Verwaltungsrecht

Corona-Pandemie, Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung, Corona-Tests als Voraussetzung für Teilnahme an Präsenzunterricht

Aktenzeichen  25 NE 21.1580

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20945
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28b Abs. 3 und 9
BayIfSMV § 20 Abs. 2 13.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin besucht die zweite Grundschulklasse. Mit ihrem (mit Schriftsatz vom 16. Juni 2021 an die veränderte Rechtslage angepassten) Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO wendet sie sich (sinngemäß) gegen § 20 Abs. 2 der Dreizehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Juni 2021 (BayMBl. Nr. 384), der die Teilnahme am Präsenzunterricht von einer Testung der Schülerinnen und Schüler auf das SARS-CoV-2-Virus abhängig macht.
Zur Begründung macht sie geltend, die Testpflicht verstoße gegen ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit, ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht, ihre allgemeine Handlungsfreiheit sowie den Gleichheitsgrundsatz und den Schutz von Ehe und Familie. Insbesondere sei die Auswahl der Testformen willkürlich. Die Testung durch einen Arzt oder vor der gesamten Klasse sei vor allem jüngeren Grundschulkindern unzumutbar. Ein unbeaufsichtigter Test außerhalb der Schule stelle ein milderes, aber gleichermaßen geeignetes Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels dar. Gleichheitswidrig sei insofern, dass den Lehrerinnen und Lehrern diese Möglichkeit offenstehe. § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV gehe insofern über § 28b Abs. 3 und 9 IfSG hinaus, als dort alle Formen von verkehrsfähigen Tests als anerkannt beschrieben würden, sodass insofern auch ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag bestehe.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß): § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV wird vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag bleibt ohne Erfolg.
Soweit mit dem Antrag eine Teilnahme am Präsenzunterricht ohne vorherige Durchführung eines Tests erreicht werden soll, fehlt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Denn selbst wenn wie beantragt § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV gemäß § 47 Abs. 6 VwGO einstweilen außer Kraft gesetzt werden würde, wäre gemäß § 28b Abs. 3 Satz 1 2. Hs. IfSG eine Teilnahme am Unterricht ohne die Durchführung eines Tests zweimal wöchentlich nicht möglich. Damit könnte die Antragstellerin mit ihrem einstweiligen Rechtsschutzbegehren ihre Rechtsposition nicht verbessern (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 17.5. 2021 – 20 NE 21.1359 – juris Rn. 3 ff. zu § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV).
Selbst wenn man jedoch von der Zulässigkeit eines Antrags nach § 47 Abs. 6 VwGO ausgehen wollte, weil § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV inhaltlich über § 28b Abs. 3 Satz 1 2. Hs. IfSG hinausgeht, indem dort explizit Anforderungen an den Testnachweis geregelt werden, die insbesondere einen Nachweis im Wege einer Selbstauskunft über die Durchführung eines Tests zu Hause ausschließen (so VGH BW, B.v. 1.6.2021 – 1 S 1596/21 -, juris Rn. 31; a.A. BayVGH, B.v. 4.5.2021 – 20 NE 21.1119 – juris Rn. 39; SächsOVG, B.v. 7.5.2021 – 3 B 212/21 – juris Rn. 7), ist der Antrag jedenfalls unbegründet.
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kurzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend. geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lasst, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12). Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten wurden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hatte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen wurde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. An diesen Maßstäben gemessen ist der Eilantrag der Antragstellerin nicht begründet. Der im Hauptsacheverfahren gegen § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV gerichtete Normenkontrollantrag hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Hinsichtlich der Obliegenheit zur Durchführung der Tests, die sich unmittelbar aus der bundesgesetzlichen Regelung ergibt, steht einer Überprüfung deren Verfassungsmäßigkeit hier schon entgegen, dass wegen des baldigen Ablaufs der Geltungsdauer mit dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hauptsache vorweggenommen würde (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1992 – 1 BvR 1028/91 -, BVerfGE 86, 382 (389)). Im Übrigen setzt eine vorläufige Regelung zur Suspendierung einer formellen bundesgesetzlichen Regelung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren jedenfalls die Überzeugung des Gerichts voraus, dass das betreffende Gesetz verfassungswidrig ist (näher Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 162 m. w. N.). An der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG bestehen aus Sicht des Senats aber keine schwerwiegenden Zweifel. Insbesondere hält der Senat die Koppelung des Schulbesuchs an einen vorangegangenen Test nicht für unverhältnismäßig und sieht auch keinen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Insoweit wird auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sowie des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zu § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV Bezug genommen (BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 20 NE 21.926 – juris Rn. 14; BayVerfGH, B.v. 21.4.2021 – Vf. 26-VII-21 – juris; vgl. zu einer entsprechenden „indirekten Testpflicht“ auch VGH BW, B.v. 1.6.2021 – 1 S 1596/21 – juris Rn. 36 m.w.N.).
Soweit die angegriffene Bestimmung in § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV den Nachweis der Testung regelt, indem auf die in § 4 13. BayIfSMV geregelten Testnachweise sowie Tests in der Schule verwiesen und Selbsttests durch die Eltern oder Schüler außerhalb der Schule nicht als Nachweis zugelassen werden, verlässt die Verordnungsbestimmung den bundesgesetzlich vorgegebenen Rahmen nicht und ist auch sonst voraussichtlich nicht zu beanstanden. § 20 Abs. 2 Satz 1 13. BayIfSMV verweist insofern auf § 4 13. BayIfSMV und damit in Übereinstimmung mit § 28b Abs. 9 IfSG auf ein schriftliches oder elektronisches negatives Testergebnis eines PCR- oder POC-Antigentests (§ 4 Nr. 1 Buchst. a 13. BayIfSMV) oder eines vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassenen, unter Aufsicht vorgenommenen Antigentests zur Eigenanwendung durch Laien (Selbsttests; § 4 Nr. 1 Buchst. b 13. BayIfSMV). Zusätzlich eröffnet § 20 Abs. 2 Satz 1 13. BayIfSMV die Möglichkeit eines Selbsttests unter Aufsicht in der Schule. Die Vorschrift belässt den betreffenden Schülern bzw. den Eltern damit die Wahl, den Test entweder unter Aufsicht in einem Testzentrum, beim Arzt oder in der Apotheke oder aber direkt in der Schule durchzuführen. Dass der Besuch eines Arztes oder einer anderen Testeinrichtung unzumutbar sei, wird von der Antragstellerin zwar behauptet, aber nicht substantiiert dargelegt. Die häusliche Testung – bei jüngeren Kindern durch Anleitung der Eltern – dürfte schon deshalb kein gleich effektives, milderes Mittel darstellen, weil sie nicht wirksam zu kontrollieren ist (BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 20 NE 21.926 – juris Rn. 22). Die Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 5 13. BayIfSMV, wonach Lehrkräfte und Personal der Schulverwaltung Selbsttests auch außerhalb der Schule ohne Aufsicht durchführen können, wenn sie das negative Testergebnis versichern, begründet keinen Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG). Die besondere Pflichtenstellung dieser Personengruppen gegenüber ihrem Dienstherrn oder Arbeitgeber rechtfertigt insofern eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den Schülerinnen und Schülern.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Regelung zum Testnachweis inhaltlich über die bundesgesetzliche Regelung in § 28b Abs. 3 IfSG hinausgeht, ist ein Verstoß hiergegen nicht feststellbar, weil nach § 28b Abs. 5 IfSG weitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes, mithin auch durch eine Landesverordnung auf der Grundlage des §§ 32, 28 Abs. 1 IfSG, unberührt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Bestimmung mit Ablauf des 4. Juli 2021 außer Kraft tritt (§ 29 13. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben