Sozialrecht

Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts

Aktenzeichen  L 11 AS 451/16

Datum:
17.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 54 Abs. 1, § 143, § 144, § 151
SGB II SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 34a Abs. 1 S. 1 u. 2 u. Abs. 2 S. 2, § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 u. Abs. 4 S. 1, § 77, § 330 Abs. 2
SGB III SGB III § 330 Abs. 2 , § 335 Abs. 1, 2 u. 5
SGB X SGB X § 45 Abs. 1 u. 2 S. 3 Nr. 2 u. 3, § 50 Abs. 1 S. 1
AsylbLG AsylbLG § 1 Abs. 1 nr. 5
AufenthG AufenthG § 25 Abs. 5, § 50 Abs. 1 Nr. 3, § 101 Abs. 2
EFA Art. 1

 

Leitsatz

Aufhebung der Leistungsbewilligung und Rückforderung von Leistungen bei falschen Angaben zur Identität und rückwirkender Aufhebung von Aufenthaltstiteln durch die Ausländerbehörde.

Verfahrensgang

S 15 AS 242/13 2016-06-09 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.06.2016 und Ziffer 9a des Bescheides vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2013 abgeändert. Der Kläger zu 1. hat lediglich 5.013,40 € Arbeitslosengeld II und 927,81 € Sozialversicherungsbeiträge, die Klägerin zu 2. hat lediglich 5.038,07 € Arbeitslosengeld II und 644,19 € Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat den Klägern 1/10 ihrer außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nur teilweise begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht vollständig abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2013 ist in Bezug auf die Rücknahme der Januar 2008 und Oktober 2010 bewilligten Leistungen und deren Erstattung rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2013 mit dem die Beklagte die Bewilligung von Alg II an die Kläger für die Zeit von Januar 2005 bis Dezember 2011 zurückgenommen sowie die Erstattung von Alg II und der Sozialversicherungsbeiträge sowie den Ersatz der an die Kinder der Kläger gewährten Leistungen gefordert hat. Dagegen haben die Kläger zulässigerweise eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) erhoben. Soweit der Bescheid so zu verstehen sein sollte, dass damit auch die Leistungsaufhebung gegenüber den Kindern der Kläger erfolgen soll – dafür spricht einerseits deren Nennung in den Verfügungssätzen Nrn 1 bis 7 und der Hinweis auf die vollständige Rücknahme der Bewilligungsbescheide; dagegen spricht der Hinweis in den Gründen des Bescheides, wonach eine Rücknahme gegenüber den Kindern wegen deren Vertrauensschutz ausscheide –, ist dieser Teil nicht streitgegenständlich, da die Kläger davon nicht betroffen sind und für die Kinder bzw von diesen auch nicht Klage erhoben worden ist. Wie bei der Leistungsgewährung (siehe dazu bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R) handelt es sich bei den Rücknahmeverfügungen jeweils um einzelne Verwaltungsakte gegenüber jedem individuellen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Gleiches gilt für die Verfügung in Ziffer 8. des Bescheides vom 31.10.2012, mit der die Bewilligung von einmaligen Leistungen für August 2010, August 2011 und September 2011 – wie sich aus der Aufstellung zur Überzahlung ergibt, handelte es sich um solche an die Kinder Me. und I. – zurück genommen wurde.
Zu Recht hat die Beklagte die innerhalb des Zeitraums von Januar 2005 bis November 2011 mit den im Aufhebungsbescheid benannten Bescheiden vom 22.12.2004, 28.01.2008, 28.01.2008, 28.01.2008, 28.01.2008, 27.02.2009, 13.01.2010, 30.08.2010, 01.09.2010, 31.08.2010, 02.09.2010, 03.09.2010, 06.09.2010, 07.09.2010, 08.09.2010, 27.10.2010, 01.10.2010, 18.02.2011, 21.02.2011, 13.04.2011, 13.04.2011, 13.04.2011, 28.06.2011, 30.08.2011, 22.11.2011 und 23.11.2011 bewilligten laufenden Leistungen gegenüber den Klägern zurückgenommen. Die Rücknahme des Bescheides vom 28.01.2008, die Zeit ab Januar 2008 betreffend (Nr. 2d der Rücknahmeverfügung vom 31.10.2012), geht zwar ins Leere, da der Bescheid vom 28.01.2008 mit dem Bescheid vom 23.09.2008 bereits aufgehoben worden ist, die Kläger werden dadurch aber nicht beschwert. Gleiches gilt für die Rücknahme eines angeblichen Bescheides vom 01.10.2010, die Zeit ab Oktober 2010 betreffend (Nr. 5d der Rücknahmeverfügung vom 31.10.2012). Dieser ist den Akten nicht zu entnehmen und wurde auch nicht von der Beklagten übersandt. Zudem ergingen nach dem 01.10.2010 weitere Änderungsbescheide, die die Zeit ab Oktober 2010 betrafen, so dass auch die Aufhebung des Bescheides vom „01.10.2010“ ins Leere geht. Anhaltspunkte für ein bloßes Schreibversehen (vgl dazu BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R – SozR 4-1300 § 33 Nr. 2) liegen nicht vor. Somit sind die Leistungsbewilligungen für Januar 2008 und Oktober 2010 nicht aufgehoben worden.
Nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II iVm § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grob fahrlässig in diesem Sinne handelt, wer in besonders schwerem Maße die erforderliche Sorgfaltspflicht verletzt, wer einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt, also nicht beachtet, was jedem hätte einleuchten müssen. Es ist dabei auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Es ist also nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen; es gilt der subjektive Fahrlässigkeitsbegriff (vgl BSG, Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45 – juris).
Die jeweiligen Leistungsbewilligungen stellten begünstigende Verwaltungsakte dar. Diese waren von Anfang an rechtswidrig, da die Kläger vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen waren.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) hatten Ausländer ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und erhielten Leistungen nach dem SGB II, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 SGB II (aF) vorlagen; dies galt nicht für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG. Auch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II idF Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.03.2006 (BGBl I 558) waren ab 01.04.2006 Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, ihre Familienangehörigen sowie Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG von einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II ausgenommen. Seit der Änderung des § 7 Abs. 1 SGB II ab 28.08.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 findet sich der Leistungsausschluss vom Alg II für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II. Die Kläger waren folglich während des streitgegenständlichen Zeitraums von Januar 2005 bis November 2011 durchgehend als Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG sind nach dem AsylbLG Ausländer leistungsberechtigt, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Diese Voraussetzungen haben die Kläger erfüllt. Sie sind türkische Staatsangehörige und damit Ausländer. Sie haben sich im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich in Deutschland aufgehalten. Schließlich waren sie vollziehbar ausreisepflichtig. Ausreisepflichtig ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ein Ausländer, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Ursprünglich verfügten die Kläger infolge ihrer falschen Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit ab 01.01.2005 während der Zeiten ihres Bezuges von Alg II über Aufenthaltserlaubnisse nach § 101 Abs. 2 AufenthG iVm § 25 Abs. 5 AufenthG. Diese sind aber durch die – nach Rücknahme der Klage vor dem VG im Verfahren W 7 K 12.262 – bestandskräftig erloschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), da sie mit Bescheid der Stadt A-Stadt vom 22.02.2012 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden sind. Damit waren die Kläger ab 01.01.2005 nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Dieser hat aber statusbegründende Wirkung für die Zuordnung zum Existenzsicherungssystem des AsylbLG und damit für den Leistungsausschluss nach dem SGB II. Sozialleistungsträgern ist damit eine eigenständige Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage verwehrt. Dem Besitz der jeweiligen Erlaubnis oder einer Entscheidung darüber ist Tatbestandswirkung für den betreffenden Sozialleistungsanspruch derart beizumessen, dass er für Behörden und auch Gerichte ohne Rücksicht auf ihre materielle Richtigkeit bindende Wirkung entfaltet (vgl eingehend: BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 8/13 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 41). Auch ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Kläger im Besitz eines Aufenthaltsrechts nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei waren. Da die Kläger auch keine Aufenthaltsgenehmigung bei Einreise in das Bundesgebiet hatten, erfolgte die Einreise unerlaubt (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG idF bis 31.12.2004). Da keine Ausreisefrist gewährt worden ist, ist die Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes (siehe dazu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.08.2014 – L 8 AY 4 B ER) vollziehbar. Unerheblich für die Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG ist, ob eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG vollziehbar ist oder nicht (vgl Adolph in Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, Stand 03/2017, § 1 AsylbLG Rn 62). Damit spielt es keine Rolle, dass die Stadt A-Stadt im Bescheid vom 22.02.2012 in den Gründen ausführt, ein Aufenthalt solle nicht beendet werden und es erfolge weder eine Aufforderung zur Ausreise und noch eine Abschiebungsandrohung.
Auch aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 15.05.1956 (BGBl II 563) können die Kläger keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ableiten (vgl dazu generell: BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 21), da Tatbestandsvoraussetzung für die dort vorgesehenen Fürsorgeansprüche ein erlaubter Aufenthalt im Bundesgebiet ist. Im Hinblick auf die rückwirkende Aufhebung aller Aufenthaltstitel durch die Ausländerbehörde (Bescheid vom 22.02.2012) haben sich die Kläger aber bis November 2011 nie erlaubt iSv Art. 11 (a) EFA in Deutschland aufgehalten.
Dass die Kläger – trotz des eben beschriebenen Leistungsausschlusses – Alg II von der Beklagten erhielten, beruhte auf den von ihnen zumindest grob fahrlässig gemachten falschen Angaben zur Identität und Staatsangehörigkeit. Im Rahmen ihrer Antragstellung bei der Beklagten gaben sie an, libanesische Staatsangehörige zu sein und einen anderen Nachnamen zu haben. Hätten die Kläger hier zutreffende Angaben gemacht, hätte die Beklagte ohne weiteres die Rechtswidrigkeit der Aufenthaltstitel bzw Arbeitserlaubnisse, die auf die falschen Identitäten ausgestellt gewesen waren, erkennen können. Zu einer Leistungsgewährung wäre es folglich nicht gekommen. Die Kläger haben – unter Zugrundelegung des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs – ohne weiteres erkennen können, dass ihre diesbezüglichen Angaben falsch gewesen sind.
Da die Rücknahmefrist der § 45 Abs. 3 und 4 SGB X eingehalten und Ermessen nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB II nicht auszuüben gewesen ist, war die Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit rechtmäßig.
Die Kläger haben damit ihnen in der Zeit von Januar 2005 bis November 2011 – mit Ausnahme der Leistungen für Januar 2008 und Oktober 2010 sowie eines Teil im Dezember 2008 – zu erstatten. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Beklagte hat die Bewilligungsbeschiede, mit denen sie den Klägern Alg II in der Zeit von Januar 2005 bis November 2001 zurückgenommen. Lediglich die Bescheide, mit denen zuletzt für die Monate Januar 2008 und Oktober 2010 Leistungen bewilligt worden sind, wurden nicht aufgehoben. So hat die Beklagte zwar die Bescheide vom 28.01.2008, mit denen ua auch Alg II für Januar 2008 bewilligt worden war, zurückgenommen. Mit dem Bescheid vom 23.09.2008 (Ziffer 1 des Verfügungssatzes) hatte sie jedoch bereits den Bescheid vom 28.01.2008 bezüglich einer Leistungsbewilligung ab 01.01.2008 aufgehoben. In Ziffer 2 des Bescheides vom 23.09.2008 wurden den Kläger und den Kindern A. und Me. dann niedrigere Leistungen für Januar 2008 iHv insgesamt 88 € bewilligt. Im Hinblick auf Ziffer 1 des Bescheides, mit dem zunächst die Leistungsbewilligung ua für Januar 2008 vollständig aufgehoben worden ist, konnte Ziffer 2 nicht anders als eine neue Leistungsbewilligung für diesen Monat verstanden werden (vgl zu Änderungsbescheiden: BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 196/11 R – SozR 4-1300 § 33 Nr. 2). Damit stellt der Bescheid vom 23.09.2008 eine Rechtsgrundlage für die Kläger zum Behaltendürfen der für Januar 2008 gewährten Leistungen dar. Dies sind beim Kläger zu 1. ausweislich der Aufstellung der Beklagten 40,33 € und bei der Klägerin zu 2. ein Betrag von 35,48 €. Dass dieser Betrag von den im Bescheid vom 22.09.2008 individuell den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft bewilligten Leistungen geringfügig abweicht, liegt an der von der Beklagten im Rahmen der Leistungsauszahlung vorgenommenen Rundung. Insofern wurden statt der Summe der Einzelbewilligungen von 87,73 € ein Betrag von 88 € ausgezahlt. Dass die Differenz von der Beklagten entsprechend den Anteilen der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft am Gesamtbedarf verteilt worden ist, ist dabei nicht zu beanstanden, da tatsächlich 88 € an die Bedarfsgemeinschaft geleistet worden ist. Die Leistungen für Oktober 2010, die zuletzt mit dem nicht zurückgenommenen Bescheid vom 17.02.2011 bewilligt worden sind, können ebenfalls nicht zurückgefordert werden. Auch dieser Bescheid wurde im Rücknahmebescheid der Beklagten vom 31.10.2012 nicht erwähnt. Dies betrifft bei den Klägern einen Betrag von jeweils 170,94 €. Nachdem § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB II, wonach abweichend von § 50 SGB X 56% der bei der Berechnung des Alg II berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten sind, nicht anwendbar ist, da die Rücknahme der Bewilligungsbescheide zu Recht nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfolgte, ist die Erstattungsforderung gegenüber dem Kläger zu 1. iHv 5.013,40 € (5.224,67 € – 40,33 € – 170,94 €) und der Klägerin zu 2. iHv 5.038,07 € (5.244,49 € – 35,48 € – 170,94 €) rechtmäßig. Die von der Beklagten in der Aufstellung zur Überzahlung angegebenen Beträge sind – unter Berücksichtigung der Rundungen bei der Auszahlung des Alg II – zutreffend und entsprechen den in den Bewilligungsbescheiden für die Kläger bewilligten bzw ausgezahlten Leistungen. Die Kläger haben den ursprünglichen Erhalt der angegebenen Leistungen auch nicht bestritten. Für die Monate Januar und Februar 2005 hat die Beklagte zumindest die Zahlungsnachweise vorlegen können.
Die Pflicht zur Erstattung der im oben genannten Zeitraum geleisteten Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung folgt aus § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II iVm § 335 Abs. 1, 2 und 5 SGB III. Auch hierbei ist zu beachten, dass diese nicht für Januar 2008 und Oktober 2010 verlangt werden können. Insofern verringert sich der Erstattungsbetrag bei der Klägerin zu 2. um 133,60 € (Kranken- und Pflegeversicherung Januar 2008) sowie jeweils 40,80 € bezüglich der Rentenversicherungsbeiträge für Januar 2008 und Oktober 2010. Die Beklagte kann daher von der Klägerin zu 2. nur für geleistete Sozialversicherungsbeiträge einen Betrag von 644,19 € (859,39 € – 133,60 € – 81,60 €) fordern. Beim Kläger zu 1. ist der Erstattungsbetrag für die Rentenversicherung im Dezember 2008 zu reduzieren. Die Beklagte fordert hier nach ihrer Aufstellung einen Betrag von 40,75 € zurück. Tatsächlich sind aber ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 27.02.2009 lediglich 12,24 € an die Rentenversicherung gezahlt worden. Es ergibt sich eine Differenz von 28,51 €. Es kann insofern vom Kläger zu 1. nur eine Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge iHv 927,81 € (956,32 € – 28,51 €) verlangt werden.
Die Beklagte konnte von den Klägern auch den Ersatz des an die Kinder geleisteten Alg II fordern.
Nach dem mit Wirkung vom 01.04.2011 in Kraft getretenen § 34a Abs. 1 Satz 1 SGB II idF der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl I 850) ist zum Ersatz rechtswidrig erbrachter Leistungen nach diesem Buch verpflichtet, wer diese durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten an Dritte herbeigeführt hat. Einen Ersatz der an Me. geleisteten Rentenversicherungsbeiträge nach § 34a Abs. 1 Satz 2 SGB II hat die Beklagte nicht gefordert.
Unerheblich für die Anwendung des § 34a SGB II ist, dass die Leistungen, für die Ersatz gefordert worden ist, (weitestgehend) bereits vor dessen Inkrafttreten geleistet worden sind. Die Norm ist zum 01.04.2011 ohne Übergangsregelung in Kraft getreten. Weder im Rahmen des § 34a SGB II selbst noch in § 77 SGB II wurden hierzu Regelungen getroffen. Die Kläger können sich insofern nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der vorherigen Rechtslage dahingehend berufen, dass § 34a SGB II vorliegend nicht anwendbar wäre (vgl zur Neuregelung des § 34 SGB II ab 01.04.2011: BSG, Urteil vom 08.02.2017 – B 14 AS 3/16 R – SozR 4-4200 § 34 Nr. 3). Zumal auch vor dem 01.04.2011 nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II aF Erwachsene zum Ersatz von Leistungen verpflichtet waren, wenn sie die Zahlung dieser an Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt hatten. Der Beispielsfall der Anwendung der alten Regelung, wenn die Eltern minderjähriger, unverheirateter Hilfeempfänger falsche Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht haben, sofern ihr Verhalten vorsätzlich oder grob fahrlässig war (so Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, 34 Rn 11), entspricht vorliegend dem nunmehr unter § 34a SGB II zu subsumierenden Sachverhalt, mit den vergleichbaren Tatbestandsvoraussetzungen.
Entsprechend obiger Ausführungen zu den Klägern bestanden auch für die Kinder keine Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II. Diese Leistungen im Zeitraum von Januar 2005 bis November 2011 sind den Kindern damit rechtswidrig erbracht worden. Auf eine Aufhebung der Bewilligungsbescheide kommt es dabei nicht an. Der Ersatzanspruch nach § 34a SGB II kommt sowohl nach Aufhebung der entsprechenden Bescheide in Betracht als auch bei bestehenden Bewilligungsbescheiden, da er in der rechtswidrigen Erbringung der Leistungen begründet ist (vgl auch Link, Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 34a Rn 24). Eines gesonderten Bescheides zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung bedarf es dabei nicht, da die Ersatzpflicht kraft Gesetzes und unabhängig von einer zuvor erfolgten Feststellung der Rechtswidrigkeit entsteht (vgl auch Link aaO Rn 25).
Die Kläger haben die Leistungsgewährung auch zumindest durch grob fahrlässiges Verhalten kausal herbeigeführt. Durch die falschen Angaben zu den Identitäten und der Nationalität haben die Kläger die Leistungserbringung erwirkt. Es war auch unter Berücksichtigung des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs für die Kläger ohne weitere erkennbar, dass die Angaben falsch waren und zu einer Leistungserbringung führen können.
Ein Ermessen sieht § 34a SGB II nicht vor, vielmehr handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Der Anspruch ist auch nicht verjährt, da die Beklagte ihn innerhalb von vier Jahren nach dem Bekanntwerden von der Rechtswidrigkeit der Leistungserbringung mit Leistungsbescheid geltend gemacht hat (§ 34a Abs. 2 Satz 2 SGB II).
Unter Berücksichtigung der aufgeteilten Rundungsbeträge bei den ausgezahlten Leistungen entsprechend des individuellen Anteils am Gesamtbedarf (siehe dazu bereits obige Ausführungen) hat der Beklagte die zu erstattenden Beträge zutreffend ermittelt. Sie ergeben sich aus den jeweils zur Auszahlung gebrachten Leistungen. Anders als bei dem Erstattungsverlangen gegenüber den Klägern ist es bei dem Ersatzanspruch nach § 34a SGB II unerheblich, dass die Leistungsbewilligung für die Monate Januar 2008 und Dezember 2010 nicht aufgehoben wurden und sich die Aufhebung der Bewilligung der einmaligen Leistungen für August 2010, August 2011 und September 2011 als zu unbestimmt – und damit als rechtswidrig – darstellen könnte. Die Kläger haben daher als Gesamtschuldner Beträge iHv 909,60 € für A., iHv 2.138,11 € für Me. iHv 847,39 € für Y., iHv 575,06 € für Mi. und iHv 645,06 € für I. zu ersetzen.
Demzufolge war die Berufung der Kläger dahingehend erfolgreich, als die Erstattungsforderungen über 5.013,40 € für das Alg II des Klägers zu 1., über 5.038,07 € für das Alg II der Klägerin zu 2., über 927,81 € für die Sozialversicherungsbeiträge des Klägers zu 1. und über 644,19 € für die Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin zu 2. hinausgehen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da die Kläger gegen den Bescheid vom 31.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2013 auch als Versicherte geklagt haben, ist das gesamte Verfahren nicht als gerichtskostenpflichtig iSv § 197a SGG anzusehen, wenngleich ein isoliertes Verfahren gegen einen Ersatzanspruch nach § 34a SGB II für an Dritte erbrachte Leistungen uU gerichtskostenpflichtig sein könnte (vgl dazu Link aaO § 34a Rn 66).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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