Verwaltungsrecht

Anspruch auf Ausstellung eines Genesenennachweises (verneint)

Aktenzeichen  B 7 E 22.160

Datum:
21.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6675
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
SchAusnahmV § 2 Nr. 5

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt die Antragstellerin das Ziel der vorläufigen Erteilung eines Nachweises über ihre Genesung, nachdem sie sich mit dem Coronavirus infiziert hatte.
Die Antragstellerin wurde am 18.11.2021 mit PCR-Test positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestet. In einem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten „Genesenenzertifikat“ wird die Gültigkeit dieses Zertifikats befristet bis zum 17.05.2022 angegeben.
Die Antragstellerin beantragt mit am 18.02.2022 bei Gericht eingegangenem Telefax:
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin einen Nachweis über ihre Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV) für den Zeitraum vom 18.11.2021 bis 17.05.2022 auszustellen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Genesenennachweis sei nach derzeit geltender Rechtslage als einziges Surrogat zum Impfnachweis Voraussetzung für die Teilnahme des Einzelnen am gesellschaftlichen und sozialen Leben in vielen Bereichen, so etwa für den Besuch von Restaurants und Arbeitsstätten. Der Besuch all dieser und weiterer Örtlichkeiten/Veranstaltungen sei der Antragstellerin nach Ablauf der Bescheinigung des Genesenenstatus wieder verwehrt.
Der Antrag sei zulässig, insbesondere handele es sich bei dem begehrten Genesenennachweis um einen Verwaltungsakt mit dem Regelungsausspruch, die Antragstellerin könne die an diesen Status geknüpften Vergünstigungen, etwa den Besuch von 2G-pflichtigen Veranstaltungen in Anspruch nehmen (wurde weiter begründet).
Der Antrag sei auch begründet, der Antragstellerin stehe sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO zu. Zur Begründung des Anordnungsanspruchs wurde auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 04.02.2022 – 3 B 4/22 – und des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11.02.2022 – AN 18 S 22.00234 verwiesen, deren Begründung sich die Antragstellerin zu eigen mache.
Der Antragsgegner habe die Dauer des Genesenenstatus fehlerhaft bestimmt. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Erteilung eines Genesenennachweises für den Zeitraum vom 18.11.2021 bis 17.05.2022, also für den sich aus § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 08.05.2021 ergebenden Zeitraum. Der Genesenennachweis sei nicht auf den sich aus § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 in Verbindung mit den entsprechenden Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) ergebenden Zeitraum von 90 Tagen ab positiver Testung auf eine Infektion mit dem Coronavirus zu beschränken. Denn die Verkürzung des Genesenenstatus auf drei Monate durch das RKI auf der Grundlage der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung sei verfassungswidrig (wurde umfangreich erläutert). Daher finde § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 08.05.2021 mit einer Dauer des Genesenenstatus von 180 Tagen Anwendung.
Der Antragstellerin stehe auch ein Anordnungsgrund zu. Eine Entscheidung in der noch zu erhebenden Hauptsache werde nicht vor dem Enddatum des beantragten Zeitraums für den Genesenenstatus ergehen. Der Antragstellerin drohten ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung unzumutbare und irreversible Nachteile, da sie ihr Rechtsschutzbegehren ohne die einstweilige Regelung im Hauptsacheverfahren nicht mehr effektiv im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG durchsetzen könnte (wurde weiter ausgeführt).
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag kostenpflichtig abzuweisen.
Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass der Genesenennachweis der Antragstellerin nicht vom Landratsamt … ausgestellt worden sei, sondern dass Genesenennachweise nach § 22 Abs. 6 IfSG in der Regel durch einen Arzt oder Apotheker ausgestellt würden und das Landratsamt keine Zuständigkeit zur Ausstellung solcher Zertifikate besitze. Auch sei das Zertifikat wohl nicht widerrufen worden, auch dafür wäre das Landratsamt nicht zuständig.
Die gesetzliche Änderung des Geltungsbereichs des Genesenenzertifikats auf jetzt 90 Tage sei durch eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen erfolgt, namentlich durch die Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung. Dies sei eine Bundesverordnung. Selbst wenn das Landratsamt … zum Erlass der Zertifikate zuständig wäre, wäre es an die Bundesverordnung gebunden. § 2 Abs. 5 SchAusnahmV sei zudem eine Verordnungsregelung ohne nachfolgenden Vollzugsakt der Behörde. Somit sei aus Sicht des Antragsgegners nur der Rechtsweg zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bundesverordnung zulässig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
I. Die Antragstellerin verfolgt mit ihrem unmissverständlich formulierten Antragsziel die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners, ihr einen Nachweis über ihre Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 SchAusnahmV auszustellen. Die Antragstellerin hat als Antragsgegner ebenso klar den Freistaat Bayern benannt, und nicht etwa die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträger derjenigen Behörde, die die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung erlassen hat. Soweit die Antragstellerin eine zuständige Vertretungsbehörde des Freistaats Bayern nicht angegeben hat, ist dies in der vorliegenden Konstellation unschädlich. Denn in Betracht kommt insoweit – mangels anderer Anknüpfungstatsachen – alleine das Landratsamt … als untere staatliche Verwaltungsbehörde, die für den Vollzug des Infektionsschutzrechts zuständig ist.
In der Sache selbst ist das Begehren der Antragstellerin mit dem im Antragsschriftsatz wiederholt verwendeten Terminus „Genesenennachweis“ und dem deutlich formulierten Antrag einer Auslegung gegen ihren klar erklärten Willen nicht zugänglich. Die Antragstellerin ist zwar nicht anwaltlich vertreten, hat aber in ihrem im Urteilsstil abgefassten Schriftsatz ohne Spielraum für eine anderweitige Auslegung klar zu erkennen gegeben, dass es ihr um die Ausstellung eines Dokuments („Nachweis“, „Genesenennachweis“) geht, das sich auf den Zeitraum vom 18.11.2021 bis 17.05.2022 bezieht.
Einer Auslegung („Interpretation“) des vorliegenden Antrags dahin, dass sich dieser gegen einen anderen Antragsgegner richte und/oder auf ein anderes Ziel gerichtet sei, steht überdies entgegen, dass sich die Rechtslage mit der inmitten stehenden COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung, die von der Bundesregierung erlassen wurde und auf deren Regelungen in der derzeit maßgeblichen 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV) zurückgegriffen wird, als diffizil darstellt, und dies vor allem in prozessualer Hinsicht. Die hierzu ergangene Rechtsprechung kann auch keineswegs als gefestigt bezeichnet werden, selbst wenn die Problematik des dynamischen Verweises der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung auf eine Internetseite des RKI weithin als problematisch angesehen wird (womit sich u.a. auch die Antragsschrift auseinandersetzt).
II. Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, B.v. 22.9.2017 – 4 B 268/17 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123, Rn. 26 m.w.N.).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris).
Gemessen hieran hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf Ausstellung des begehrten Genesenennachweises nicht glaubhaft gemacht. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sehen weder die bundes- noch die landesrechtlichen Regelungen vor, dass dem Betreffenden eine landesbehördliche „Genesenenbescheinigung“ ausgestellt wird. Die 15. BayIfSMV verweist vielmehr zur Privilegierung von Genesenen ausschließlich auf die Vorschrift des § 2 Nr. 4 und 5 der SchAusnahmV. Nach der derzeit gültigen Rechtslage ist der Antragsgegner zur Ausstellung des begehrten Dokuments nicht befugt. Die Feststellung/das Bestehen des Genesenenstatus bedarf keines behördlichen Vollzugs- oder Umsetzungsaktes. Dieser ergibt sich vielmehr allein und unmittelbar aus § 2 Nr. 4 und 5 SchAusnahmV. Auch der Normgeber der 15. BayIfSMV verfügt nicht über die Befugnis, den Status der Antragstellerin abweichend von den Festlegungen des § 2 Nr. 4 und 5 SchAusnahmV zu gestalten, weil es sich um eine auf Grundlage des § 28c IfSG erlassenen Rechtsverordnung des Bundes handelt, auf die die Regelungen der 15. BayIfSMV Bezug nehmen (BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226).
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Nachdem mit dem Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wird, erübrigt sich eine Ermäßigung des Streitwertes nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben