Medizinrecht

Nichtraucherschutz in Justizvollzugsanstalt

Aktenzeichen  204 StObWs 277/20

Datum:
17.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37679
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayStVollzG Art. 58 Abs. 3, Art. 208
StVollzG § 116 Abs. 1, § 118 Abs. 1 u. 3, § 119 Abs. 4 S. 1, S. 2
GSG Art. 2 Nr. 1 lit. b, Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2,
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Der Nichtraucherschutz in der Justizvollzugsanstalt ist auch in Aufenthaltsräumen im Bereich eines Anstaltsbetriebes zu gewährleisten. (Rn. 26)
2. Ist aus baulichen oder sonstigen Gründen eine räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern nicht möglich, führt dies dazu, dass das Rauchen im betreffenden Raum überhaupt nicht gestattet werden darf. (Rn. 27)

Verfahrensgang

2 NöStVK 761/18 2020-04-16 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen vom 16. April 2020 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Justizvollzugsanstalt K für den Zeitraum der Beschäftigung des Antragstellers im Betrieb „Kammer“ insoweit ihre Fürsorgepflicht verletzt hat, als sie den Nichtraucherschutz nicht durchgesetzt und den Antragsteller einer erheblichen Rauchbelästigung ausgesetzt hat.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer hierin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
4. Dem Antragsteller wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt.
5. Der Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren und für das Beschwerdeverfahren wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der inzwischen aus der Strafhaft entlassene Beschwerdeführer war Strafgefangener unter anderem in der Justizvollzugsanstalt K. Er wurde dort vom 201 bis .201 und vom 201 bis .201 im Betrieb „Kammer“ beschäftigt.
Bereits mit Schreiben vom 23.8.2017 stellte er dort einen Antrag an die Anstaltsleitung, wie diese ihn vor Rauchbelästigungen innerhalb der Justizvollzugsanstalt schützen möchte. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, der Nichtraucherschutz sei durch Kameraüberwachung, Rauchmelder etc. gesichert.
Mit Schreiben vom 15.11.2018 in Verbindung mit dem Schreiben vom 30.8.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel der Feststellung, dass die Vollzugsbehörde für den Zeitraum seiner Beschäftigung im Betrieb „Kammer“ insoweit ihre Fürsorgepflicht verletzt habe, als sie den Nichtraucherschutz nicht durchgesetzt und den Antragsteller einer erheblichen Rauchbelästigung ausgesetzt habe.
Der Beschwerdeführer trägt vor, die Rauchbelästigung sei hoch gewesen. Entweder hätten stets alle weiteren vier Mitarbeiter in der Kammer geraucht, oder aber mindestens drei (unter Angabe der jeweiligen Zeiträume). Dort befinde sich nur ein Aufenthaltsraum, in dem sich die Gefangenen oft lange aufgehalten hätten, weil täglich mehrere Stunden keine Arbeit angefallen sei. Einen Raucherraum habe die Kammer nicht, vielmehr sei der Aufenthaltsraum auch Raucherraum. Da die Raucher des Öfteren mit ihren Zigaretten durch den ganzen Betrieb gelaufen seien, habe sich der Antragsteller auch nicht entziehen können, zumal er außerhalb des Aufenthaltsraumes hätte auf dem Boden sitzen müssen.
Er habe erst nach Beendigung seiner Beschäftigung, als er keine Repressalien durch die rauchenden Mitbeschäftigten mehr habe befürchten müssen, den Feststellungsantrag einreichen können. Als einziger Nichtraucher in der Kammer wäre er auch bei einer anonymen Beschwerde Repressalien ausgesetzt gewesen.
Die Justizvollzugsanstalt vertrat in ihrer Stellungnahme vom 10.2.2020 die Auffassung, dass es an einem Feststellungsinteresse fehle, da der Antragsteller inzwischen in die Justizvollzugsanstalt A verlegt worden sei. Der Feststellungsantrag sei darüber hinaus auch rechtsmissbräuchlich, da der Antragsteller sich während seiner Beschäftigung in der Kammer (ZNB) nicht hinsichtlich Rauchbelästigungen beschwert, diese vielmehr hingenommen habe und sich auch nicht dem Arzt wegen gesundheitlicher Beschwerden vorgestellt habe. Er sei darüber hinaus unbegründet, da die Justizvollzugsanstalt umfangreiche Maßnahmen zum Schutz der Nichtraucher gemäß Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG ergriffen habe. Sie habe in den Betrieben Rauchmelder angebracht, die auch Zigarettenrauch detektieren würden. Darüber hinaus erfolge eine Beobachtung der Gefangenen über die Videoüberwachungsanlage. Rauchen im Arbeitsbereich der Kammer (ZNB) sei nicht gestattet und werde disziplinarisch geahndet. Verstöße gegen den Nichtraucherschutz im Arbeitsbereich seien während der Beschäftigung des Antragstellers in der Kammer nicht festgestellt worden.
Der Aufenthaltsraum werde als Raucherraum genutzt. Ein Aufenthalt in diesem sei nicht zwingend erforderlich, da für nichtrauchende Gefangene Sitzmöglichkeiten für Pausen im Betrieb vorgehalten würden.
Dem entgegnete der Antragsteller unter anderem, dass die Rauchmelder schon wegen des erheblichen Volumens der Kammer vereinzelte Zigaretten nicht detektieren würden, was bei der anstaltsinternen Überprüfung der Rauchmelder bestätigt worden sei. Diese und die nur sporadisch zur Stichkontrolle verwendete Videoüberwachungsanlage seien auch wegen der schlechten Kameraqualität ineffektiv. Eine separate Sitzmöglichkeit außerhalb des Aufenthaltsraumes sei zwar vorhanden, jedoch für den Vorarbeiter reserviert, der dort seine privaten Unterlagen ablege und nicht wolle, dass jemand an seinem Platz sitze.
Die Strafvollstreckungskammer wies den Antrag unter Festsetzung des Gegenstandswertes auf 25 € mit Beschluss vom 16.4.2020 zurück, da kein Feststellungsinteresse gegeben und der Antrag rechtsmissbräuchlich sei. Im Übrigen sei er unzulässig, da es an einer anfechtbaren Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG fehle. Der Antragsteller habe – wie er selbst einräumt – sich nicht über angebliche Rauchbelästigungen beschwert und keine Abhilfe eingefordert. Bei baulichen Gegebenheiten handele es sich um einen Zustand ohne Rechtswirkung. Im Übrigen wäre der Antrag unbegründet, da eine Rauchbelästigung, welcher der Antragsteller zwangsweise und gegen seinen Willen ausgesetzt gewesen wäre, nicht bestanden habe.
Gegen diesen ihm am 22.4.2020 zugestellten Beschluss legte der Strafgefangene am 7.5.2020 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Amberg Rechtsbeschwerde ein, mit der er unter Erhebung der Verfahrensrüge, der Aufklärungsrüge und der allgemeinen Sachrüge die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung gemäß seinem ursprünglichen Antrag, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Schreiben vom 24.6.2020, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, den Geschäftswert auf 25 € festzusetzen und die beantragte Prozesskostenhilfe zu versagen.
Hierzu hat sich der Rechtsbeschwerdeführer nicht mehr geäußert.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG statthaft und auch im Übrigen zulässig (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 1, Abs. 3 StVollzG).
Gemäß Art. 208 BayStVollzG in Verbindung mit § 116 Abs. 1 StVollzG ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts ist die richtungweisende Beurteilung bestimmter Rechtsfragen und deren höchstrichterliche Durchsetzung. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Frage des Nichtraucherschutzes von Gefangenen während deren Beschäftigung in Betrieben der Justizvollzugsanstalt vor.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde hat bereits mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 119 Abs. 4 Satz 1 StVollzG) und, da die Sache spruchreif ist (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG), zur Feststellung, dass die Justizvollzugsanstalt für den Zeitraum der Beschäftigung des Antragstellers im Betrieb „Kammer“ insoweit ihre Fürsorgepflicht verletzt hat, als sie den Nichtraucherschutz nicht umfassend durchgesetzt und den Antragsteller einer erheblichen Rauchbelästigung ausgesetzt hat.
2. Nach Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG ist der Schutz der Nichtraucher, soweit es bauliche und organisatorische Maßnahmen ermöglichen, zu gewährleisten. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des (Bayerischen) Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (GSG) vom 23.7.2010 (GVBl. 314) ist das Rauchen in Innenräumen der in Art. 2 GSG bezeichneten Gebäude, das sind gemäß Art. 2 Nr. 1 lit. b GSG Gebäude der Behörden des Freistaats Bayern, verboten. Nach Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GSG kann die Anstaltsleitung das Rauchen in Einzel-, Gemeinschaftshafträumen und anderen Gemeinschaftsräumen gestatten (BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 13. Ed., Art. 58 BayStVollzG Rn. 11).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts greift angesichts der nicht auszuschließenden gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens (vgl. BVerfGE 121, 317, juris Rn. 103 ff.) die gemeinschaftliche Unterbringung eines nichtrauchenden Gefangenen mit einem rauchenden Mitgefangenen – jedenfalls wenn der Betroffene ihr nicht in gesicherter vollkommener Freiwilligkeit zustimmt – in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der nichtrauchende Gefangene hat Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.5.2017 – 2 BvR 249/17, StraFo 2018, 41, juris Rn. 4; BVerfGK 20, 249, juris Rn. 23; BVerfGK 13, 67, juris Rn. 4; so auch KG, Beschluss vom 7.3.2019 – 5 Ws 81/18 Vollz, juris Rn. 91; OLG Hamm, NStZ-RR 2017, 328, juris Rn. 7 und Beschluss vom 24.8.2017 – III -1 Vollz (Ws) 288/17, juris Rn. 11; OLG Karlsruhe, StV 2020, 540, juris Rn. 27; Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 2. Kap., Abschn. E, Rn. 22).
Dies zugrunde gelegt sind vorliegend die Rechte des Antragstellers verletzt worden.
a) Ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers ist gegeben.
Ein Rechtsschutzinteresse besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen (vgl. nur BVerfGE, 117, 71, juris Rn. 154, und zu Strafvollzugssachen: BVerfG, NJW 2012, 2790, juris Rn. 27). Nur so kann verhindert werden, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (BVerfGK 20, 249, juris Rn. 19).
Ein derartiger Fall liegt hier vor. Entgegen der Ansicht der Justizvollzugsanstalt fehlt ein Feststellungsinteresse nicht deshalb, weil wegen der Verlegung des Antragstellers in eine andere Anstalt (oder der mittlerweile erfolgten Haftentlassung) keine Wiederholungsgefahr besteht. Auch ist der Feststellungsantrag nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil der Antragsteller sich während seiner Beschäftigung in der Kammer nicht über die Rauchbelästigungen beschwert hat.
Denn wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Durchsetzung von auf den Schutz von Nichtrauchern zielenden Geboten (vgl. Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG und Art. 2 Nr. 1, Art. 3 Abs. 1 GSG) schon im Hinblick darauf, dass der nichtrauchende Gefangene sich damit der Gefahr von Repressalien seitens der Mitgefangenen aussetzen würde, nicht ihm – sei es auch auf dem Weg über auf Verbotsdurchsetzung zielende Beschwerden an die Anstalt – überlassen bleiben. Vielmehr muss die Anstalt durch geeignete, von Beschwerden des betroffenen Nichtrauchers unabhängige Vorkehrungen, wie z.B. Rauchmelder, für eine systematische Durchsetzung des gesetzlichen Verbots sorgen (BVerfG, StraFo 2018, 41, juris Rn. 4; OLG Hamm, NStZ-RR 2017, 328, juris Rn. 7, und Beschluss vom 24.8.2017 – III -1 Vollz (Ws) 288/17, juris Rn. 11; OLG Karlsruhe, StV 2020, 540, juris Rn. 29; OLG Stuttgart, Justiz 2020, 264, juris Rn. 17; anderer Ansicht OLG München, Beschluss vom 8.12.2014 – 1 W 2163/14, juris Rn. 11, für den Fall, dass sich ein Häftling gegenüber der Anstaltsleitung als Nichtraucher bezeichnet, aber dennoch in der Zelle raucht).
Somit war es dem Antragsteller während seiner Beschäftigung nicht zuzumuten, gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Vielmehr bestand ein Handlungsauftrag für die Justizvollzugsanstalt, den Antragsteller als Nichtraucher vor schädlichem Passivrauchen zu schützen. Unabhängig hiervon hat der Beschwerdeführer bereits mit Schreiben vom 23.8.2017 einen Antrag an die Anstaltsleitung gestellt, wie diese ihn vor Rauchbelästigungen innerhalb der Justizvollzugsanstalt schützen möchte.
Überdies besteht ein Feststellungsinteresse auch zur Geltendmachung von Amtshaftungs- und Schadensersatzansprüchen, die nicht von vornherein aussichtslos sind (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 18. Ed., § 115 StVollzG Rn. 16 m.w.N.). Solche können beim Verstoß gegen den Nichtraucherschutz in Betracht kommen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2018 – 18 U 114/17, juris Rn. 37).
b) Der Schutz vor Passivrauchen reicht über die gemeinsame Zellenunterbringung (Gegenstand obiger Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) hinaus (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 28.11.2019 – 204 StObWs 2246/19 – nicht veröffentlicht). So ist der Nichtraucherschutz etwa auch in Fernsehgemeinschaftsräumen (OLG Frankfurt, NStZ 1989, 29; OLG Nürnberg, ZfStrVo 1988, 191 f.; OLG Zweibrücken, NStZ 1986, 429; Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. H, Rn. 35; Goldberg, in: Schwind/ Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., 5. Kap., Abschn. C, Rn. 8), in Warteräumen (KG, Beschluss vom 7.3.2019 – 5 Ws 81/18 Vollz, juris Rn. 91), etwa des Krankenreviers (vgl. OLG Stuttgart, Justiz 2020, 264, juris Rn. 17 ff.), und in Durchgangsgruppenhafträumen (KG, a.a.O., juris Rn. 91 ff.; OLG Karlsruhe, StV 2020, 540, juris Rn. 29) zu gewährleisten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Gefangenen aufgrund des Freiheitsentzuges nicht in gleicher Weise wie freie Bürger Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit begegnen können (vgl. OLG Hamm, NJW 1983, 583; OLG Karlsruhe, StV 2020, 540, juris Rn. 27; OLG Stuttgart, Justiz 2020, 264, juris Rn. 17). Nach heutigem Kenntnisstand ist gesichert und allgemein anerkannt, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, Krebs sowie Herz- und Gefäßkrankheiten verursacht, damit zu tödlichen Krankheiten führt und auch die Gesundheit der nicht rauchenden Mitmenschen gefährdet (vgl. BVerfGE 95, 173, juris Rn. 56 m.w.N.; OLG Stuttgart, Justiz 2020, 264, juris Rn. 22). Die Schädlichkeit des Passivrauchens, die früher in Rechtsprechung und Literatur bezweifelt wurde (vgl. die Übersicht bei OLG Hamm, NJW 1983, 583 f.), steht außer Frage. Demgemäß nennt Art. 1 GSG als Ziel des Gesundheitsschutzgesetzes den Schutz der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Gefahren durch Passivrauchen. Der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zählt zu den überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern, die Grundrechtsbeschränkungen (etwa die allgemeine Handlungsfreiheit von Rauchern und sogar die Berufsausübungsfreiheit) rechtfertigen können (BVerfGE 121, 317, juris Rn. 102; BayVerfGH, VerfGHE 63, 83 = NVwZ-RR 2010, 665, juris Rn. 72).
c) Demgemäß ist der Nichtraucherschutz über die gemeinsame Zellenunterbringung, die Gemeinschaftsfernsehräume, Durchgangshafträume und Warteräume hinaus auch in Aufenthaltsräumen im Bereich eines Anstaltsbetriebes zu gewährleisten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Gefangenen dort nicht nur unerhebliche Zeit aufhalten. Dies war vorliegend der Fall, weil – wie vom Antragsteller unwidersprochen vorgebracht wurde – täglich mehrere Stunden keine Arbeit angefallen war. Der Antragsteller konnte auch nicht darauf verwiesen werden, er hätte sich während der Arbeitspausen im Betrieb selbst aufhalten können, da dies letztlich zu einer Diskriminierung des Nichtrauchers und zum Ausschluss von der Nutzung der Gemeinschaftseinrichtung führen würde.
Der Senat hat nicht zu entscheiden, auf welche Weise die Justizvollzugsanstalt den Nichtraucherschutz im Betrieb „Kammer“ während der Zeiträume der Arbeitspausen auszugestalten gehabt hätte. Jedenfalls darf die Anstalt einen „Raucherraum“ – in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens – nur dann einrichten, wenn und soweit die Belange des Nichtraucherschutzes nicht beeinträchtigt werden (so OLG Karlsruhe, StV 2020, 540, juris Rn. 29). Dies soll nach Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe (a.a.O.) nur dann der Fall sein, wenn neben einem „Raucherraum“ auch gleichzeitig ein adäquater „Nichtraucherraum“ vorgehalten wird und die Nichtraucher vorab (also ohne das Erfordernis einer Beschwerde) auf den separaten Nichtraucherraum hingewiesen werden. Ist aus baulichen oder sonstigen Gründen eine räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern nicht möglich, führt dies dazu, dass das Rauchen im betreffenden Raum überhaupt nicht gestattet werden darf (OLG Frankfurt, NStZ 1989, 96; OLG Karlsruhe, StV 2020, 540, juris Rn. 29, zum Durchgangsgruppenhaftraum; OLG Zweibrücken, NStZ 1986, 429; Goldberg in: Schwind/Böhm/Jehle/ Laubenthal, a.a.O., 5. Kap., Abschn. C, Rn. 8; Laubenthal in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/ Verrel, a.a.O., Abschn. G, Rn. 16).
Der Senat verkennt nicht, dass ein effektiver Nichtraucherschutz angesichts der Vielzahl an Rauchern im Strafvollzug für die Antragsgegnerin kein einfach durchsetzbares Unterfangen ist. Mit welchen weitergehenden Maßnahmen diese gegebenenfalls den Nichtraucherschutz effektiv sicher zu stellen hat, bleibt ihr überlassen (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Justiz 2020, 264, juris Rn. 28). Die Vorhaltung lediglich eines Aufenthaltsraums, in dem das Rauchen gestattet war, verstieß jedenfalls im Zeitraum der Beschäftigung des Antragstellers im Betrieb „Kammer“ gegen die Gewährleistung eines hinreichenden Nichtraucherschutzes.
Ohne dass es vorliegend noch darauf ankommt, weist der Senat darauf hin, dass das Anbringen von Rauchmeldern im Betrieb selbst nur dann eine geeignete Vorkehrung zum Schutz vor Nichtrauchern darstellt, wenn diese manipulationssicher sind und auf Zigarettenrauch sofort ansprechen (vgl. OLG Stuttgart, Justiz 2020, 264, juris Rn. 28).
IV.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 121 Abs. 1 und Abs. 4 StVollzG, § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.
Die Entscheidung zur Änderung des Gegenstandswertes erster Instanz und zum Beschwerdewert beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, § 65 Satz 1 und 2, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.V.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 120 Abs. 2 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG, §§ 114, 115 ZPO.


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