Medizinrecht

IVF-Behandlung – § 13 Abs. 3a SGB V

Aktenzeichen  L 4 KR 705/17

Datum:
5.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 39952
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 13 Abs. 3a
SGB V § 27a

 

Leitsatz

1. Ein Antrag auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V kann nur zu einer Genehmigungsfiktion führen, wenn der nach § 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V zwingend erforderliche Behandlungsplan vorliegt.
2. Leistungen nach § 27a SGB V liegen für weibliche Versicherte offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV, soweit sie nach Vollendung des 40. Lebensjahres erbracht werden sollen. Die in § 27a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V normierten oberen Altersgrenzen stellen Grenzen des GKV-Leistungskatalogs dar, die jeder/jedem Versicherten klar sein müssen.
3. Eine Genehmigungsfiktion kommt nicht in Betracht, soweit eine weibliche Versicherte Leistungen nach § 27a SGB V beantragt hat, die nach Vollendung ihres 40. Lebensjahres erbracht werden sollen.

Verfahrensgang

S 6 KR 38/17 2017-10-24 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24.10.2017 aufgehoben und die Klagen abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie ohne Zulassung statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).
Die Berufung ist auch begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
Gegenstand des Rechtsstreits sind im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zusammen verfolgte zwei zulässige Klagebegehren. Die Klägerin begehrt die künftige Versorgung mit IVF-Behandlungen und die Erstattung der für die Behandlungen im Herbst 2017 und im März 2018 angefallenen Kosten.
1. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche nicht auf eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V stützen.
a) Die Klägerin hat am 01.05.2016 keinen hinreichend bestimmten Antrag auf Versorgung mit IVF-Behandlungen gestellt.
Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist – zusammengefasst – inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf. eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts. Der Verfügungssatz, einen Naturalleistungsanspruch auf eine bestimmte Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) zu gewähren, verschafft dem Adressaten eine Rechtsgrundlage dafür, mittels Leistungsklage einen Vollstreckungstitel auf das Zuerkannte zu erhalten. Die Vollstreckung erfolgt nach den Regelungen über vertretbare Handlungen (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 1, § 198 Abs. 1 SGG, § 887 ZPO). Es genügt hierfür, dass das Behandlungsziel klar ist. Dass hinsichtlich der Mittel zur Erfüllung der Leistungspflicht verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen, beeinträchtigt den Charakter einer Leistung als vertretbare Handlung nicht. Diese allgemeinen Grundsätze gelten ebenso, wenn Patienten zur Konkretisierung der Behandlungsleistung auf die Beratung des behandelnden Arztes angewiesen sind (BSG, Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, Rn. 20 f. m.w.N.).
Der Antrag der Klägerin, der auf „eine IVF-Behandlung / künstliche Befruchtung“ gerichtet war, genügte diesen Anforderungen nicht. Ein Antrag auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V kann nur zu einer Genehmigungsfiktion führen, wenn der nach § 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V zwingend erforderliche Behandlungsplan vorliegt.
Unabhängig davon durfte die Klägerin IVF-Behandlungen zum damaligen Zeitpunkt auch subjektiv nicht für erforderlich halten. Denn am 01.05.2016 lag als ärztliche Stellungnahme lediglich der Arztbericht der A. Klinik L-Stadt vom 07.04.2016 vor, in dem nicht die Durchführung von IVF-Behandlungen, sondern nur eine Vorstellung in einem Kinderwunschzentrum „bezüglich der Fragestellung IVF oder ggf. Inseminationsversuch vs. abwartendes Verhalten“ empfohlen wurde.
b) Dagegen lag am 21.06.2016 ein hinreichend bestimmter Antrag vor. An diesem Tag ging das Schreiben der Klägerin vom 10.06.2016 mit dem Behandlungsplan der IVF-Zentren Z. GmbH vom 08.06.2016 bei der Beklagten ein.
Zwar sind die Angaben in dem mit Schreiben vom 10.06.2016 vorgelegten Behandlungsplan widersprüchlich. Einerseits werden als Diagnosen „11.3 weibliche Subfertilität“ und „11.3 männliche Subfertilität“ angegeben; andererseits wird als geplante Behandlungsmaßnahme „intracytoplasmatische Spermieninjektion (gemäß Nr. 10.5)“ genannt. Die medizinischen Indikationen hierfür sind in den Richtlinien über künstliche Befruchtung jedoch nicht unter Nr. 11.3, sondern unter Nr. 11.5 genannt. Danach ist Voraussetzung eine schwere männliche Fertilitätsstörung, dokumentiert durch zwei aktuelle Spermiogramme, die auf der Grundlage des Handbuchs der WHO zu „Examination and processing of human semen“ erstellt worden sind. Die Untersuchung des Mannes im Rahmen der Prüfung der Leistungsvoraussetzungen nach Nummer 1 durch Ärztinnen oder Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Andrologie“ muss der Indikationsstellung vorausgehen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird in dem Behandlungsplan gerade nicht bestätigt, dies gilt auch für das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen nach Nr. 8 Satz 15 der Richtlinien über künstliche Befruchtung.
Dies steht der Bestimmtheit des Antrags jedoch nicht entgegen, denn es wird deutlich, welche Behandlung die Klägerin auf der Grundlage des Behandlungsplans begehrt.
c) Der Antrag der Klägerin betraf jedoch eine Leistung, deren Erbringung nach Vollendung ihres 40. Lebensjahres sie subjektiv nicht für erforderlich halten durfte und offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung lag.
aa) Die Klägerin durfte die Erbringung der streitgegenständlichen Leistung nach Vollendung ihres 40. Lebensjahres subjektiv nicht für erforderlich halten. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die Klägerin bei Antragstellung am 21.06.2016 über die in § 27a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V geregelte obere Altersgrenze informiert war. Denn nach § 27a Abs. 1 Nr. 5 SGB V, Nr. 7 in Verbindung mit Nr. 14 der Richtlinien über künstliche Befruchtung ist vor IVF-Behandlungen eine Beratung im Hinblick auf die individuellen medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte der künstlichen Befruchtung vorgeschrieben. Zu diesen Aspekten zählen auch die gesetzlichen Altersgrenzen. Eine solche Beratung hat die Klägerin spätestens vor Erstellung des Behandlungsplans bei der IVF-Zentren Z. GmbH, den sie mit Schreiben vom 10.06.2016 vorgelegt hat, in Anspruch genommen. Prof. Dr. Z. hat unter dem 10.08.2016 bestätigt, die Vorgaben nach § 27a SGB V einzuhalten. Auch aus einer Aktennotiz der Beklagten vom 09.05.2016 ergibt sich, dass die Klägerin auf die gesetzliche Altersgrenze von 40 Jahren hingewiesen worden ist.
bb) Die Erbringung der streitgegenständlichen Leistung nach Vollendung des 40. Lebensjahres der Klägerin lag offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV. Zwar gilt nach § 13 Abs. 3a SGB V eine Leistung auch dann als genehmigt, wenn der Antragsteller auf diese objektiv keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat (BSG, Urteil vom 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, Rn. 22). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt; die Vorschrift soll nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG, a.a.O., Rn. 21).
Die in § 27a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V normierten oberen Altersgrenzen stellen solche Grenzen des GKV-Leistungskatalogs dar. Sie müssen jeder/jedem Versicherten klar sein; um dies sicherzustellen, ist – wie bereits dargelegt – in § 27a Abs. 1 Nr. 5 SGB V, Nr. 7. in Verbindung mit Nr. 14 der Richtlinien über künstliche Befruchtung eine Beratung vorgeschrieben, die u.a. die Altersgrenzen zum Gegenstand hat.
Auch der Gesetzeszweck der in § 27a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V normierten Altersgrenzen spricht gegen die Möglichkeit, die oberen Altersgrenzen mittels einer Genehmigungsfiktion zu überwinden. Diese dienen nämlich ganz maßgeblich auch dem künftigen Wohl des erhofften Kindes. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zum GKV-Modernisierungsgesetz (BT-Drs. 15/1525, S. 83). Diesem Gesetzeszweck kann nur dann Rechnung getragen werden, wenn die Überschreitung der Altersgrenzen mittels einer Genehmigungsfiktion ausgeschlossen ist.
Das Ergebnis wird auch durch den Gesetzeszweck von § 13 Abs. 3a SGB V gestützt. Diese Vorschrift stellt eine Sanktionsnorm dar (BSG, Urteil vom 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, Rn. 22). Die Sanktion soll ausschließlich Krankenkassen treffen, die über Anträge nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen entscheiden. Im vorliegenden Fall träfe die mit einer Genehmigungsfiktion verbundene Sanktion jedoch nicht nur die Beklagte, sondern ggf. auch das erhoffte Kind, dessen künftiges Wohl nach Auffassung des Gesetzgebers durch die Altersgrenzen maßgeblich geschützt werden soll.
d) Damit kann offenbleiben, ob die maßgebliche Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V überschritten worden ist.
2. Ein Sachleistungsanspruch auf künftige Versorgung mit IVF-Behandlungen ergibt sich auch nicht aus § 27a SGB V. Insoweit kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin ihr 40. Lebensjahr bereits vollendet. Damit ist der Anspruch nach § 27a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V ausgeschlossen.
3. Einen Anspruch auf Erstattung der für die Behandlungen im Herbst 2017 und im März 2018 bereits angefallenen Kosten kann die Klägerin auch nicht auf § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V stützen. Die Beklagte hat nämlich mit Bescheid vom 25.07.2016 in der Fassung des Bescheides vom 23.11.2016 (Widerspruchsbescheid vom 12.04.2017) die Versorgung der Klägerin mit IVF-Behandlungen, die nach Vollendung des 40. Lebensjahres begonnen werden, nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn § 27a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V schließt Ansprüche auf IVF-Behandlungen für weibliche Versicherte aus, die das 40. Lebensjahr vollendet haben.
4. Der Umstand, dass die Klägerin Behandlungen in Österreich in Anspruch genommen hat und in Anspruch nehmen möchte, führt nicht zu einer abweichenden Bewertung. Das sekundäre Gemeinschaftsrecht und die das primäre Gemeinschaftsrecht umsetzenden Regelungen des SGB V (§ 13 Abs. 4 und 5 SGB V) sehen keine weitergehenden Leistungsansprüche vor, die von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 3a ESchG und der §§ 27, 27a SGB V entbinden (BSG, Urteil vom 18.11.2014, B 1 KR 19/13 R).
Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Dessen (im Wesentlichen dreigliedriger) Tatbestand fordert das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers der Zustand wiederhergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (BSG, Urteil vom 03.04.2014, B 5 R 5/13 R, Rn. 37 m.w.N.). Vorliegend fehlt es jedenfalls an der Möglichkeit der Beklagten, durch eine rechtmäßige Amtshandlung den von der Klägerin gewünschten Zustand herzustellen, weil § 27a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V Ansprüche auf IVF-Behandlungen nach Vollendung des 40. Lebensjahres der Klägerin ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).


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