Verwaltungsrecht

Aufenthaltserlaubnis – Voraussetzungen einer positiven Integrationsprognose

Aktenzeichen  10 ZB 17.1682

Datum:
11.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138383
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1, § 25a Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine positive Integrationsprognose kann gestellt werden, wenn die begründete Erwartung besteht, dass sich der ausländische Jugendliche oder Heranwachsende in sozialer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen kann. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit Erreichen eines Schulabschlusses ist nicht bereits von einer positiven Integrationsprognose auszugehen. Vielmehr kommen kumulativ die in § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG genannten Voraussetzungen hinzu. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung der Erteilung eines Aufenthaltstitels hat überragende rechtspolitische Bedeutung. Der Lebensunterhalt muss grundsätzlich dauerhaft durch eigenes Erwerbseinkommen gesichert sein. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AU 6 K 17.235 2017-08-02 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 13. Januar 2017 und auf Verpflichtung des Beklagten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern, weiter.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die ausschließlich geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 –juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Bezüglich der im Zulassungsverfahren vom Kläger in Zweifel gezogenen negativen Integrationsprognose nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG eine positive Integrationsprognose erforderlich sei. Hierfür müsse die begründete Erwartung bestehen, dass der ausländische Heranwachsende sich in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen könne. Positiv für den Kläger seien sein Abschluss in der Berufsschule, das Vorhandensein von ihn unterstützenden „Pateneltern“ sowie die Kontaktaufnahme mit der Agentur für Arbeit. Gegen ihn spreche, dass er nach einem fast sechsjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nur geringe Sprachkenntnisse habe. Ohne Sprachkenntnisse sei eine soziale und wirtschaftliche Integration erheblich erschwert, insbesondere eine erfolgreiche Bewerbung auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Er habe sich zudem auch nicht ausreichend um einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung bemüht. Erst eineinhalb Jahre nach dem Abschluss der Berufsschule im Juli 2015 habe er ein Erstgespräch zu seiner beruflichen Zukunft geführt. Absichtserklärungen, sich künftig um einen Ausbildungsplatz bemühen zu wollen, genügten angesichts des bisherigen passiven Verhaltens nicht. Der Kläger habe auch seine schulische Ausbildung nicht mit anhaltendem Engagement angegangen. In der Berufsschule habe er erhebliche unentschuldigte Fehlzeiten aufgewiesen. Vom ersten verpflichtenden Integrationskurs habe er sich eigenmächtig im Februar 2017 abgemeldet. Dass er derzeit den zweiten Integrationskurs mit Engagement und unter etwaiger Verbesserung seiner Sprachkenntnisse besuche, führe nicht zu einer positiven Integrationsprognose. Obwohl er sich schon knapp sechs Jahre in Deutschland aufhalte, müsse er immer noch das Modul 1 des Kurses besuchen. Er sei in Deutschland auch nur sehr gering sozialisiert. „Pateneltern“ besitze er erst seit Januar 2017. Deren Unterstützung bestehe hauptsächlich in organisatorischen Angelegenheiten. Er habe erhebliche Schulden aufgehäuft. Die Absicht, den Wohnort zu wechseln, reiche ebenso wenig für eine positive Integrationsprognose aus wie gelegentliche Hilfeleistungen für eine ältere Dame. Zudem erfülle der Kläger die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG nicht. Der Beklagte habe ermessensfehlerfrei nicht gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von ihrer Anwendung abgesehen. Dabei habe er zu Recht auf die fehlende Mitwirkung und Initiative des Klägers im Hinblick auf die Passbeschaffung und die Identitätsklärung sowie die bisherigen fehlenden Bemühungen des Klägers, einen Ausbildungsplatz oder Arbeit zu finden, abgestellt.
Zur Begründung seines Zulassungsantrags bringt der Kläger vor, dass die Einschätzung des Gerichts zu seiner Integrationsprognose unrichtig sei. Er habe zwar „die Sache in den Jahren 2015 und 2016 etwas schleifen lassen“, dennoch habe er in dieser Zeit den Hauptschulabschluss erreicht. Bereits dies indiziere in der Regel bereits eine positive Prognose. Er habe erst im Februar 2013 einen berufsbezogenen Sprachkurs erhalten. Von März 2014 bis Juli 2015 habe er die Staatliche Berufsschule in M. besucht und erfolgreich mit dem Sprachniveau A 2 abgeschlossen. Der Schulbesuch sei sehr anstrengend gewesen, weil er um 5.00 Uhr habe aufstehen müssen, um zum Unterricht nach G. zu kommen. Von November 2016 bis Februar 2017 habe er einen allgemeinen Integrationskurs besucht. Von Mai 2017 bis November 2017 habe er den Integrationskurs ab Modul 4 besucht. Er habe inzwischen das Sprachniveau B1 erreicht. Das Engagement der Pflegefamilie werde vom Beklagten sabotiert. Die Pflegefamilie habe sich außerdem bereit erklärt, sämtliche Kosten für ihn zu übernehmen, so dass auch der Sicherung des Lebensunterhalts nichts entgegenstehe. Nachdem er erfahren habe, dass das Generalkonsulat auch unter Vorlage von Kopien der Tazkira Identitätsnachweise ausstelle, habe er sich sofort mit dem Konsulat in Verbindung gesetzt. Er habe am 18. Oktober 2017 einen Termin zur Vorsprache.
Mit diesen Ausführungen zieht der Kläger die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung jedoch nicht ernsthaft in Zweifel.
Ob das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass es nicht gewährleistet erscheine, dass sich der Kläger aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen könne (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG), kann offen bleiben. Jedenfalls erweist sich das Urteil des Erstgerichts im Ergebnis als zutreffend, weil die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG nicht vorliegen und der Beklagte ermessensfehlerfrei entschieden hat, dass von ihrem Vorliegen nicht abgesehen wird.
Eine positive Integrationsprognose gemäß § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG kann gestellt werden, wenn die begründete Erwartung besteht, dass der ausländische Jugendliche oder Heranwachsende sich in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen kann. Geboten ist eine die konkreten individuellen Lebensumstände des ausländischen Jugendlichen oder Heranwachsenden berücksichtigende Gesamtbetrachtung, etwa der Kenntnisse der deutschen Sprache, des Vorhandenseins eines festen Wohnsitzes und enger persönlicher Beziehungen zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie, des Schulbesuchs und des Bemühens um eine Berufsausbildung oder Erwerbstätigkeit, des sozialen und bürgerschaftlichen Engagements sowie der Akzeptanz der hiesigen Rechtsordnung (OVG LSA, B.v. 7.10.2016 – 2 M 73/16 – juris Rn. 5 m.w.N.). Diese Prognose ist aufgrund der bisherigen Integrationsleistungen zu erstellen (BT-Drs. 17/5093, S. 15). Entgegen der Ansicht des Klägers ist nicht bereits mit Erreichen eines Schulabschlusses von einer positiven Integrationsprognose auszugehen, da § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG einen erfolgreichen Schulbesuch bzw. den Erwerb eines anerkannten Schulabschlusses kumulativ zu der positiven Integrationsprognose in § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG voraussetzt. Gegen eine für den Kläger günstige Integrationsprognose spricht, dass er nach dem Erreichen des Schulabschlusses im Juli 2015 bis zum Ergehen des streitgegenständlichen Bescheides im Januar 2017 keine nennenswerten Anstrengungen für seine wirtschaftliche und soziale Integration unternommen hat. Er hat sich trotz des erfolgreichen Schulabschlusses weder um einen Ausbildungsplatz bemüht noch versucht, eine Beschäftigung aufzunehmen. Die Teilnahme am Integrationskurs ab November 2016 beruhte auf einer Verpflichtung des Beklagten, weil seine Sprachkenntnisse nicht als ausreichend erachtet wurden, um eine Berufsausbildung erfolgreich abschließen zu können. Bei Beginn des Integrationskurses wurden seine Sprachkenntnisse auf das Niveau A 1 eingestuft, obwohl im Jahreszeugnis der Berufsschule M., das einem Hauptschulabschluss gleichsteht, bereits das Erreichen des Niveaus A 2 bescheinigt worden war. Auch die erheblichen Fehlzeiten beim Schulbesuch, selbst wenn letztendlich ein Abschluss erreicht werden konnte, schließen in der Regel eine positive Integrationsprognose aus (Hailbronner, AuslR, Stand Mai 2017, AufenthG § 25a Rn. 11).
Für die Möglichkeit, dass der Kläger sich in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik einfügen kann, spricht, dass er nach Ergehen des streitgegenständlichen Bescheides seine deutschen Sprachkenntnisse erheblich verbessert hat. Auch bemüht er sich um einen Ausbildungsbzw. Praktikums Platz und wird hierbei von seinen „Pflegeeltern“ unterstützt. Zudem hat er an einer Qualifizierung als Integrationshelfer teilgenommen. Diese Entwicklung des Klägers zeigt, dass er sich bei entsprechender Anstrengung und Unterstützung in die Lebensverhältnisse einfügen kann. Auch wenn diese Integrationsleistungen erst nach Ergehen des streitgegenständlichen Bescheides erbracht wurden und unter Umständen der Furcht vor einer Aufenthaltsbeendigung geschuldet sind, dürfen sie bei der zu treffenden Prognoseentscheidung nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht außer Acht bleiben, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich der Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bzw. der Entscheidung über das Rechtsmittel (hier: Antrag auf Zulassung der Berufung) ist (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 20 f.).
Ob angesichts der positiven Entwicklung im letzten halben Jahr die Versäumnisse des Klägers in der Vergangenheit, dass er trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keine für eine Berufsausbildung ausreichenden Sprachkenntnisse erworben und er sich nicht um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat, aufgewogen werden und ihm als gut integrierten Heranwachsenden eine gesicherte Aufenthaltsperspektive eröffnet werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 17.12 – juris Rn. 24), braucht nicht abschließend entschieden zu werden. Denn das Verwaltungsgericht hat unabhängig vom Bestehen einer günstigen Integrationsprognose die Klage auch deshalb abgewiesen, weil der Kläger die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG nicht erfüllt und die vom Beklagten zu § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG angestellten Ermessenserwägungen einer Überprüfung nach § 114 VwGO standhalten.
Mit diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat sich der Kläger in der Begründung des Zulassungsantrags jedoch nicht bzw. nicht hinreichend auseinandergesetzt, so dass im Ergebnis die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht in Betracht kommt. Trotz seiner Erklärung, die „Pateneltern“ kämen für seinen Lebensunterhalt auf, liegt die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht vor. Das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung der Erteilung eines Aufenthaltstitels hat überragende rechtspolitische Bedeutung. Der Lebensunterhalt muss daher grundsätzlich dauerhaft durch eigenes Erwerbseinkommen gesichert sein (Hailbronner, AuslR, Stand Mai 2017, AufenthG § 5 Rn. 19). Freiwillige Leistungen Dritter sind nur ausnahmsweise ausreichend. Es sind deshalb strenge Anforderungen an den Nachweis der Leistungsfähigkeit des Dritten zu stellen. Es muss gewährleistet sein, dass die entsprechenden freiwilligen Leistungen tatsächlich auch über den erforderlichen Zeitraum erbracht werden. Dies kann dadurch geschehen, dass ein selbständiges Schuldversprechen nach § 780 BGB oder eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben wird (VwV-AufenthG Nr. 2.3.4.2). Daran fehlt es vorliegend. Soweit der Kläger vorbringt, dass er erneut beim Generalkonsulat wegen der Ausstellung eines Passes vorgesprochen habe, verbleibt es dennoch bei dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, weil die Vorsprache bei dem für die Passausstellung zuständigen Generalkonsulat nicht das Vorhandensein des entsprechenden Nationalpasses oder Passersatzpapieres ersetzt.
Mit dem Argument des Verwaltungsgerichts, der Beklagte habe zu Recht nicht vom Vorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG abgesehen (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), setzt sich der Kläger in der Begründung des Zulassungsantrags nicht auseinander. Insoweit fehlt es daher bereits an einer hinreichenden Darlegung des Zulassungsgrundes.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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