des Landratsamtes Röhn-Grabfeld beantragen, ihm einen Genesenennachweis für den Zeitraum vom 12. Februar 2022 bis 14. Juli 2022 auszustellen.
Mit E-Mail vom 2. März 2022 teilte das Landratsamt mit, es sei nicht zur Ausstellung von Genesenennachweisen befugt.
Am 3. März 2022 ließ der Antragsteller bei Gericht einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung stellen und beantragen,
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV) für den Zeitraum 12. Februar 2022 bis 14. Juli 2022 auszustellen.
Hilfsweise:
Es wird vorläufig festgestellt, dass die Dauer des Genesenenstatus des Antragstellers sechs Monate beträgt und keine Verkürzung auf 90 Tage durch § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der geänderten Fassung vom 14. Januar 2022 erfahren hat.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen ausführen: Er wende sich gegen die Verkürzung seines Genesenenstatus infolge der am 15. Januar 2022 in Kraft getretenen Änderung der SchAusnahmV von sechs Monaten auf 90 Tage. Statthaft sei vorliegend ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO. Bei der begehrten Bescheinigung über den Genesenenstatus handele es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt. Bei der Ausstellung eines Genesenennachweises handele es sich um einen Verwaltungsakt mit dem Regelungsausspruch, der Antragsteller könne die an diesen geknüpften Vergünstigungen, etwa Besuch von 2G-pflichtigen Veranstaltungen, in Anspruch nehmen. Als noch in der Hauptsache zu erhebende Klage wäre die Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Genesenennachweis sei nach derzeit geltender Rechtslage als einziges Surrogat zum Impfnachweis Voraussetzung für die Teilnahme des Einzelnen am gesellschaftlichen und sozialen Leben in vielen Bereichen. Der Ausschluss von der Teilnahme am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben habe eine hohe Grundrechtsrelevanz. Es bestünden überwiegende Erfolgsaussichten des Antragstellers im Hauptsacheverfahren. § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 sei formell verfassungswidrig, da er gegen den Wesentlichkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG verstoße. Dies hätten bereits mehrere Verwaltungsgerichte entschieden und auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages gehe von einer Verfassungswidrigkeit aus. Es bestehe daher weiterhin ein Anspruch des Antragstellers auf Zuerkennung eines Genesenenstatus von sechs Monaten, wie er vor der Änderung vom 14. Januar gegolten habe. § 2 Nr. 5 SchAusnahmV sei auch materiell verfassungswidrig. Weder der Begründung zur Änderung der SchAusnahmV (BT-Drs. 20/390, S. 10) noch der entsprechenden Seite des RKI sei eine wissenschaftlich überzeugende Begründung für die Dauer der Verkürzung des Genesenenstatus auf 90 Tage zu entnehmen.
Mit weiterem Schriftsatz vom 23. März 2022 ließ der Antragsteller aufgrund der inzwischen geänderten Rechtslage ergänzend vortragen: Der gesetzlichen Normierung der Dauer des Genesenenstatus von 90 Tagen durch § 22a Abs. 2 IfSG sei nicht zu entnehmen, ab wann dies gelte. Es sei daher davon auszugehen, dass die gesetzlich normierte Dauer des Genesenenstatus von 90 Tagen nur für Infektionen gelte, welche nach dem 20. März 2022 nachgewiesen seien. Für Infektionen davor sei weiterhin die zu dieser Zeit geltende SchAusnahmV anzuwenden und dabei nach Verwerfung der verfassungswidrigen Verkürzung des Status sechs Monate nach alter Fassung der SchAusnahmV anzunehmen. Überdies sei die gesetzliche Verkürzung des Genesenenstatus auf nunmehr 90 Tage weder sachlich noch wissenschaftlich begründet und schränke daher die Grundrechte des Antragstellers ungerechtfertigt ein. Hierzu lässt der Antragsteller auf Aussagen mehrerer Fachleute verweisen. Darüber hinaus sei zu beachten, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf eine Anerkennung eines sechsmonatigen Genesenenstatus bei der Einreise innerhalb der Union geeinigt hätten. Hierzu stehe § 22a Abs. 2 IfSG im Widerspruch.
Das Landratsamt Rh.-Gr. beantragte für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 3. März 2022:
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Es habe dem Antragsteller eine Bescheinigung über Grund und Zeitraum seiner Absonderung ausgestellt. Eine Aussage zur Gültigkeit des Genesenenstatus enthalte diese Bescheinigung nicht. Weder bundes- noch landesrechtliche Regelungen würden vorsehen, dass eine landesbehördliche Genesenenbescheinigung ausgestellt werde. Die 15. BayIfSMV verweise vielmehr zur Privilegierung von Genesenen ausschließlich auf die Vorschrift des § 2 Nr. 4 und 5 der SchAusnahmV. Das Bestehen des Genesenenstatus bedürfe keines behördlichen Vollzugs- oder Umsetzungsaktes. Er ergebe sich vielmehr allein und unmittelbar aus § 2 Nr. 4 und 5 der SchAusnahmV. Auch der Normgeber der 15. BayIfSMV verfüge nicht über die Befugnis, den Status der Antragsteller abweichend von den Feststellungen des § 2 Nr. 4 und 5 der SchAusnahmV zu gestalten, da es sich um eine auf Grundlage des § 28c IfSG erlassene Rechtsverordnung des Bundes handle, auf die die Regelungen der 15. BayIfSMV Bezug nehmen würden. Nach der derzeit gültigen Rechtslage sei der Antragsgegner daher nicht zur Ausstellung des begehrten Dokuments befugt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, Bezug genommen.
II.
Der anwaltlich vertretene Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung eines Genesenennachweises mit Gültigkeit bis 14. Juli 2022, hilfsweise die Feststellung, dass sein Genesenenstatus bis zum 14. Juli 2022 fortbesteht und durch die Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV zum 15. Januar 2022 keine Änderung erfahren hat.
Weder Haupt- noch Hilfsantrag haben Erfolg.
1. Der Hauptantrag ist unzulässig.
Der Eilantrag ist nicht gemäß § 123 Abs. 1 i.V.m. § 42 Abs. 1 2. Alternative VwGO zulässig, weil in der Hauptsache keine Verpflichtungsklage statthaft ist. Denn entgegen der Auffassung der Antragstellerseite handelt es sich bei der begehrten Bescheinigung mangels Regelungswirkung nicht um einen feststellenden Verwaltungsakt, sondern allenfalls um einen Realakt (anderer Ansicht VG Osnabrück, B.v. 4.2.2022 – 3 B 4/22 – juris Rn. 10; VG Halle, B.v. 16.2.2022 – 1 B 41/22 HAL – juris Rn. 15). Denn ebenso wie etwa ein Impfzertifikat hat ein Genesenennachweis mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsaktcharakter gemäß Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG. Denn der Genesenenstatus knüpft nach der Regelung des § 2 Nr. 4 SchAusnahmV i.V.m. § 22a Abs. 2 IfSG allein an den tatsächlichen Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines durch die vorherige Infektion erworbenen Immunschutzes gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 an, wenn der Nachweis über einen PCR-Test geführt ist (vgl. VG Schleswig, B.v. 17.2.2022 – 1 B 7/22 – juris Rn. 6 ff.; VG Gelsenkirchen, B.v. 15.2.2022 – 2 L 143/22 – BA S. 2 – juris PM v. 16.2.2022; VG Dresden, B.v. 11.2.2022 – 6 L 97/22 – juris Rn. 7; vgl. auch schon VG Würzburg, B.v. 11.2.2022 – W 8 E 22.193 – BA S. 5).
Das Begehren des Antragstellers ist auch nicht über einen Antrag nach § 123 VwGO zu erreichen, wenn man in der Hauptsache eine allgemeine Leistungsklage (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative VwGO) annehmen wollte. Denn der Antragsteller hat nicht schlüssig vorgetragen, dass er insofern möglicherweise einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Ausstellung des Genesenennachweises gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog gegen den Antragsgegner hat. Die Ausstellung einer landesbehördlichen Bescheinigung sehen weder die bundes- noch die landesrechtlichen Regelungen vor. Die 15. BayIfSMV verweist vielmehr zur Privilegierung von Genesenen ausschließlich auf § 2 Nr. 4 SchAusnahmV, welcher auf § 22a Abs. 2 IfSG Bezug nimmt. Nach derzeitiger Rechtslage ist der Antragsgegner zur Ausstellung des begehrten Dokuments nicht befugt. Die Feststellung bzw. das Bestehen des Genesenenstatus bedarf keines behördlichen Vollzugs- oder Umsetzungsaktes. Dieser ergibt sich vielmehr allein und unmittelbar aus § 2 Nr. 4 SchAusnahmV i. V. m. § 22a Abs. 2 IfSG. Weder aus dem Infektionsschutzgesetz noch aus den Regelungen der VO EU 2021/953 vom 14. Juni 2021 folgt ein dahingehender subjektiver Anspruch, weil nur das positive Testergebnis festzustellen und zu dokumentieren ist (VG Schleswig, B.v. 17.2.2022 – 1 B 7/22 – juris – Rn. 9 ff.).
2. Der Hilfsantrag ist schon unzulässig.
Zwar ist vorliegend im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein auf eine Feststellung gerichteter Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft, weil in der Hauptsache eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO die richtige Klageart ist. Zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner als Rechtsträger des Gesundheitsamtes Rhön-Grabfeld, welches beim Landratsamt Rhön-Grabfeld angesiedelt ist, als nach § 54 Abs. 1 Satz 1 IfSG, § 65 Satz 1 ZustV, § 2 Abs. 1 Satz 1 GesV, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) BayVwVfG für den Infektionsschutz sachlich und örtlich zuständige Vollzugsbehörde besteht ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis (vgl. VG Würzburg, B.v. 8.3.2022 – W 8 E 22.287 – BeckRS 2022, 4111 Rn. 16 ff. m.w.N.).
Für den Antrag des Antragstellers gegen den Antragsgegner, vorläufig festzustellen, dass sein Genesenenstatus wie im Genesenennachweis ausgewiesen fortbesteht und durch die Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV zum 15. Januar 2022 keine Änderung erfahren hat, besteht allerdings kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Denn der Verordnungsgeber hat die streitgegenständliche Nr. 5 des § 2 der SchAusnahmV mit Verordnung vom 18. März 2022 mit Wirkung vom 19. März 2022 (BGBl. I S. 478) aufgehoben. Nunmehr ergibt sich unmittelbar aus dem neuen § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG (eingefügt mit Gesetz vom 18.5.2022 mit Wirkung vom 19.5.2022, BGBl. I S. 466) kraft Gesetzes, dass die Testung zum Nachweis einer Infektion höchstens 90 Tage zurückliegen darf. Diese Regelung greift auch in Bayern, weil die 15. BayIfSMV unter anderem auf § 2 Nr. 4 SchAusnahmV Bezug nimmt, der auf § 22a Abs. 2 IfSG verweist. Eine entsprechende Anpassung bzw. Änderung des Antrags im Hinblick auf die geänderte Rechtslage ist durch den anwaltlich vertretenen Antragsteller trotz gerichtlichen Hinweises jedoch gerade nicht erfolgt.
Selbst wenn man jedoch den Antrag zugunsten des Antragstellers bei interessengeleiteter Würdigung des Vorbringens mit dem weiteren Schriftsatz vom 23. März 2022 (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) gleichwohl dahingehend auslegen würde, dass der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung begehrt, dass sein Genesenenstatus bis zum 14. Juli 2022 fortbesteht und durch den Erlass des § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG keine Änderung erfahren hat, käme man vorliegend im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung.
Denn der Antrag wäre mangels des Bestehens eines Anordnungsanspruchs jedenfalls unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder wenn es aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung setzt nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen kann. Eine Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sich als überwiegend wahrscheinlich darstellt.
Im Hinblick auf die durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes ist der Antrag dann begründet, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Vorliegend besteht zudem die Besonderheit, dass die begehrte Feststellung im Wege der einstweiligen Anordnung zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen würde. Denn selbst bei einem Obsiegen in der Hauptsache könnte dem Antragsteller nicht mehr zugesprochen werden als das, was er ausgehend von dem gestellten Antrag sowie unter Berücksichtigung des Vorbringens begehrt. Eine Vorwegnahme der Hauptsache widerspricht grundsätzlich dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung. Im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon im vollen Umfang, wenn auch nur unter Vorbehalt einer neuen Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG, welcher einen effektiven Rechtsschutz gewährleistet, ist eine Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren ausnahmsweise dann zulässig, wenn dies im Interesse des Rechtsschutzes erforderlich ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit auch für den Erfolg im Hauptsacheverfahren spricht (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 13 f.). Maßgeblich für die Entscheidung über das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 27 m.w.N.).
Gemessen hieran liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor, weil die Erfolgsaussichten einer – noch nicht erhobenen – Klage des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung nicht gegeben sind. Erst recht besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in einem eventuellen Hauptsacheverfahren.
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass sein Genesenenstatus bis 14. Juli 2022 fortbesteht.
Nach dem zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt einschlägigen § 22a Abs. 2 IfSG, der ausnahmslos für alle, also auch für die schon vor dessen Inkrafttreten am 19. März 2022 Genesenen gilt, ist ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines durch vorherige Infektion erworbenen Immunschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn 1. die vorherige Infektion durch einen Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-NAAT oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) nachgewiesen wurde und 2. die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion mindestens 28 Tage und höchstens 90 Tage zurückliegt.
Nach Ansicht des Gerichts bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich dieser Norm.
Soweit die frühere Regelung zum Genesenenstatus in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV als voraussichtlich verfassungswidrig angesehen wurde (VG Würzburg, B.v. 8.3.2022 – W 8 E 22.287 – BeckRS 2022, 4111 Rn. 28 ff. m.w.N.), ist der Bundesgesetzgeber der bisherigen verfassungsrechtlichen Kritik gerade durch die Regelung der Geltungsdauer des Genesenennachweises im Infektionsschutzgesetz begegnet.
Eine Verfassungswidrigkeit des § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG aus anderen Gründen, insbesondere wegen der Verkürzung des Genesenenstatus von 180 Tagen auf 90 Tage an sich, ist nach Ansicht des Gerichts unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit gegeben. Dies gilt auch, wenn unter den Fachleuten gegenwärtig über die Rechtfertigung der Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate diskutiert wird. Insoweit ist zu beachten, dass dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt (BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – juris Rn. 185; B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/ 20 – juris Rn. 6 f. m.w.N.), für dessen Überschreiten hier keine Anhaltspunkte bestehen.
So hält das Gericht die Begründung des Robert-Koch-Instituts für die Verkürzung des Genesenenstatus (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis-old.html) für nachvollziehbar oder zumindest für vertretbar, zumal der Gesetzgeber der fachlichen Einschätzung des Robert-Koch-Instituts im Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht beimisst, vgl. § 4 IfSG (VG Oldenburg, B.v. 3.3.2022 – 7 B 507/22 – juris Rn. 27). Hiernach deutet die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hin, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion mit der Deltavariante oder einer früheren Virusvariante einen im Vergleich zur Reinfektion mit der Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion mit der Omikronvariante haben. Die vorliegenden Studien zeigen danach insbesondere, dass es unter dominanter Zirkulation der Omikronvariante bei zuvor infizierten und nicht geimpften Personen häufig zu Reinfektionen kommt. Insbesondere steigt nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts nach der ersten und zweiten Auffrischungsimpfung – also der insgesamt dritten Impfung – der Immunschutz in Bezug auf die Omikronvariante, während die virusneutralisierende Aktivität der Antikörper von – nur einfach – grundimmunisierten Personen oder Genesenen, die mit anderen Varianten infiziert waren, gegenüber der Omikron-Variante reduziert ist (vgl. Robert-Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin, 7/2022, 17. Februar 2022, Wissenschaftliche Begründung der STIKO zur Empfehlung zur 2. COVID-19-Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff für besonders gesundheitlich gefährdete bzw. exponierte Personengruppen, S. 41 ff.). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber seinen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsraum überhaupt überschritten haben könnte, selbst wenn unterschiedliche wissenschaftliche Aussagen existieren. Vielmehr war es dem Gesetzgeber unbenommen, zwischen einem mehrfach Geimpften im Vergleich zu einem ungeimpften Genesenen angesichts eines angenommenen erhöhten Selbstschutzes sowie einer geringeren Infektiösität eines Geimpften (vgl. VG Würzburg, B.v. 11.2.2022 – W 8 E 22.193 – BA S. 9 f.und 18 f. m.w.N.; https://www.vgh.bayern.de/media/vgwuerzburg/presse/22a00193b.pdf) mit Blick auf die prognostizierte Dauer des Immunschutzes zu differenzieren.
Des Weiteren ist hinsichtlich § 22a IfSG keine europarechtswidrige Diskriminierung ersichtlich. § 22a IfSG gilt in seinem Anwendungsbereich gleichermaßen für deutsche Staatsangehörige und Bürger anderer EU-Mitgliedstaaten. Soweit der Antragsteller auf die Verordnung (EU) 2021/953 vom 14. Juni 2021 über das digitale COVID-Zertifikat der EU mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der COVID-19-Pandemie verweist und meint, § 22a Abs. 2 IfSG stünde im deutlichen Widerspruch zu diesem, ist anzumerken, dass nach § 2 Satz 2 der Verordnung zum Schutz vor einreisebedingten Infektionsgefahren in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronaEinreiseV) Zertifikate nach der Verordnung (EU) 2021/953 vom 14. Juni 2021 als Genesenennachweise im Sinne der CoronaEinreiseV gelten und damit der europarechtlichen Vorgabe Genüge getan ist. § 22a Abs. 2 IfSG enthält keine Abweichung von den Regelungen der Verordnung (EU) 2021/953 in Bezug auf die Freizügigkeit innerhalb der EU. Auch sonst ist keine europarechtswidrige Diskriminierung ersichtlich.
Abgesehen davon wäre der Antrag auch nach einer reinen Folgenabwägung abzulehnen. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, weshalb es ihm nicht möglich bzw. unzumutbar wäre, sich gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 impfen zu lassen (VG Dresden, B.v. 11.2.2022 – 6 L 97/22 – BeckRS 2022, 1762). Genauso wenig ist eine Testpflicht unzumutbar. Demgegenüber stehen die aktuellen hohen Infektionszahlen bundesweit und gerade auch im Zuständigkeitsbereich des Landratsamtes, so dass angesichts des sich bei dem Antragsteller mit der Zeit (gerade nach 90 Tagen) abschwächender Immunschutz, bei dem es um den Schutz der Virusübertragung geht mit der Gefahr, dass die Person sich selbst infiziert und ihrerseits für Andere infektiös sein kann, im Rahmen der Folgenabwägung gewichtige Gründe dafür sprechen, dem Infektionsschutz den Vorrang gegenüber den dem Antragsteller drohenden Nachteilen einzuräumen. Denn das Robert-Koch-Institut hat zwar bei geimpften Genesenen ausdrücklich wieder einen längeren Genesenenstatus befürwortet, bei ungeimpften Genesenen aber bewusst nicht (vgl. Fachliche Vorgaben des RKI für COVID-19-Genesenennachweise, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis.html; siehe auch schon VG Würzburg, B.v. 11.2.2022 – W 8 E 22.193 – BA S. 9 ff.; https://www.vgh.bayern.de/media/vgwuerzburg/presse/22a00193b.pdf). Vor diesem Hintergrund ist der Antragsteller nicht unzumutbar von der Verkürzung des Genesenenstatus betroffen.
Nach alledem waren sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. In Ermangelung anderweitiger Angaben, war vom Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 EUR auszugehen. Das Gericht sieht gem. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des Streitwerts ab.


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