Sozialrecht

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Bay. Betreuungsgeld keine zweckbestimmte Einnahme

Aktenzeichen  L 11 AS 932/18

Datum:
16.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13176
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 11a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Das bayerische Betreuungsgeld ist nicht mit einer Zweckbestimmung verbunden, die nicht demselben Zweck wie Leistungen nach dem SGB II dient. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Betreuungsgeld ist auch keine dem Elterngeld vergleichbare Leistung in diesem Sinne. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 4 AS 162/18 2018-09-11 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.09.2018 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Das SG hat zu Unrecht den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 in der Fassung des Bescheides vom 26.06.2018 „verpflichtet“, den Klägern Leistungen ohne Anrechnung von Betreuungsgeld als Einkommen zu gewähren. Der Bescheid vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 in der Fassung des Bescheides vom 26.06.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist vorliegend der Bescheid vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018, mit dem der Beklagte ua gegenüber den Klägern die vorhergehende Leistungsbewilligung im Bescheid vom 01.12.2017 für März bis – unter Berücksichtigung des Aufhebungsbescheides vom 26.06.2018 – Juni 2018 abgeändert und ihnen Alg II nur noch unter Anrechnung anteiligen Betreuungsgeldes bewilligt hat.
Unter Berücksichtigung des Begehrens der Kläger, Alg II ohne Anrechnung des Betreuungsgeldes weiterhin zu beziehen, ist vorliegend eine Anfechtungsklage in Bezug auf den Bescheid vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 statthaft. Nach Aufhebung dieses Bescheides bleibt der Bewilligungsbescheid vom 01.12.2017 in der Fassung des Bescheides vom 26.06.2018 wirksam, mit dem den Klägern für die Zeit von März bis Juni 2018 Alg II jeweils iHv 478,58 EUR monatlich bewilligt worden und eine Anrechnung von Betreuungsgeld nicht erfolgt ist. Unter Berücksichtigung dieses Begehrens war die Klage als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auszulegen (§ 123 SGG). Eine vom SG angenommene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage kommt dagegen nicht in Betracht. Zutreffenderweise hat das SG im Ergebnis aber darauf verwiesen, dass der Streitgegenstand auf die Leistungen für den Regelbedarf begrenzt ist, da sich die Anrechnung des Einkommens allein bei den Leistungen für den Regelbedarf auswirkt und die Kläger ihr Begehren erkennbar darauf beschränkt haben (vgl dazu auch: BSG, Urteil vom 17.07.2014 – B 14 AS 25/13 R – juris). Eine Beschränkung des Streitgegenstands alleine auf die Anrechnung von Betreuungsgeld als eine bestimmte Einkommensposition ist dagegen nicht möglich (vgl bereits: BSG, Urteil vom 23.08.2011 – B 14 AS 165/10 R – juris).
In diesem Rahmen sind streitgegenständlich höhere Leistungen für beide Kläger. Die Klageschrift der Kläger war nach dem sogenannten „Meistbegünstigungsprinzip“ unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens auszulegen (§ 123 SGG). Vorliegend wird sowohl die Klägerin selbst in dem handschriftlichen Vermerk auf dem Widerspruchsbescheid vom 19.02.2018 erwähnt, der zur Klageeinreichung beim SG eingereicht worden war, als auch im Hinblick auf die Unterschrift der Kläger selbst. Gegenstand des Bescheides vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 waren Leistungen unter anderem für beide Kläger. Da insofern eine Klageerhebung beider Kläger vorgelegen hat, ist es unschädlich, dass die Klarstellung mit dem am 07.05.2018 beim SG eingegangenen Schriftsatz nach Ablauf der Klagefrist erfolgt ist. Im Zeitpunkt der Klageerhebung waren die aus Syrien stammenden Kläger anwaltlich nicht vertreten.
Nicht Gegenstand des Verfahrens sind dagegen Ansprüche der drei Kinder der Kläger, obwohl auch sie von der Festsetzung geringerer Leistungen aufgrund der Anrechnung von Betreuungsgeld im Bescheid vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 betroffen sind. Ein Klagebegehren bezüglich höherer Leistungen für sie wird von den zuletzt auch anwaltlich vertretenen Klägern im Klageantrag vor dem SG am 11.09.2018 nicht erwähnt (vgl dazu auch: BSG, Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 30/14 R).
Der Beklagte hat zu Recht mit dem Änderungsbescheid vom 06.02.2018 die ursprüngliche Leistungsbewilligung für die Kläger zu 1. und 2. für die Monate März bis – unter Berücksichtigung des Aufhebungsbescheides vom 26.06.2018 – bis Juni 2018 aus dem Bescheid vom 01.12.2017 aufgehoben und die Leistungen jeweils nur noch auf monatlich 439,21 EUR unter Anrechnung des Betreuungsgeldes festgesetzt.
Nach § 40 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB II iVm § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Sofern die Kläger vor Erlass des Änderungsbescheides vom 06.02.2018 nicht angehört worden sind, ist eine fehlende Anhörung iSv § 24 Abs. 1 SGB X im Rahmen der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Die Kläger hatten hier Gelegenheit, sich hinsichtlich der für die (teilweise) Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, und haben hiervon Gebrauch gemacht, so dass sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 19.02.2018 mit dem Vorbringen auch auseinandergesetzt hat (zur Heilung eines Anhörungsmangels im Rahmen des Widerspruchsverfahrens: BSG, Urteil vom 26.07.2016 – B 4 AS 47/15 R – und Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R – beide zitiert nach juris).
Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Diese Leistungsvoraussetzungen werden von den Klägern im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt. Der Beklagte hat insoweit auch – wenngleich aus Sicht der Kläger zu geringe – Leistungen bewilligt. Ab Juli 2018 entfiel aufgrund des Umzugs der Kläger in den Bereich des Jobcenters K. die örtliche Zuständigkeit des Beklagten (§ 36 Abs. 1 SGB II), so dass von ihm keine weiteren Leistungen ab diesem Zeitpunkt mehr zu erbringen waren. Der Aufhebungsbescheid vom 26.06.2018 erging damit zu Recht.
Die Kläger haben von März bis Juni 2018 in Bezug auf Leistungen für den Regelbedarf keinen über monatlich 334,63 EUR hinausgehenden Leistungsanspruch, nachdem ab März 2018 das Betreuungsgeld iHv monatlich 150 EUR für das Kind M. an die Klägerin ausgezahlt worden ist. Damit ist eine wesentliche Änderung eingetreten.
Die Kläger haben als volljährige Partner in der Bedarfsgemeinschaft Anspruch auf eine Leistung für den Regelbedarf iHv monatlich jeweils 374 EUR (§ 20 Abs. 1a Satz 1 und Abs. 4 SGB II iVm §§ 28, 28a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII – iVm § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des SGB XII – Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG – und § 1 Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2018 – RBSFV 2018). Auf den Regelbedarf ist das Betreuungsgeld als Einkommen anteilig bei den Klägern iHv monatlich 39,37 EUR anzurechnen, da Alg II nur erbracht wird, soweit die Bedarfe nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind (§ 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II). Dabei deckt zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen zunächst die Bedarfe nach den §§ 20, 21 und 23 SGB II, bevor eine Anrechnung auf Bedarfe für Leistungen der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II erfolgt (§ 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II).
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Bei dem an die Klägerin gezahlten Betreuungsgeld handelt es sich um eine Einnahme in Geld.
Dieses ist nicht von der Anrechnung nach § 11a SGB II ausgenommen. Nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II – andere Alternativen des § 11a SGB II kommen offensichtlich nicht in Betracht – sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen. Mit dieser Regelung soll einerseits verhindert werden, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch eine Einkommensanrechnung im SGB II nicht verfehlt wird, und andererseits, dass für den identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden (vgl BSG, Urteil vom 12.09.2018 – B 14 AS 36/17 R; noch zu § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB aF: BSG, Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 9/09 R – mwN; Urteil des Senats vom 29.11.2017 – L 11 AS 322/17 – alle zitiert nach juris). Der Zweck der anderen Leistung muss über den der Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehen und ausdrücklich bestimmt sein. Handelt es sich nur um eine allgemeine Zweckrichtung ist dies nicht ausreichend (vgl dazu auch die Gesetzesbegründung BT-Drs 17/3404, S. 94). Es muss in den öffentlich-rechtlichen Vorschriften – ggf aber auch in dem Bescheid, der die Leistung bewilligt, oder auch nur in der Gesetzesbegründung – ein über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehender Zweck der Leistung ausdrücklich genannt sein, wenngleich es nicht der Verwendung des Worts „Zweck“ bedarf. Auch Formulierungen „zur Sicherung“, „zum Ausgleich“ etc können ausreichend deutlich die ausdrückliche Zweckbestimmung zum Ausdruck bringen (vgl dazu auch Urteil des Senats aaO). Maßgeblich für die Annahme einer solchen Zweckbestimmung bleibt aber in jedem Fall, dass es sich um eine in ihrer Verwendung und nicht (nur) dem Grund der Entstehung zweckbestimmte Einnahme handelt (vgl BSG, Urteil vom 12.09.2018 – B 14 AS 36/17 R; Urteil vom 24.08.2017 – B 4 AS 9/16 R – beide zitiert nach juris). Kann der Leistungsberechtigte mit der erhaltenen Zahlung ohne Beachtung eines Zwecks nach Belieben verfahren, spricht dies für eine Anrechnung, da der Gesetzgeber im Rahmen der Berücksichtigung von Einkommen nach dem SGB II grundsätzlich sämtliche Einnahmen erfassen will (vgl BSG, Urteil vom 17.10.2013 – B 14 AS 58/12 R – juris).
Das Betreuungsgeld nach dem BayBtGG ist nicht mit einer Zweckbestimmung verbunden, die nicht demselben Zweck wie Leistungen nach dem SGB II dient (so auch Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 11a Rn 35.2 mit Hinweis auf SG München, Urteil vom 04.05.2018 – S 46 EG 25/17 BG; SG München, Urteil vom 26.10.2018 – S 46 AS 998/18 – juris). Nach Art. 1 Abs. 1 BayBtGG hat Anspruch auf Betreuungsgeld, wer (1.) seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern hat, (2.) mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, (3.) dieses Kind selbst betreut und erzieht, (4.) für dieses Kind im Zeitpunkt der Antragstellung die altersentsprechende Früherkennungsuntersuchung für Kinder gemäß den Kinder-Richtlinien durchgeführt hat und (5.) für dieses Kind keinen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege in Anspruch nimmt, den der Freistaat Bayern kindbezogen nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz fördert oder der in einem anderen Land in Erfüllung des § 24 Abs. 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) gefördert wird. Das Betreuungsgeld beträgt für jedes Kind 150 EUR pro Monat (Art. 2 Abs. 1 BayBtGG) und wird im Laufe des Monats gezahlt, für den es bestimmt ist (Art. 2 Abs. 2 BayBtGG). Diese Anspruchsvoraussetzungen, die die Klägerin erfüllt, weisen keine besondere Zweckbestimmung für die Verwendung des Betreuungsgeldes auf. Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs 17/9114, S. 5) wollte der Landesgesetzgeber das zuvor auf Bundesebene geregelte Betreuungsgeld – dieses wurde vom BVerfG (Urteil vom 21.07.2015 – 1 BvF 2/13 – juris) für mit Art. 72 Abs. 2 GG unvereinbar und nichtig befunden – künftig auf Landesebene fortführen. Es sollte an den durch das Elterngeld eröffneten Schonraum für Familien mit kleinen Kindern anschließen und der Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung von Eltern mit Kleinkindern dienen. Es sollte größere ökonomische Gestaltungsfreiräume für die Kinderbetreuung ermöglichen sowie die Wahlfreiheit von Vätern und Müttern verbessern und die verbliebene Lücke im Angebot staatlicher Förder- und Betreuungsangebote für Kinder bis zum dritten Lebensjahr schließen. Hieraus erschließt sich ebenfalls keine in der Verwendung zweckbestimmte Leistung, da die Begründung nur auf den Grund der Entstehung des Anspruchs auf Betreuungsgeld abstellt und kein konkreter Verwendungszweck tatsächlich bestimmt wird. Soweit das SG darauf abstellt, dass die Voraussetzung der Durchführung der altersentsprechenden Früherkennungsuntersuchung – zu denen die Personensorgeberechtigten bereits nach Art. 14 Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz (GDVG) verpflichtet sind – einen Verwendungszweck für das Betreuungsgeld in Bezug auf Fahrtkosten begründen soll, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Es ist hier in keiner Weise gesichert, dass hierfür ungedeckte Kosten bei den Leistungsberechtigten angefallen sind, für die ein Aufwendungsersatz geleistet werden soll. Der ganz überwiegende Teil wird durch das Aufsuchen eines in ihrer Nähe befindlichen Kinderarztes nicht mit besonderen Fahrtkosten – die im Übrigen auch mit den Leistungen für den Regelbedarf abgedeckt werden – belastet. Zudem findet sich kein entsprechender Hinweis auf eines solche Absicht im Gesetzestext oder dessen Begründung.
Auch ging der Landesgesetzgeber unzweifelhaft im Rahmen der Gesetzesberatungen von einer Anrechnung des Betreuungsgeldes auf die Leistungen nach dem SGB II aus. So führte die Staatsministerin Emilia Müller in der Parlamentsdebatte zum BayBtGG aus (Plenarprotokoll 74. Plenum vom 01.06.2014, S. 32), dass das Betreuungsgeld auf „Hartz-IV-Leistungen“ angerechnet werde und ein „Hartz-IV-Empfänger“ dadurch jedenfalls keinen Zugewinn erfahre. Dies wurde von der Opposition kritisiert (so durch den Abgeordneten Rinderspacher nach dem Plenarprotokoll 74. Plenum vom 01.06.2014, S. 43). Zudem sollte nach der oben genannten Gesetzesbegründung gerade das zuvor auf Bundesebene geregelte Betreuungsgeld fortgeführt werden, das ebenfalls auf das Alg II anzurechnen war, wie sich aus § 10 Abs. 5 iVm Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) schließen lässt. Es gibt daher keine Anhaltspunkte dafür, dass vom seinerzeitigen Landesgesetzgeber anderes beabsichtigt gewesen wäre.
Schließlich folgt aus § 10 Abs. 5 Satz 1 iVm Abs. 1 BEEG selbst nichts anderes. Nach § 10 Abs. 1 BEEG bleiben Elterngeld, Betreuungsgeld und jeweils vergleichbare Leistungen der Länder bei einkommensabhängigen Sozialleistungen bis zu 300 EUR im Monat unberücksichtigt. Dies gilt aber nicht bei Leistungen nach dem SGB II (§ 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG). Eine Rückausnahme iSv § 10 Abs. 5 Satz 2 BEEG, wonach das Elterngeld – das Betreuungsgeld wird hier nicht mehr erwähnt – und vergleichbare Leistungen der Länder sowie die nach § 3 BEEG auf das Elterngeld angerechneten Einnahmen in Höhe des nach § 2 Abs. 1 BEEG berücksichtigten Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt bis zu 300 EUR im Monat als Einkommen unberücksichtigt bleiben, liegt nicht vor. Das Betreuungsgeld ist keine Leistung in diesem Sinne. Insbesondere knüpft es nicht an ein vor der Geburt erzieltes Einkommen an. Es verbleibt daher bei einer vollständigen Anrechnung.
Das Betreuungsgeld grenzt sich auch vom Familiengeld nach dem zum 01.08.2018 in Kraft getretenen Bayerischen Familiengeldgesetz (BayFamGG) vom 24.07.2018 (GVBl S. 613, 622) ab. Wie in Art. 1 Satz 1 BayFamGG ausgeführt wird, handelt es sich beim Familiengeld um eine Weiterentwicklung des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes. Es dient nicht der Existenzsicherung (Art. 1 Satz 3 BayFamGG) und soll nicht auf existenzsichernde Sozialleistungen angerechnet werden (Art. 1 Satz 4 BayFamGG). Auch nach der Gesetzesbegründung (Entwurf des 2. Nachtragshaushaltsplan 2018, S. 32) wollte der Landesgesetzgeber ausdrücklich keine Anrechnung nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II. Für das Familiengeld haben sich politisch der Bund und der Freistaat Bayern darauf geeinigt, dass dieses nicht angerechnet und rückwirkend zum 01.08.2018 eine Ergänzung des BayFamGG vorgenommen werden soll (so die Internetseite des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales: www.stmas.bayern.de/familiengeld). Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen und Zweckformulierungen scheidet eine Übertragung auf das Betreuungsgeld aus, ungeachtet der Frage, ob nach der bislang geltenden Gesetzeslage des BayFamGG auch das Familiengeld als Einkommen anzurechnen wäre (im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes offen gelassen: SG Nürnberg, Beschluss vom 15.11.2018 – S 22 AS 1038/18 ER – juris).
Unter Berücksichtigung des im Rahmen des SGB II ausgeprägten existenzsicherungsrechtlichen Nachranggrundsatzes der Leistungen und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Prägung der gesetzlichen Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen durch eine Anknüpfung an die wirkliche bzw konkrete Bedürftigkeit (vgl dazu eingehend BSG, Urteil vom 01.12.2016 – B 14 AS 28/15 R – juris) ist eine Grundrechtsverletzung der Kläger durch die Anrechnung des Betreuungsgeldes als Einkommen nicht gegeben (vgl auch zur Anrechnung von Elterngeld: BSG, Urteil vom 26.07.2016 – B 4 KG 2/14 R – juris).
Vom Betreuungsgeld war nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II eine Pauschale für notwendige Versicherungen iHv 30 EUR (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-V) abzusetzen. Der verbleibende Betrag von 120 EUR war entsprechender der jeweiligen Hilfebedürftigkeit der Kläger in Bezug auf den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft zu verteilen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II), so dass auf sie jeweils 39,37 EUR entfielen. Zu Berechnung im Einzelnen wird auf die Anlage zum Bescheid des Beklagten vom 06.02.2018 verwiesen.
Es ergibt sich damit der vom Beklagten bewilligte Anspruch der Kläger auf Leistungen für den Regelbedarf iHv monatlich 334,63 EUR (374 EUR – 39,37 EUR). Der Beklagte hatte damit die ursprüngliche Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Ein Ermessen stand ihm nicht zu (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Die Berufung des Beklagten hatte nach alledem Erfolg. Das Urteil des SG war aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Die alleine durch das Urteil beschwerten Kläger haben nach Verkündung des Urteils auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet.


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