Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Abänderungsantrag einer bereits anerkannten afghanischen Asylbewerberin gegen Androhung der Abschiebung nach Griechenland im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes

Aktenzeichen  13a AS 19.32891

Datum:
27.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27542
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 1
AsylG § 29 Abs. 1, § 36 Abs. 4, § 37 Abs. 1, § 78 Abs. 3
GRCH Art. 4, Art. 52 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Nach § 80 Ans. 7 S. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die Entscheidung über den Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit von Amts wegen nach pflichtgemäßer Ermessensausübung ohne weitere Voraussetzungen – insbesondere ohne veränderte Umstände i.S.v. § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO – ändern, wenn da Gericht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage gekommen ist oder die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig einstuft (vgl. VGH München BeckRS 2018, 8607). (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Auch im Rahmen von § 80 Abs. 7 VwGO kann in den Fällen des § 29 Abs.1 Nr. 2 AsylG einstweiliger Rechtsschutz nur gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel i.S.v. § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG liegen jedoch bereits dann vor, wenn im Hauptsacheverfahren die Zulassung der Berufung gem. § 78 Abs. 3 Br. 1 AsylG in Betracht kommt (vgl. VGH München BeckRS 2009, 43332). (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GrCH oder Art. 3 EMRK, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, was dann der Fall wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH BeckRS 2019, 3603, Ibrahim u.a.). (Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Nach aktuellem Erkenntnisstand spricht Vieles dafür, dass in einem Hauptsacheverfahren die Frage grundsätzlich zu klären wäre, ob die Rückführung anerkannter Schutzberechtigter nach Griechenland derzeit im Widerspruch zu Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK stünde. Zu dieser Frage liegt keine obergerichtliche Rechtsprechung vor, die die Anforderungen des EuGH in seiner neueren Rechtsprechung (EuGH BeckRS 2019, 3603, Ibrahim u.a.) berücksichtigt. (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. Mai 2019 (Az. Au 8 S 19.30637) wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. Mai 2019 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1. Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben am 1. Januar 1984 geboren und afghanische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben hat sie vier leibliche Kinder aus zwei geschiedenen Ehen (Scheidung: 2005 bzw. 2012); das Sorgerecht für die Kinder sei bei der Scheidung jeweils dem Vater zugesprochen worden. Daneben habe sie noch zwei adoptierte Kinder, die im Iran bzw. Afghanistan lebten. Sie habe in Afghanistan insgesamt 14 Jahre die Schule besucht und eine Ausbildung zur Hebamme abgeschlossen. Sie habe auch für eine norwegische Hilfsorganisation und im Krankenhaus gearbeitet. Während der zweiten Ehe habe sie auch als Händlerin gearbeitet und afghanische Kosmetikprodukte in den Iran veräußert.
Am 1. April 2019 stellte sie einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland. Mit Schreiben vom 19. April 2019 teilten die griechischen Behörden auf Nachfrage mit, dass die Antragstellerin dort bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen habe; der dort erteilte Aufenthaltstitel sei bis zum 31. Dezember 2020 gültig. Nach eigenen Angaben war die Antragstellerin im Dezember 2016 nach Griechenland gelangt und hatte dort nach erfolgter Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für fünf Monate als Übersetzerin gearbeitet. Diese Stelle habe sie sodann wegen eines Bandscheibenvorfalls verloren, in der Folge habe sie trotz Bemühungen keine neue Arbeit finden können.
Daraufhin wurde der Asylantrag der Antragstellerin mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 6. Mai 2019 nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG lägen nicht vor (Nr. 2). Die Abschiebung nach Griechenland wurde angedroht, sollte keine Ausreise innerhalb einer Woche erfolgen; eine Abschiebung nach Afghanistan sei ausgeschlossen (Nr. 3).
Eine hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2019 (Az. Au 8 K 19.30636) abgewiesen. Zuvor war bereits ein Eilantrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2019 (Az. Au 8 S 19.30637) abgelehnt worden. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hatte die Antragstellerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 14. Juni 2019 u.a. ärztliche Atteste vom 18. März 2019 (Diagnosen: „Orthostatischer Kollaps bei Exsikkose und Erschöpfung“, „Anamnestisch bek. Allerg. Asthma“) sowie vom 12. Juni 2019 (Diagnosen: „Lumbago bei leicht degenerativen Veränderungen“) vorgelegt.
2. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 7. August 2019 die Zulassung der Berufung beantragt (Az. 13a ZB 19.32868); über diesen Antrag ist noch nicht entschieden. Zugleich hat sie beantragt (sinngemäß),
gemäß § 80 Abs. 7 VwGO unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. Mai 2019 (Az. Au 8 S 19.30637) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 6. Mai 2019 anzuordnen.
Es bestehe Eilbedürftigkeit, da sie krank, jedoch vollziehbar ausreisepflichtig sei. Es sei auch mit einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung zu rechnen. In der Sache bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids und des angegriffenen Urteils. Hinsichtlich des Urteils sei im Hauptsacheverfahren die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). So sei klärungsbedürftig, ob „in Griechenland anerkannten international Schutzberechtigten bei einer Rückkehr in dieses Land eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht.“ Das Verwaltungsgericht habe sich in seinem angegriffenen Urteil, das auf den vorherigen Eilbeschluss verweise, zur Begründung im Kern auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 2016 (Az. 13 A 63/16.A) bezogen, sich jedoch mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs nur knapp befasst. Richtigerweise seien die Verhältnisse in Griechenland derart prekär, dass ihr ein dauerhafter Verbleib in diesem Land im Lichte von Art. 3 EMRK nicht zugemutet werden könne (vgl. allg. zu den Anforderungen: EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel ./. Schweiz – juris). Das Bundesverfassungsgericht habe in der Vergangenheit ernsthafte Zweifel dargelegt, ob die Lebensbedingungen von anerkannten Flüchtlingen in Griechenland mit Art. 3 EMRK in Einklang stünden (BVerfG, B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – NVwZ 2017, 1196 – juris); die vom Bundesverfassungsgericht aus diesen Gründen für erforderlich erachtete Erklärung Griechenlands, ihr zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sowie notwendigen Integrationsmaßnahmen zu gewähren, fehle vorliegend jedoch. Der Umstand, dass anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland formalrechtlich den gleichen Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie zu Sozialleistungen hätten wie griechische Bürger, sei in der Realität angesichts der schlechten wirtschaftlichen und staatlich-administrativen Situation des Landes und der Untätigkeit der griechischen Behörden nutzlos. Anerkannte Rückkehrer seien daher vielfach von Arbeits- und Wohnungslosigkeit betroffen (Pro Asyl, Stellungnahme zu den Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland S. 3; AIDA, S. 142; BFA, Länderinformationsblatt Griechenland v. 5.8.2016, S. 16; Greek Council for Refugees, S. 7). Im Januar 2017 habe die Arbeitslosenquote unter Nicht-EU-Ausländern in Griechenland 67,1 v.H. betragen (Pro Asyl, S. 4). Die Arbeitsaufnahme werde für anerkannte Schutzberechtigte auch dadurch erschwert, dass die griechischen Behörden ihnen die erforderliche Steuernummer sowie Sozialversicherungsnummer vorenthalten würden. Es bestünden auch keine kostenlosen staatlichen Kurse, um die griechische Sprache zu erlernen; auch kostenlose Kurse von Nichtregierungsorganisationen existierten kaum. Es fehle in Griechenland allgemein an einem staatlichen Integrationsplan für Migranten (UNHCR, Dezember 2014, S. 32; Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Leipzig v. 27.12.2017). Für anerkannte Schutzberechtigte stünden im Rahmen eines von der EU geförderten Unterkunftsprogramms nur 2.126 Plätze in Wohnungen zur Verfügung, für die derzeit eine Übergangsphase von maximal sechs Monaten gelte. Auch für besonders vulnerable Gruppen anerkannter Schutzberechtigter würden keine staatlichen Unterkünfte bereitgehalten (Human Rights Watch Greece v. 18.1.2017, S. 1; Pro Asyl, S. 14). Schutzberechtigte müssten mit ihrer Anerkennung die Unterkünfte für Asylbewerber verlassen, wobei eine Übergangsfrist von sechs Monaten gelte (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Berlin v. 11.10.2017, S. 6; BFA, Länderinformationsblatt, S. 16). Hilfen von Nichtregierungsorganisationen bei der Unterbringung blieben vereinzelt und nur vorübergehend. Das Anmieten von Wohnraum werde durch Vorurteile sowie das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder – hilfsweise an Bekannte oder Studenten – erschwert (vgl. Auswärtiges Amt, S. 5). Aufgrund der knappen Kapazitäten und der Konkurrenzsituation mit bedürftigen Griechen sei es für anerkannte Schutzberechtigte nahezu unmöglich, in Obdachlosenunterkünften unterzukommen. Eine Vielzahl anerkannter Schutzberechtigter sei daher obdachlos und lebe auf der Straße (Pro Asyl, S. 16 f.). Die Situation für aus anderen EU-Staaten zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte sei nicht besser. Sie erhielten nach ihrer Ankunft am Flughafen keinerlei Unterstützung oder Information (Auswärtiges Amt, S. 2; Pro Asyl, S. 15, 18). Auch die medizinische Versorgung anerkannter Schutzberechtigter sei lückenhaft. Aufgrund des generellen Zusammenbruchs des Gesundheitssystems hätten griechische Krankenhäuser bereits Schwierigkeiten, die einheimische Bevölkerung zu versorgen (Human Rights Watch, S. 8); teilweise würden schlecht geschulte Mitarbeiter auch anerkannten Schutzberechtigten die Behandlung verweigern (Pro Asyl, S. 20 unter Bezugnahme auf UNHCR). Im Schnitt erhielten nur drei von 20 Flüchtlingen eine dringend benötigte psychologische Unterstützung (Human Rights Watch, S. 4). Die Erfolgsaussichten der Klage seien nach alledem als zumindest offen anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht habe zudem den Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom 27. Juni 2017 (Az. 1 C 26.16 – juris) zur Vorabentscheidung von Fragen angerufen, die bereits in anderen EU-Staaten anerkannte Schutzberechtigte betreffen. Das Bundesverwaltungsgericht habe ferner bereits mit Beschlüssen vom 23. März 2017 (Az. 1 C 17.16 u.a.) vergleichbare Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet, die zwischenzeitlich beantwortet worden seien. Feststellungen zur aktuellen Lage in Griechenland hätten jedoch weder der Europäische Gerichtshof noch das Bundesverwaltungsgericht getroffen. Richtigerweise lasse die humanitäre Lage in Griechenland ein menschenwürdiges Dasein für anerkannte Schutzberechtigte nicht zu; dies gelte insbesondere für Familien mit minderjährigen Kindern (vgl. in diesem Sinne: VG Bayreuth, U.v. 2.10.2018 – B 3 K 18.31172). Die aufgeworfene Frage sei zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung klärungsbedürftig und vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden.
3. Die Antragsgegnerin hat bis zum Beschlusszeitpunkt keinen Antrag gestellt. Auch in der Sache wurde nicht Stellung genommen.
4. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
II.
Da beim erkennenden Verwaltungsgerichtshof das Verfahren der Hauptsache anhängig ist, ist er auch für den inmitten stehenden Eilantrag zuständig (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2018 – 13a AS 18.50050 – juris Rn. 8).
Der Eilantrag hat Erfolg.
1. Unabhängig davon, ob vorliegend die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gegeben sind, ist der Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2019 (Az. Au 8 S 19.30637) jedenfalls von Amts wegen gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die Entscheidung über einen Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit von Amts wegen nach pflichtgemäßer Ermessensausübung ohne weitere Voraussetzung – also insbesondere ohne veränderte Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO – ändern, wenn das Gericht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage gekommen ist oder die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig einstuft (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 102; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 23.4.2018 – 10 AS 18.442 – juris Rn. 7).
Wie sich aus § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ergibt, kann einstweiliger Rechtsschutz in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch im Rahmen von § 80 Abs. 7 VwGO nur gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG liegen jedoch bereits dann vor, wenn im Hauptsacheverfahren die Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 25.5.2009 – 2 AS 09.30077 – juris Rn. 13; VGH BW, B.v. 11.11.1996 – A 16 S 2681/96 – juris Rn. 6). An diesem für den Eilrechtsschutz geltenden Prüfungsmaßstab ändert auch der Umstand nichts, dass vorliegend aufgrund der Rechtswirkungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG im Falle eines stattgebenden Eilbeschlusses eine Erledigung des Hauptsacheverfahrens eintritt, letztlich in dieser Konstellation also faktisch keine Zulassung der Berufung mehr erfolgen kann. Denn ein anderes Ergebnis würde zu einer mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbaren Verkürzung des Eilrechtsschutzes führen, da § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG ansonsten stets die Annahme einer im Hauptsacheverfahren in Betracht kommenden Berufungszulassung ausschließen würde.
Hiervon ausgehend macht der Senat vorliegend von seiner in § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO normierten gerichtlichen Änderungsbefugnis Gebrauch. Denn in einem Hauptsacheverfahren käme die Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG in Betracht.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Denn die durch die Antragstellerin aufgeworfene Frage, ob die Situation für anerkannte international Schutzberechtigte bei Rückkehr nach Griechenland im Widerspruch zu Art. 3 EMRK und Art. 4 GR-Charta steht, dürfte nach summarischer Prüfung grundsätzliche Bedeutung haben.
a) Der Europäische Gerichtshof (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris) hat in diesem Kontext jüngst folgende Anforderungen formuliert:
Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten hat im Unionsrecht fundamentale Bedeutung, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht. Konkret verlangt dieser Grundsatz von jedem Mitgliedstaat, dass er – abgesehen von außergewöhnlichen Umständen – davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 84).
Folglich muss im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie, in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 85).
Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernsthafte Gefahr besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, in diesem Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. In diesem Kontext ist in Anbetracht des allgemeinen und absoluten Charakters des Verbots in Art. 4 GR-Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet, festzustellen, dass es für die Anwendung von Art. 4 GR-Charta gleichgültig ist, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 86 f.).
Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 88).
Derartige Schwachstellen fallen jedoch nur dann unter Art. 4 GR-Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GR-Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 89-91).
Der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not in oben genanntem Sinne befände. Jedenfalls kann der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris Rn. 93 f.).
b) Die Lage für (zurückkehrende) anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland stellt sich nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wie folgt dar:
Nichtregierungsorganisationen spielen bei der Integration anerkannter Schutzberechtigter eine wichtige Rolle; sie sind Umsetzungspartner der EUfinanzierten, internationalen Hilfsprojekte, die in weiten Teilen vom UNHCR koordiniert und auch tatsächlich genutzt werden. Sie helfen bei der Beantragung von Sozialversicherungs- und Steuernummer, bieten Griechisch-Sprachkurse an und unterstützen bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche sowie bei der Beantragung von Sozialleistungen (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade v. 6.12.2018, S. 10 f.; Auskunft an VG Schwerin v. 26.9.2018, S. 2).
Besondere staatliche Hilfsangebote für (zurückkehrende) anerkannte Schutzberechtigte bestehen neben dem allgemeinen staatlichen Sozialsystem nicht. Konzepte für eine speziell zugeschnittene Information durch öffentliche Behörden sowie Zugangserleichterungen zu staatlichen Leistungen für anerkannte Schutzberechtigte befinden sich im Aufbau. Ein Empfang am Flughafen für Rückkehrer wird durch die griechische Polizei gewährleistet, mitunter auch eine ärztliche Empfangnahme. Bei unbegleiteten minderjährigen Schutzberechtigten wird vorab die griechische Staatsanwaltschaft tätig, die eine Inobhutnahme und Unterbringung sicherstellt. Besondere Schwierigkeiten im Vergleich zu Personen, die Griechenland nicht verlassen haben, liegen in den Leistungsvoraussetzungen des griechischen Sozialstaats. Demnach ist ein dauerhafter und legaler Aufenthalt im Inland Leistungsvoraussetzung, wobei der dauerhafte Aufenthalt grundsätzlich mit einer inländischen Steuererklärung des Vorjahrs dokumentiert wird (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade v. 6.12.2018, S. 8 f.; Auskunft an VG Schwerin v. 26.9.2018, S. 3).
Anerkannte Schutzberechtigte, die die Dauerhaftigkeit ihres legalen Aufenthalts im Inland nachweisen können, haben gleichberechtigten Zugang zu Leistungen der im Februar 2017 neu eingeführten staatlichen Grundsicherung (Sozialhilfe). Dieses Leistungssystem befindet sich noch im Aufbau und soll u.a. eine Sozialgeldzahlung (1. Säule; EUR 200,– monatlich für Erwachsene; EUR 100,– für ein weiteres erwachsenes Haushaltsmitglied; EUR 50,– pro Kind im Haushalt; maximal EUR 900,– pro Haushalt), kommunale Leistungen (2. Säule; z.B. Drogen-, Sucht-, Schuldnerberatung, Sachleistungen für Wohnungsausstattung und Drogeriebedarf) und die Vermittlung in Arbeit (3. Säule) umfassen. Einkommen jedweder Herkunft wird vollständig angerechnet, für Vermögen bestehen Freibeträge bei Grundeigentum. Die Leistungsbemessung richtet sich nach den verfügbaren Haushaltsmitteln der Sozialhilfeträger und ist landesweit nicht einheitlich. In der Praxis haben bisher nur sehr wenige anerkannte Schutzberechtigte Zugang zu Sozialhilfe, da diese seit einer Gesetzesänderung im Juni 2018 für von staatlicher Seite – etwa in EUfinanzierten Aufnahmelagern – untergebrachte Personen nicht zur Verfügung steht. Anerkannte Schutzberechtigte sind allerdings weiterhin Bezieher der EUfinanzierten Geldleistungen im Rahmen sog. Cash-Card-Programme des UNHCR, deren Auszahlungsbetrag etwas unterhalb des Niveaus der neu eingerichteten sozialen Grundsicherung liegt (z.B. EUR 150,– pro Monat für alleinreisende Männer) und u.a. die Versorgung mit Lebensmitteln gewährleisten soll. Im September 2018 bezogen 7.830 anerkannte Schutzberechtigte diese Geldleistung. Es besteht kein Anspruch auf Teilnahme an dem Cash-Card-Programm, es handelt sich um humanitäre Hilfe, nicht um einen Sozialhilfeanspruch. Der Bezugszeitraum endet sechs bis zwölf Monate nach Anerkennung als Schutzberechtigter. In der Praxis wurden bislang jedoch keine Asylbewerber nach Zuerkennung eines Schutzstatus von dem Bezug ausgeschlossen. Für bereits anerkannte Schutzberechtigte ist ein Neueintritt in das Cash-Card-Programm nicht möglich. Für anerkannte Schutzberechtigte besteht zudem eine Übergangsfrist bis zum Eintritt in die staatliche Grundsicherung (Sozialhilfe). Die von orthodoxer Kirche und Zivilgesellschaft angebotenen Hilfeleistungen bilden ein elementares Auffangnetz gegen Hunger und Entbehrung. In Athen gibt es etwa Angebote von Nichtregierungsorganisationen für Obdachlose in Form von Suppenküchen, die eine elementare Versorgung mit Lebensmitteln bieten (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade v. 6.12.2018, S. 4 f./10; Auskunft an VG Schwerin v. 26.9.2018, S. 4; Auskunft an VG Greifswald v. 26.9.2018, S. 2/4-6).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt steht allen rechtlich dauerhaft und legal im Land lebenden Personen – und damit auch anerkannten Schutzberechtigten – zu. Die Arbeitsvermittlung als dritte Säule der neuen staatlichen Grundsicherung ist bislang noch nicht umgesetzt. Ohnehin sind die Chancen zur Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering. Die staatliche Arbeitsagentur OAED hat bereits für Griechen kaum Ressourcen für die aktive Arbeitsvermittlung, ein Programm zur Arbeitsintegration von Flüchtlingen wurde bislang nicht aufgelegt. Geplant war im September 2018 nach Angaben des UNHCR ein EUfinanziertes Beschäftigungsförderungsprogramm für 3.000 Asylsuchende und anerkannte Schutzberechtigte. Einige Nichtregierungsorganisationen bieten punktuell Programme zur Fortbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche an. Eine Registrierung bei der Arbeitsagentur war bis Anfang 2018 in der Praxis kaum möglich, da als Voraussetzung ein Wohnungsnachweis auf den Namen der Person vorgelegt werden musste. Nach Wegfall dieser Hürde im Juni 2018 wurden innerhalb weniger Monate knapp 4.000 Personen aus dem EUfinanzierten Unterkunftsprogramm ESTIA registriert. Die mit der Registrierung erhaltene Arbeitslosenkarte berechtigt u.a. zur kostenlosen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, zum kostenlosen Eintritt in Museen, zu Ermäßigungen hinsichtlich staatlicher Fortbildungsmaßnahmen sowie des Gas-, Wasser- und Strombezugs sowie zu Vergünstigungen bei einigen Fast-Food-Restaurants und Mobilfunkanbietern. Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung erhalten nur Personen mit entsprechenden Vorversicherungszeiten für eine Dauer von maximal einem Jahr. Migration in den griechischen Arbeitsmarkt hat in der Vergangenheit vor allem in den Branchen Landwirtschaft, Bauwesen sowie haushaltsnahe und sonstige Dienstleistungen stattgefunden. Allerdings haben sich die Arbeitschancen durch die anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise allgemein deutlich verschlechtert. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Griechenland sowie Sprachbarrieren haben alleinreisende männliche Schutzberechtigte derzeit nur geringe Chancen, Zugang zu qualifizierter Arbeit zu finden. Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme bestehen in Einzelfällen und bei guten Sprachkenntnissen bei Nichtregierungsorganisationen etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade v. 6.12.2018, S. 5 f.; Auskunft an VG Schwerin v. 26.9.2018, S. 3 f.; Auskunft an VG Greifswald v. 26.9.2018, S. 2 f./6).
Eine gesicherte Verwaltungspraxis zum Verbleib anerkannter Schutzberechtigter in Aufnahmezentren für Asylsuchende existiert nicht. Offiziell gilt eine Übergangsphase von sechs bzw. sogar zwölf Monaten. In der Praxis ist es bisher aber nicht zu erzwungenen Räumungen gekommen. Tatsächlich ist die Zahl der anerkannten Schutzberechtigten im von der EU finanzierten Unterkunftsprogramm ESTIA inzwischen auf 4.800 von insgesamt 21.500 Personen gestiegen; die Auslastung der Kapazitäten des Programms liegt bei etwa 98 v.H. Weitere ca. 4.000 anerkannte Schutzberechtigte leben in Aufnahmelagern. Die zwischen EU-Kommission und griechischer Regierung abgestimmte Finanzplanung für das Jahr 2018 sah die Schaffung von 5.000 Wohnungsplätzen für anerkannte Flüchtlinge vor, die nach ihrer Bereitstellung auch für aus dem Ausland kommende anerkannte Schutzberechtigte zur Verfügung stehen. Für besonders vulnerable Gruppen werden vom UNHCR im Rahmen des ESTIA-Unterkunftsprogramms zudem Wohnungen angemietet; prioritäre Vergabekriterien sind insoweit medizinischen Indikationen, eine bevorstehende Geburt oder das Vorhandensein von Neugeborenen, alleinerziehende Mütter sowie die Unterbringung von vulnerablen Personen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen auf den ostägäischen Inseln. Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 laut einem Präsidialdekret Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung auch für die griechische Bevölkerung allgemein bestand im Dezember 2018 jedoch noch nicht, sie wurde im Mai 2017 gesetzlich beschlossen und sollte zum 1. Januar 2019 eingeführt werden. Voraussetzung für die vorgesehene Wohnungsbeihilfe von EUR 70,– pro Person und maximal EUR 210,– pro Haushalt soll ein fünfjähriger dauerhafter und legaler Voraufenthalt in Griechenland sein. Hierzu fanden im September 2018 zwischen griechischem Arbeitsministerium und dem UNHCR Gespräche statt. Die Wohnungsbeihilfe deckt i.d.R. nicht die volle Miete für privat zu beschaffenden Wohnraum ab, sondern ist nur eine Unterstützungsleistung. Über die Zahl obdachloser anerkannter Schutzberechtigter lagen dem Auswärtigen Amt im September 2018 keine Erkenntnisse vor. Der UNHCR ist zum genannten Zeitpunkt von 44.500 Flüchtlingen auf dem Festland ausgegangen, die seit dem Jahr 2015 in Griechenland eingetroffen sind; von diesen waren 39.000 im September 2018 in offiziellen Unterkünften erfasst. Daneben gibt es weitere informelle Wohnprojekte in Athen und Thessaloniki, die von den offiziellen Statistiken nicht erfasst sind. Eine Unterbringung anerkannter Schutzberechtigter in kommunalen Obdachlosenunterkünften ist ebenfalls möglich, diese sind jedoch oft überlastet. Einige Nichtregierungsorganisationen bieten auch punktuell selbst Wohnraum an. Das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder – hilfsweise Bekannte und Studenten – sowie gelegentlich auch Vorurteile erschwert. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich für alleinstehende Frauen und Familien mit kleinen Kindern bei Rückkehr nach Griechenland vor allem im Bereich der Wohnungsfindung und -finanzierung (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade v. 6.12.2018, S. 2 f./11 f.; Auskunft an VG Schwerin v. 26.9.2018, S. 5 f.; Auskunft an VG Greifswald v. 26.9.2018, S. 1 f./4).
Für anerkannte Schutzberechtigte besteht in Griechenland ein Anspruch auf weitgehend kostenlose Krankenbehandlung in Krankenhäusern. Der effektive Zugang – insbesondere zu einer Notfallversorgung – ist gewährleistet. Fälle von Behandlungsverweigerung sind seltene Ausnahmefälle. Kosten fallen bei Medikamenten im ambulanten Bereich an, da der staatlich festgesetzte erstattete Preis in Apotheken teilweise unterhalb des realen Verkaufspreises liegt. Die Hilfsorganisation „Ärzte der Welt“ betreibt in griechischen Großstädten mehrere Polikliniken sowie einige mobile Stationen im ländlichen Raum, in denen vulnerable Bevölkerungsgruppen Zugang zu Gesundheitsleistungen erhalten (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade v. 6.12.2018, S. 4; Auskunft an VG Schwerin v. 26.9.2018, S. 5; Auskunft an VG Greifswald v. 26.9.2018, S. 5 f.).
Rechtlich haben anerkannte Schutzberechtigte denselben Zugang zum Bildungssystem wie Inländer. Jedoch wird der Zugang zum Bildungssystem faktisch durch Sprachbarrieren und die stark akademisch ausgerichtete Bildungslandschaft in Griechenland erschwert. Es bestehen einzelne Projekte einer dualen Berufsausbildung etwa im Bereich der Landwirtschaft. Das griechische Bildungsministerium konzentriert sich in seinen Bemühungen bisher auf die Beschulung der 5-17-jährigen schulpflichtigen Flüchtlingskinder, von denen im Schuljahr 2017/18 ca. 62 v.H. eingeschult waren. Ein im Januar 2018 von den zuständigen Ministerien angekündigtes EUfinanziertes Sprachkursprogramm für 5.000 Erwachsene konnte bisher nicht umgesetzt werden. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen bieten Sprachkurse für Griechisch und Englisch an (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Greifswald v. 26.9.2018, S. 3/6).
Nach aktuellen Angaben des UNHCR aus dem Juli 2019 waren zum Berichtszeitraum 21.685 Personen über das Programm ESTIA untergebracht (Auslastungsrate 98 v.H.); hiervon waren 7.336 anerkannte Flüchtlinge. Mehr als ein Drittel der untergebrachten Personen wiesen hiernach mindestens ein Vulnerabilitätskriterium auf, das sie besonders für das Unterbringungsprogramm qualifiziert (ernstliche medizinische Indikation, alleinerziehendes Elternteil, Behinderung; siehe zum Ganzen: UNHCR, Greece – Accommodation Update v. 31.7.2019; abrufbar unter http://estia.unhcr.gr/en/greece-accommodation-update-july-2019).
c) Unter Berücksichtigung obiger Erkenntnismittel spricht vieles dafür, dass vorliegend in einem Hauptsacheverfahren die durch die Antragstellerin sinngemäß aufgeworfene Frage grundsätzlich zu klären wäre, ob die Rückführung anerkannter Schutzberechtigter nach Griechenland derzeit im Widerspruch zu Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta steht. Denn zu dieser Frage liegt – soweit ersichtlich – jedenfalls keine obergerichtliche Rechtsprechung vor, die die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs in seiner neueren Rechtsprechung (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Rs. C-297/17 u.a. – Ibrahim u.a. – juris) berücksichtigt. Bereits vor der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wurde obergerichtlich vertreten, dass die Lebensverhältnisse in Griechenland gerade für anerkannte Schutzberechtigte außerordentlich schwierig seien und sich im Zulassungsverfahren nicht zweifelsfrei bewerten ließen, zumal keine obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage ersichtlich sei (OVG SH, B.v. 29.5.2018 – 4 LA 56/17 – juris Rn. 15: Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung). Ggf. wäre vorliegend in einem Hauptsacheverfahren zudem durch die Einholung aktueller amtlicher Erkenntnismittel zu klären, ob und ggf. inwieweit sich die tatsächliche Lage in Griechenland seit Erteilung der letzten Auskünfte des Auswärtigen Amts im September bzw. Dezember 2018 in relevanter Weise verändert hat. Es käme daher in einem Hauptsacheverfahren – ungeachtet der Rechtswirkungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG – die Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG in Betracht, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts im Sinn von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen.
2. Nach alledem war der Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Mit der stattgebenden Eilentscheidung werden die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sowie die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 6. Mai 2019 unwirksam, § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG, § 152 Abs. 1 VwGO).


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