Medizinrecht

Versorgung mit Cannabis-Blüten im einstweiligen Rechtsschutz

Aktenzeichen  L 5 KR 190/18 B ER

Datum:
23.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 13974
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 86b Abs. 2 S. 1
GG Art. 19 Abs. 4
SGB V § 13 Abs. 3a, § 31 Abs. 6, § 73 Abs. 2 Nr. 7
BtMVV § 9

 

Leitsatz

1 Eine Versorgung mit Cannabis nach § 31 Abs. 6 SGB V setzt eine vertragsärztliche Verordnung voraus. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Versorgung mit Cannabisblüten muss die Verordnung zudem auf einem Betäubungsmittelrezept erfolgen (§ 11 Abs. 5 S. 1 AM-RL) iVm § 13 Abs. 2 S. 1 BeBtmG und § 8 Abs. 1 S. 1 BtMVV, welches die in § 9 BtMVV vorgeschriebenen Angaben enthält. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 KR 51/18 ER 2018-03-02 Bes SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 02.03.2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig ist Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch der Antragstellerin auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten.
Die Antragstellerin, geb. 1950, leidet u.a. an einer rheumatischen Erkrankung und steht deshalb seit Jahren in medikamentöser Behandlung. Am 31.03.2017 ging bei der Antragsgegnerin Telefax ein Antrag ein auf Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabisblüten. Die Antragstellerin trug vor, dass sie mittels eines Privatrezepts die Wirkung der Cannabisblüten getestet habe. Es habe sich eine positive Wirkung gezeigt, allerdings könne sie von ihrer Rente diese Therapie nicht finanzieren und bitte deshalb um Kostenübernahme. Beigefügt war eine Liste von bisher eingenommenen Schmerzmitteln und Rheuma-Medikamenten sowie ein „Arztfragebogen der Krankenkassen zu Cannabinoiden“, ausgefüllt und unterzeichnet durch den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. R. am 31.03.2017nannte als Therapieziel die Schmerzlinderung. Übermittelt wurde auch die ärztliche Hilfsmittel-Verordnung eines „mighty medic“ Verdampfers.
Unter dem 10.04.2017 unterrichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin über die Prüfung des Antrages durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 13.04.2017 aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Behandlung mit Cannabisblüten bei der rheumatoiden Arthritis der Klägerin nicht zwanglos bestätigt werden können. Zur Behandlung der Erkrankung stünden leitliniengestützte Behandlungsoptionen zur Verfügung, eine schwerwiegende Erkrankung könne nicht bestätigt werden.
Die Antragsgegnerin lehnte daraufhin mit Bescheid vom 24.04.2017 den Antrag auf Versorgung mit Cannabisblüten ab.
Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch teilte die Antragsgegnerin am 27.07.2017 mit, dass der angeforderte Bericht des Rheumatologen und eine konkrete Darstellung der bisherigen Schmerztherapie nicht vorgelegt worden seien. Daher werde keine Möglichkeit gesehen, dem Widerspruch abzuhelfen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2017 wies die Antragsgegnerin schließlich den Widerspruch zurück.
Die Antragstellerin hat daraufhin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben unter dem Az. S 2 KR 536/17. Am 09.02.2018 hat sie außerdem einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und geltend gemacht, dass eine Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Sie leide an einer schwerwiegenden Erkrankung, die mit erheblichen Schmerzen und Einbußen der Lebensqualität verbunden sei. Aufgrund der nun häufiger auftretenden Krankheitsschübe werde sie mit Cortison behandelt, das sie nicht gut vertrage. Sie lebe in einer Sozialwohnung von zwei kleine Renten.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt mit Beschluss vom 02.03.2018 und seine Entscheidung darauf gestützt, dass weder eine Genehmigungsfiktion eingetreten, noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 02.03.2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verpflichten, die Klägerin mit medizinischem Cannabis in max. Tagesdosis von 3,5 g und einem Vier-Wochenbedarf von max. 100 g zu versorgen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Ergänzend wird hierauf Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht erfolgreich. Das Sozialgericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 21.02.2018 im Ergebnis zutreffend abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Da die Antragstellerin die Versorgung mit Cannabisblüten als Arzneimittel begehrt, richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des beim Sozialgericht Augsburg anhängigen Klageverfahrens (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Bei der Prüfung des Anordnungsanspruches begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG vom 02.05.2005, 1 BvR 569/05). Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen – wie hier – jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
Wenn sich das Gericht an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert, ist eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.
Ein Anordnungsanspruch ist im vorliegenden Fall weder glaubhaft gemacht, noch in Anwendung des auch in Eilverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (BVerfG NZS 2009, 674, 676) ersichtlich.
1. Nach § 31 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a. nicht zur Verfügung steht oder
b. im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, und zudem eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
2. Ein Anordnungsanspruch auf Versorgung der Antragstellerin mit Cannabis nach § 31 Abs. 6 SGB V besteht schon deshalb nicht, weil es an einer vertragsärztlichen Verordnung fehlt. Die Antragstellerin hat zwar die Versorgung mit Cannabisblüten beantragt und ihr behandelnder Arzt hat dies auch befürwortet. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung bedarf jedoch zu seiner Realisierung einer vertragsärztlichen Verordnung gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V in entsprechender Form (BSG 16.12.1993, 4 RK 5/92, BSGE 73, 271 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4).
Bei der hier streitigen Versorgung mit Cannabisblüten muss die Verordnung zudem auf einem Betäubungsmittelrezept erfolgen (§ 11 Abs. 5 Satz 1 Arzneimittel-Richtlinie [AM-RL] iVm § 13 Abs. 2 Satz 1 Betäubungsmittelgesetz [BtmG] und § 8 Abs. 1 Satz 1 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung [BtMVV] vom 20.01.1998, idF von Art. 43 Gesetz vom 29.03.2017, BGBl I, S. 626), welches die in § 9 BtMVV vorgeschriebenen Angaben enthält (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. September 2017 – L 11 KR 3414/17 ER-B -, Rn. 24, juris).
Selbst ein Privatrezept bzw privatärztliches Betäubungsmittelrezept genügt hierfür nicht, denn diese bestätigen nur das Vorliegen der Voraussetzungen des Betäubungsmittelrechts, nicht aber die Voraussetzungen von § 31 Abs. 6 SGB V.
Zwar ist es in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass in bestimmten Fällen eine „Vorab-Prüfung“ möglich sein muss, ob die Krankenkasse die Verordnungskosten übernimmt, um auf diesem Wege das Risiko eines Regresses zu vermeiden. Diese „Vorab-Prüfung“ kann zum einen vom Arzt selbst veranlasst werden, zum anderen durch den Versicherten, der ein Privatrezept erhält, mit dem er selbst bei seiner Krankenkasse die Kostenerstattung beantragt. (vgl. hierzu BSG 20.03.2013, B 6 KA 27/12 R, BSGE 113, 123 mwN). Das kann aber nicht gelten, wenn das Gesetz – wie vorliegend in § 31 Abs. 6 SGB V – ausnahmsweise die Genehmigung einer Arzneimittelverordnung vorsieht. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Vorab-Prüfung, sondern um eine endgültige Prüfung der vertragsärztlichen Verordnung (a.A. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.03.2018- L 5 KR 16/18 B ER). Das Risiko eines Arzneiregresses stellt sich hier nicht, weil der Versicherte die Leistung bei einer Versagung der Genehmigung nicht als Sachleistung erhalten kann. Es besteht deshalb auch kein Grund für die Ausstellung eines Privatrezeptes. Auch der Umstand, dass das Betäubungsmittelrezept innerhalb von 7 Tagen nach seiner Ausfertigung bei der Apotheke vorgelegt werden muss (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) BtMVV) rechtfertigt es nicht, vom Erfordernis einer vertragsärztlichen Verordnung abzusehen. Nur wenn die Erst-Verordnung von der Krankenkasse genehmigt wird, bedürfen weitere Verordnungen keiner Genehmigungen mehr (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. September 2017 – L 11 KR 3414/17 ER-B, Rn. 25, juris).
Da die Antragstellerin bislang keine vertragsärztliche Verordnung vorgelegt hat, fehlt es auch an der hinreichenden Bestimmtheit des Antrages vom 30.03.2017, denn zur Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten stehen mehrere unterschiedliche Präparate zur Verfügung. Daher ist auch der Eintritt einer fingierten Genehmigung aufgrund Überschreitens der Genehmigungsfrist nach § 13 Abs. 3 a bzw. § 31 Abs. 6 S. 3 SGB V nicht weiter zu prüfen.
3. Darüber hinaus ist bislang eine schwerwiegende Erkrankung, wie sie von § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V gefordert wird, weder glaubhaft gemacht, noch sonst ersichtlich. Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung wird zwar in § 31 Abs. 6 SGB V nicht definiert. Nach der Gesetzesbegründung soll der Anspruch auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln jedoch nur in „eng begrenzten Ausnahmefällen“ gegeben sein (BT-Drs 18/8965 S. 14 und 23). Es muss sich daher um eine Erkrankung handeln, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Das ist im Falle der Antragstellerin gerade nicht dokumentiert.
4. Auch eine besondere Eilbedürftigkeit ist nicht ersichtlich. Allein der Vortrag, dass die Antragstellerin in einer Sozialwohnung lebt und nunmehr vermehrt Krankheitsschübe auftreten, genügt hierfür nicht. Auch den Stellungnahmen des Dr. R. ist die besondere Dringlichkeit nicht zu entnehmen. Im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ergeben sich auch sonst hierfür keine Anhaltspunkte. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
5. Eine grundrechtsorientierte Entscheidung nach einer Folgenabwägung scheidet nach dem dokumentierten Krankheitsbild und -verlauf aus.
Die Beschwerde ist daher vollumfänglich zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar und beendet das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz.


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