Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Klage von Syrern gegen Rückführung nach Griechenland (Drittstaatenbescheid)

Aktenzeichen  AN 17 K 18.50620

Datum:
19.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21329
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 36
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Mangels Bindung des Bundesamts an die Anerkennungsentscheidung der griechischen Behörden bzw. mangels Auswirkung im vorliegenden Verfahren ist die Anfechtungsklage die ausreichende und damit allein statthafte Klageart und ein „Durchentscheiden“ des Gerichts findet nicht statt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2018 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
4. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Gründe

Das Gericht konnte aufgrund des allseitigen Einverständnisses der Parteien des Rechtsstreits eine Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung treffen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klagen sind als Anfechtungsklagen nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig und begründet. Hinsichtlich des in der Klageschrift weiter aufgenommenen Hilfsantrags auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist anzunehmen, dass sich dieser lediglich auf die Feststellung von Abschiebungsverboten in Bezug auf Gr. bezieht; insoweit ist er zulässig, denn das Bundesamt hat bereits eine inhaltliche Entscheidung zum Bestehen von Abschiebungsverboten bezogen auf diesen Staat getroffen. Für die Feststellung von Abschiebungshindernissen im Hinblick auf das Herkunftsland der Kläger bestünde im hier klagegegenständlichen Zuständigkeits- bzw. Zulässigkeitsverfahren noch keine Möglichkeit, entsprechende Klagen wären von vorneherein als unzulässig abzuweisen (vgl. hierzu im Folgenden). Ein entsprechendes Begehren auf „Durchentscheiden“ ist dem Klageschriftsatz bei Auslegung nach dem Willen der Klägerseite ausdrücklich nur als Hilfsanträge für den Fall des Scheiterns mit dem Hauptantrag auf Aufhebung des beklagten Bescheids zu entnehmen, so dass eine Klageabweisung im Übrigen nicht veranlasst ist.
1. Die Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids) und die Folgeentscheidungen in den Ziffer 3. und 4. des Bescheidtenors. Die erfolgreichen Anfechtungsklagen gegen die Unzulässigkeitsfeststellung führt in der Folge zur inhaltlichen Prüfung der Asylanträge durch die Beklagte, so dass es eines auf die Durchführung eines Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsantrags nicht zusätzlich bedurfte (vgl. BVerwG, U.v. 1.7.2017 – 1 C 9.17 – NVwZ 2017, 1625 Ls.1, Rn. 15; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 20 ff.).
Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts über das Asylbegehren im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung ist nicht möglich; eine hierauf gerichtete Verpflichtungsklage wäre unstatthaft. Das Asylverfahren gliedert sich in zwei Prüfungsabschnitte, nämlich das Zuständigkeits- bzw. Zulässigkeitsverfahren und gegebenenfalls in das eigentliche Asylverfahren. Diese Gliederung ist auch prozessual insoweit fortzuführen ist, als zunächst stets das Bundesamt eine Entscheidung über den entsprechenden Prüfungsabschnitt zu treffen hat und diese Entscheidung erst danach vom Verwaltungsgericht überprüft werden kann. Hebt das Verwaltungsgericht die Unzulässigkeitsentscheidung mit den hieraus folgenden Nebenentscheidungen auf, hat zunächst wieder das Bundesamt über den nächsten Prüfungsabschnitt, d.h. über das Asylbegehren (Asyl, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz) inhaltlich zu befinden und darf nicht übergangen werden. Dies dient gerade auch dem Schutz des Asylantragstellers, für den dieses Vorgehen eine „zweite Instanz“ gewährleistet. Dieses Vorgehen ist auch im Falle von Asylfolge- und Zweitantragsverfahren und Klageverfahren gegen Einstellungen durch das Bundesamt und im Falle von Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG anerkannt und folgt für die Drittstaaten-Fälle auch aus dem Rechtsgedanken des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn.19, OVG Saarlouis, U.v. 25.10.2016 – 2 A 95/16 – juris Rn. 23).
Bei dieser prozessualen Trennung bleibt es auch nach der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; zuvor schon angelegt in EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris), nach der es den Mitgliedsstaaten verwehrt ist, von der Möglichkeit des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrens-RL) Gebrauch zu machen, den Antrag auf internationalen Schutz also als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannten Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigten erwarten würden, der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 3 EMRK (s. Art. 52 Abs. 3 GRCh) zu erfahren.
Zwar verpflichtet der Europäische Gerichtshof das nationale Gericht dazu, „auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen [im Drittstaat] vorliegen“ (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 38; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 88), eine prozessuale oder verfahrensrechtliche Vorgabe hat der Europäische Gerichtshof damit aber nicht gemacht. Es ist vielmehr dem nationalen Rechtssystem überlassen, auf welchem prozessualen Weg bzw. auf welchem Verfahrensweg es zur Rechtsdurchsetzung für den Antragsteller kommt. Effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 47 GRCh und Art. 46 Verfahrens-RL ist für die Asylantragsteller auch gewährleistet im Falle einer reinen Anfechtung und wenn in einem ersten Schritt nur die Zuständigkeitsfrage gerichtlich überprüft wird.
Das erkennende Gericht geht auch nicht von einer inhaltlichen Bindung des Bundesamts an die Entscheidung der griechischen Behörden hinsichtlich des Schutzstatus und einem daraus folgenden zulässigen Verpflichtungsantrag – weil es einer inhaltlichen Prüfung durch das Bundesamt nicht mehr bedarf und damit ein „Durchentscheiden“ des Gerichts zulässig ist – aus. Es steht der Beklagten nach Ansicht des Gerichts frei, die Frage nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes bzw. des Asylstatus aufgrund der Vorkommnisse und Lage im Herkunftsland unabhängig von der getroffenen Bewertung durch die griechischen Behörden neu und selbst zu entscheiden.
Eine solche Bindungswirkung lässt sich aus dem Unionsrecht nicht ableiten. Nach Art. 78 Abs. 2 Buchst. a und b AEUV besteht zwar die Kompetenz der Europäischen Union zur Festlegung eines in der ganzen Union einheitlichen Asylstatus für Drittstaatsangehörige und eines einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige. Damit ist eine Vereinheitlichung des materiellen Asylrechts, also der rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl und subsidiärem Schutz (Weiß in Streinz EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 78 AEUV Rn. 11) angestrebt. Die auf dieser Ermächtigung basierende Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikations-RL) enthält aber keine Vorgabe zu einer Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat getroffenen Statusentscheidung auch in einem anderen Mitgliedstaat (BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – NVwZ 2014, 1460 Rn. 29; Thym in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 68. EL Oktober 2019, Art. 78 AEUV Rn. 26 Rn. 7).
Für eine Bindungswirkung kann auch nicht der in der Rechtsprechung (EuGH, U.v. 31.12.2011 – N.S., C-411/10, C-433/10 – NVwZ 2012, 417) entwickelte Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens herangezogen werden, denn dieser fordert nicht die Bindung an eine (positive) Asyl-Entscheidung in einem Drittstaat. Der eigentlich für die Dublin-Verfahren entwickelte Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens bezieht sich lediglich darauf, dass im Hinblick auf die Zuständigkeitsfrage grundsätzlich darauf zu vertrauen ist, dass ein anderer europäischer Staat seine Asylentscheidungen nach rechtstaatlichen Gesichtspunkten unter Einhaltung von gemeinschaftlichen Verfahrensgrundsätzen und eines im Wesentlichen einheitlichen inhaltlichen Maßstabes trifft. Vorliegend geht es aber nicht mehr um die Zuständigkeitsfrage (diese ist als Vorfrage für das „Durchentscheiden“ bereits geklärt). Auch wird Gr. hier nicht die Einhaltung des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens als Mindestanforderungen abgesprochen, sondern umgekehrt durch die Bundesrepublik Deutschland selbst untersucht, ob ebenfalls eine inhaltlich positive Entscheidung im Hinblick auf das Herkunftsland zu treffen ist (oder der Sachverhalt im Hinblick auf den jetzt maßgeblichen Zeitpunkt und nach den hier geltenden, nicht zwingend identischen Maßstäben, nicht zu einer positiven Entscheidung führt).
Auch das Bundesverwaltungsgericht geht in der vorliegenden Konstellation von der Möglichkeit inhaltlich divergierender Entscheidungen aus und nimmt damit keine Bindung Deutschlands an die asylrechtliche Prüfung des anderen Mitgliedsstaats an (BVerwG, Vorlagebeschluss EuGH v. 2.8.2017 – 1 C 37/16 – juris Rn. 25). Ebenso sieht es wohl der Hessische Verwaltungsgerichtshof (der als Vorinstanz in der gleichen Angelegenheit berufen war), der die Formulierung „im Falle einer positiven Entscheidung“ verwendet und demnach im Umkehrschluss auch von der Möglichkeit einer negativen Entscheidung ausgeht (HessVGH, U.v. 4.11.2016 – 3 A 1292/16.A – juris Rn. 40).
Eine Bindung an die griechische Entscheidung ergibt sich auch nicht aus Völkerrecht (so auch BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – NVwZ 2014, 1460, Leitsatz 2, Rn. 29), insbesondere nicht aus der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Die GFK legt einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, sieht aber keine völkerrechtliche Bindung eines Vertragsstaats an die Anerkennungsentscheidung eines anderen vor (BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – NVwZ 2014, 1460 Rn. 29).
Ginge man von einer inhaltlichen Bindung des zuständigen Staates an die Entscheidung des Drittstaates aus, wäre dies mit der Gefahr und Möglichkeit verbunden, dass rechtswidrige begünstigende Entscheidungen eines Drittstaates im Ergebnis (nämlich dann, wenn der Drittstaat mit der Aufnahme von Flüchtlingen rechtlich nicht belastet werden kann) ausschließlich zu Lasten des zuständigen Staates ergehen und würden damit Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet. Derart weitreichende Folgen sollten völkerrechtlich und europarechtlich nicht geschaffen werden.
Eine Bindungswirkung an die griechische Entscheidung in Hinblick auf Asyl- und Flüchtlingsstatus und den subsidiären Schutz ergibt sich für dieses Verfahren nach Ansicht des Gerichts auch nicht aus nationalem Recht. Im Urteil vom 17. Juni 2014 (10 C 7/13 – NVwZ 2014, 1460, Leitsatz 2, Rn. 29) hat das Bundesverwaltungsgericht zwar ausgeführt, dass eine Bindungswirkung an die ausländische Entscheidung aufgrund von § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG angeordnet ist, allerdings nur in Form eines (nationalen) Abschiebungsverbotes, wie § 60 Abs. 1 Satz 3 und § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG deutlich machen. Nach dem Urteil besteht gerade kein Anspruch auf eine erneute Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Feststellung subsidiären Schutzes (s. § 60 Abs. 2 AufenthG) nach Maßgabe der ausländischen Anerkennungsentscheidung und umgekehrt weder eine Verpflichtung noch eine Berechtigung des Bundesamts hierzu (BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – NVwZ 2014, 1460 Rn. 29 f.).
Das erkennende Gericht hat auch Zweifel, ob sich für die vorliegende Konstellation – wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat – aus § 60 Abs. 1 AufenthG tatsächlich ein nationales Abschiebungshindernis ergibt. Aus dem Wortlaut folgt dies jedenfalls nicht zwingend, weil bei einer Zuerkennung internationalen Schutzes in einem Drittstaat gerade kein Status nach der GFK vorliegt und damit § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vom Wortlaut nicht (zwingend) greift. Letztlich kann dies für die Frage der richtigen Klageart aber dahinstehen, weil sich ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG allenfalls auf die Abschiebungsandrohung auswirken kann, das Bundesamt aber nicht zur ausdrücklichen (deklaratorischen) Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AufenthG verpflichtet werden kann.
Mangels Bindung des Bundesamts an die Anerkennungsentscheidung der griechischen Behörden bzw. mangels Auswirkung der Bindung im vorliegenden Verfahren ist in der vorliegenden Konstellation die Anfechtungsklage die ausreichende und damit allein statthafte Klageart. Ein „Durchentscheiden“ durch das Gericht kann nicht stattfinden. Die Klagen sind somit zulässig.
2. Die Anfechtungsklagen gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in der Ziffer 1. des Bescheids vom 24. Juli 2018 ist auch begründet. Das Bundesamt hat die Anträge der Kläger zu Unrecht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt und sie damit in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies trifft für die Kläger zu; ihnen wurde am 4. Oktober 2017 durch Gr. internationaler Schutz zuerkannt. Das steht fest aufgrund des Ergebnisses der Abfrage aus der EURODAC-Datenbank und auch der Angaben der Klägerin zu 1. vor dem Bundesamt.
Gleichwohl sind die Unzulässigkeitsentscheidungen rechtswidrig. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL 2013/32/EU in nationales Recht um und ist daher richtlinien- und europarechtskonform auszulegen. Nach Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL dürfen die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof der Vorschrift im Wege der Auslegung noch ein weiteres, negatives Tatbestandsmerkmal entnommen. Nach der Entscheidung vom 13. November 2019 ist es den Mitgliedstaaten nämlich nicht möglich von der Befugnis des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris). Nach Art. 52 Abs. 3 GRCh ist dabei auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat also in richt-linienkonformer Auslegung zu berücksichtigen, ob dem im anderen Mitgliedsstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Dem steht auch nicht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht entgegen, welcher besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union, wie sie etwa in Art. 4 GRCh zum Ausdruck kommen, anerkennen, das sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GRCh anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL, in dem er zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3).
Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat grundrechtswidrig behandelt werden. Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 86 ff.).
Derartige Funktionsstörungen müssen eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C -297/17 u.a. – juris Rn. 89). Nicht ausreichend für das Erreichen dieser Schwelle ist der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Qualifikations-RL 2011/95/EU entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36). Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund derer sich die betreffende Person in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 91).
Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedsstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97). Ebenso wenig ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat in Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94, 96).
Bei dem so definierten Maßstab ist weiter zu berücksichtigen, ob es sich bei der betreffenden Person um eine gesunde und arbeitsfähige handelt oder eine Person mit besonderer Verletzbarkeit (Vulnerabilität), die leichter unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 26). Damit schließt sich der Europäische Gerichtshof der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127), die wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh auch im Rahmen des Art. 4 GRCh zu berücksichtigen ist.
Für die demnach zu treffende Prognoseentscheidung, ob den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss insoweit aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (OVG RhPf, a.a.O.; vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 187).
Diesen Maßstab zu Grunde gelegt, war die Ablehnung der Anträge der Kläger als unzulässig im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunktes der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig, weil den Klägern als vulnerable Personengruppe – als Familie mit nunmehr drei kleinen Kindern im Alter von unter einem und drei Jahren, da die in Deutschland nachgeborenen Kinder der Klägerin zu 1. in die Betrachtung der Zuschreibung von sog. Vulnerabilitätsmerkmalen mit einzubeziehen sind – nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Gr. eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung droht. Es ist davon auszugehen, dass sie in Gr. unabhängig von ihrem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten werden und ihre Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht werden befriedigen können.
Das Gericht geht auf Basis der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel von folgender Lage für in Gr. anerkannte international Schutzberechtigte, die nach ihrer Anerkennung Gr. verlassen haben und nun wieder zurückgeführt werden sollen, aus:
Asylbewerber, die bereits von Gr. als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Anerkannt Schutzberechtigte haben sich sodann beim zuständigen Bürgerservice-Center zu melden. Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt. Auch für Familien mit Kindern gilt das genannte Verfahren (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8 f.).
Die staatlichen Integrationsmaßnahmen im Allgemeinen erscheinen defizitär. Es existiert kein funktionierendes Konzept für die Integration von Flüchtlingen (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Gr., Stand 30.8.2018, S. 11).
Diesbezügliche Ansätze der Regierung wie die „Nationale Strategie zur Integration von Drittstaatsangehörigen“ sind nur teilweise umgesetzt (Pro Asyl, a.a.O.) oder haben wie im Falle der nationalen Integrationsstrategie aus Juli 2018 keine rechtlich bindende Wirkung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7). Zwar berichten einige Erkenntnismittel etwa von 53 Integrationsräten auf lokaler Ebene, welche das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu identifizieren und dem jeweiligen Gemeinderat Vorschläge für eine möglichst reibungsfreie Integration von Einwanderern zu unterbreiten (BAMF, Länderinformation: Gr., Stand Mai 2017, S. 5). Diese Beschreibung deutet jedoch auf ein eher politisches Gremium hin, welches sich um Änderungen bemüht, selbst aber keine Integrationsleistungen anbietet. Hinsichtlich staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild uneinheitlich (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad Adenauer Stiftung, Integrationspolitik in Gr., Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Gr. rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Zudem wird die hohe Abhängigkeit etwaiger Integrationsprogramme von einer Finanzierung durch die EU betont, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7).
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten (OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2), aber räumlich zum einen auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert sind und zum anderen den weitestgehenden Ausfall staatlicher Strukturen nicht kompensieren.
Hingegen ist der Zugang zum staatlichen Schulsystem für Minderjährige gewährleistet (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Gr. rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 11 f.).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte ebenso der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Gr. kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt, entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gr., aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 30; Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Gr. rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 9). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gr., aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 30).
Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigten werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren und über die Anerkennung hinaus dort verblieben sind (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gr., Stand 4.10.2019, S. 26; Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Gr. rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 9). Von einer Unterbringung kann nur ausgegangen werden, soweit eine explizite Zusage im Einzelfall zur Betreuung des Rückkehrers seitens der griechischen Behörden vorliegt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.).
Auch haben die zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Über das ESTIA-Programm stehen – Stand Januar 2020 – 4.610 Appartements und insgesamt ca. 25.650 Unterbringungsplätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Februar 2020). Dieses steht jedoch nur Asylsuchenden und begrenzt zwischenzeitlich auch für international Anerkannte zur Verfügung, die bereits dort gelebt haben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2; Pro Asyl, Returned recognized refugees face a dead-end in Greece – a case study, Stand 4.1.2019, S. 3). Durch das neue Asylgesetz vom 1. November 2019 wurden die Bedingungen für die anerkannt Schutzberechtigten überdies verschärft, sie sollen nunmehr unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Anerkennung die ESTIA-Unterkünfte verlassen, wobei es eine einmalige Übergangsfrist von zwei Monaten Anfang 2020 geben sollte (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Das Helios 2-Programm, ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Hinsichtlich des Zeitpunkts des Beginns des Helios 2-Programmes bestehen Unklarheiten (OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 105: 1.6.2019; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 3: frühestens ab September 2019). Das Programm kommt nach derzeitigem Erkenntnisstand aber nicht den anerkannten Flüchtlingen zugute, die nach Gr. zurückkehren, sondern gilt für ab dem 1. Januar 2018, vorzugsweise ab dem 1. Januar 2019 Anerkannte nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten im ESTIA-Programm (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings reichen die kommunalen Unterkünfte, etwa in Athen, kapazitätsmäßig nicht aus und sind chronisch überfüllt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gr., aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 30, Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit (Pro Asyl, Returned recognized refugees face a dead-end in Greece – a case study, Stand 4.1.2019, S. 4). Eine Erhebung des Refugee Support Aegean (RSA) vom 16. Juli 2018 ergab, dass von zwölf seitens der Stadt Athen genannten Obdachlosenunterkünften, soweit sie überhaupt Familien aufnehmen, alle bis auf eine entweder belegt oder gar geschlossen waren. In dieser einen, der „EKKA“-Unterkunft mit einer Kapazität von 65 Personen, werden Familien wiederum nur ausnahmsweise und nur mit griechischen oder englischen Sprachkenntnissen und maximal für drei Monate aufgenommen (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Gr., Stand 30.8.2018, S. 6 ff.).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt. Das soziale Wohngeld setzt allerdings einen legalen Voraufenthalt in Gr. von mindestens fünf Jahren voraus (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 1 f.).
Angesichts dessen bleiben viele international Schutzberechtigte obdachlos oder wohnen in verlassenen oder besetzten Gebäuden, häufig ohne Strom und fließend Wasser (OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 108 f.; Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Gr., Stand 30.8.2018, S. 5). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3).
Zugang zu Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Gr. zurückkehren, unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Gr. von zwei Jahren vorausgesetzt. (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gr., aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 28 f.: Mindestaufenthalt ein Jahr).
Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gr., aktualisierter Stand 19.3.2020, 28 f.).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gr., aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 31). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder gleich in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad Adenauer Stiftung, Integrationspolitik in Gr., Stand Juli 2018, S. 9). Dazu tritt regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannt Schutzberechtigter findet derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Gr., Stand 30.8.2018, S. 10), vereinzelt haben Nichtregierungsorganisationen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7).
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und dem Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte gegeben, unterliegt allerdings denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.).
Auf Basis dieser Lage in Gr. droht den Klägern bei Rückkehr nach Gr. nach Auffassung des Gerichts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh. Es ist davon auszugehen, dass sie in Gr. unabhängig von ihrem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten werden und ihre Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht werden befriedigen können.
Die Kläger sind als Familie, bestehend aus der Klägerin zu 1. und dem Kläger im Verfahren AN 17 K 18.50621 als Eltern von nunmehr drei minderjährigen Kindern, die sich allesamt noch in einem besonders betreuungsbedürftigen Alter befinden, sowie diesen Kindern selbst besonders vulnerabel. Die Einbeziehung des Klägers aus dem Verfahren AN 17 K 18.50621 in die Betrachtung der Familieneinheit ist ungeachtet der Frage, ob zwischen ihm und der Klägerin zu 1. dieses Verfahrens eine Ehegemeinschaft besteht, gerechtfertigt. Sie ergibt sich daraus, dass aus den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Kläger zumindest eine gelebte Kernfamilie besteht, was sich im Bundesgebiet insbesondere auch in der Zuweisung einer gemeinsamen Unterkunft durch die Ausländerbehörden, wie dies den Gerichtsakten zu entnehmen ist, wiederspiegelt. Die Angaben der Klägerin zu 1. im hiesigen Verfahren aber auch des Klägers im Verfahren AN 17 K 18.50621 zur gemeinsamen Ausreise, zum gemeinsamen Reise- und Lebensverbund in Gr. und im Zuge der Weiterreise nach Deutschland sowie des Fortbestehens dieser Gemeinschaft in Deutschland hat auch die Beklagte nicht widersprochen und eine solche bestehende Gemeinschaft ihrem Bescheid zugrunde gelegt. Insoweit können sich die Kläger darauf berufen, dass bei der Betrachtung ihrer individuellen Situation und der Bewertung in rechtlicher Hinsicht von einem gemeinsamen Ausreisewillen und damit einer Situation auszugehen ist, bei der die Kläger als Familieneinheit bestehend aus den Kindern und beiden Elternteilen in Gr. ihr Leben meistern müssten (BVerwG, U.v. 4.7.2019 -1 C 45.18 – ZAR 2020, 199). Dagegen hat das Gericht davon abgesehen, auch den Vater der Klägerin zu 1. in diese Rückkehrprognose und damit mittelbar in die Bewertung der Zuschreibung von sog. Vulnerabilitätsmerkmalen mit einzubeziehen. Außer des Umstandes, dass der Vater der Klägerin in Gr. seine Frau verloren hat und gehörlos ist, sind keine weiteren Umstände vorgetragen, die eine derart enge Verbundenheit über die Kernfamilie hinaus nahelegen, dass auch insoweit von einer gemeinsamen Rückkehr des Vaters der Klägerin zusammen mit der Klägerin und ihrer Familie auszugehen ist. Dagegen spricht schon der Umstand, dass es neben der Klägerin noch weitere Familienmitglieder in Deutschland gibt, die zumindest auch Sorge für den Vater der Klägerin tragen können.
Den Klägern und den weiteren Mitgliedern der Kernfamilie steht jedoch weder eine Unterkunft im Rahmen des ESTIA-Programms noch des Helios 2-Programms zur Verfügung. Auch ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine Anmietung einer ausreichenden Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt nicht möglich sein wird. Einerseits wegen der dort bestehenden Hürden wie einer Bevorzugung von Familienmitgliedern oder Studenten als Mietern, zum anderen wegen des zumindest in den ersten fünf Jahren bestehenden Ausschlusses wohnungsbezogener Sozialleistungen und des Ausschlusses vom Sozialgeld in den ersten zwei Jahren sowie des für anerkannt Schutzberechtigte kaum zugänglichen Arbeitsmarktes. Insoweit wird es den Klägern aller Voraussicht nach an entsprechenden finanziellen Mitteln fehlen, um die Miete bestreiten zu können. Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften ist angesichts der Familiengröße und der limitierten Kapazitäten und der teils bestehenden Aufnahmebeschränkungen wie etwa Sprachkenntnissen eine nur vage und unwahrscheinliche Möglichkeit, die die tatsächliche Gefahr der drohenden Obdachlosigkeit nicht zu beseitigen vermag. Daran ändert auch die Tatsache, dass es etwa auf den Straßen Athens keine augenscheinliche Massenobdachlosigkeit gibt, nichts. Dies ist vor allem auf informelle Möglichkeiten zur Unterkunft, wie leerstehende oder besetzte Gebäude, meist ohne Wasser und Strom, zurückzuführen, auf die die Kläger sich nicht verweisen lassen müssen. Eine solche Unterkunft ist einer Familie mit Minderjährigen im Kleinst- und Kleinkindalter nicht zumutbar. Davon abgesehen ist fraglich, ob die Kläger in den Genuss einer solchen Unterkunft kämen, da ihnen aufgrund des zwischenzeitlichen Aufenthalts in Deutschland die informellen Kontakte zu Landsleuten in Gr. fehlen dürften.
Angesichts des beschriebenen temporären Ausschlusses von Sozialleistungen in den ersten zwei bzw. für das Wohngeld fünf Jahren des (legalen) Aufenthalts in Gr. und der äußerst problematischen Arbeitsmarktsituation für Anerkannte sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei den Klägern um eine zu versorgende fünfköpfige Familie handelt, droht trotz rechtlicher Inländergleichbehandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung, da innerhalb einer Zeitspanne von zwei Jahren nach Rückkehr keine Änderung in Hinblick auf Obdach und Sozialleistungen absehbar ist. Das Gericht geht davon aus, dass die Kläger durch jedes soziale Netz fallen würden und sich auch nicht aus eigener Kraft und eigenem Engagement heraus ein menschenwürdiges Existenzminimum für ihre Familie erwirtschaften können. Allenfalls der Kläger im Verfahren AN 17 K 18.50621 könnte aktuell einer Erwerbsarbeit nachgehen. Angesichts der schlechten Situation des griechischen Arbeitsmarktes ist aber nicht zu erwarten, dass dieser derzeit in Gr. eine Arbeit finden wird, die den Unterhalt der Gesamtfamilie decken wird. Dass dabei weder der Kläger im Verfahren AN 17 K 18.50621 noch die Klägerin zu 1. im hiesigen Verfahren Angaben zu ihrer Schul- und Berufsausbildung und zu bisher ausgeübten Erwerbstätigkeiten im Herkunftsland gemacht haben, ist vor diesem Hintergrund der wirtschaftlichen und sozioökonomischen Gesamtsituation in Gr. unschädlich und bedurfte angesichts des Alters der Klägerin zu 1. und auch des Klägers im Verfahren AN 17 K 18.50621 keiner weiteren Sachaufklärung durch das Gericht. Bei der Klägerin im hiesigen Verfahren ist im Hinblick darauf, dass sie Gr. in einem Alter von 19 Jahren erreicht hat und sich dabei noch der Hilfe ihrer Eltern versicherte sowie des Umstandes, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kind zur Welt gebracht hatte und erneut schwanger war, fernliegend, dass sie in ihrem Herkunftsland eine Bildung und Berufserfahrung genossen hat, die es ihr zumindest ermöglichen kann, in Gr. höherdotierte Tätigkeiten, etwa als Sprachmittlerin oder im wissenschaftlichen Bereich zu erlangen. Ähnliches gilt nach Überzeugung des Gerichts auch für den Kläger im Verfahren AN 17 K 18.50621, der zum Zeitpunkt der Einreise nach Gr. 21 Jahre alt war und nach eigenem Bekunden in Gr. keinen durchgehenden Sprachkurs trotz dahingehender eigener Bemühungen zum Erlernen der griechischen Sprache besuchen konnte. Demnach geht das Gericht zwar davon aus, dass sowohl der Kläger im Verfahren AN 17 K 18.50621 als auch die Klägerin zu 1. im hiesigen Verfahren arbeitswillig und -fähig sind, es in Gr. aber allenfalls für den Kläger des Verfahrens AN 17 K 18.50621 zu einer Arbeitsaufnahme in einem niedrigqualifizierten und -entlohnten Bereich kommen kann, da jedenfalls die Klägerin zu 1. des vorliegenden Verfahrens aktuell und auch auf längere Sicht noch mit der Betreuung ihrer Kinder ausgelastet sein wird. Dass darüber hinaus die Klägerin zu 1. bzw. der Kläger im Verfahren AN 17 K 18.50621 über finanzielle Mittel verfügen, die es ihnen gleichwohl erlauben, ihre Mindestversorgung in Gr. für eine angemessene Übergangszeit abzusichern, ist weder ersichtlich noch durch das Bundesamt weiter aufgeklärt und Erkenntnisse hieraus dem eigenen Bescheid zugrunde gelegt worden. Dass auch die Eltern der Klägerin zu 1. und ihr Bruder zusammen mit den Klägern das Herkunftsland verlassen haben, spricht bei lebensnaher Betrachtung vielmehr dafür, dass die Lebensgrundlagen, etwa ein eigenes Haus o.ä., im Herkunftsland aufgegeben worden sind und hieraus resultierende Einnahmen für die Finanzierung der Reise und Weiterreise aufgewandt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass gleichwohl noch größere finanzielle Reserven der Familie verblieben sind, sind nicht ersichtlich.
Die in Gr. zu erwartenden Lebensumstände beruhen zwar nicht auf der Gleichgültigkeit (so die Formulierung des EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90) des griechischen Staates, aber auf dessen massiver Überforderung, die trotz Unterstützung durch den UNHCR und die EU weiterhin besteht. So kamen im Jahr 2019 74.600 Asylsuchende in Gr. an und damit 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Dezember 2019), in den Monaten Januar und Februar 2020 erreichen Gr. rund 7.000 Flüchtlinge im Gegensatz zu rund 5.000 in den Monaten Januar und Februar 2019 (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Februar 2020), was angesichts einer Bevölkerungszahl von etwa 11 Millionen und der Steigerungsrate eine enorme Belastung darstellt. Zum Vergleich wurden in Deutschland im Jahr 2019 etwa 150.000 Asylsuchende und damit 11 Prozent weniger als im Jahr 2018 registriert (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Das Bundesamt in Zahlen 2019, S. 7). In absoluten Zahlen sind dies zwar gut doppelt so viele wie in Gr., allerdings bei einer mehr als sieben Mal so großen Gesamtbevölkerung. Im europäischen Vergleich muss Gr. gemessen an seiner Größe überproportionale Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen schultern und ist mit diesem Ausmaß, insbesondere was die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung anbelangt, überfordert. Für die Betroffenen wirkt sich die Überforderung des griechischen Staates im Ergebnis genauso wie Gleichgültigkeit, worauf der Europäische Gerichtshof abgestellt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90), aus. Rechtlich maßgeblich ist letztlich allein, ob wegen der Defizite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht, was sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ergibt, wo dieser an anderer Stelle den „allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 der Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet“, betont (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 37).
Der Annahme einer drohenden erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger als anerkannte Schutzberechtigte freiwillig aus Gr. ausgereist sind, damit – möglicherweise sogar bewusst – auf die ihnen zustehenden Sozialleistungen verzichtet und ihre eigene Notsituation im Falle einer Rückkehr erst herbeigeführt haben. Zwar stellt der Europäische Gerichtshof grundsätzlich auf eine Notsituation der schutzberechtigten Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen“ ab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Eine so zu berücksichtigende Eigenverantwortung liegt aber hinsichtlich der Kinder, des Klägers zu 2. und der nachgeborenen, nicht verfahrensbeteiligten Kinder, nicht vor. Die Entscheidung ihrer Eltern kann nicht zu ihren Lasten wirken. Auch eine getrennte Betrachtung der Verursachungsanteile dahingehend, dass dieser Umstand zur Verneinung einer drohenden unmenschlichen Behandlung hinsichtlich der Klägerin zu 1., aber zu deren Bejahung hinsichtlich des Klägers zu 2. führt, hat nach Ansicht des Gerichts nicht zu erfolgen. Insoweit ist mit Blick auf Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK eine einheitliche Beurteilung für den Kernfamilien-Verbund vorzunehmen.
Schließlich vermag auch das allgemeine Schreiben des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 bezüglich zurückkehrender anerkannter Flüchtlinge nach Gr. (Bl. 62 f. d. BAMF-Akte zum Az. …*) eine drohende unmenschliche Behandlung nicht auszuschließen. In diesem wird zugesichert, dass Gr. die Qualifikations-RL 2011/95/EU rechtzeitig in griechisches Recht umgesetzt hat und basierend hierauf allen international Schutzberechtigten die Rechte aus der Richtlinie gewährt werden unter Beachtung der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Zusicherung, die die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung ausschließen soll, muss nach der Rechtsprechung des EGMR hinreichend konkret und individualisiert, etwa durch detaillierte und zuverlässige Informationen über die materiellen Bedingungen in der Unterkunft mit Bezug zu den Klägern, ausgestaltet sein (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127 Rn. 120 ff.). Das Bundesverfassungsgericht betont hinsichtlich der Beurteilung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK die Notwendigkeit einer „hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage“ (BVerfG [2. Senat, 1. Kammer], B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 15 f., wo auch auf die Tarakhel-Entscheidung des EGMR Bezug genommen wird). Gemessen an diesem Maßstab bleibt die Mitteilung Gr.s vom 8. Januar 2018 zu abstrakt und damit nicht ausreichend.
Nach alldem ist die Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Ziffer 1. des Bescheids vom 24. Juli 2018 rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist damit aufzuheben.
3. Nachdem Ziffer 1. des Bescheids vom 24. Juli 2018 aufzuheben ist, können in deren Folge auch die Ziffern 2. bis 4. nicht aufrechterhalten werden.
Die unter Ziffer 2. getroffene Feststellung der Beklagten, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist im Falle der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidungen auf die Anfechtungsklagen hin ebenfalls aufzuheben. Abschiebungsverbote sind bisher nur in Bezug auf Gr. geprüft und insoweit zu Unrecht abgelehnt worden. Die Lage in Gr. führt für die Kläger nach dem oben Dargelegten bereits zur Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidungen, was (widersprechende) Ablehnungen von Abschiebungsverboten ausschließt. Hinsichtlich des Herkunftslandes der Kläger erfolgte bislang keine Prüfung von Abschiebungsverboten und war dies aufgrund der Zweistufigkeit des Asylverfahrens auch nicht veranlasst. Insoweit hat das Bundesamt in der Folge erst noch zu entscheiden. In Bezug auf das Herkunftsland kann die Feststellung von Abschiebungsverboten damit nicht aufrechterhalten werden, sondern ist verfrüht (vgl. für andere Konstellationen BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21, BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 10 B 18.50031 – juris Rn. 21).
Ebenso ist die in Ziffer 3. getroffene Abschiebungsandrohung gemäß §§ 35, 36 AsylG aufzuheben. Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher ist. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt nach Aufhebung der Ziffer 1. nicht vor. Ein anderer auf gleicher Stufe stehender Unzulässigkeitsgrund ist ebenfalls nicht gegeben, so dass die Abschiebungsandrohung rechtswidrig und verfrüht erging und keinen Bestand haben kann, ungeachtet der Frage, ob die konkrete Formulierung der Abschiebungsandrohung ebenfalls rechtswidrig erfolgte und zu einer Rechtsverletzung der Kläger führen kann.
Von der Aufhebung umfasst ist auch die Feststellung in Ziffer 3. letzter Satz des streitgegenständlichen Bescheids, dass die Kläger nicht nach Sy. abgeschoben werden dürfen. Diese Feststellung steht ersichtlich in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit der Abschiebungsandrohung nach Gr. und kann ohne diese nicht mit dem beabsichtigten Regelungsgehalt isoliert stehen bleiben. Die Benennung des behaupteten Verfolgerstaats als denjenigen, in den nicht abgeschoben werden darf, erfolgte allein deshalb, weil bei einem unzulässigen Asylantrag im Hinblick auf den Herkunftsstaat nichts inhaltlich geprüft wird und es deshalb auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass dort eine Verfolgungsgefahr besteht (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 24. Edition Stand 1.11.2019, § 35 AsylG Rn. 11) und die Formulierung der Abschiebungsandrohung mit dem Satz 3 der Ziffer 3 („Die Antragsteller können auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist“) eine Abschiebung in den Herkunftsstaat von der Formulierung her nicht ausschließt, so dass zur Verhinderung vorsorglich der Satz 4 aufgenommen wurde.
Das Aufrechterhalten des Satzes 4 würde der Feststellung eine qualitativ völlig andere Bedeutung verleihen, nämlich die Aussage, dass für Sy. Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG inhaltlich geprüft und positiv erkannt wurden. Diese Feststellung wurde von der Beklagten so nicht getroffen und war nicht gewollt. Die Nichtabschiebung nach Sy. war nur für das Zuständigkeitsverfahren nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und nicht darüber hinausgehend ausgesprochen. Die isolierte Aufrechterhaltung des Satzes 4 ist damit ausgeschlossen. Auch die insoweit – isoliert betrachtet (was sich nach Ansicht des Gerichts aber verbietet) – begünstigende Regelung ist mit aufzuheben. Erst im Rahmen der inhaltlichen Prüfung der Gesamtasylbegehren kann und muss das Bundesamt über Abschiebungsverbote nach Sy. befinden und sich in diesem Zusammenhang wohl auch mit der Frage der Bindungswirkung der griechischen Anerkennungsentscheidung nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 AufenthG auseinandersetzen.
Die in Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids festgelegte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ist mit dem Wegfall der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden und ebenfalls aufzuheben. Auch insoweit besteht ein untrennbarer Zusammenhang mit dem Zuständigkeitsverfahren nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und kann die Befristung nicht unabhängig davon aufrechterhalten werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 ZPO, 711 ZPO.
5. Die Sprungrevision wird gemäß § 78 Abs. 6 AsylG, § 134 VwGO zugelassen. Die Rechtssache hat gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insofern grundsätzliche Bedeutung, als in Fällen der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen einer drohenden ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh im Zielland nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137) nicht höchstrichterlich durch das Bundesverwaltungsgericht geklärt ist, ob – wie hier angenommen – ausschließlich die Anfechtungsklage statthaft ist oder im Hinblick auf eine eventuell doch bestehende Bindung an die ausländische Asyl-Entscheidung oder aus anderen Erwägungen die Verpflichtungsklage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes in Deutschland als statthaft zu erachten ist. Diese Frage hat fallübergreifende Bedeutung für sämtliche Konstellationen, in denen in einem anderen Mitgliedstaat Anerkannte einen weiteren Asylantrag in Deutschland stellen, dieser nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt wird und im anerkennenden Staat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung droht.
Zudem weicht das vorliegende Urteil nach der Beurteilung des Gerichts im Sinne der § 134 Abs. 2 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe Urteil des BVerwG vom 15.1.2019 – 1 C 15/18 – NVwZ 2019, 794) teilweise ab und beruht auch auf dieser Abweichung. Mit diesem Urteil wird der Bescheid des Bundesamts entsprechend der Klageanträge vollständig, auch die Abschiebungsandrohung inklusive der Feststellung in Ziffer 3. letzter Satz des Tenors des angefochtenen Bescheids, in der das Bundesamt festgestellt hat, dass die Kläger nicht nach Sy. abgeschoben werden dürfen, aufgehoben und die Feststellung zur Nichtabschiebbarkeit nach Sy. nicht aufrechterhalten. Nach Ansicht des Gerichts verliert bzw. ändert diese Feststellung, wie unter 3. ausgeführt, mit dem Wegfall der Abschiebungsandrohung ihren Regelungsgehalt und kann deshalb von den Sätzen 1 bis 3 der angefochtenen Abschiebungsandrohung nicht getrennt werden, sondern ist mit aufzuheben. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung ausgeführt, dass es bei sachdienlicher Auslegung des Klagebegehrens diese Feststellung (damit wohl regelmäßig) nicht umfasst sieht (BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15/18 – NVwZ 2019, 794 Rn. 7) und hat diese damit aufrechterhalten. Hiervon weicht diese Entscheidung ab. Auch dieser Rechtsfrage kommt darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.


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