Medizinrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen pandemiebedingte Untersagung von Weihnachtsmärkten

Aktenzeichen  20 NE 21.2902

Datum:
9.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37959
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
15. BayIfSMV § 10 Abs. 3
IfSG § 5 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 3, Abs. 5
GewO § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 60b Abs. 1, § 68 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Je nach örtlichen und regionalen Besonderheiten kann es sich bei einem Weihnachtsmarkt um einen reinen Warenmarkt oder um einen gemischten Markt handeln, der auch durch Schausteller mit Fahrgeschäften geprägt ist. Nur wenn und soweit auf einem Weihnachtsmarkt unterhaltende Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart ausgeübt werden, fällt er als Freizeiteinrichtung unter das Verbot des § 10 Abs. 3 15. BayIfSMV idF vom 24.11.2021. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die grundsätzliche Erwägung des Verordnungsgebers, die derzeitige pandemische Lage lasse ein zufälliges Zusammenkommen von vielen Personen mit zahlreichen zusätzlichen Kontakten auch dann nicht zu, wenn dieses Zusammenkommen im Freien erfolgt, ist jedenfalls im Hinblick auf die besondere Attraktivität von Jahrmärkten mit unterhaltendem und volksfestähnlichem Charakter nachvollziehbar. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt die Antragstellerin das Ziel, den Vollzug von § 10 Abs. 3 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (2126-1-19-G, BayMBl. Nr. 816, im Folgenden: 15. BayIfSMV) zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Dezember 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 841) vorläufig auszusetzen. Sie ist Veranstalterin eines privaten Weihnachtsmarktes in Regensburg, der nach § 68 Abs. 1 GewO als Spezialmarkt festgesetzt wurde.
2. Der Antragsgegner hat am 23. November 2021 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
„§ 10 Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte …
(3) Jahresmärkte, insbesondere Weihnachtsmärkte, sind untersagt. …“
Die 15. BayIfSMV ist seit 24. November 2021 in Kraft und tritt nach der gegenwärtigen Rechtslage mit Ablauf des 15. Dezember 2021 außer Kraft (§ 18 Abs. 1 15. BayIfSMV).
3. Die Antragstellerin trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, Gegenstand der Veranstaltung sei das Feilbieten von weihnachtlich inspirierten Produkten aus traditioneller handwerklicher Herstellung, die teilweise vor Ort hergestellt würden. Die Antragstellerin verfüge über ein individuelles Infektionsschutzkonzept, welches fortlaufend an die jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmen angepasst werde. Die Untersagung aller Jahres- und Weihnachtsmärkte verstoße gegen das Übermaßverbot. Der Antragsgegner habe mildere Maßnahmen nicht einmal in Betracht gezogen. Die generelle Untersagung von Weihnachtsmärkten erfolge unabhängig von der Inzidenzzahl oder der Belegung der Intensivbetten. Die vom Normgeber gewählte Maßnahme komme einem Berufsverbot zu Lasten der Antragstellerin gleich. Die Untersagung sei aber auch deswegen unangemessen, weil der Antragsgegner nicht zwischen der Öffentlichkeit frei zugänglichen Weihnachtsmärkten und privaten Märkten mit Zugangsbeschränkungen unterscheide. Eine vom Antragsgegner behauptete Sogwirkung sei nicht belegt. Die Unterscheidung zwischen Jahresmärkten und anderen Märkten, die zugelassen seien, sei gleichheitswidrig. Auch sei nicht erklärlich, warum Fußballspiele im Gegensatz zu Weihnachtsmärkten stattfinden könnten.
4. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und beantragt dessen Ablehnung.
5. Mit Bescheid vom 2. Dezember 2021 hat die Stadt Regensburg den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 16 Abs. 2 15. BayIfSMV abgelehnt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
A. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache gegen § 10 Abs. 3 15. BayIfSMV sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der nur möglichen summarischen Prüfung zu verneinen (2.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 14) zu verneinen. Der Senat geht übereinstimmend mit dem in der Antragserwiderung erklärten Willen des Antragsgegners davon aus, dass Weihnachtsmärkte, soweit sie als Freizeiteinrichtungen einzustufen sind, vom Verbot des § 10 Abs. 3 15. BayIfSMV erfasst sind.
a) Rechtsgrundlage der streitigen Regelung der 15. BayIfSMV ist §§ 32 Satz 1, 28a Abs. 9, Abs. 1 Nr. 5 IfSG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. November 2021 (BGBl. I S. 4906) sein. Danach können auch nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite bis längstens zum Ablauf des 15. Dezember 2021 Freizeitveranstaltungen und ähnliche Veranstaltungen beschränkt oder untersagt werden, soweit diese Schutzmaßnahmen bis zum 25. November 2021 in Kraft getreten sind. Dies ist vorliegend der Fall, weil die 15. BayIfSMV am 24. November 2021 in Kraft getreten ist. Sinn und Zweck dieser Regelung sollte zwar sein, Regelungslücken zu vermeiden, bis die Länder ihre Schutzmaßnahmen auf Grundlage des neuen Rechts erlassen haben (vgl. BT-Drs. 20/89 S.16). Faktisch hat der Gesetzgeber aber damit für die vor dem 25. November 2021 in Kraft getretenen Verordnungen der Länder die Feststellung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ und damit die unbeschränkte Anwendbarkeit des Maßnahmenkatalogs nach § 28a Abs. 1 IfSG zeitlich fortgeschrieben (vgl. hierzu auch den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, BT-Drs. 20/188, der eine weitere Verlängerung bis 15. Februar 2021 vorsieht).
b) Der Regelungsgehalt der angegriffenen Norm erfasst allerdings nur Märkte, auf denen „unterhaltende Tätigkeiten“ als Schausteller oder nach Schaustellerart i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 GewO ausgeübt werden.
Die Ermittlung des Inhalts der Untersagungsregelungen des § 10 Abs. 3 BayIfSMV erschließt sich dabei nicht ohne Weiteres. Es ist bereits fraglich, was der Verordnungsgeber unter dem Begriff „Jahresmarkt“ versteht. Es dürfte allerdings auf der Hand liegen, dass der Antragsgegner hiermit im Wesentlichen einen „Jahrmarkt“ meint. Das ist eine „im allgemeinen regelmäßig in größeren Zeitabständen wiederkehrende, zeitlich begrenzte Veranstaltung, auf der eine Vielzahl von Anbietern Waren aller Art feilbietet“ (§ 68 Abs. 2 GewO). Auch der Begriff des „Weihnachtsmarkts“ im Sinne von § 10 Abs. 3 15. BayIfSMV erschließt sich nicht von selbst. Tatsächlich hängt die Gestaltung eines Weihnachtsmarktes von örtlichen und regionalen Besonderheiten und Traditionen ab. Je nachdem handelt es sich um einen reinen Warenmarkt oder um einen gemischten Markt, der auch durch Schausteller mit Fahrgeschäften geprägt ist. Ein Weihnachtsmarkt wird in der Regel, wie auch der der Antragstellerin, als Spezialmarkt (§ 68 Abs. 1 GewO) festgesetzt. Das ist eine „im allgemeinen regelmäßig in größeren Zeitabständen wiederkehrende, zeitlich begrenzte Veranstaltung, auf der eine Vielzahl von Anbietern bestimmte Waren feilbietet“. Auf einem Spezialmarkt oder Jahrmarkt können aber auch volksfesttypische Tätigkeiten im Sinne des § 60b Abs. 1 GewO, also unterhaltende Tätigkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 GewO (unterhaltende Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart), ausgeübt werden (§ 68 Abs. 3 GewO). Dies ist aber nicht zwingend und hängt von der jeweiligen Festsetzung ab. Das alleinige Feilbieten von Waren ist jedoch keine „Freizeitveranstaltung“ im Sinne des vom Antragsgegner ausdrücklich als alleinige Rechtsgrundlage der angegriffenen Norm in der Antragserwiderung benannten § 28a Abs. 1 Nr. 5 IfSG, sondern die Ausübung eines Gewerbes i.S.d. § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG. Auch wenn das auf Weihnachtsmärkten angebotene Warensortiment überwiegend einen advents- und weihnachtsbezogenen Schwerpunkt aufweist, verbietet sich eine Behandlung solcher Verkaufsstellen als „Freizeiteinrichtung“ ebenso wie bei sonstigen Handelsbetrieben. Nur wenn und soweit auf einem Weihnachtsmarkt unterhaltende Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart ausgeübt werden, fällt er als Freizeiteinrichtung somit unter das Verbot des § 10 Abs. 3 15. BayIfSMV. Hierfür spricht auch die Regelung des § 14 Abs. 1 15. BayIfSMV, wonach u.a. Volksfeste untersagt werden. Im Übrigen wäre eine unterschiedslose Untersagung von Märkten nach § 68 GewO – also auch reinen Warenmärkten – wohl kaum mit der Grundentscheidung des Verordnungsgebers nach § 10 Abs. 1 15. BayIfSMV, in Einklang zu bringen, Handel und Dienstleistungsbetriebe, und zwar auch in Innenräumen und in Verdichtungszonen mit hoher Anziehungskraft wie Innenstädten und Einkaufszentren, grundsätzlich offen zu halten. Einer befürchteten starken Sogwirkung bei fehlender Steuerungsmöglichkeit der Besucherzahlen bei traditionellen reinen Weihnachtswarenmärkten vor allem in bayerischen Großstädten kann durch die Infektionsschutzbehörden, soweit erforderlich, durch Einzeluntersagung begegnet werden (§ 28a Abs. 7 Satz 2 IfSG).
c) Auf der Grundlage des o.g. Norminhalts ist eine Unvereinbarkeit der angegriffenen Norm mit § 28 Abs. 3 IfSG bei summarischer Prüfung nicht erkennbar.
Nach der Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 24. November 2021 ergibt sich folgendes Bild:
„Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der nicht oder nur einmal geimpften Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Für vollständig Geimpfte wird die Gefährdung als moderat eingeschätzt, steigt aber mit zunehmenden Infektionszahlen an. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.
Die 7-Tage-Inzidenzen steigen derzeit in allen stark Altersgruppen an. Die Fallzahlen sind deutlich höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Ein weiterer Anstieg der Infektionszahlen ist zu erwarten. Gründe dafür sind unter anderem mehr Kontakte in Innenräumen und die noch immer große Zahl ungeimpfter Personen.
Die Zahl der Todesfälle zeigt eine steigende Tendenz. Die Zahl schwerer Erkrankungen an COVID-19, die im Krankenhaus evtl. auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen, steigt ebenfalls weiter an. Es lassen sich nicht alle Infektionsketten nachvollziehen, Ausbrüche treten in vielen verschiedenen Umfeldern auf.
Das Virus verbreitet sich überall dort, wo Menschen zusammenkommen, insbesondere in geschlossenen Räumen. Häufungen werden oft in Privathaushalten und in der Freizeit (z.B. im Zusammenhang mit Besuchen von Bars und Clubs) dokumentiert, Übertragungen und Ausbrüche finden aber auch in anderen Zusammenhängen statt, z.B. im Arbeitsumfeld, in Schulen, bei Reisen, bei Tanz- und Gesangsveranstaltungen und anderen Feiern, besonders auch bei Großveranstaltungen und in Innenräumen. COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern treten wieder zunehmend auf. Davon sind auch geimpfte Personen betroffen.
Die aktuelle Entwicklung ist sehr besorgniserregend und es ist zu befürchten, dass es zu einer weiteren Zunahme schwerer Erkrankungen und Todesfällen kommen wird und die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten zeitnah überschritten werden.“
An dieser Beurteilung hat sich im Wesentlichen nichts geändert (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2021-12-02.pdf? blob=publicationFile).
Diese Einschätzung teilt der Verordnungsgeber in den Begründungen zur 15. BayIfSMV (BayMBl. 2021 Nr. 827vom 23. November 2021) und zu ihrer Änderung vom 3. Dezember 2021 (BayMBl. Nr. 842 vom 3. Dezember 2021). Das Lagebild stellte sich am 3. Dezember 2021 demnach wie folgt dar:
„Seit Mitte Oktober ist ein starker Anstieg der Meldefälle zu beobachten. Die Infektionszahlen übersteigen deutlich das Niveau der zweiten und der bisher intensivsten Corona-Welle. Derzeit ist in Bayern ein leichter Rückgang der Infektionsdynamik bei den Meldefällen wahrscheinlich. Die Fallzahlen sowie die daraus errechnete Reproduktionszahl müssen im Kontext der Überlastung der Gesundheitsämter betrachtet werden. Eine Entspannung der Situation ist daher noch nicht eingetreten. Am 3. Dezember 2021 liegt die 7-Tage-Inzidenz der Meldefälle in Bayern mit 561,5 weiterhin deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 442,1. Vor vier Wochen, am 5. November 2021, lag der Wert bei 256,8. Seit 29. Oktober 2021 überschreitet die 7-Tage-Inzidenz in Bayern den bisherigen Höchststand von 217,8 vom 20. Dezember 2020.
Insgesamt verzeichnen nach den Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) am 3. Dezember 2021 alle Landkreise und kreisfreien Städte in Bayern eine 7-Tage-Inzidenz der Meldefälle von über 200. Im Einzelnen liegen 2 Landkreise bei einem Wert der 7-Tage-Inzidenz über 1 000, weitere 5 Landkreise über 900, weitere 6 Landkreise über 800, weitere 8 Landkreise und kreisfreie Städte über 700, weitere 12 über 600, weitere 23 über 500 sowie weitere 24 über 400. 13 Landkreise und kreisfreie Städte weisen einen Wert der 7-Tage-Inzidenz von 300 bis 400 auf und 3 Kreise einen Wert von 200 bis 300 (https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4/page/page_1). Dabei reicht die Spannbreite der Werte der 7-Tage-Inzidenz von 249,2 im Landkreis Kulmbach bis 1 116,7 im Landkreis Freyung-Grafenau. In der Gesamtbetrachtung zeigt sich in Bayern damit ein sehr hohes Infektionsgeschehen mit regionalen Unterschieden.
Die Reproduktionszahl lag in den vergangenen Tagen unter dem Wert von 1. Nach RKI-Berechnungen lag der 7-Tage-R-Wert für Bayern am 3. Dezember 2021 bei 0,89, für Deutschland bei 0,95.
Das Infektionsgeschehen unterscheidet sich weiterhin stark zwischen der geimpften und der ungeimpften Bevölkerung. Nach den Daten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 2. Dezember 2021 beträgt die 7-Tage-Inzidenz der Ungeimpften ein Vielfaches der 7-Tage-Inzidenz der Geimpften (https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/index.htm#inzidenzgeimpft).
Die binnen einer Kalenderwoche gemeldeten Sterbefälle steigen weiter an und betragen mit 458 Sterbefällen in der Kalenderwoche 47 (22. November bis 28. November 2021) aktuell rund das Vierfache des Wertes vor vier Wochen in der Kalenderwoche 43 (25. Oktober bis 31. Oktober 2021) mit 117 Sterbefällen.
Die 7-Tage-Hospitalisierungsrate als Maßstab für die Krankheitsschwere ist im Vergleich zur Vorwoche leicht rückläufig. Am 3. Dezember 2021 wurden nach den Daten des LGL innerhalb der letzten sieben Tage 1 020 hospitalisierte Fälle registriert, was einer 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz von 7,8 entspricht (https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/index.htm#inzidenzgeimpft). Eine Woche zuvor, am 26. November 2021, waren es 1 259 hospitalisierte Fälle innerhalb der letzten sieben Tage (7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz von 9,6). Obwohl ein leichter Rückgang beobachtet werden kann, liegt sie damit über dem vom RKI im Papier zur ControlCOVID-Strategie für die Stufe Rot empfohlenen Grenzwert von 5 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/control-covid-2021-09-22.pdf? blob=publicationFile). Die oben genannte Hospitalisierungsinzidenz ist aktuell nicht hinreichend valide, weil es aufgrund der extrem hohen Infektionszahlen zu erheblichen Meldeverzügen der Gesundheitsämter kommt. Das RKI weist deshalb eine adjustierte 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz aus, die den zeitlichen Verzug der Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz korrigiert (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Inzidenz_aktualisiert.html; jsessionid=800C9202B8C591748688663E3FB46A7D.internet052?nn=13490888). Danach betrug die adjustierte 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz für Bayern am 30. November 2021 17,7 und lag damit mehr als doppelt so hoch als die tagesaktuell am 30. November 2021 vom RKI für Bayern berichtete 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz von 8,6 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Kum_Tab.html).
Während die Zahl der COVID-19-Patienten, die stationär behandelt werden mussten, seit Anfang Mai kontinuierlich sank, werden seit etwa Mitte August wieder deutlich höhere Zahlen, aktuell auf einem Niveau von rund knapp 4 700, beobachtet. Die Zahl der mit stationär zu versorgenden COVID-19-Patienten belegten Betten stieg seit Mitte August insgesamt um 4 488 auf nunmehr 4 689 (Stand 3. Dezember 2021, IVENA-Meldungen der Kliniken) an, d. h. die Gesamtzahl der mit COVID-19-Patienten belegten Betten hat sich mehr als 23-fach vervielfältigt. Insbesondere in den letzten Wochen wurde ein alarmierend rasanter Anstieg der Anzahl der bayernweit stationär behandelten COVID-19-Patienten beobachtet. Innerhalb der letzten Woche hat sich die Geschwindigkeit des Anstiegs zwar etwas verlangsamt, angesichts des sehr hohen Niveaus, auf welchem sich die Zahl der stationär behandelten COVID-19-Patienten befindet, ist dies jedoch kein Grund zur Entwarnung. So erhöhte sich diese Zahl seit der vergangenen Woche um rund 3%, innerhalb der letzten beiden Wochen um rund 16%, innerhalb der vergangenen drei Wochen sogar um 55%. Auch im intensivmedizinischen Bereich spiegelt sich diese Entwicklung wider (Zunahme der auf Intensivstationen versorgten COVID-19-Fälle seit Mitte August um rund 1 030, dies entspricht angesichts des niedrigen Ausgangsniveaus einer Steigerung von etwa 2 200%, Quelle: DIVI-Intensivregister). Aktuell werden bayernweit 4 689 Patienten, bei denen eine Infektion mit SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde, stationär behandelt (Meldungen der Krankenhäuser in IVENA vom 3. Dezember 2021). 1 081 COVID-19-Fälle werden derzeit intensivmedizinisch behandelt (Meldungen der Krankenhäuser im DIVI-Intensivregister vom 3. Dezember 2021).
Dabei bestehen – bei insgesamt hoher Inanspruchnahme der Intensivkapazitäten durch Nicht-COVID-19-Patienten – immer weniger regionale Unterschiede in der Belastung mit COVID-19-Intensivpatienten, wobei sich die Belastung in Südbayern derzeit tendenziell noch höher darstellt.
Angesichts der seit Wochen (regional teils stark) gestiegenen Belegung mit COVID-19-Patienten und der infolge der geradezu explodierenden Inzidenzen weiter stark steigenden Krankenhausbelegung mit COVID-19-Patienten ist auch in den nächsten Wochen noch mit einer weiteren Belastung der Situation im Intensivbettenbereich der Krankenhäuser zu rechnen, die sich praktisch in allen Regionen Bayerns bereits jetzt höchst angespannt darstellt. Die gegenwärtige Situation auf den Intensivstationen ist durch eine bayernweit insgesamt äußerst hohe Auslastung sowie regional drohende oder bereits eingetretene Überlastung gekennzeichnet. Überregionale Verlegungen bzw. Patientenzuweisungen sind längst wieder an der Tagesordnung, ebenso das Zurückfahren oder die Aussetzung sogenannter planbarer Eingriffe durch die Kliniken. Aufgrund der besorgniserregenden Auslastungssituation im Bereich der Intensivkapazitäten wurde zur Entlastung der bayerischen Kliniken erstmalig überhaupt in der Pandemie seitens des Freistaates Bayern am 23. November 2021 die bundesweite Kleeblattstruktur aktiviert, um in einem geordneten Verfahren Patientenabverlegungen in andere, weniger belastete Bundesländer zu ermöglichen. Im Rahmen der Kleeblattstruktur wurden bereits diverse Patientenabverlegungen durchgeführt. Die durchschnittliche Auslastung der Intensivstationen liegt bei 91,2% (DIVI-Meldungen, Stand 3. Dezember 2021). Lediglich in 16 kreisfreien Städten bzw. Landkreisen weisen die Intensivstationen der Kliniken noch eine Auslastung von weniger als 80% auf. Demgegenüber liegt in 28 kreisfreien Städten bzw. Landkreisen die Auslastung über 95%, davon in 21 kreisfreien Städten bzw. Landkreisen sogar bei 100%. Auf Ebene der Integrierten Leistellen (ILS) liegt bei keiner der insgesamt 26 ILS die Auslastung der Intensivkapazitäten unter 80%, drei ILS weisen demgegenüber jedoch eine Auslastung von über 95% auf, davon eine ILS eine Auslastung von 100% (DIVI-Meldungen, Stand 3. Dezember 2021). Die Auswirkungen der neuen Virusvariante Omikron auf die Intensivbettenbelegung mit COVID-19-Patienten bleibt abzuwarten.
Regional berichten Kliniken, mithin vor allem im intensivmedizinischen Bereich, von sehr starken Belastungen bis hin zu vollständigen Auslastungen der Intensivkapazitäten, die voraussichtlich in den nächsten Wochen nicht nachlassen werden und bereits jetzt wieder in größerem Umfang überregionale Patientensteuerungen erforderlich machen. Deshalb wurde es den Regierungen per Allgemeinverfügung vom 30. September 2021 (BayMBl. Nr. 709) ermöglicht, im Bedarfsfall und in Abhängigkeit des prozentualen Anteils von COVID-19-Patienten an den in einem Zweckverbandsgebiet für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF-Gebiet) insgesamt belegten Intensivbetten regional und zeitlich befristet erneut die während der ersten drei pandemischen Wellen bewährten Organisationsstrukturen einzurichten. Dies betrifft insbesondere die Einsetzung der Ärztlichen Leiter Krankenhauskoordinierung für einzelne ZRF-Gebiete, die zur Steuerung der Patientenströme befugt sind. Von dieser Befugnis haben bereits alle Regierungen Gebrauch gemacht. Durch Beschluss des Ministerrats vom 3. November 2021 wurde darüber hinaus für alle Rettungsdienstgebiete des Landes die Bestellung Ärztlicher Leiter Krankenhauskoordinierung verbindlich angeordnet. Ebenfalls sämtliche Regierungen haben mittlerweile Ärztliche Koordinatoren auf Bezirksebene eingesetzt, die die Ärztlichen Leiter Krankenhauskoordinierung bei der überregionalen Steuerung der Patientenströme unterstützen. Nach erneuter Feststellung der Katastrophe nach Art. 4 Abs. 1 BayKSG wurde die Allgemeinverfügung zur Bewältigung erheblicher Patientenzahlen in Krankenhäusern mit Wirkung vom 12.11.2021 neu gefasst. Dadurch werden u. a. die Ärztlichen Leiter Krankenhauskoordinierung (ÄL KHK) in die Katastrophenschutzstruktur eingebunden und mit erweiterten Anordnungsbefugnissen ausgestattet (z. B. Freihalteanordnungen bzw. Verbote aufschiebbarer Behandlungen).“
In der dargestellten pandemischen Situation dürfte die angegriffene Norm daher den durch § 28a Abs. 3 IfSG vorgegebenen Maßstäben entsprechen.
d. Die Untersagung von „Jahresmärkten“ nach § 10 Abs. 3 15. BayIfSMV erweist sich aller Voraussicht nach auch nicht als unverhältnismäßig. Hierbei ist zu beachten, dass die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte des Verordnungsermessens bei Verordnungen, die auf § 28a Abs. 1 IfSG basieren, zurückgenommen sein dürfte. Anders als unter der Geltung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.d.F. vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 587 ff.; BT-Drucks 19/18111; vgl. hierzu BayVGH, B.v. 4.10.2021 – 20 N 20.767 – juris) hat der Gesetzgeber für Maßnahmen gegen COVID-19 ein ausführliches Maßnahmenpaket beschrieben und Eingriffsvoraussetzungen formuliert. Insoweit kommt § 28a Abs. 3 IfSG i.d.F. vom 10. September 2021 (BGBl. 2021 I S. 4147) als Zielvorgabe und Maßstab der infektionsschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen zentrale Bedeutung zu. Die grundsätzliche Erwägung des Verordnungsgebers, die derzeitige pandemische Lage lasse ein zufälliges Zusammenkommen von vielen Personen mit zahlreichen zusätzlichen Kontakten auch dann nicht zu, wenn dieses Zusammenkommen im Freien erfolgt, ist jedenfalls im Hinblick auf die besondere Attraktivität von Jahrmärkten mit unterhaltendem und volksfestähnlichem Charakter nachvollziehbar. Durchgreifende Zweifel an der Angemessenheit der Maßnahme sind – jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – auch nicht erkennbar. Das Gewicht des mit der angegriffenen Norm verbundenen Eingriffs in die Grundrechte der Normadressaten steht angesichts der Grundentscheidung des Gesetzgebers für die fortgesetzte Zulässigkeit solcher bis zum 25. November 2021 angeordneten Untersagungen im Rahmen des § 28a Abs. 9 IfSG (zum weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris), der Bedeutung der betroffenen Betriebe und Einrichtungen für die Grundrechtsausübung der Betroffenen und des grundsätzlich befristeten Geltungszeitraums der Norm (vgl. § 28a Abs. 7 Satz 3 i.V.m. Abs. 5 IfSG) jedenfalls bislang nicht außer Verhältnis zu dem Regelungsziel, Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und eine Überlastung der (intensiv-)medizinischen Behandlungskapazitäten zu vermeiden
Der Verordnungsgeber ist zur regelmäßigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit seiner Maßnahmen verpflichtet. Aus diesem Grund sind die Maßnahmen nach § 28a Abs. 5 Satz 2 IfSG zu befristen und nach § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG mit einer Begründung zu versehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von dem Antragsteller angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 15. Dezember 2021 außer Kraft tritt (§ 18 Abs. 1 15. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.


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