Verwaltungsrecht

Rechtsschutz gegen Betretensverbot als Begleitmaßnahme eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte

Aktenzeichen  6 CE 20.451

Datum:
23.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9617
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 13 Abs. 1
BBG § 66
BGB § 133, § 157
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 S. 1, § 123, § 146 Abs. 4 S. 1, S. 3, S. 6

 

Leitsatz

1. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Begründung bestimmt den Inhalt der getroffenen Regelung mit, sodass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Grundrecht des Art. 13 Abs. 1 GG schützt nicht das Besitzrecht an einer Wohnung, sondern deren Privatheit. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 E 20.81 2020-02-20 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 20. Februar 2020 – B 5 E 20.81 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der am 1. September 2019 zum Polizeimeisteranwärter ernannt und dem eine Unterkunft auf dem Gelände des Bundespolizeiausbildungs- und -fortbildungszentrums B. zur Verfügung gestellt worden war, begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Anordnung, das Gelände zu verlassen und nicht mehr zu betreten.
Im Anschluss an mehrere Anhörungen im Rahmen von Verwaltungsermittlungen gegen den Antragsteller wegen Zweifeln an der charakterlichen Eignung und Verfassungstreue untersagte der Dienststellenleiter diesem am 17. Januar 2020 „im Vorgriff auf die Verfügung des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte“ durch den Präsidenten der Bundespolizeiakademie in mündlicher Form die Ausübung der Dienstgeschäfte und sprach ein Betretungsverbot für das Bundespolizeiausbildungs- und -fortbildungszentrum B. aus, zunächst verbunden mit der Gelegenheit, Unterkunft und Gelände bis spätestens 14. Februar 2020 zu verlassen. Hierüber wurde der Antragsteller (am 17.1.2020 oder den folgenden Tagen mündlich oder über WhatsApp) unterrichtet.
Am 23. Januar 2020 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzugeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro zu unterlassen, ihn zu veranlassen, seine Unterkunft und das Ausbildungszentrum B. ab 24. Januar 2020 dauerhaft verlassen zu müssen, soweit dies nicht durch eine rechtkräftige/bestandskräftige Behördenentscheidung in Form eines entsprechenden Verwaltungsaktes im Hinblick auf die Entlassung des Beamten auf Widerruf oder in Form eines sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes mit entsprechendem Inhalt geregelt sei. Zur Begründung hat er unter anderem ausgeführt, sein Seminarleiter habe ihm am 21. Januar 2020 erklärt, dass er auf Anordnung des Präsidenten der Bundespolizeiakademie entlassen sei und zum 24. Januar 2020 seine Wohnung zu räumen und das Ausbildungszentrum zu verlassen habe. Mit Schreiben vom 22. Januar 2020 habe er gegen die Suspendierung und gegen die Entlassung Widerspruch unter Hinweis auf dessen aufschiebende Wirkung einlegen lassen. Eine termingerechte Reaktion sei nicht erfolgt, weshalb mangels zivilen Wohnsitzes eine einstweilige Anordnung gegen die angekündigte Räumung notwendig sei.
Mit schriftlicher Verfügung vom 24. Januar 2020 verbot der Präsident der Bundespolizeiakademie dem Antragsteller gemäß § 66 BBG die Führung der Dienstgeschäfte bis auf weiteres und bestätigte die Untersagung der weiteren Ausübung der Dienstgeschäfte vom 17. Januar 2020. Zugleich ordnete er gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Verfügung an.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 20. Februar 2020 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antragsteller sich gegen das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte bisher lediglich mit einem Widerspruch gewandt habe. Er übersehe, dass die Antragsgegnerin mit der Verfügung vom 24. Januar 2020 auch die sofortige Vollziehung des Verbots angeordnet habe. Bei dem Betretungsverbot handle es sich um eine flankierende Maßnahme zu dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte, so dass das Rechtsschutzbegehren richtigerweise durch einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verfolgen gewesen wäre. Der Antrag nach § 123 VwGO sei deshalb nicht statthaft und somit unzulässig. Auch wenn man das Rechtsschutzbegehren als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung verstehe, hätte dieser in der Sache keinen Erfolg. Denn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestünden keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vom 17./24. Januar 2020.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller ausdrücklich seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung weiter. Im Zeitpunkt der Antragstellung beim Verwaltungsgericht habe lediglich eine Erklärung des Seminarleiters vorgelegen, wonach die Wohnung bis zum 24. Januar 2020 zu räumen sei. Der Bescheid vom 24. Januar 2020 wiederum verfüge nicht, schon gar nicht unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, dass die Dienstunterkunft zu räumen sei. Bis heute fehle es demnach an einem sofort vollziehbaren Bescheid mit schriftlicher Begründung. Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sei daher entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht möglich. Im Übrigen sei die Maßnahme unverhältnismäßig und verletze Art. 13 Abs. 1 GG. Die Antragsgegnerin habe den Antragsteller noch am 21. Februar zum Verlassen des Ausbildungszentrums gezwungen. Er sei letztlich wohnungslos.
Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht geltend gemacht worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), rechtfertigen es nicht, dem mit dem Rechtsmittel ausdrücklich weiterverfolgten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu entsprechen.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf einstweilige Anordnung zu Recht für unstatthaft gehalten. Entgegen der Auffassung der Beschwerde liegt – jedenfalls im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt vor, der den Antragsteller (unter anderem) zum Räumen seiner Unterkunft im Bundespolizeiausbildungs- und -fortbildungszentrum B. verpflichtet und ihm das Betreten des Geländes untersagt. Er ist Teil der schriftlichen Verfügung vom 24. Januar 2020, mit dem nicht nur das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 66 Satz 1 BBG ausgesprochen, sondern ausdrücklich auch die zuvor bereits mündlich angeordneten Begleitmaßnahmen bestätigt wird, wie insbesondere die Räumungsaufforderung und das Betretensverbot. Da der Dienstherr nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung seiner Verfügung mit den einzelnen Begleitmaßnahmen angeordnet hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz ausschließlich nach § 80 Abs. 5 VwGO, nicht aber nach § 123 VwGO.
Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Bei der Ermittlung seines objektiven Erklärungswertes ist insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsakts heranzuziehen, weil sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt steht. Die Begründung ist die Erläuterung der Behörde, warum sie den verfügenden Teil ihres Verwaltungsakts so und nicht anders erlassen hat. Die Begründung bestimmt damit den Inhalt der getroffenen Regelung mit, sodass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist (vgl. BVerwG, B.v. 12.2.2020 – 9 B 30.19 – juris Rn. 8 m.w.N.). Danach steht außer Frage, dass die schriftliche Verbotsverfügung vom 24. Januar 2020 nach § 66 BBG insbesondere auch die dem Antragsteller bereits zuvor mündlich mitgeteilte Anordnung, seine Unterkunft im Bundespolizeiausbildungs- und -fortbildungszentrum B. (ursprünglich bis 14.2.2020) zu räumen und das Gelände nicht mehr zu betreten, wiederholend bestätigt und auch für diese Begleitmaßnahme die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anordnet.
Es kann dahin stehen, ob die mündliche Räumungsanordnung (Hausverbot) dem Antragsteller zusammen mit der Suspendierung und der Einziehung der Dienstwaffe bereits am 17. Januar 2020 eröffnet worden ist, wie das im Aktenvermerk des Dienststellenleiters von diesem Tag festgehalten ist, oder erst am 21. Januar 2020 durch seinen Ausbildungsleiter. Dass eine entsprechende Räumungsanordnung mündlich erging und vom Antragsteller auch so verstanden wurde, belegen sein Widerspruch vom 22. Januar 2020 und sein Eilantrag an das Verwaltungsgericht vom 23. Januar 2020. An diese mündliche Räumungsanordnung und die weiteren Begleitmaßnahmen knüpft die schriftliche Verbotsverfügung vom 24. Januar 2020 an. Zwar werden sie nicht wörtlich wiederholt, wohl aber – ohne jeden Zweifel – sinngemäß. Denn nach dem Tenor der Verfügung wird nicht nur das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ausgesprochen, sondern ausdrücklich auch die bereits mündlich angeordnete Untersagung der weiteren Ausübung der Dienstgeschäfte bestätigt und dazu dem Antragsteller erläutert, dass „Ihnen damit – mit sofortiger Wirkung – untersagt (ist), den Dienst anzutreten und die Ihnen zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen.“ Das umfasst dem Sinn nach auch das ebenfalls bereits mündlich ausgesprochene Hausverbot, zumal in den Gründen des Bescheids mehrfach darauf abgestellt wird, dass schon die Anwesenheit des Antragstellers im Bundespolizeiausbildungs- und -fortbildungszentrum einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb gefährden würde, auch vor dem Hintergrund seiner labilen psychischen Verfassung und des „derzeit auftretenden aggressiven Verhaltens“ (Seite 8, 9 der Verbotsverfügung).
Der demnach allein statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung ist aus den Gründen des angegriffenen Beschlusses unbegründet. Der Senat teilt die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sowohl das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 66 BBG als auch die Räumungsanordnung als Begleitmaßnahme wohl rechtmäßig sind und der Widerspruch des Antragstellers deshalb voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Entgegen der Ansicht der Beschwerde gebietet Art. 13 Abs. 1 GG kein anderes Ergebnis. Dieses Grundrecht schützt nicht das Besitzrecht an einer Wohnung, sondern deren Privatheit (BVerfG, B.v. 26.3.1993 – 1 BvR 208/93 – BVerfGE 89, 1/12 zur Kündigung eines Mietverhältnisses). Der Grundrechtsschutz erfasst also nicht das Interesse, eine bestimmte Wohnung zum Lebensmittelpunkt zu machen und sie hierfür zu behalten, wie es der Antragsteller mit seinem Eilantrag verfolgt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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