Medizinrecht

Genehmigungsfiktion bei einer von vornherein im Ausland geplanten ärztlichen Behandlung

Aktenzeichen  L 4 KR 558/17

Datum:
14.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13173
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I § 44
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 1a, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3, Abs. 3a, Abs. 4, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, § 135 Abs. 1 S. 1, § 140e
GG Art. 3 Abs. 1
GOÄ § 12 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4
AEUV Art. 56
VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 20
Richtlinie 2011/24/EU

 

Leitsatz

Das Betreuungsgeld nach dem Bayerischen Betreuungsgeldgesetz ist keine zweckbestimmte Einnahme iSv § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II und als Einkommen im Rahmen der Leistungsberechnung nach dem SGB II anzurechnen.
1. Der sachliche Anwendungsbereich von § 13 Abs. 3a SGB V ist nicht eröffnet, wenn in der Sache ein Anspruch auf eine sachleistungsersetzende Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 SGB V geltend gemacht wird.  (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer CISIS-Behandlung mit MyoRing Implantation handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode für die eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vorliegt.  (Rn. 54 – 55) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 KR 221/16 2017-07-21 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden Ziffer I. und III. des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 21. Juli 2017 aufgehoben. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
II. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG war in den Ziffern I und III aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die erfolgte CISIS-Behandlung am linken Auge.
A.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Kostenerstattung aufgrund fingierter Genehmigung ihres Leistungsantrags gemäß § 13 Abs. 3a S.7 SGB V nicht zu.
1.) Die Beklagte hat zwar – wie das SG zu Recht festgestellt hat – den Antrag der Klägerin, der nach übereinstimmenden Ausführungen der Beteiligten am 22.09.2015 gestellt worden ist, nicht innerhalb der maßgeblichen Frist beschieden. Die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V ist abgelaufen. Gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Vorliegend war die Fünf-Wochenfrist maßgeblich, weil die Beklagte den MDK eingeschaltet hatte und dies der Klägerin mitgeteilt hatte. Die Frist, die am 27.10.2015 geendet hat, wurde überschritten. Über den Antrag wurde mit Bescheid vom 11.11.2015 entschieden.
2.) Die Regelung über die Genehmigungsfiktion ist aber nicht sachlich anwendbar. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des geforderten Betrages aus § 13 Abs. 3a S.7 SGB V, weil sie keine Sach-, sondern eine Geldleistung beantragt hat.
Die Klägerin hat bei der Beklagten am 22.09.2015 die Übernahme der Kosten einer in Österreich durchzuführenden Operation beantragt. Bereits bei Antragstellung hat sie den in Österreich vereinbarten Operationstermin für das erste Auge mitgeteilt.
Gegenstand ist damit ein Erstattungsanspruch aufgrund einer von vornherein im europäischen Ausland geplanten und entsprechend beantragten ärztlichen Behandlung.
Die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V findet keine Anwendung auf Ansprüche gegen Krankenkassen, die unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind (BSG, Urteile vom 07.11.2017, B 1 KR 2/17 R und B 1 KR 24/17 R; vom 26.09.2017, B 1 KR 6/17 R und B 1 KR 8/17 R; vom 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, und vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R). Das sind nach der Rechtsprechung des BSG andere Ansprüche der Versicherten wegen sachleistungsersetzender Kostenerstattung etwa nach § 13 Abs. 2, 3 SGB V und wegen Geldleistungen mit Unterhaltsersatzfunktion. Der gesetzliche Erstattungsanspruch für die selbstbeschaffte erforderliche Leistung passt hierauf nach dem Wortlaut und dem Regelungssystem nicht. Versicherte können sich jederzeit Kredite zur Überbrückung von Zeiten verschaffen, in denen bei ihnen ein Bedarf entsteht, weil Krankenkassen den Versicherten zustehende Geldleistungsansprüche nicht auszahlen. Es bedarf hierfür keines besonderen Rechtsmechanismus, die gesetzliche Verzinsungsregelung greift (vgl. § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I). Der Gesetzgeber ging für die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V von einer „Ausnahme vom Sachleistungsprinzip“ aus (vgl. hierzu Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BT-Drucks 17/10488). Die späteren Änderungen des Gesetzentwurfs (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710, S.11) geben keinen Anlass zu einer hiervon abweichenden Auslegung (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R). § 13 Abs. 3a SGB V ist – ebenso wie die Absätze 2, 3, 4 und 5 – als Ausnahmevorschrift im Sinne von § 13 Abs. 1 SGB V konzipiert (vgl. Helbig in jurisPK-SGB V, 3. Auflage, 2016, Stand 05.02.2018, § 13 Rn.60.1).
Zu der Anwendbarkeit von § 13 Abs. 3a SGB V auf eine von vornherein beantragte ärztliche Behandlung im Ausland hat sich das BSG bisher nicht geäußert. Es hat vielmehr in seinem Urteil vom 11.09.2018, B 1 KR 1/18 R ausgeführt, es könne dahinstehen, wie zu entscheiden wäre, wenn der dortige Kläger von vornherein eine Behandlung im Ausland beantragt hätte. Der klägerische Antrag sei allgemein auf eine Versorgung mit einer Straffung der Haut im Brust- und Bauchbereich gerichtet; eine Behandlung gerade in der Türkei sei nicht Gegenstand des Antrags.
Die Rechtsprechung des BSG ist auf einen hier vorliegenden Kostenerstattungsanspruch für eine Behandlung in Österreich nach § 13 Abs. 4 SGB V jedoch gleichermaßen anzuwenden (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.01.2018, L 11 KR 591/16). Für die von der Klägerin beantragte Behandlung im europäischen Ausland kommt nur ein Anspruch nach § 13 Abs. 4 SGB V in Betracht, bei dem es sich um einen Kostenerstattungsanspruch handelt. Der Anspruch richtet sich also unmittelbar auf eine Geldleistung. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift (vgl. auch BSG, Urteile vom 30.06.2009, B 1 KR 19/08 R, und 17.02.2010, B 1 KR 14/09 R). Eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V kommt hierbei nicht zum Zuge.
a.) Für die Behandlung im europäischen Ausland kommen, soweit der Behandlungsstaat nicht der Staat ist, in dem die Person gegen Krankheit versichert ist bzw. Ansprüche auf Leistungen zur Behandlung bei Krankheit erworben hat, und soweit – wie vorliegend – der Wohnort nicht im Behandlungsstaat liegt und die Reise in den Behandlungsstaat erfolgt, um Gesundheitsleistungen nachzufragen, Leistungen nach Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004, nach RL 2011/24/EU und Art.56 AEUV sowie Kostenerstattungsansprüche nach § 13 Abs. 4 SGB V und Sachleistungsansprüche nach § 140e SGB V in Betracht (vgl. Bieback in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7.Auflage, 2017, S.763f.).
aa.) Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004 ist vorliegend nicht anwendbar. Dieser regelt die gezielte Inanspruchnahme von Sachleistungen im Aufenthaltsstaat im Rahmen einer Sachleistungsaushilfe. Ein Anspruch auf eine Sachleistung gegen den Träger des Aufenthaltsstaates setzt zum einen eine Genehmigung voraus. Weiter muss die Leistung zu den Leistungen gehören, auf die der Versicherte Anspruch im Wohnmitgliedsstaat hat und dem Versicherten muss die Leistung im Wohnmitgliedsstaat nicht in einem unter Berücksichtigung seines derzeitigen Gesundheitszustandes und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraum gewährt werden können (vgl. Schreiber in: Schreiber/ Wunder/ Dern, VO EG Nr.883/2004, Art.20 Rn.1, 6ff, 9ff). Vorliegend sind diese Voraussetzungen des Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht gegeben. Weder hätte die Klägerin Anspruch auf die beantragte Leistung in Deutschland, noch lag zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Notfallsituation vor, weil eine Behandlung der Klägerin in Deutschland nicht möglich und ein Zuwarten medizinisch nicht vertretbar war. Im Übrigen war ein Anspruch auf Sachleistung gegen den Träger des Aufenthaltsstaates offensichtlich nicht gewollt.
bb.) Auch ein Anspruch nach Richtlinie 2011/24/EU und Art.56 AEUV kommt vorliegend nicht in Betracht. Die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nach der RL 2011/24/EU unterscheidet sich von der Leistung nach Art. 20 VO (EG) Nr. 883/2004 dadurch, dass der Nachfrager auf der Basis der Richtlinie nicht in das Leistungssystem des Behandlungsstaates integriert wird, sondern nur eine Kostenerstattung für die Leistungsinanspruchnahme nach dem Recht des Versicherungsstaates erhält (vgl. Bieback in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7.Auflage, 2017, S.764). Die Richtlinie beruht auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dienstleistungsfreiheit. Nach Art. 7 der Richtlinie handelt es sich um einen reinen Kostenerstattungsanspruch, der einen Anspruch auf eine entsprechende Behandlung nach dem Recht des Behandlungsstaates voraussetzt. Umfasst sind – mit bestimmten Ausnahmen (Langzeitpflege, Organtransplantation, Impfen) – die Leistungen, die im Leistungskatalog des Versicherungsstaates enthalten sind. Damit ist ein Anspruch auch auf der Grundlage der RL 2011/24/EU, bei dem es sich ohnehin um einen reinen Kostenerstattungsanspruch handelt, ausgeschlossen, da die beantragte Operation nicht im Leistungskatalog der GKV in Deutschland enthalten ist.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Art.9 der Richtlinie, nach dem eine „angemessene Frist“ für die Vorabgenehmigung festzusetzen ist, nicht in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Die Richtlinie 2011/24/EU ist mit der Verordnung der Patientenrechteausübung in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zum 01.01.2014 umgesetzt worden, die keine Fristenregelung enthält.
cc.) Ein Sachleistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 140e SGB V. Danach dürfen Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicherten nach Maßgabe des Dritten Kapitels und des dazugehörigen untergesetzlichen Rechts Verträge mit Leistungserbringern nach § 13 Abs. 4 S.2 SGB V in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, in den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz abschließen. Die Beklagte hat, wie sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, einen Vertrag nach § 140e SGB V mit Herrn Dr. D. bzw. dem Internationalen Keratokonuszentrum in C-Stadt nicht abgeschlossen.
dd.) Damit handelt es sich vorliegend um einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 4 SGB V. § 13 Abs. 4 SGB V ist mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) zum 01.01.2004 eingefügt worden. Nach der Gesetzesbegründung vollzieht der neue Absatz 4 die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit auch im Bereich der sozialen Sicherheit gelten, mit der Konsequenz, dass sich Versicherte Versicherungsleistungen gegen Kostenerstattung zu Lasten öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger selbst beschaffen können. Ein nationales Sachleistungssystem hindert den Kostenerstattungsanspruch nicht. Die Regelung sieht dementsprechend vor, dass Versicherte künftig auch Leistungen in anderen Mitgliedsstaaten im Wege der Kostenerstattung in Anspruch nehmen können (vgl. BT-Drs. 15/1525, S.80). Ein Sachleistungsanspruch für Leistungen im Ausland ist hingegen grundsätzlich ausgeschlossen, weil die ausländischen Leistungserbringer nicht in das innerdeutsche Sachleistungssystem eingebunden sind.
b.) Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) vor. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend unterschiedlich zu behandeln. Damit ist dem Normgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BSG, Urteil vom 17.09.2008, B 6 KA 46/07 R m.w.N.). Zwischen einer Behandlung innerhalb und außerhalb Deutschlands bestehen relevante Unterschiede in diesem Sinn, so gilt – wie ausgeführt – insbesondere im innerdeutschen Recht nach dem SGB V das Sachleistungsprinzip.
3.) Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung aufgrund fingierter Genehmigung des Leistungsantrags auch aus weiteren Gründen nicht in Betracht käme.
a.) So betraf der Antrag der Klägerin bereits eine Leistung, die die Klägerin nicht für erforderlich halten durfte. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkung für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an.
Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§ 2 Abs. 1 S.3 SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) entgegen. § 13 Abs. 3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von deren Anforderungen ab, indem er in seinem Satz 6 selbst in den Fällen, in denen eine Krankenkasse einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur „zufällig“ rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von § 13 Abs. 3a SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V obsolet (BSG, Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 15/17 R). Die Klägerin hatte ihrem Antrag eine ärztliche Bescheinigung vom 19.09.2015 von Dr. D. beigefügt. In dieser hat Dr. D. selbst darauf hingewiesen, dass es sich bei der von ihm geplanten Therapie um eine Therapie handle, die nicht im Leistungskatalog der GKV liege. Die Klägerin hatte also Kenntnis, dass es sich bei dem geplanten Eingriff an den Augen nicht um eine anerkannte Krankenbehandlung handelte.
b.) Die Klägerin kann sich weiter auch deshalb nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen, weil sie die beantragte Therapie bereits vor Ablauf der Fünf-Wochen-Frist begonnen hat. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a S.7 SGB V setzt nämlich auch voraus, dass die Frist, innerhalb derer die Krankenkasse über den Leistungsantrag zu entscheiden hat, abgelaufen ist, bevor sich der Leistungsberechtigte die Leistung selbst beschafft. Ein solcher Erstattungsanspruch kommt danach nur in Betracht, wenn die Leistung „nach Ablauf der Frist“ beschafft wurde. Neben dem Wortlaut spricht für das Erfordernis des Fristablaufs auch die Gesetzesbegründung, nach der die Vorschrift der Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens dient (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, BT-Drucks. 17/10488), und dass die Selbstbeschaffung (nur) für den Fall einer nicht rechtzeitigen Leistungserbringung durch die Krankenkasse vorgesehen ist. Denn die Krankenkasse muss wegen der mit der Selbstbeschaffung von Leistungen verbundenen Gesundheitsgefahren und wirtschaftlichen Risiken weiterhin die rein faktische Möglichkeit haben, sich mit dem Leistungsbegehren in der ihr zustehenden Zeit zu befassen, es zu prüfen und ggf. Behandlungsalternativen aufzuzeigen (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 30/15 R).
Zwar handelt es sich bei den vorgenommenen Operationen am rechten und am linken Auge um zwei getrennte Eingriffe. Diese sind aber zusammen mit Schreiben vom 19.09.2015 beantragt worden. Aus den vorgelegten Schreiben ergibt sich, dass bezüglich der beidseitigen Augenkrankheit Keratokonus für beide Augen der entsprechende Eingriff geplant war. Den Termin für die erste Operation hat die Klägerin nach ihren eigenen Ausführungen bereits bei Antragstellung mitgeteilt. Es ist offensichtlich, dass der Antrag die Behandlung der beidseitigen Augenkrankheit Keratokonus und damit der Hornhaut beider Augen umfasste und somit als Einheit anzusehen ist. Die Klägerin hatte von vornherein nicht die Absicht, die Entscheidung der Beklagten abzuwarten, sondern hatte von vornherein die Durchführung der beantragten Therapie bei Dr. D. geplant.
c.) Soweit die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass die Rechnung von Dr. D. nicht im Ansatz erkennen lasse, wie sich der Betrag von 3.000,- Euro zusammensetzt, ist festzustellen, dass es sich um die Rechnung eines österreichischen Leistungserbringers handelt, die die formellen Voraussetzungen der Regelungen des § 12 Abs. 2-4 GOÄ (danach muss die Rechnung insbesondere u.a. die Nummer und die Bezeichnung der einzelnen berechneten Leistung einschließlich einer in der Leistungsbeschreibung enthalten) nicht erfüllen muss. Im Übrigen wäre die Beklagte bei Einreichung einer nicht ausreichenden Rechnung aus dem Ausland verpflichtet gewesen, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.
B.
1.) Auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 4 SGB V sind nicht gegeben. Danach sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Dabei verdrängt § 13 Abs. 4 SGB V die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V.
Ebenso wie § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat der Anspruch auf Kostenerstattung nach Absatz 4 einen konkreten Sach- oder Dienstleistungsanspruch (Primäranspruch) zur Grundvoraussetzung. Das wird im Wortlaut des Satzes 1 durch die Formulierung „anstelle“ verdeutlicht. Die Abhängigkeit vom Sachleistungsanspruch bedeutet, dass dessen sachlich-rechtlichen und sonstigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt gewesen sein müssen. Diese Voraussetzungen sind aber gerade nicht erfüllt. Die Klägerin hätte keinen Sachleistungsanspruch auf die von ihr beantragte CISIS-Behandlung mit MyoRing Implantation.
a.) Der Anspruch wäre bereits deswegen ausgeschlossen, weil es sich bei der beantragten Therapie um eine neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden handelt und eine positive Empfehlung des GBA nicht vorliegt.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 S.1 SGB V). Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie – wie im vorliegenden Fall – nach eigener Einschätzung des Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr.5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr.5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R).
b.) Auch ist ein Systemversagen nicht gegeben. Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog. Systemversagen). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Antragstellung bis zur Behandlung der Klägerin hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem GBA sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sein könnte.
c.) Ein Leistungsanspruch kann auch nicht nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bzw. nach dem seit 01.01.2012 geltenden § 2 Abs. 1a SGB V gegeben sein. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Bei der Erkrankung der Klägerin, Keratokonus, handelt es sich unstreitig bereits nicht um eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Vor allem droht nicht konkret eine Erblindung.
2.) Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus der von Klägerseite in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Anwendung der allgemeinen richterrechtlichen Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.
a.) Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ergibt sich nicht in Bezug auf das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Informationsblatt der AOK Nord-West, mit dem diese allgemein über die neuartige Methode des Einsatzes eines MyoRinges informiert hat, auf die kurzsichtige Menschen hoffen könnten, in dem aber gerade nicht zum Ausdruck gekommen ist, dass die Leistung im Leistungskatalog der GKV enthalten ist. Eine der Beklagte zuzurechnende Pflichtverletzung ist diesbezüglich nicht ersichtlich.
b.) Auch ergibt sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht daraus, dass man der Klägerin – wie von ihr vorgetragen – geraten hat, einen Kostenvoranschlag einzuholen und sie nicht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sie von der CISIS-Behandlung ohne ausdrücklichen Bewilligungsbescheid ablassen solle. Es ist bereits offensichtlich, dass bei Beantragung einer nicht vom Leistungskatalog umfassten Operation ein Abwarten der Entscheidung tunlich ist. Im Übrigen ist der Zustand vor Durchführung der Operation weder wiederherstellbar, noch ist dies von der Klägerin gewünscht und Ziel des Klageverfahrens.
Als rechtmäßige Amtshandlung käme damit allenfalls die Erfüllung des Kostenerstattungsanspruchs aus § 13 Abs. 4 SGB V in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 5/05 R). Dessen Voraussetzungen liegen aber wie dargelegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr.1 SGG zuzulassen.


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