Sozialrecht

Nicht geringfügige Unterbrechung, Zurücklegen des Betriebsweges

Aktenzeichen  L 17 U 370/17

Datum:
24.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32541
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 8

 

Leitsatz

Wer sein Fahrzeug auf einem Betriebsweg bei Rotlicht an der Ampel verlässt, um einen anderen Fahrer eines Kfz wegen dessen vorangegangenen verkehrswidrigen Fahrverhaltens zur Rede zu stellen, und bei der nachfolgenden verbalen Auseinandersetzung Opfer einer Messerattacke wird, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Bereits das Verlassen des Fahrzeugs zu diesem Zweck dient nach seiner objektiven Handlungstendenz nicht dem weiteren Zurücklegen des Betriebsweges, sondern eigenwirtschaftlichen Zwecken. Erst recht gilt dies für das “Zur-Rede-Stellen” des anderen Fahrers wegen vorangegangener Beleidigung. Die Unterbrechung ist auch nicht geringfügig, während der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 1 SGB VII fortbesteht.
Es ist nicht betriebsdienlich, andere Verkehrsteilnehmer wegen ihres Verhaltens im Straßenverkehr zurechtzuweisen oder zu belehren. Daher ist der gesamte Vorgang ab dem Aussteigen aus dem Fahrzeug an der Ampel dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 U 100/17 2017-10-24 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.10.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 27.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2017 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die gemäß §§ § 143,144,151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 27.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2017 (§ 95 SGG) festgestellt, dass der Unfall vom 29.07.2016 ein Arbeitsunfall war. Die vom Kläger angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Kläger stand im Zeitpunkt des Unfalls nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Bei dem Ereignis vom 29.07.2016 handelt es sich nämlich nicht um einen Arbeitsunfall.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit, § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII, nämlich eines zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses, das zu einem Gesundheits(erst) schaden oder zum Tod führt, ist danach in der Regel erforderlich (BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst) schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; vgl. BSG, Urteil vom 04.12.2014 – B 2 U 13/13 R = SozR 4-2700 § 2 Nr. 31; Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 43; Urteil vom 29.11.2011 – B 2 U 10/11 R = 4-2700 § 8 Nr. 42; Urteil vom 18.01.2011 – B 2 U 9/10 R = BSGE 107,197 = SozR 4-2700 § 2 Nr. 17 Rn. 10; Urteil vom 18.11.2008 – B 2 U 27/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 30 Rn. 10 m.w.N.). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(erst) schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R = BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 30707 R = BSGE 103, 45).
Der Kläger war als selbstständiger Transportunternehmer bei der Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII freiwillig versichert und gehört daher zum versicherten Personenkreis. Bei der Transportfahrt befand sich der Kläger zunächst auch auf einem nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII versicherten Betriebsweg.
Vorliegend kommt es für die Erstreckung des Versicherungsschutzes nicht auf das Zurücklegen eines Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII an, da der Kläger sich zum Unfallzeitpunkt (Messerattacke) nicht auf einem Weg zur oder von der Arbeit befand, sondern er nahm im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Transportunternehmer einen geschäftlichen Termin (Fahrt auf dem R., A-Stadt, in Richtung B. mit einem Sprinter Citroën mit Gespann zur Auslieferung von Getränken an Kunden) wahr. Auch ein solcher Weg steht als sogenannter Betriebsweg unter Versicherungsschutz. Denn jede Verrichtung im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, die aufgrund ihrer Handlungstendenz der Ausübung der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt ist (vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII: Unfall „infolge“ einer versicherten Tätigkeit), ist der versicherten Tätigkeit zuzurechnen – ohne Bindung an die Arbeitsstätte und die Arbeitszeit (BSG, Urteil vom 12.12.2006 – B 2 U 1/06 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 21). Andererseits sind nicht alle Verrichtungen eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und auf der Arbeitsstätte versichert, weil es außer in der Schifffahrt (vgl. § 10 SGB VII) keinen Betriebsbann gibt. Dementsprechend stehen auch nicht alle Wege eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist (BSG, a.a.O.).
Dabei können für die Frage des Versicherungsschutzes auf Betriebswegen im öffentlichen Verkehrsraum die von der Rechtsprechung für die Wege nach und von der Tätigkeit entwickelten Grundsätze übertragen werden (so im Ergebnis bereits BSG, Urteil vom 29.02.1972 – 2 RU 27/68 in SozR Nr. 31 zu § 548 RVO). Maßgebend ist danach zunächst, ob der Weg wesentlich zu betrieblichen Zwecken zurückgelegt wird (BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 26/07 R, juris Rn. 14 m.w.N.). Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden. Fehlt es an einem solchen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit, ist das Zurücklegen des Weges auch dann keine versicherte Tätigkeit, wenn der Versicherte dieselbe Strecke zurücklegt, die er für einen Betriebsweg benutzen könnte oder gar gewöhnlich benutzt (BSG, Urteil vom 09.12.2003 – B 2 U 23/03 R, juris Rn. 13 m.w.N.).
Allerdings muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges, d. h. hier des Betriebsweges, stehen. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten Tätigkeit gehört (BSGE 58, 76, 77; BSG, Urteil vom 27.03.1990 – 2 RU 36/89, juris Rn. 14). Daraus folgt, dass während Unterbrechungen kein Versicherungsschutz besteht, wenn sie wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen sind, sogenannten eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen (BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 26/07 R, juris Rn. 14; Urteil vom 27.03.1990, a.a.O., und Urteil vom 31.07.1985 – 2 RU 63/84 = USK 85252). Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, zur versicherten Tätigkeit oder zur Privatsphäre gehört, beurteilt sich nach dem objektivierten Zweck des Handelns (BSG, Urteil vom 17.02.2009, a.a.O., juris Rn. 17).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls (Messerattacke) das Zurücklegen des Betriebsweges bereits aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen und nicht wiederaufgenommen hatte (1.) und die Unterbrechung auch nicht nur geringfügig war (2.), sodass der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz entfällt.
1. Dabei legt der Senat aufgrund einer Gesamtwürdigung der in den Akten enthaltenen Aussagen, insbesondere der Angaben des Klägers in der Unfallanzeige vom 04.08.2016 und bei der Zeugeneinvernahme vom 04.08.2016 bei der Dienststelle PI A-Stadt, der Aussagen der polizeilich einvernommenen Zeugen L. G. (G) vom 30.07.2016 und 20.09.2016 und N. K. (K) vom 30.08.2016 sowie aufgrund des Inhalts der Aktenvermerke des POK T vom 04.08.2016 und 21.09.2016 den Sachverhalt zugrunde, wie er auch im Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 23.01.2019 festgestellt wurde. Bei seiner Überzeugungsbildung hat der Senat nicht verkannt, dass die vom Landgericht A-Stadt getroffenen Feststellungen für den Senat nicht bindend sind. Die genannten Dokumente, die in den Akten des Strafverfahrens enthalten sind, hat der Senat als Urkundenbeweis nach § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. §§ 415, 417 Zivilprozessordnung (ZPO) in die Beweiswürdigung mit einbezogen. Akten eines Strafverfahrens und ein rechtskräftiges Strafurteil können grundsätzlich als Beweisurkunden im Zivilprozess herangezogen werden, auf die der Tatrichter seine Überzeugung stützen kann (siehe hierzu BGH, Beschluss vom 24.01.2012 – VI ZR 132/10 m. w. N.). Diese Rechtsprechung ist auf den Prozess vor dem Sozialgericht übertragbar, da nach § 118 Abs. 1 S. 1 SGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 415 – 444 ZPO) über den Beweis durch Urkunden entsprechend anzuwenden sind.
Auf dieser Grundlage geht der Senat davon aus, dass der Kläger – nachdem sowohl das Fahrzeug des Klägers als auch das Fahrzeug des I wegen Rotlichts an der Lichtzeichenanlage an der Einmündung zur M-Straße stehen geblieben waren – aus seinem Fahrzeug ausgestiegen ist, sich zur Beifahrertür des seitlich vor ihm stehenden VW Golf begeben hat und diese geöffnet hat. Er hat den I lautstark gefragt, ob dieser „noch ganz sauber“ sei. Nachdem I mit einer abwinkenden Handbewegung reagiert hatte, hat der Kläger die Türe wieder zugeschlagen, wobei er geäußert hat, dass I ihm zu primitiv sei. Daraufhin ist I aus seinem Pkw ausgestiegen und hat dem zu seinem Fahrzeug zurückgehenden Kläger nachgerufen, dass er dessen „Frau ficken“ werde. Daraufhin hat der Kläger kehrtgemacht und ist zur Fahrertür des Pkw des I gelaufen, der bereits wieder eingestiegen war. Der Kläger hat die Fahrertür geöffnet und eine Handbewegung in Richtung des I gemacht. Dieser hat dann ein Taschenmesser genommen, das sich in der Seitenablage der Fahrzeugtür befunden hat und hat mit diesem eine Stichbewegung in Richtung des Bauches des Klägers ausgeführt. Der Kläger hat den Angriff mit seiner Hand abgewehrt. Dabei hat er jedoch eine Schnittverletzung am linken Handgelenk erlitten; außerdem sind einige Sehnen und Nerven durchtrennt worden.
Die Zeugenaussage des Klägers, wonach unmittelbar vor der Messerattacke die Fahrertüre des Pkw des I offen gestanden habe, er wortlos neben dem sitzenden I gestanden sei und dieser dann das Messer gezogen habe, ist nicht glaubhaft und steht im Widerspruch zu den Zeugenaussagen des G und des K sowie zum Inhalt der Aktenvermerke des POK T. Bei seiner Vernehmung am 30.07.2016 hat der Zeuge G insoweit ausgesagt, dass es für ihn so ausgesehen habe, dass der Kläger ins Fahrzeug gegriffen habe. Er habe gesehen, dass der Mann, der später verletzt worden sei, mit der Hand nach dem anderen Mann gegriffen habe (Aussage bei der Vernehmung am 20.09.2016). Der Zeuge K hat bei seiner Vernehmung am 30.08.2016 ausgesagt, dass der Mann neben dem Auto durch das Fenster in das Auto gelangt habe. POK T hat in seinen Aktenvermerken vom 04.08.2016 und 21.09.2016 festgehalten, dass der Kläger zur Fahrertüre des VW Golf gegangen sei und diese geöffnet habe (Aktenvermerk vom 04.08.2016). Der Kläger habe, nachdem I ins Fahrzeug gestiegen sei, den Streit weiterführen wollen und deshalb die Fahrertür erneut geöffnet (Aktenvermerk vom 21.09.2016).
Die insoweit abweichende Darstellung des Klägers ist jedoch für die hier streitentscheidenden Fragen ohne rechtliche Relevanz. Denn bereits das Verlassen des Fahrzeugs diente nach seiner objektivierten Handlungstendenz nicht der weiteren Zurücklegung des versicherten Betriebsweges, sondern es ging dem Kläger nach seinen eigenen zeitnahen und glaubhaften Angaben in der Unfallanzeige vom 04.08.2018 und bei seiner Zeugenvernehmung vom 04.08.2016 darum, I wegen dessen verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verkehrsverhaltens zurechtzuweisen.
Die vom Bevollmächtigten des Klägers erstmals in der Klagebegründung (Schriftsatz vom 24.07.2017) aufgestellte Behauptung, der Kläger habe das Kfz mit dem Ziel verlassen, die weitere Zurücklegung des versicherten Weges ohne eine weitere Gefährdung durch I zu erzielen, ist angesichts der hiervon abweichenden, zeitnahen und in sich widerspruchsfreien Aussagen des Klägers über den zum Zeitpunkt des Aussteigens aus dem Kfz an der Ampel verfolgten Zweck nicht glaubhaft; daher misst der Senat dieser Behauptung auch keinen Beweiswert zu.
Da es nicht betriebsdienlich ist, andere Verkehrsteilnehmer wegen ihres Verhaltens im Straßenverkehr zurechtzuweisen oder zu belehren (vgl. Urteil des Senats vom 18.12.2007 – L 17 U 54/07, Rn. 19; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.09.2009, a.a.O., Rn. 23; Urteil vom 26.09.2000 – L 15 U 152/99, Rn. 24, jeweils zitiert nach juris), ist der gesamte Vorgang ab dem Aussteigen des Klägers an der Ampel dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Das Geschehen nach dem Aussteigen des Klägers aus seinem Kfz war eine deutliche zeitliche und räumliche Zäsur und diente auch seiner Art nach nicht dem weiteren Zurücklegen des Betriebsweges, sondern eigenwirtschaftlichen Zwecken.
Daher vermag der Senat auch der Auffassung des SG und des Klägers, die Streitigkeit habe ihren unmittelbaren Ursprung in den mit der Zurücklegung des Weges zusammenhängenden Umständen gehabt, daher sei Versicherungsschutz gegeben, nicht zu folgen.
Zwar sind dem versicherungsrechtlich geschützten Zurücklegen des Weges auch solche Auseinandersetzungen zuzurechnen, die ihren unmittelbaren Ursprung in dem Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges haben (BSG, Urteil vom 30.10.1962 – 2 RU 211/62; Urteil vom 04.11.1981 – 2 RU 51/80). Die tätliche Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und I hat sich jedoch nicht aus Gründen ergeben, die unmittelbar aus der Zurücklegung des versicherten Betriebsweges herrühren.
Die in der Klagebegründung (Schriftsatz vom 27.01.2017) erstmalig behauptete Darstellung des Unfallgeschehens, nämlich, dass der Kläger bereits nach dem Aussteigen aus seinem Kfz von I mit dem Messer attackiert worden sei, ist – wie bereits ausgeführt – nicht glaubhaft und daher nicht als Unfallgeschehen zugrunde zu legen. Hiergegen sprechen schon die genannten – in sich widerspruchsfreien – Aussagen des Klägers selbst, die dieser zeitnah nach dem Unfallgeschehen in der Unfallanzeige vom 04.08.2016 und bei der Zeugeneinvernahme am 04.08.2016 gemacht hat. Der Kläger hat nämlich mehrfach glaubhaft bekundet, dass er aus seinem Fahrzeug ausgestiegen sei, um I wegen dessen verkehrswidrigen Verhaltens zur Rede zu stellen. Diese Darstellung des Unfallgeschehens wurde auch von sämtlichen im Ermittlungsverfahren einvernommen Zeugen sowie von POK T in seinen Aktenvermerken vom 04.08.2016 und 21.09.2016 bestätigt. Entgegen dem Vortrag des Klägers in der Berufungserwiderung (Schriftsatz vom 13.07.2018), wonach ein zweiaktiges Geschehen, bei dem er sich nach dem „Zur-Rede-Stellen“ des Täters wegen dessen Fahrverhaltens zurück zu seinem Fahrzeug begeben habe und dann aufgrund von Beleidigungen erneut auf das Fahrzeug des Täters zugegangen sei, nicht habe festgestellt werden können, legt der Senat dieses zweiaktige Geschehen aufgrund einer Gesamtwürdigung der Zeugenaussagen einschließlich der zeitnahen Aussagen des Klägers seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde.
Soweit das SG zur Begründung seiner Auffassung die Urteile des BSG vom 30.10.1962- 2 RU 211/62 und vom 04.11.1981 – 2 RU 51/80 zitiert, vermag der Senat dieser Argumentation schon mangels Vergleichbarkeit der der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalte nicht zu folgen.
Das Urteil des BSG vom 30.10.1962 (a.a.O.) betraf einen Fall, in dem ein grundsätzlich unter Unfallversicherungsschutz stehender Beschäftigter als Fahrgast in einem öffentlichen Bus eine Auseinandersetzung mit dem Busfahrer hatte und von diesem dann auch verletzt worden ist. Der Versicherte hat jedoch in dem dortigen Fall – anders als in dem hier vorliegenden – beim Aufenthalt im Bus seine versicherte Tätigkeit, den Heimweg von der betrieblichen Tätigkeit, nicht unterbrochen, sondern bis zur körperlichen Auseinandersetzung mit dem Busfahrer fortgesetzt.
Auch das Urteil des BSG vom 04.11.1981 betraf einen Fall, bei dem der Versicherte zum Zeitpunkt der maßgeblichen körperlichen Auseinandersetzung seinen unter Versicherungsschutz stehenden Heimweg von der betrieblichen Tätigkeit fortgesetzt hat. In dem dort strittigen Fall hatten der Kläger und ein anderer Verkehrsteilnehmer während der Heimfahrt des Klägers eine verbale Auseinandersetzung, die aber zunächst beendet worden ist. Erst nach Fortsetzung des Weges wurde dann der Kläger von dem Beteiligten mit dessen Fahrzeug verletzt.
In den vom SG zitierten Urteilen des BSG ist somit der versicherte Weg – anders als im vorliegenden Fall – nicht unterbrochen worden bzw. der Verunfallte hatte zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung den versicherten Weg nach einer Unterbrechung bereits wiederaufgenommen. Hingegen hatte der Kläger im vorliegenden Fall das Zurücklegen des Betriebsweges vor der schädigenden Handlung bereits aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen und zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht wiederaufgenommen, sodass eine Vergleichbarkeit mit den vom SG zitierten Urteilen ausscheidet.
Aber selbst wenn – der vom Senat nicht vertretenen – Auffassung zu folgen wäre, dass der Kläger hier nicht aus eigenwirtschaftlichen Zwecken aus seinem Kfz ausgestiegen sei, sondern aus Gründen, die dem weiteren Zurücklegen des Betriebsweges gedient hätten, wäre vorliegend aufgrund des Umstands, dass der Kläger wegen der von I ihm gegenüber ausgesprochenen Beleidigung nochmals zur Fahrertür des inzwischen eingestiegenen I gegangen ist und diesen deswegen erneut zur Rede stellen wollte, nicht davon auszugehen, dass die schädigende Handlung unmittelbar aus der Zurücklegung des versicherten Betriebswegs herrührt. Vielmehr wäre spätestens dann, nämlich ab dem Zeitpunkt, als der Kläger zur Fahrertür des Pkw des I zurückgegangen ist, um ihn wegen der vorangegangenen Beleidigung erneut zur Rede zu stellen, davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung (Messerattacke) einen eigenwirtschaftlichen Zweck verfolgt hat.
2. Die Unterbrechung des Betriebsweges war auch nicht nur geringfügig, sodass der Versicherungsschutz nicht aus diesem Grund fortbestanden hat.
Eine Unterbrechung ist nur dann als geringfügig zu bezeichnen, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des zurückgelegten Weges in seiner Gesamtheit anzusehen ist und sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Ziels führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung „im Vorbeigehen“ oder „ganz nebenher“ erledigt werden kann (z.B.: Besorgen von Zigaretten aus einem Automaten am Straßenrand, Hilfeleistung beim Öffnen einer Straßenbahntür, Hilfe beim Hineinheben eines Kinderwagens in den Autobus; BSG, Urteil vom 09.12.2003 – B 1 U 23/03 R, juris Rn. 15). Dabei ist als Beurteilungsmaßstab die allgemeine Verkehrsauffassung zu Grunde zu legen. Ganz kurze und geringfügige Unterbrechungen beseitigen den Zusammenhang des Weges mit der Betriebstätigkeit allerdings selbst dann nicht, wenn sie eigenwirtschaftlicher Natur sind (BSG, Urteil vom 09.12.2003 – B 2 U 23/03 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 3 m. w. N.).
Die Tatsache, dass der Kläger den öffentlichen Verkehrsraum zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung des I nicht verlassen hatte, lässt aber nicht den Schluss zu, dass eine für das Bestehen von Versicherungsschutz unschädliche Unterbrechung des Betriebswegs vorlag.
Unter Anwendung dieser Grundsätze lag nämlich nicht nur eine geringfügige Unterbrechung des grundsätzlich versicherten Betriebsweges vor, da es sich beim Aussteigen des Klägers aus seinem Kfz während des Wartens an einer roten Ampel und dem „Zur-Rede-Stellen“ nicht um ein Vorhaben handelte, das quasi „im Vorübergehen“ hätte erledigt werden können, wie etwa der Kauf von Brötchen bzw. einer Tageszeitung.
Für den Kläger war auch nicht von vornherein ersichtlich, wie lange die Auseinandersetzung mit I dauern würde, erst recht nicht war die Dauer der Auseinandersetzung ersichtlich, als er sich aufgrund der durch I ausgesprochenen Beleidigung erneut zur Fahrerseite von dessen Pkw begab.
Somit liegt entgegen der Auffassung des Klägers eine deutliche zeitliche und räumliche Zäsur vor, die eine Geringfügigkeit der Unterbrechung der Zurücklegung des Betriebsweges ausschließt. Aus den dargelegten Gründen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt nach vorheriger Unterbrechung des Betriebsweges bereits wieder die Handlungstendenz verfolgte, den Betriebsweg fortzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), sind nicht ersichtlich.


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