Verwaltungsrecht

Rücknahme der Flüchtlingszuerkennung infolge unrichtiger Angaben über die Staatsangehörigkeit

Aktenzeichen  21 ZB 17.30482

Datum:
11.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119309
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 74 Abs. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 86 Abs. 2, § 138 Nr. 3
StPO § 244

 

Leitsatz

1 Die Ablehnung von Beweisanträgen stellt nur dann einen Gehörsverstoß dar, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Tatsachengerichte müssen Beweisanträgen zum Verfolgungsgeschehen nicht nachgehen, wenn der Tatsachenvortrag in wesentlichen Punkten unplausibel und in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3 Personen, die die Staatsangehörigkeit zweier Staaten besitzen, kann Flüchtlingsschutz nur zuerkannt werden, wenn beide Staaten den Schutzsuchenden verfolgen. Ansonsten muss der Schutz des Staates in Anspruch genommen werden, von dem keine Verfolgung ausgeht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au K 16.32956 2017-03-15 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Flüchtlingszuerkennung infolge unrichtiger Angaben über seine Staatsangehörigkeit.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2016 wurde dem Kläger unter der Annahme, er sei syrischer Staatsangehöriger, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Aufgrund einer erkennungsdienstlichen Behandlung wurde festgestellt, dass der Kläger unter anderen Personalien als tunesischer Staatsangehöriger in den Niederlanden aufhältig war und von dort nach Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe im März 2015 nach Tunesien abgeschoben wurde. Am 30. März 2015 war für den Kläger von der tunesischen Botschaft ein Laissez-Passer ausgestellt worden. Im Schengener Informationssystem ist der Kläger aufgrund einer Verurteilung des Gerichts in Den Haag am 26.11.2009 wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren zur Einreiseverweigerung bis 25.11.2023 ausgeschrieben.
Nach dem Ergebnis einer im November 2016 durchgeführten physikalisch-technischen Untersuchung einer vom Kläger vorgelegten Kopie eines Melderegisterauszugs aus Syrien sei diese als Totalfälschung zu bewerten, insbesondere würden die vom syrischen Außenministerium eingebrachten Feuchtstempelabdrücke von vorliegendem Vergleichsmaterial abweichen. Mit Bescheid vom 29. November 2011 nahm das Bundesamt die Flüchtlingszuerkennung des Klägers zurück, da von dessen tunesischer Staatsangehörigkeit auszugehen sei. Dagegen erhob der Kläger am 20. Dezember 2016 Klage. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 15. März 2017 legte der Kläger die bereits bei den Bundesamtsakten befindliche Kopie eines Melderegisterauszugs vor und gab an, dass das Originaldokument am 10. März 2017 in Damaskus losgeschickt worden sei. Der Klägerbevollmächtigte beantragte, „Beweis über die Tatsache zu erheben, dass der Kläger syrischer Staatsangehöriger ist, durch Abwarten der heute vorgelegten Urkunde im Original, das bis spätestens 15. April 2017 vorgelegt werden soll“. Das Verwaltungsgericht lehnte den Beweisantrag ab und wies die Klage mit Urteil vom 15. März 2016 ab. Dagegen wendet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Ein Gehörsverstoß lässt sich nicht daraus herleiten, dass das Verwaltungsgericht dem in der mündlichen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrag des Klägers nicht nachgekommen ist. Die Ablehnung von Beweisanträgen stellt nur dann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, wenn sie im Prozessrecht (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO, § 244 StPO) keine Stütze findet (vgl. BVerwG, B.v. 9.2.2011 – 1 B 21/10 u.a. – juris). Das lässt sich aufgrund des Zulassungsvorbringens nicht feststellen:
Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe seinen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, dass er nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG gestellt worden sei und die Beweisaufnahme die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Das Originaldokument sei am 20. März 2017, also fünf Tage nach der Verhandlung, dem Gericht vorgelegt worden. Das Abwarten der Urkunde hätte das Verfahren nicht wesentlich verzögert. Die verspätete Vorlage sei wegen der Schwierigkeiten, in Syrien an Dokumente zu gelangen, auch zu entschuldigen. Durch die beantragte Beweisaufnahme wäre durch Vorlage einer echten Original-Urkunde aus Syrien bewiesen worden, dass der Kläger zumindest auch die syrische Staatsangehörigkeit habe.
Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Beweisantrags unabhängig von der Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§ 74 Abs. 2 AsylG) zusätzlich darauf gestützt, dass das Vorbringen des Klägers in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich ist. Während der Kläger im Ausgangsverfahren angegeben habe, außer der syrischen keine weitere Staatsangehörigkeit zu besitzen und über keine Dokumente zu verfügen, die seine Herkunft aus Syrien belegten, habe er im Rahmen seiner Anhörung im Rücknahmeverfahren angegeben, einen syrischen und einen französischen Pass besessen zu haben. Ferner sei nicht erklärt, weshalb trotz syrischer Staatsangehörigkeit des Klägers die tunesische Botschaft ein Dokument für die Abschiebung ausgestellt haben soll. Damit sei nicht substantiiert dargetan, weshalb ein nunmehr erneut vorgelegter Zivilregisterauszug den Nachweis der syrischen Staatsangehörigkeit des Klägers führen könnte (vgl. Sitzungsprotokoll S. 3 f.).
Dies steht mit dem Prozessrecht in Einklang. Tatsachengerichte müssen Beweisanträgen zum Verfolgungsgeschehen nicht nachgehen, wenn der Tatsachenvortrag in wesentlichen Punkten unplausibel oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405/89 – juris). Auch ein Beweisantrag bzgl. einer Urkunde (§ 98 VwGO i.V.m. §§ 415 ff ZPO) kann vom Gericht abgelehnt werden, wenn der Vortrag des Klägers so unglaubhaft ist, dass sich eine Beweiserhebung erübrigt (Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 78 AsylVfG Rn. 87). Dies gilt für die hier maßgebliche ausländische öffentliche Urkunde, deren Beweiskraft sich nach § 98 VwGO i.V.m. § 438 Abs. 1 ZPO richtet. Die tatsächliche Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass hier ein völlig unsubstantiierter und widersprüchlicher Sachvortrag des Klägers im Hinblick auf seine Staatsangehörigkeit vorliegt, ist nicht zu beanstanden. Der tunesische Kläger, der zunächst in den Niederlanden nach verbüßter Strafhaft nach Tunesien abgeschoben wurde, gab bei seiner Asylantragstellung in Deutschland im Oktober 2015 ausschließlich eine syrischen Staatsangehörigkeit vor. Nachdem er aufgrund erkennungsdienstlicher Maßnahmen als Tunesier erkannt wurde und nach Rücknahme seiner Flüchtlingszuerkennung, hat sich der Vortrag des Klägers im Berufungszulassungsverfahren sogar noch dahingehend geändert, dass der Kläger neben der tunesischen Staatsangehörigkeit auch die syrische besitzen wolle. Der Vortrag des Klägers zu seiner angeblichen syrischen Staatsangehörigkeit ist vor diesem Hintergrund in hohem Maße unglaubhaft.
Selbst wenn man neben der festgestellten tunesischen Staatsangehörigkeit des Klägers von der vom Kläger zusätzlich behaupteten syrischen Staatsangehörigkeit ausginge, führte dies zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Aus dem Grundsatz der Subsidiarität des Asylrechts und des internationalen Schutzes folgt, dass bei Personen, die die Staatsangehörigkeit zweier Staaten besitzen, die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nur dann in Betracht kommt, wenn beide Staaten den Schutzsuchenden verfolgen. Verfolgt ihn indes nur einer dieser Staaten, muss sich der Schutzsuchende stets darauf verweisen lassen, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er auch besitzt und der ihn nicht verfolgt (vgl. BVerwG, U.v. 2.8.2007 – 10 C-13/07 – juris). Auf die durch Vorlage der Urkunde unter Beweis zu stellende Tatsache der syrischen Staatsangehörigkeit des Klägers kommt es daher zudem nicht entscheidungserheblich an.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. März 2017 rechtkräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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