Aktenzeichen L 11 AS 386/14 ZVW
SGG § 141 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz
1. Zur Auslegung eines Antrages, der in einem Zeitpunkt gestellt wird, für den bereits ein Bewilligungsbescheid vorliegt, der vom Jobcenter zurückgenommen worden ist.
2. Zum Leistungsausschluss eines Studenten, dessen Studium dem Grunde nach förderfähig ist.
3 Wird die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II durch den Leistungsträger aufgehoben, ist das Begehren des bisherigen Leistungsberechtigten, die Leistungen weiter zu erhalten, nicht als neue Antragstellung auszulegen. (redaktioneller Leitsatz)
4 Ein Verwaltungsakt, der die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ablehnt, ist rechtswidrig, wenn es an einer entsprechenden Antragsstellung fehlt. Dieser Verwaltungsakt ist auf eine entsprechende Anfechtungsklage hin aufzuheben, auch wenn die damit kombinierte Leistungsklage keinen Erfolg hat. (redaktioneller Leitsatz)
5 Eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem BAföG liegt jedenfalls dann vor, wenn eine Person an einer Universität eingeschrieben ist und durch die Vorbereitung auf den Studienabschluss das Studium auch betreibt. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 14 AS 363/13 B 2014-04-09 Bes BSG LSG München
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.04.2011 und der Bescheid des Beklagten vom 23.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2006 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und teilweise begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 23.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2006 abgewiesen, soweit es um dessen Aufhebung ging (Anfechtungsklage). Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Einen Anspruch auf Leistungen ab 01.03.2006 (bis 30.06.2016) hat der Kläger jedoch nicht, so dass die Berufung im Hinblick auf das diesbezügliche Leistungsbegehren unbegründet ist (Leistungsklage).
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 23.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2006, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Alg II ab dem 01.03.2006 abgelehnt hat, wobei es sich bei der Leistungsablehnung nicht um einen Dauerverwaltungsakt handelt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 10/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 70). Soweit mit Bescheid vom 02.12.2005 bereits Leistungen bis 30.06.2006 bewilligt, und diese Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 wieder aufgehoben worden ist, war dies Streitgegenstand des Berufungsverfahrens L 11 AS 401/11. Dort ist hierüber – mithin u. a. über die Frage eines Leistungsanspruchs des Klägers für die Zeit vom 01.03.2006 bis 30.06.2006 (vgl. auch zum Streitgegenstand in solchen Fällen: BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 10/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 70) – mit Urteil vom 27.03.2013 rechtskräftig entschieden worden. Infolgedessen sind die Beteiligten an diese Entscheidung gebunden (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Der Bescheid des Beklagten vom 23.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2006, mit dem dieser die Bewilligung von Alg II für die Zeit ab 01.03.2006 abgelehnt hat, erging zu Unrecht, denn hierfür fehlt es – nach Auslegung der dem Bescheid zugrunde gelegten Schreiben des Klägers – an einem entsprechenden Leistungsantrag. Nach § 37 Abs. 1 SGB II werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur auf Antrag erbracht. Eine solche Antragstellung, über die der Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2006 hätte entscheiden können, lag nicht vor. Den Schreiben vom 28.02.2006, 06.03.2006, 09.03.2006, 19.03.2006 und 21.03.2006 ist dies – unabhängig vom Wortlaut – nicht zu entnehmen, da diese im Zusammenhang mit den ursprünglich bis 30.06.2006 bewilligten Leistungen (zuletzt mit Bescheid vom 02.12.2005) standen. Die entsprechende Leistungsbewilligung wurde mit Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 für die Zeit ab 01.01.2005 wieder aufgehoben, so dass sich die genannten Schreiben des Klägers hierauf bezogen.
Bei einem Antrag handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige, öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die – sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft – die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), insbesondere § 133 BGB, Anwendung finden, so dass für dessen Auslegung – unter Berücksichtigung aller Umstände – der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers maßgeblich ist (BSG, Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 30/14 R; Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R; Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 22/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 71 – mit Verweis auf BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 29/13 R – BSGE 115, 225). Die Antragsauslegung erfolgt dabei nach dem sog. Grundsatz der Meistbegünstigung (BSG, Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 22/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 71). Danach soll das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommen, so dass dementsprechend alle Leistungen als beantragt anzusehen sind, die nach Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommen (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 99/10 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 – m. w. N.). Wie sich aus § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, 2999) ergibt, umfasst dieses im Regelfall Leistungen für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten bzw. nach § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II bis zu zwölf Monaten. Infolge dessen hatte der Beklagte auch (zunächst) auf den Fortzahlungsantrag November 2005 mit Bescheid vom 02.12.2005 Alg II für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 – entsprechend § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II für sechs Monate – bewilligt. Über den Leistungszeitraum bis 30.06.2006 war daher bereits entschieden worden. Gegen eine Rücknahme ab dem 01.03.2006 durch den Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 setzte sich der Kläger auch mit Rechtsbehelfen und -mitteln zur Wehr. Im Hinblick auf die bereits erklärte bzw. mögliche Anfechtung der Rücknahme der Leistungsbewilligung bis einschließlich 30.06.2006 gab es kein Bedürfnis für einen entsprechenden (weiteren) Leistungsantrag für die Zeit bis 30.06.2006. Verfahrensrechtlich bedeutete es zudem eine Besserstellung für den Kläger, sich gegen die Bewilligungsrücknahme zu wehren, da – unabhängig von dem Erfordernis, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme vorliegen mussten – die Feststellungslast (dh die Frage, ob er sein Studium betrieben hat) bei einer möglichen Unaufklärbarkeit von Tatsachen hier grundsätzlich den Beklagten getroffen hat. Er hat sich nämlich auf die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Leistungsbewilligung berufen. Zudem wäre bei der Annahme eines weiteren Antrages für die Zeit vom 01.03.2006 bis 30.06.2006 der Leistungsanspruch für diesen Zeitraum sowohl im Rahmen des Anfechtungswiderspruchs gegen die Rücknahme als auch im Rahmen einer (erneuten) Leistungsablehnung streitig geworden. Einem neuen Antrag würde daher ein Sachbescheidungsinteresse fehlen, welches die Funktion des Rechtsschutzinteresses bzw. Rechtsschutzbedürfnisses im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erfüllt (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.08.1996 – 9 C 169/95 – BVerwGE 101, 323). Mit der Anfechtung der Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.03.2006 bis 30.06.2006 konnte der Kläger sein Rechtsschutzziel – den Erhalt von Leistungen für diesen Zeitraum – mit dem einfacheren Mittel des Anfechtungswiderspruchs bzw. -klage – erreichen. Der Widerspruchsbescheid in Bezug auf den Rücknahmebescheid vom 06.03.2006 erging zudem erst am 11.08.2006, so dass der gesamte Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.06.2006 vom Beklagten im dortigen Widerspruchsverfahren überprüft und insofern Gegenstand des abgeschlossenen Berufungsverfahrens L 11 AS 401/11 gewesen ist. Damit war die Auslegung der Schreiben des Klägers in Richtung eines Neuantrages im Hinblick auf die nur damit zu gewährleistende Berücksichtigung von Änderungen nach Erlass des Widerspruchsbescheides (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 10/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 70) für die Zeit bis 30.06.2006 nicht angezeigt.
Für die Weiterzahlung des Alg II aus dem Bescheid vom 02.12.2005 wäre zudem ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung beim Beklagten nach § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG möglich und sachdienlich gewesen, da einem Widerspruch gegen den Rücknahmebescheid keine aufschiebende Wirkung zugekommen ist (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II). Eine Auslegung der Schreiben des Klägers als an die Verwaltung gestellter Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung wäre zum Zeitpunkt des Eingangs und der Bearbeitung der Schreiben des Klägers möglich und sachdienlich gewesen. Mit der rechtskräftigen Entscheidung über den Rücknahmebescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 durch den Senat mit Urteil vom 27.03.2013 (L 11 AS 401/11) kommt dem aber nunmehr keine Bedeutung unabhängig davon mehr zu, dass der Beklagte über einen so verstandenen Antrag nicht entschieden hat.
Da es sich bei dem Bescheid des Beklagten vom 23.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2006 auch nicht lediglich um eine wiederholende Verfügung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 10/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 70) gehandelt hat – Gegenstand des Bescheides war nicht nochmals eine Rücknahme der ursprünglichen Leistungsbewilligung, sondern die Ablehnung eines vermeintlichen Leistungsantrages -, war dieser Bescheid mangels Antrages auf Alg II aufzuheben. Wie oben bereits ausgeführt, führt dies aber im Hinblick auf die rechtskräftige Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.03.2006 bis 30.06.2006 nicht zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Leistungen für diesen Zeitraum.
Ein Fortzahlungsantrag für die Zeit ab 01.07.2006 erfolgte dann schließlich auch (erst) am 02.07.2006. Dieser Antrag, über den der Beklagte (nunmehr) mit Bescheid vom 30.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2013 entschieden hat und bezüglich dessen nach einem abweisenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main (S 26 AS 703/13) vom 12.11.2015 ein Berufungsverfahren beim Hessischen Landessozialgericht (L 7 AS 1013/15) anhängig ist, ist nicht streitgegenständlich. Der entsprechende neue Ablehnungsbescheid wird nicht Gegenstand eines früheren Rechtsschutzverfahren (zur fehlenden Anwendungsmöglichkeit von § 86 SGG bzw. § 96 SGG bei Bewilligungsbescheiden für Folgezeiträume vgl. die ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 14/06 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 3; Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 9/06 R – SozR 4-4300 § 428 Nr. 3; Urteil vom 05.09.2007 – B 11b AS 15/06 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 5). Folglich gab es keinen Zeitraum, der ohne Leistungsantrag bzw. ohne Entscheidung durch den Beklagten geblieben ist. Ein Bedürfnis für eine Auslegung der Schreiben des Klägers dahingehend, sie würden einen erneuten Leistungsantrag für die Zeit ab 01.03.2006 bis 30.06.2006 darstellen, gibt es damit nicht.
Der Beklagte konnte sich auch nicht über dieses Erfordernis – anders wie etwa bei einer versäumten Widerspruchsfrist – hinwegsetzen, denn der Leistungsantrag ist als solcher zudem nach § 37 SGB II Anspruchsvoraussetzung für die Zahlung von Alg II. Das Gericht hat insofern unabhängig von der Entscheidung des Beklagten sämtliche formellen und materiellen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrten Leistungen zu prüfen.
Hilfsweise ist daneben auszuführen, dass auch die materiellen Leistungsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Alg II ab 01.03.2006 nicht vorlagen. Der Anspruch ist jedenfalls nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, 2999) ausgeschlossen. Danach haben u. a. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das Studium der Betriebswirtschaft war dem Grunde nach förderfähig. Das Studentenwerk O. lehnte eine Weitergewährung von BAföG-Leistungen wegen des Fehlens eines Leistungsnachweises ab. An der Förderfähigkeit dem Grunde nach hat sich aber auch nach dem 01.01.2005 nichts geändert. Gemäß § 2 Abs. 1 BAföG (idF des Gesetzes vom 19.06.1992, BGBl I 1062) wird Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch von Hochschulen, wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt (§ 2 Abs. 5 BAföG). Ein Auszubildender besucht dabei eine Ausbildungsstätte, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und er die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt. Bei einer Hochschulausbildung begründet der Auszubildende seine Zugehörigkeit zu der Universität durch die Immatrikulation, die ihrerseits die Einschreibung in eine bestimmte Fachrichtung notwendig macht (vgl. dazu insgesamt BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 4 AS 102/11 R – NJW 2012, 2221 – m. w. N.).
Der Kläger hat die Universität B-Stadt besucht – er war dort nach der Bestätigung der Universität immatrikuliert – und hat dort sein Studium auch tatsächlich betrieben. Er hat durch die Immatrikulation seine Zugehörigkeit zur Universität aufrecht erhalten und war berechtigt an den universitären Veranstaltungen teilzunehmen. Wie sich aus der Bescheinigung der Universität B-Stadt vom 25.07.2006 ergibt, waren vom Kläger in vier von fünf Fächern noch nicht alle Prüfungen abgelegt. Hierfür bedurfte es jedenfalls der Vorbereitung. Der Kläger hat sein Studium auch 2007 erfolgreich abgeschlossen. Auch die Diplomarbeit war 2006 – diesbezüglich hat der Kläger ein Zeitfenster vom 02.08.2006 bis zum 02.12.2006 angegeben – noch zu fertigen. Somit ist ersichtlich, dass der Kläger im März 2006 einerseits zumindest im Hinblick auf die Prüfungsvorbereitung und die anstehende Fertigung der Diplomarbeit tatsächlich studiert hat, gleichwohl aber der Studienabschluss noch nicht unmittelbar bevorstand. In jedem Fall hatte er zuvor auch – wie sich auch aus den Bescheinigungen der Universität ergibt – die Diplomvorprüfung bestanden und an weiteren Prüfungen teilgenommen. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 04.07.2006 hat er selbst angegeben, sich bezüglich seines Abschlusses des Studiums in der akuten Phase zu befinden. Hieraus folgt ebenfalls, dass er sein Studium nach Beginn der Leistungsgewährung ab 01.01.2005 und insbesondere im vorliegend streitigen Zeitraum fortbetrieben hat. Dem stünde auch nicht entgegen, wenn er sich insofern im Wesentlichen nur zu Hause für seine Prüfungen vorbereitet haben und den Vorlesungen oder anderen Veranstaltungen ferngeblieben sein sollte (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 – a. a. O.). Es bestehen keine Zweifel, dass die Arbeitskraft des Klägers von seiner Ausbildung voll in Anspruch genommen worden ist. Er hat das Hauptstudium in angemessener Zeit absolviert. Ob es ihm daneben abstrakt möglich gewesen wäre, einer weiteren Tätigkeit nachzugehen ist insofern ohne Belang. Vom Ablegen der Diplomvorprüfung am 17.02.2005 bis zur Diplomprüfung am 24.04.2007 hat der Kläger weniger als 2 1/4 Jahre benötigt. Dies zeigt, dass er – wohl anders als zu Beginn seines Studiums – zumindest ab dem Wintersemester 2004/2005 zur Ablegung der Vordiplomprüfungen sein Studium (intensiver) betrieben hat und nicht nur eingeschrieben gewesen ist. Anders als es etwa bei einem Urlaubssemester der Fall gewesen wäre, hat er aktiv am Studium teilgenommen. Sofern der Kläger zuletzt vorträgt, er habe bereits vor dem 01.01.2005 notwenige Prüfungen absolviert und ab 01.01.2005 das Studium nicht betrieben, ist darauf hinzuweisen, dass – wie oben ausgeführt – der Zeitraum jedenfalls vor dem 01.03.2006 vorliegend nicht maßgeblich ist; die Bescheinigung der Universität B-Stadt über die vorläufige Zulassung zum Hauptstudium vom 14.04.2004 ist daher für den vorliegend streitigen Zeitraum ohne Bedeutung.
Das Studium war gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG grundsätzlich förderungsfähig. Unerheblich ist, dass der Kläger tatsächlich keine Leistungen nach dem BAföG erhalten konnte. Die Gewährung von Leistungen nach dem BAföG ist nicht grundsätzlich, sondern lediglich aus in der Person des Klägers liegenden (individuellen) Gründen – hier die Überschreitung der Förderungshöchstdauer – nicht möglich gewesen. Das Vorliegen individueller Versagensgründe steht dem Leistungsausschluss iSd § 7 Abs. 5 SGB II jedoch nicht entgegen (BSG, Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS 97/09 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 19 – m. w. N.; BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 28/07 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 9). Grundsätzlich enthält bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder gemäß dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch die Kosten des Lebensunterhalts. Diese Ausbildungsförderungsmöglichkeiten sind nach der gesetzgeberischen Konzeption des Sozialleistungssystems abschließend, weshalb auch das Alg II nicht dazu dienen soll, subsidiär die Ausbildung in solchen Fällen zu fördern, in denen die Leistungsvoraussetzungen nach dem BAföG nicht vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 28/06 R – m. w. N.). Es ist deshalb auch kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip oder eine Verfassungswidrigkeit der Regelung erkennbar.
Da der Kläger von einer BAföG-Förderung nicht nach § 2a BAföG ausgeschlossen gewesen ist und sich sein Bedarf nicht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG gerichtet hätte, ergibt sich auch nach § 7 Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 2 SGB II kein Anspruch auf Alg II.
Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Gewährung von darlehensweisen Leistungen. Nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II können Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in besonderen Härtefällen als Darlehen geleistet werden. Bei dem Begriff des „besonderen Härtefalls“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 36/06 R – juris). Ein solcher Fall ist jedoch nur gegeben, wenn ein atypischer Lebenssachverhalt vorliegt, der es für den Auszubildenden auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses objektiv nicht zumutbar erscheinen lässt, seine Ausbildung zu unterbrechen; die Folgen des Anspruchsausschlusses müssen deshalb über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung der Leistungen zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist, und es muss auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die nachrangigen Fürsorgeleistungen von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart erscheinen, vom Auszubildenden zu erwarten, von der Ausbildung teilweise, vorübergehend oder ganz Abstand zu nehmen (so bereits BVerwG, Urteil vom 14.10.1993 – 5 C 16/91 – juris – zu § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG; LSG Hamburg, Beschluss vom 02.02.2006 – L 5 B 396/05 ER AS). Es ist grundsätzlich auch hinnehmbar, dass im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewollte Folge eines mehrstufigen Sozialleistungssystems eine Ausbildung nach den speziellen Leistungsgesetzen – wie hier dem BAföG – nicht mehr gefördert werden kann, diese gegebenenfalls aufzugeben oder abzubrechen ist. Wegen der Einheit der Gesamtrechtsordnung kann der Kläger deshalb seinem möglichen Leistungsausschluss nach dem BAföG nicht einem anderen Sozialleistungssystem, nämlich vorliegend dem SGB II, überbürden. Nach der Stellungnahme der Universität B-Stadt vom 25.07.2006 musste der Kläger zum Studienabschluss noch mehrere Prüfungen ablegen sowie eine Diplomarbeit bis zum Ablauf des zwölften Semesters vorlegen. Eine Verlängerung dieser Frist sei bisher nicht beantragt worden. Zur Diplomarbeit selbst habe er sich noch nicht angemeldet. Nach eigenen Angaben begann sein „Zeitfenster“ für die Diplomarbeit erst am 02.08.2006. Demnach konnte nicht davon ausgegangen werden, der Kläger stehe zwischen dem 01.03.2006 und 30.06.2006 bereits kurz vor einem Abschluss seines Studiums, weshalb ein etwaiger Abbruch eine besondere Härte ergeben hätte. Der Zeitpunkt des Abschlusses und ein etwaiger Erfolg waren gerade noch nicht absehbar. Schließlich verfügte der Kläger auch bereits über eine abgeschlossene Ausbildung als Bankkaufmann, was seine Vermittlungschancen erhöht hätte.
Ein Anspruch auf Alg II für die Zeit ab 01.03.2006 stand dem Kläger damit in keinem Fall zu. Dies hat der Senat für den Zeitraum vom 01.03,2006 bis 30.06.2006 auch bereits rechtskräftig vom Senat entschieden (L 11 AS 401/11).
Auf die Berufung des Klägers waren aber wegen der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 23.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2006 dieser und der Gerichtsbescheid des SG vom 12.04.2011 entsprechend aufzuheben. Im Übrigen war die Berufung hinsichtlich des geltend gemachten Leistungsanspruchs zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie umfasst auch die Kosten des Verfahrens beim BSG, da auch hierüber vom Senat zu befinden war (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 193 Rn. 2a aE).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.