Sozialrecht

Auflösung und Rückforderung einer Leistung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährt worden war, nachträglicher Härteantrag gemäß § 25 Abs. 6 BAföG nach Ablauf von fünf Monaten nach Kenntnis der elterlichen Einkommensverhältnisse nicht unverzüglich

Aktenzeichen  B 8 K 20.635

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 46106
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Sätze 3 und 4 BAföG § 24 Abs. 3
BAföG § 25 Abs. 6

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
1. Die Bescheide vom 19.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht verweist auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die o.g. Bescheide stellen die nach § 24 Abs. 3 Satz 4 BAföG vorgesehene abschließende Entscheidung über den Antrag auf Ausbildungsförderung dar: Die Bewilligung der Ausbildungsförderung mit Förderbescheid vom 29.03.2012 (Bl. 163 Beiakte) erfolgte ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Rückforderung (§ 24 Abs. 3 Satz 3 BAföG), weil das – vom Kläger gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG beantragte – damals aktuelle Einkommen der Eltern noch nicht feststand.
Die Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 29.03.2012 durch die streitgegenständlichen Bescheide und die Rückforderung haben ihren Rechtsgrund in § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG. Danach ist der Bewilligungsbescheid insoweit aufzuheben und der Förderungsbetrag zu erstatten, wenn die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tage des Kalendermonats vorgelegen hat, für den sie gezahlt worden ist.
Die o.g. Voraussetzungen liegen vor.
1.1 Die Bescheide vom 19.03.2018 sind sowohl formell- als auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Auflösung des Vorbehalts in den Förderbescheiden vom 29.03.2012 und deren Aufhebung durch die streitgegenständlichen Bescheide, sowie die Rückforderung in Höhe von 8.040,00 EUR begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
1.1.1
Soweit vor Erlass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide keine Anhörung gemäß § 24 SGB X i.V.m. § 68 Nr. 1 SGB I erfolgt ist, ist dieser Mangel durch das Widerspruchsverfahren (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X) geheilt.
Auch eine zeitliche Begrenzung für die Auflösung des Vorbehalts ist im Gesetz nicht vorgesehen. Anhaltspunkte für zeitliche Verwirkung des Beklagten sind angesichts ihrer jahrelangen und zahlreichen Bemühungen um die Sachaufklärung nicht ersichtlich.
1.1.2
Der Vorbehalt in den Förderbescheiden vom 29.03.2012 hinsichtlich des Einkommens des Vaters des Klägers in den Bewilligungszeiträumen von insgesamt 10.2010 bis 09.2011 ist nicht zu beanstanden.
Eine Verpflichtung zur Erstattung von Ausbildungsförderung nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG besteht nur dann, wenn sie unter einem rechtmäßigen Vorbehalt der Rückforderung geleistet worden ist. Ob einer der im Bundesausbildungsförderungsgesetz abschließend normierten Fälle zulässiger Vorbehalte vorliegt, unterliegt der Prüfung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen den Rückforderungsbescheid (BVerwG U. v. 17.04.1980 – 5 C 50.78 – juris).
Der besondere Antrag auf Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum war zulässig, da er vor Ablauf des Bewilligungszeitraum gestellt worden ist (§ 24 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz BAföG). Es war auch nachvollziehbar darlegt, dass das Einkommen der Eltern im aktuellen Bewilligungszeitraum niedriger ausfallen wird als in den im Regelfall zugrunde zu legenden Kalenderjahren.
Dass der streitgegenständliche Bewilligungsbescheid „unter Vorbehalt der Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum“ erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes ergangen ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, zumal diese Regelung dem zulässigen Antrag des Klägers entsprach.
Die Voraussetzungen für Bescheiderlass „unter Vorbehalt“ waren auch nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes gegeben, da für den in den Bescheiden festgelegten gesamten Bewilligungszeitraum von 07.2010 bis 09.2011 zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses weder der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2010 noch der für das Jahr 2011 vorgelegen haben.
Dass mit den Bescheiden vom 29.03.2012 die Förderbescheide vom 03.02.2011 für den gleichen Bewilligungszeitraum aufgehoben wurden, ist für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungsunerheblich. Insbesondere leben dadurch nicht die ersten – ohne Vorbehalt ergangenen – Bewilligungsbescheide vom 03.02.2011 wieder auf; denn durch die Auflösung des Vorbehalts und die Ersetzung des unter Vorbehalts ergangenen Bescheide vom 29.03.2012 durch den endgültigen Bescheid vom 19.03.2018 besteht keine rechtliche Lücke, die zum Wiederaufleben früherer Bescheide führen könnte. Dafür spricht auch der Gesetzeswortlaut: In § 20 Abs. 1 Satz 1 BAföG ist geregelt, dass der Bewilligungsbescheid (Anm. der den Vorbehalt enthält) nur „insoweit“ aufzuheben ist, als die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung nicht vorgelegen haben. Weitere Regelungen des streitgegenständlichen Bewilligungsbescheides, wie die Aufhebung früherer Bescheide, sind davon nicht betroffen, sondern bestehen fort. Darüber hinaus hätte es einer Aufhebung früherer Bescheide gar nicht bedurft, da nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG U.v. 12.03.1987 – 5 C 37/84 – juris) der Vorbehalt in einem Förderbescheid, der – wie vorliegend – seinerseits rückwirkend an die Stelle eines ursprünglichen „normalen“ Bewilligungsbescheides getreten ist, in dem das Einkommen nach den Verhältnissen des vorletzten Kalenderjahres vor Beginn des Bewilligungszeitraums angerechnet war, auch die auf Grund des früheren Bescheides ohne Vorbehalt geleisteten Förderungsbeträge erfasst.
1.1.3
Die Auflösung des Vorbehalts mit endgültiger Berechnung des maßgeblichen Einkommens im Bewilligungszeitraum ist nicht zu beanstanden. Nach § 24 Abs. 3 Satz 4 BAföG wird über den Antrag auf Ausbildungsförderung erst dann abschließend entschieden, sobald sich das Einkommen im Bewilligungszeitraum endgültig feststellen lässt. Dies war nach Bekanntwerden des Einkommenssteuerbescheides der Eltern für das Jahr 2011 der Fall.
Die Berechnung des maßgeblichen Einkommens lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie beruht gemäß § 21 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 1 und 4 Satz 2 BAföG auf den Einkommenssteuerbescheiden für die Kalenderjahre 2010 und 2011.
1.1.3.1 Bei der Berechnung des maßgeblichen Einkommens sind rechtsfehlerfrei die maßgeblichen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 zugrunde gelegt worden. Wie § 24 Abs. 2 BAföG zu entnehmen ist, kommt dem Steuerbescheid bei der Einkommensermittlung eine wesentliche Bedeutung zu. Der Inhalt eines bestandskräftigen Steuerbescheides ist für die Einkommensermittlung nach § 21, § 24 Abs. 1 BAföG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtlich bindend (Ramsauer/Stallbaum/Knoop, 7. Aufl. 2020, BAföG § 24 Rn. 8; BVerwG U.v. 10.05.1990 – 5 C 55/85 – juris). Dies beruht auf Gründen notwendiger Verwaltungsvereinfachung (vgl. BVerfG B.v. 15.09.1986 – 1 BvR 363/86 – juris). Selbst Zweifel an der Richtigkeit der Vorgaben im Steuerbescheid begründen keine eigenständige Prüfpflicht der Ausbildungsämter (vgl. BVerwG, B.v. 11.07.1990 – 5 B 143/89 m.w.N.; B.v. 18.02.1986 – 5 B 84/85 – juris). Die Bindung besteht auch hinsichtlich des – hier vorliegenden – besonderen Antrags auf Ausbildungsförderung nach § 24 Abs. 3 BAföG (BVerwG, B.v. 09.11.1988 – 5 B 143/87 -, juris).
1.1.3.2
Die Berechnung des maßgeblichen Einkommens des Vaters (vgl. Bl. 172 Beiakte) berücksichtigt die besonderen Vorgaben in § 24 Abs. 4 Satz 2 BAföG und ist nicht zu beanstanden. Danach ist abweichend von § 24 Abs. 4 Satz 1 BAföG in den Fällen des § 24 Abs. 3 BAföG der Betrag anzusetzen, der sich ergibt, wenn die Summe der Monatseinkommen des Bewilligungszeitraums durch die Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraumes geteilt wird; als Monatseinkommen gilt ein Zwölftel des jeweiligen Kalendereinkommens. Bedenken gegen die danach vorgenommene Berechnung wurden nicht erhoben und sind auch nicht ersichtlich.
1.1.4
Der Einwand des Klägers, der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011 bilde nicht das real zur Verfügung stehende Einkommen seiner Eltern ab, das sie für seine Ausbildung hätten einsetzen können, weshalb eine andere Berechnungsweise angewendet müsse, hat keinen Erfolg.
1.1.4.1
Soweit die Bindung an die Steuerbescheide der Eltern für den Auszubildenden zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde, kann eine Ausnahme von der Bindungswirkung bestandskräftiger Steuerbescheide geboten sein (OVG Berlin-Brandenburg U.v. 23.05.2017 – OVG 6 B 85.15, vgl. Ramsauer/Stallbaum/Knoop, 7. Aufl. 2020, BAföG § 24 Rn. 9). Einer tatsächlich vorliegenden Diskrepanz zwischen im Steuerbescheid festgesetztem und tatsächlich zur Verfügung stehenden Einkommen kann durch das Instrument des Härteantrags gemäß § 25 Abs. 6 BAföG angemessen Rechnung getragen werden.
Nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG kann zur Vermeidung unbilliger Härten auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraumes zu stellen ist, abweichend von den vorstehenden Vorschriften ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Diese Vorschrift ergänzt die Regelungen in § 25 Abs. 1 bis 4 BAföG, in denen der Gesetzgeber mit dem gesetzestechnischen Mittel der Pauschalierung und Typisierung die Einkommensbeträge bestimmt hat, die im Regelfall für den angemessenen Lebensunterhalt der in § 25 Abs. 1 BAföG genannten Einkommensbezieher und der ihnen gegenüber Unterhaltsberechtigten erforderlich erscheinen und von einer Anrechnung auf den Bedarf des Auszubildenden frei zu lassen sind (vgl. BVerwG U.v. 15.11.1990 – 5 C 78/88 – juris, Rn. 19).
Das Bedürfnis für eine Vermeidung von unbilligen Härten kann sich aber nicht nur während des Bewilligungszeitraums (entgegen § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG), sondern auch noch nach dessen Ende ergeben. Das Geltendmachen von Härtegesichtspunkten im Sinne des § 25 Abs. 6 BAföG nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraums ist allerdings – vergleichbar den Anforderungen an das „nachträgliche“ Anbringen eines Aktualisierungsbegehrens nach § 24 Abs. 3 BAföG – davon abhängig, dass der Auszubildende vorher keinen Anlass hatte, zur Vermeidung unbilliger Härten von der Behörde die Einräumung eines weiteren Freibetrages zu verlangen (BVerwG U.v. 15.11.1990 – 5 C 78/88 – juris, Rn. 19). Ein solches Vorgehen kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn der Auszubildende vor dem Ergehen der abschließenden Entscheidung über seinen Förderungsantrag von dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheid keine Kenntnis erhalten und demzufolge erst später ersehen konnte, dass die Anrechnung des in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgebenden Berechnungszeitraum erzielten Einkommens zu einer Herabsetzung des in dem vorläufigen Bescheid bewilligten Förderungsbetrages führt (vgl. BVerwG U.v. 25.04.1985 – 5 C 42/82 – juris).
Nur wenn sich für den Auszubildenden aus den Bewilligungszeitraum betreffenden Unterlagen, die ihm bekannt waren oder bekannt hätten sein müssen, keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die ihm bisher in voller Höhe gewährte Ausbildungsförderung reduziert wird, kann er sich demnach gegenüber der Behörde auch nachträglich noch auf Härtegesichtspunkte berufen. Bis zum Ergehen der abschließenden Entscheidung über seinen Förderantrag darf der Auszubildende aber auch hier grundsätzlich nur warten, wenn er erst im Zusammenhang mit dieser Entscheidung erkennen kann, dass das vom Amt für Ausbildungsförderung in Ansatz gebrachte Einkommen zu einer Anrechnung auf den Bedarf und damit zu einer Rückforderung der unter Vorbehalt geleisteten Ausbildungsförderung führt. Werden dem Auszubildenden Umstände bekannt, die derartige Folgewirkungen erwarten lassen, hat er Gründe, die nach seiner Auffassung die Zuerkennung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG rechtfertigen können, bei der Behörde unverzüglich geltend zu machen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1990 – 5 C 78/88 – BVerwGE 87, 103-115, Rn. 20).
Unverzüglich bedeutet nach § 121 Abs. 1 BGB ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern. Eine verzögerte Handlung ohne Verschulden liegt nur vor, wenn ein sachlicher Grund für die verzögerte Handlung besteht. Aus sachlichen Gründen (abhängig vom Einzelfall) darf etwas später gehandelt werden als sofort. Der Handelnde hat eine gewisse Überlegungsfrist. Wenn es die Sachlage erfordert, darf er eine Rechtsauskunft (Rat eines Rechtskundigen) einholen (vgl. BGH U.v. 24.01.2008 – VII ZR 17/07, Rn. 18).
1.1.4.2 Unter Zugrundelegung obiger Ausführungen kann der Kläger keinen Härtefall mehr geltend machen, selbst wenn der Klageschriftsatz dahingehend ausgelegt werden könnte. Es kann also offenbleiben, inwieweit ein von einem Rechtsanwalt verfasster Klageschriftsatz einer dahingehenden weiten Auslegung zugänglich ist, da auch unter Zugrundelegung eines Härteantrags im Klageschriftsatz die Klage keinen Erfolg hat.
Denn der Kläger hat seiner Pflicht, unverzüglich bei dem Beklagten nach Bekanntwerden der maßgeblichen Umstände (hier: tatsächliche Einkommenszuflüsse seines Vaters entgegen dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011) Härtegesichtspunkte geltend zu machen, nicht Genüge getan.
Spätestens seit Bekanntwerden der Bescheide vom 19.03.2018 war dem Kläger die konkrete finanzielle Auswirkung des Einkommenssteuerbescheides seiner Eltern für das Jahr 2011 auf seinen Bezug von Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum bekannt. Sein Widerspruchsschreiben vom 29.03.2018 lässt eine Auseinandersetzung mit der Rechtslage nicht erkennen und auf die ausführlichen Erläuterungen im Aufklärungsschreiben des Beklagten vom 08.06.2018 reagierte er in keiner Weise.
Erstmalig in der Klageerhebung vom 20.08.2018, also nahezu fünf Monate nach Kenntnis, findet eine Auseinandersetzung mit der Rechtsmaterie statt und wird darauf hingewiesen, dass der tatsächliche Zufluss der finanziellen Mittel und die einkommenssteuerrechtliche Bewertung auseinanderfallen. Eine nachvollziehbare Darlegung, aus welchen sachlichen Gründen dieses nicht bereits früher, d.h. zeitnah nach Erlass der Bescheide, geschehen hätte können, fehlt. Auch die Erklärung des Vaters vom 07.10.2020 lässt die Frage unbeantwortet.
Die Verzögerung ist auch schuldhaft. Soweit der Kläger darauf verweist, er habe erst im Rahmen des Klageverfahrens nach Rücksprache mit seinem Vater davon Kenntnis erhalten, verhilft ihm das nicht zum Erfolg. Denn abzustellen ist nicht allein auf das positive Wissen des Klägers um die konkreten finanziellen Zeitpunkte des Zuflusses, sondern darauf, wann für den Kläger genügend Anlass bestand, sich mit den finanziellen Einkommensverhältnissen seiner Eltern im Jahr 2011 auseinander zu setzen und gegebenenfalls einen Härteantrag zu stellen.
Anlass zur Klärung der finanziellen Verhältnisse seiner Eltern im Jahr 2011 bestand allerspätestens seit dem Bekanntwerden der streitgegenständlichen Bescheide. Eine spätere, nicht mehr unverzügliche Auseinandersetzung mit dem Streitgegenstand geht zu seinen Lasten.
Erschwerend kommt hinzu, dass dem Kläger die Bedeutung des Einkommenssteuerbescheids seiner Eltern für das Jahr 2011 bereits mit dem Erlass des ausdrücklich lediglich unter dem Vorbehalt der Rückforderung (wegen des nicht bestimmbaren Einkommens des Vaters) ergangenen Förderbescheides vom 29.03.2012 deutlich vor Augen geführt wurde. Deshalb bestand nicht nur genügend Anlass, sich um dessen Vorlage zu bemühen und damit auseinanderzusetzen, vielmehr war er dazu sogar verpflichtet (§ 60 Abs. 1 i.V.m. § 68 Nr. 1 SGB I). Darüber hinaus wurde er noch viermal über einen Zeitraum von insgesamt vier Jahren (zwischen dem 07.05.2013 und 10.06.2016) nachdrücklich unter Verweis auf deren Bedeutung für die abschließende Berechnung auf seine diesbezügliche Vorlagepflicht aufmerksam gemacht. Die fehlende Reaktion des Klägers hierauf ist insofern bedeutsam, als er die anderen – für ihn günstigeren – Einkommenssteuerbescheide seiner Eltern für die Jahre 2009 und 2010 jeweils zeitnah vorgelegt und er keinen Grund genannt hat, warum für das Jahr 2011 besondere Umstände vorgelegen hätten, die einer Vorlage des bereits am 04.06.2013 ergangenen Einkommenssteuerbescheids entgegengestanden hätten.
Dass er seiner Vorlagepflicht offenbar bewusst nicht nachkam, geht zu seinen Lasten und stellt keinen sachlichen Grund für einen nachträglichen Härteantrag erst nach Aufdecken der finanziellen Verhältnisse von Amts wegen dar.
1.2 Die Rückforderung in Höhe von 8.040,00 EUR ist nicht zu beanstanden. Sie beruht auf § 20 Abs. 1 BAföG. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung der Rückforderungshöhe sind nicht vorhanden und wurden auch nicht geltend gemacht. Da das monatlich anzurechnende Einkommen des Vaters, ausgehend von den Einkommensverhältnissen nach den Einkommenssteuerbescheiden für die Jahre 2010 und 2011 (s.o.), den bewilligten monatlichen Bedarf des Klägers in Höhe von 670,00 EUR im gesamten Bewilligungszeitraum übersteigt (vgl. die Berechnung des Beklagten Bl. 172 Beiakte), war die Fördersumme in Höhe von 8.040,00 EUR (670,00 EUR x 12 Monate) zurückzufordern.
1.3 Soweit das Bundesverwaltungsamt gegenüber dem Kläger bereits Rückforderungen geltend gemacht hat, steht dies der Aufhebung des Förderbescheides und dem Rückforderungsverlangen des streitgegenständlichen Bescheids nicht entgegen. Bankdarlehen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG sind im Regelfall gemäß den Vorschriften des § 18c BAföG nach Aufforderung des Bundesverwaltungsamtes zurückzuzahlen. Nur basiert die Darlehensgewährung auf dem nunmehr aufgehobenen Förderbescheid vom 03.02.2011. Nach dessen Aufhebung ist dem kraft Gesetzes entstandenen Darlehensvertrag und der daraus resultierenden Rückzahlungsverpflichtung gemäß § 18c BAföG die Rechtsgrundlage entzogen. Entsprechende rechtsgrundlose Zahlungen sind aus diesem Grund vorrangig im Verhältnis zum Bundesverwaltungsamt zu klären (vgl. HessVGH, U.v. 20.02.2018 – 10 A 807/17 – juris).
Das öffentlich-rechtliche Darlehensschuldverhältnis zwischen Auszubildendem und dem Bundesverwaltungsamt (§ 39 Abs. 2 Satz 1 BAföG) entsteht kraft Gesetzes und zwar aufgrund des Bewilligungsbescheides. Deshalb unterliegt dieses Schuldverhältnis in seinem Bestand und in seiner Höhe nicht dem Willen der Beteiligten, sondern folgt der maßgeblichen Bescheidlage. Dies bedeutet, dass die durch Bescheide geregelte Rechtslage das Darlehensverhältnis in seinen Modalitäten bestimmt und etwaige Änderungen der Bescheide auch zur Veränderung des Darlehensschuldverhältnisses führen. Hingegen gibt es keine „Einwirkungsmöglichkeit“ in der umgekehrten Richtung, so dass eine (teilweise) Abwicklung des Schuldverhältnisses im Verhältnis zum Bundesverwaltungsamt für das zuständige Amt für Ausbildungsförderung keine „Sperrwirkung“ entfalten kann. Dem zuständigen Amt verbleiben deshalb alle ihm gesetzlich eröffneten Möglichkeiten zur Aufhebung und Neuregelung von Bescheiden, einschließlich der Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen (nach § 20 BAföG oder § 50 SGB X; vgl. dazu HessVGH, U.v. 20.02.2018 – 10 A 807/17 – juris, Rn. 25).
Inwieweit der Kläger beispielsweise Unterhaltsansprüche für den fraglichen Bewilligungszeitraum gegenüber seinen Eltern geltend machen kann, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Auch ein möglicher Ersatzanspruch des Beklagten gegenüber den Eltern gemäß § 47a BAföG ist hiervon unabhängig (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföGÄndVwV 2013 Nr. 20.1.2)).
1.4 Da § 20 BAföG eine abschließende Regelung enthält, sind die Vorschriften der §§ 812 ff. BGB nicht anwendbar, so dass gegen die Rückzahlungsverpflichtung nicht der Einwand des Wegfalls der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) erhoben werden kann (vgl. BVerwG U.v. 22.10.1981 – 5 C 61/79 – juris, und NVwZ 1988, 933 ff.).
2. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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