Verwaltungsrecht

Grenzbebauung 0 neues Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren nach Ablauf der Darlegungsfrist

Aktenzeichen  1 ZB 20.2874

Datum:
7.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30872
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 (idF bis zum 31.1.2021)
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Im Berufungszulassungsverfahren können regelmäßig nur die (neuen) Tatsachen und Rechtsänderungen berücksichtigt werden, die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO geltend gemacht werden. Ist erst nach Ablauf dieser Frist eine Sach- oder Rechtsänderung eingetreten, kann der Kläger nicht mit Blick auf diese Änderung erstmals neue Zulassungsgründe geltend machen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 17.3953 2020-06-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin wendet sich gegen eine Beseitigungsanordnung für eine Grenzbebauung auf ihrem Grundstück FlNr. …, Gemarkung H* …
Auf dem Grundstück befindet sich entlang der östlichen Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück FlNr. … eine baurechtlich genehmigte Doppelgarage mit einer Länge von 6,49 m. Südlich schließt an die Garage ein eingehauster Wohnwagenabstellplatz mit einer Länge von 4,01 m an. Nördlich ist an die Garage eine Vorplatzüberdachung mit einer Länge von 3,05 m angebaut. Die Erteilung einer Baugenehmigung für den Wohnwagenabstellplatz und die Vorplatzüberdachung wurde bestandskräftig abgelehnt.
Mit dem angegriffenen Bescheid ordnete die Bauaufsichtsbehörde an, die Vorplatzüberdachung sowie den Wohnwagenabstellplatz so zu beseitigen, dass der bestehenbleibende Grenzbau den Maßgaben des Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO entspricht. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Anbauten an die Garage seien formell baurechtswidrig und wegen Verstoßes gegen abstandsflächenrechtliche Vorschriften auch nicht genehmigungsfähig. Ermessensfehler lägen nicht vor.
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Das Zulassungsvorbringen zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass die Grenzbebauung auf dem Grundstück der Klägerin die nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO (in der von Verwaltungsgericht anzuwendenden bis zum 31. Januar 2021 gültigen Fassung, nunmehr Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO n.F.) zulässige Länge von 9 m überschreitet. Soweit die Klägerin ausführt, dass die direkt anschließende Grenzbebauung auf dem Nachbargrundstück FlNr. … gegenzurechnen sei, mit der Folge, dass auf ihrem Grundstück die zulässige Länge einer Grenzbebauung eingehalten werde, vermag dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO abgestellt. Nach dieser Vorschrift dürfen die dort genannten grenzständigen oder grenznahen Bauten eine Gesamtlänge „je Grundstücksgrenze“ von 9 m nicht überschreiten. Maßgeblich ist dabei nach dem eindeutigen Wortlaut nur die Grundstücksgrenze des Baugrundstücks, nicht jedoch die des Nachbargrundstücks bzw. die Grundstücksgrenzen aus der Sicht des Nachbarn. Dies ergibt sich auch aus der Systematik der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften. Die Rechtsauffassung der Klägerin steht zudem nicht im Einklang mit der Intention des Gesetzgebers, der gerade „Einmauerungseffekten“ durch die Gestaltung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften entgegenwirken wollte (vgl. zu Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO: LT-Drucks. 15/7161, S. 44) und deshalb auch die Grenzbebauung nicht nur für die einzelne Grundstücksseite auf 9 m, sondern auch für alle Grundstückseiten auf insgesamt 15 m beschränkt hat. Zudem lässt das Zulassungsvorbringen unberücksichtigt, dass Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO eine Ausnahme von der Regelung des Art. 6 Abs. 1 BayBO darstellt und Ausnahmevorschriften nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen sind. Für die von der Klägerin angedachte teleologische Reduktion des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO besteht daher kein Raum, zumal spätere bauliche Änderungen der Grenzbebauung auf dem Nachbargrundstück zur materielle Baurechtswidrigkeit der Grenzbebauung der Klägerin führen könnten.
Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass nicht eine Garage, sondern mehrere „Einzelgaragen“ betroffen seien und daher eine Abwägung und Ermessensentscheidung bezüglich der einzelnen Teile erforderlich gewesen wäre, zeigt nicht auf, dass eine isolierte Betrachtung der einzelnen Gebäudebestandteile zu einer anderen Beurteilung führen würde (s.o.). Die Maximallänge der Grenzbebauung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO gilt auch bei der Addition mehrerer Einzelgebäude. Die erhobenen Bedenken gegen die Ermessensausübung gehen ins Leere, da die Bauaufsichtsbehörde der Klägerin die Wahl lässt, welche der Anlagen sie zurückbaut, um die Grenzbauten auf die abstandsflächenrechtlich zulässige Länge zu reduzieren. Soweit die Klägerin ausführt, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass das nördlich an die Garagen angrenzende Grundstück im hälftigen Eigentum der Klägerin und ihrer östlichen Nachbarn stehe, zeigt es ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auf. Denn das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid dahingehend ausgelegt, dass sich die Rückbauanordnung nur auf die Grenzbauten auf dem im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstück FlNr. … bezieht (UA Rn. 32).
Die nach Ablauf der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfolgten weiteren Ausführungen vermögen dem Zulassungsvortrag ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar können die Zulassungsgründe nach Ablauf der zweimonatigen Frist noch ergänzt werden. Die Ausführungen in den weiteren Schriftsätzen des Bevollmächtigten der Klägerin stellen sich aber nicht als Ergänzung des bisherigen Vortrags dar, sondern enthalten insbesondere im Hinblick auf den zivilrechtlichen Vergleich ein neues Vorbringen. Unabhängig davon fehlt es auch diesen Schriftsätzen an der Darlegung der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht hat sich in der angegriffenen Entscheidung mit dem zivilrechtlichen Vergleich der Klägerin und ihrer Nachbarn vom 31. Mai 2016 befasst (UA Rn 53). Dem setzt das Zulassungsvorbringen lediglich seine eigene Auffassung entgegen. Im Übrigen kommt es auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Nachbarn einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch den Vergleichsschluss verwirkt haben, da die Bauaufsichtsbehörde auch von Amts wegen einschreiten kann. Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, dass nunmehr zu ihren Gunsten eine Auflassungsvormerkung für eine Teilfläche am Grundstück FlNr. … eingetragen sei, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Im Berufungszulassungsverfahren können regelmäßig nur die (neuen) Tatsachen und Rechtsänderungen berücksichtigt werden, die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemacht werden. Ist erst nach Ablauf dieser Frist eine Sach- oder Rechtsänderung eingetreten, kann die Klägerin nicht mit Blick auf diese Änderung erstmals neue Zulassungsgründe geltend machen (vgl. BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 744; BayVGH, B.v. 12.11.2020 – 1 ZB 18.538 – juris Rn 4.). Im Übrigen würde die Auflassungsvormerkung auch zu keiner anderen Beurteilung führen, da sich die Beseitigungsanordnung nur auf die Gebäudeteile auf dem Grundstück FlNr. … bezieht.
2. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird behauptet, aber nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt. Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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