Medizinrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen die “Maskenpflicht” in Bayern

Aktenzeichen  20 NE 20.926

Datum:
5.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2020, 485
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 28 Abs. 1, § 32
VwGO § 47 Abs. 6
3. BayIfSMV § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 4, § 8

 

Leitsatz

1. Die Anordnung, eine Mund-Nasen-Bedeckung in Einzelhandelsgeschäften und im öffentlichen Personennahverkehr zu tragen (“Maskenpflicht”), dürfte von den Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1, § 32 IfSG gedeckt sein. (Rn. 18 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. An den Maßstab der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahmen sind bei fortbestehender pandemischer Lage einer potentiell tödlich verlaufenden Viruserkrankung, gegen die weder ein Impfstoff noch suffiziente Medikamente vorhanden sind, keine überhöhten Anforderungen zu stellen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Weil die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung keine normierten Befreiungsmöglichkeiten von der “Maskenpflicht” enthält, ist zumindest fraglich, ob sie insoweit verhältnismäßig ist, selbst wenn in der Vollzugspraxis Ausnahmen geduldet werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. In der erforderlichen Folgenabwägung im Eilverfahren setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit gegenüber dem zeitlich befristeten und räumlich beschränkten Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der von der “Maskenpflicht” betroffenen durch. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug der „Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 1. Mai 2020 (2126-1-7-G, BayMBl. 2020 Nr. 239 ‒ im Folgenden: 3. BayIfSMV ‒) einstweilen auszusetzen, soweit der Antragsteller durch §§ 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 8 3. BayIfSMV verpflichtet wird, eine Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) zu tragen.
1. Der Antragsgegner hat am 1. Mai 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die in der Hauptsache streitgegenständliche Verordnung erlassen. Die vom Antragsteller angegriffenen Bestimmungen haben auszugsweise folgenden Wortlaut:
㤠4 Betriebsuntersagungen
(4) Für Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser des Einzelhandels gilt:
4. die Kunden und ihre Begleitpersonen ab dem siebten Lebensjahr haben eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.
(…)
§ 8 Öffentlicher Personennahverkehr, Schülerbeförderung
Personen ab dem siebten Lebensjahr haben bei der Nutzung von Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs und der hierzu gehörenden Einrichtungen eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (…).“
Die genannten Bestimmungen sind am 4. Mai 2020 in Kraft getreten, § 12 Satz 1 3. BayIfSMV.
2. Der Antragsteller, der in Bayern wohnt, hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 27. April 2020, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am selben Tag, einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO beantragt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: § 28 Abs. 1 IfSG setze nicht nur die Geeignetheit der Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten voraus, sondern auch deren Notwendigkeit und Erforderlichkeit. Das ergebe sich aus dem Wortlaut der Norm. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sei in diesem Sinn nicht erforderlich. Die WHO könne weder für noch gegen das Verwenden einer MNB Empfehlungen geben. Die Bundesregierung habe erklärt, MNB könnten allenfalls dazu beitragen, die Weiterverbreitung des Virus einzudämmen und zur Unterstützung gesundheitsbewussten Verhaltens dienen (physical distancing). Das Robert-Koch-Institut (RKI) gehe davon aus, dass MNB nur ein Baustein sei, um Übertragungen des Corona-Virus zu reduzieren. Das RKI sei der Auffassung, dass das Tragen von MNB die sonstigen Hygieneregeln nicht ersetzen könne (Abstandsgebot, Isolation Kranker, Hustenregeln, Händehygiene). Auch sei nach Ansicht des RKI der Nutzen von MNB bislang wissenschaftlich nicht bewiesen, sondern nur plausibel. Zusammenfassend bestehe für die getroffene Maßnahme keine Ermächtigungsgrundlage, da das Tragen einer MNB nicht erforderlich sei, um die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen.
3. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, bei den angegriffenen Regelungen handele es sich um notwendige Schutzmaßnahmen i.S.d. § 28 Abs. 1 IfSG. Außerdem sei in der Verpflichtung zum Tragen einer MNB kein schwerwiegender Grundrechtseingriff zu sehen, weshalb eine Folgenabwägung zu einer Antragsablehnung führen müsse.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte verwiesen.
II.
Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht vor.
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – juris Rn. 9).
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung ‒ trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ‒ dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens davon aus, dass die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache derzeit als offen einzuschätzen sind (a.). Die zu treffende Folgenabwägung führt jedoch dazu, dass eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen nicht dringend geboten erscheint (b.).
a. Zwar dürfte die Anordnung zum Tragen einer MNB in den Geschäften des Einzelhandels und im öffentlichen Personennahverkehr von der Ermächtigungsgrundlage der §§ 28 Abs. 1, 32 IfSG gedeckt sein (aa.). Jedoch begegnet das Fehlen einer normierten Befreiungsmöglichkeit von dieser Verpflichtung rechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG. Ob eine verfassungskonforme Auslegung der angegriffenen Normen diese Bedenken zu beseitigen vermag, muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (bb.).
aa. Der Senat hat sich bereits in mehreren Eilentscheidungen (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 NE 20.63 – juris; B.v. 9.4.2020 – 20 NE 20.663 – BeckRS 2020, 5446; 20 NE 20.688 – BeckRS 2020, 5449; 20 NE 20.704 – BeckRS 2020, 5450; B.v. 28.4.2020 – 20 NE 20.849) mit der Außervollzugsetzung von Teilregelungen der 1. und 2. BayIfSMV auseinandergesetzt. Dabei ist der Senat im Rahmen der Eilverfahren davon ausgegangen, dass die angegriffenen Bestimmungen formell wirksam seien und in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG grundsätzlich eine wirksame Rechtsgrundlage finden dürften (vgl. zum Begriff der Schutzmaßnahme auch BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 – NJW 2020, 1240 Rn. 9 ff.).
Nach den dort dargestellten Maßstäben ist auch die in den angegriffenen Normen enthaltene Verpflichtung zum Tragen einer MNB voraussichtlich von der Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die Behörde bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, worunter die Anordnung zum Tragen von Schutzmasken grundsätzlich fallen dürfte (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 – a.a.O. Rn. 11; und BVerwG, U.v. 22.3.2012 – BVerwGE 142, 205 = NJW 2012, 2823 Rn. 24). Qualitätsanforderungen an die Schutzfunktion stellen die hier angegriffenen Normen der 3. BayIfSMV nicht auf. Der Senat geht davon aus, dass nur Schutzmasken mit der Kategorie FFP 2 und FFP3 für den Träger selbst das Infektionsrisiko vermindern (vgl. Übersicht bei Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb-/Coro-navirus/pdf/Schutzmasken:pdf?_blob=publicationFilev=13). Für medizinische Mund-Nasen-Schutze und FFP1 Masken ist nachgewiesen, dass sie als Spuck- und damit Fremdschutz wirksam sind und für den Träger das Risiko von Schmierinfektionen durch den Schutz der Berührung von Mund und Nase verringern können. Insoweit sieht der Senat grundsätzlich keinen Anlass, an der Wirksamkeit einer Verpflichtung zum Tragen einer MNB in Bezug auf die Verringerung des Infektionsrisikos zu zweifeln.
Zwar ist die Eignung sogenannter „Community-Masken“ als Mittel zur Verringerung der Infektionszahlen bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Gleichwohl dürfte auch die Anordnung zum Tragen von MNB ohne Qualitätsnachweis vom Wortlaut des § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt sein, weil viel dafür spricht, dass auch die Community-Masken bei sachgemäßer Anwendung (vgl. Anleitung Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medi-zinprodukte/DE/schutzmasken.html) einen Fremdschutz gewährleisten und damit das Infektionsrisiko verringern können, da der Tröpfchenauswurf in die Umgebungsluft durch die stoffliche Barriere vor Mund und Nase reduziert werden kann. Dieser Auffassung hat sich auch das nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG besonders zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufene RKI angeschlossen. Die Schutzfunktion der Community-Masken sei jedenfalls plausibel und ihre Verwendung als Baustein neben anderen Maßnahmen zur Reduktion der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus geeignet (Stellungnahme des Robert-Koch-Instituts v. 30.4.2020 https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQListe_Infektionsschutz.html mit Verweis auf „Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von Covid-19” Epid Bull 19/2020).
An den Maßstab der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahmen sind bei fortbestehender pandemischer Lage einer potentiell tödlich verlaufenden Viruserkrankung, gegen die weder ein Impfstoff noch suffiziente Medikamente vorhanden sind, keine überhöhten Anforderungen zu stellen.
Nach dem aktuellen Situationsbericht des RKI vom 5. Mai 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an (Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts v. 5.5.2020 S. 2, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu-artiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-05-05-de.pdf?_blob=publicationFile). Die Reproduktionszahl liegt bundesweit bei 0,76 (Situationsbericht a.a.O. S. 7). Die Gefährdung für die Bevölkerung in Deutschland wird derzeit, bei einer Rückläufigkeit der Anzahl der neu übermittelten Fälle, insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch (Situationsbericht a.a.O. S. 8).
In einer solchen Situation obliegt es dem Verordnungsgeber im Rahmen des § 28 Abs. 1 IfSG, der die Behörden zu einem infektionsschutzrechtlichen Tätigwerden verpflichtet und ihnen dabei ein weites Handlungsermessen einräumt (vgl. BT-Drs. 14/2530 S. 74; BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16/11 – NJW 2012, 2823), alle Maßnahmen zu ergreifen, solange und soweit diese die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der angestrebte Erfolg zumindest teilweise eintritt (Grzeszick in Maunz-Dürig, GG, Stand 10/2019, Art. 20 Rn. 112). So liegt es hier. Das Tragen einer MNB erscheint in der derzeitigen Situation als geeignet, die Infektionszahlen zu reduzieren oder jedenfalls einzudämmen. Diese Verpflichtung muss auch vor dem Hintergrund der Rückkehr zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben gesehen werden, indem das Tragen einer MNB unter Beachtung der allgemeinen Hygieneregeln und Abstandsgebote ermöglichen kann, andere Beschränkungen und Verbote zu lockern bzw. aufzuheben.
Damit bestehen jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Zweifel, dass es sich bei der Anordnung zum Tragen einer (Community)-MNB in den Ladengeschäften des Einzelhandels und in den Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs und den dazugehörenden Einrichtungen um eine notwendige Schutzmaßnahme i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handelt, die zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
bb. Da jedoch weder § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 noch § 8 3. BayIfSMV eine Befreiungsmöglichkeit von der Verpflichtung zum Tragen einer MNB vorsehen, obwohl Fälle denkbar sind, die Personen das Tragen einer Gesichtsmaske unmöglich machen, erscheint insbesondere angesichts der Bußgeldbewehrung in § 9 zumindest fraglich, ob die Regelungen in jedem Einzelfall noch angemessen sind (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Vollzugspraxis des Verordnungsgebers, der in medizinisch begründeten Fällen von einer Verpflichtung (und Ahndung eines Verstoßes) abzusehen scheint (siehe hierzu FAQs (https://www.corona-katastrophenschutz.bayern.de/faq/index.php) zur Fragestellung „Ich bzw. ein Mitglied meiner Familie leide/t an einer Behinderung und kann deshalb in Geschäften oder im ÖPNV keine MNB tragen. Ist man dennoch dazu verpflichtet?“) erscheint nicht geeignet, dieses normative Defizit auszugleichen. Darauf hat der Antragsgegner mittlerweile reagiert und in § 1 Abs. 2 der am 11. Mai 2020 in Kraft tretenden Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Mai 2020 (2126-1-8-G, BayMBl. 2020 Nr. 240) einen ausdrücklichen Befreiungstatbestand vorgesehen. Die Klärung der Frage, ob im Wege der Auslegung aus dem Regelungszusammenhang der Verordnung, insbesondere wegen der in § 4 Abs. 4 Satz 2 3. BayIfSMV normierten Befugnis der Kreisverwaltungsbehörden, aus infektionsschutzrechtlichen Gründen ergänzende Anordnungen im Einzelfall zu treffen, ein Befreiungstatbestand abgeleitet werden und im Wege der Analogie auch auf § 8 3. BayIfSMV angewendet werden kann, kann im Eilverfahren nicht geklärt werden und muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
b. Letztlich führt die zu treffende Folgenabwägung zu einer Ablehnung des Antrags auf Außervollzugsetzung. Durch den Vollzug der angegriffenen Verordnung kommt es zwar zu Eingriffen in die Freiheitsgrundrechte aller Menschen, die sich im Geltungsbereich der Verordnung aufhalten. Aufgrund der Umstände, dass die Pflicht zum Tragen einer MNB aber überwiegend auf verhältnismäßig kurzfristige Situationen beschränkt ist und der Antragsgegner – wie dargestellt – derzeit offenbar selbst davon ausgeht, dass die Normadressaten in Härtefällen von der Tragepflicht befreit sind, wäre das Gewicht eines rechtswidrigen Eingriffs weniger hoch einzuschätzen als die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der Normen. Würde der Vollzug der angegriffenen Bestimmungen ausgesetzt, wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit (deutlich) vermehrten Infektionsfällen zu rechnen, die nach dem aktuellen Situationsbericht des nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu berufenen Robert-Koch-Instituts vom 5. Mai 2020 (vgl. https://www.rki.de/DE/Con-tent/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-05-05-de.pdf?_blob=
publicationFile) und der Risikobewertung vom 30. April 2020 (vgl. https:// www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) zwingend so weit wie möglich zu verhindern sind, um das Infektionsgeschehen zu kontrollieren, die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern und damit Zeit für die Durchführung und Entwicklung von Schutzmaßnahmen und Behandlungsmöglichkeiten zu gewinnen. Dies gilt umso mehr, als der Pflicht zum Tragen einer MNB ein zentrales Element bei der Bekämpfung der Infektion zukommt, insbesondere was die Möglichkeit der Lockerung der bisher strengen Verbote angeht.
Bei einer Abwägung zeitlich befristeter (vom Verordnungsgeber fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit zu evaluierender) und nur auf die Lebensbereiche des Einkaufens und des Personennahverkehrs beschränkter Eingriffe in das Grundrecht der Normadressaten auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (so im Ergebnis auch BVerfG, B.v. 29.4.2020 – 1 BvQ 47/20 ‒, 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 -, 9.4.2020 – 1 BvQ 29/20 -, 7.4.2020 – 1 BvR 755/20 – alle juris; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020, Vf. 6-VII-20, juris Rn. 13 ff).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die vom Antragsteller teilweise angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 10. Mai 2020 außer Kraft tritt (§ 12 Satz 1 3. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht erscheint.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben