Verwaltungsrecht

Zulässige und begründete Anfechtungsklage gegen Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, Lage in Griechenland für anerkannt Schutzberechtigten (lediger, körperlich eingeschränkter, schwerbehinderter Mann) – Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei Rückkehr nach Griechenland (bejaht), kein Aufrechterhalten der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 AsylG und keine Umdeutung in eine solche möglich

Aktenzeichen  AN 17 K 18.50743

Datum:
25.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44565
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AsylG i.V.m. § 71 AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AufenthG  § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. September 2018 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
3. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger  vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist begründet. Über den Hilfsantrag, der sachgemäß als Verpflichtungsantrag auszulegen ist, war mangels Bedingungseintritt nicht mehr zu entscheiden.
1. Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage (Hauptantrag) ist die allein statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids und die Folgeentscheidungen.
Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Zuge der Änderung des Asylverfahrensgesetzes infolge des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I Nr. 39 v. 5.8.2016). Danach ist die Anfechtungsklage gegen Bescheide, die die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 AsylG feststellen, die allein statthafte Klageart. Hintergrund hierfür ist der Umstand, dass die Asylanträge in diesen Fällen ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, abgelehnt werden. Insoweit kommt auch kein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkter Verpflichtungsantrag (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34.19 – juris, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – juris; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris) oder gar auf ein „Durchentscheiden“ des Gerichts in Betracht. Bei einer erfolgreichen Klage führt die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelung zur Fortführung des Asylverfahrens durch die Beklagte und damit zum erstrebten Rechtsschutzziel. Dabei bleibt es auch nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; zuvor schon angelegt in EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris), der lediglich inhaltliche Vorgaben im Hinblick auf den effektiven Rechtsschutz für international Anerkannte im Sinne des Art. 47 GRCh und Art. 46 Verfahrens-RL macht, aber keine prozessualen oder verfahrensrechtlichen Vorgaben, die dem nationalen Recht überlassen sind.
Hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten in Bezug auf Griechenland gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist für den Fall des Unterliegens mit der Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung, also hilfsweise, die Verpflichtungsklage zulässig, weil das Bundesamt insoweit gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG bereits eine Sachprüfung durchgeführt hat und deshalb eine gerichtliche Überprüfung möglich ist (BVerwG U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 20).
2. Die zulässige Anfechtungsklage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. September 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt.
(1) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dem Kläger wurde durch Griechenland internationaler Schutz zuerkannt. Die Norm setzt Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL 2013/32/EU in nationales Recht um und ist daher richtlinien- und europarechtskonform auszulegen. Nach Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL dürfen die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof der Vorschrift im Wege der Auslegung noch ein weiteres, negatives Tatbestandsmerkmal entnommen. Nach der Entscheidung vom 13. November 2019 ist es den Mitgliedsstaaten nämlich nicht möglich von der Befugnis des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedsstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris). Nach Art. 52 Abs. 3 GRCh ist dabei auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen.
Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat also in richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen, ob dem im anderen Mitgliedsstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Dem steht auch nicht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht entgegen, welcher besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union, wie sie etwa in Art. 4 GRCh zum Ausdruck kommen, anerkennen, das sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GRCh anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL, in dem er zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3).
Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen (und bekommen), bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat grundrechtswidrig behandelt werden. Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 -Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 86 ff.).
Derartige Funktionsstörungen müssen eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C -297/17 u.a. – juris Rn. 89). Nicht ausreichend für das Erreichen dieser Schwelle ist der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungs-RL 2011/95/EU entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36). Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund derer sich die betreffende Person in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 91). Daher kann auch der Umstand, dass inter-national Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not im oben genannten Sinne befände. Dafür genügt nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem einer neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97). Ebenso wenig ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat in Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94, 96).
Bei dem so definierten Maßstab ist weiter zu berücksichtigen, ob es sich bei der betreffenden Person um eine gesunde und arbeitsfähige handelt oder eine Person mit besonderer Verletzbarkeit (Vulnerabilität), die leichter unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 26). Damit schließt sich der Europäische Gerichtshof der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127), die wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh auch im Rahmen des Art. 4 GRCh zu berücksichtigen ist.
Für die demnach zu treffende Prognoseentscheidung, ob dem Kläger eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss insoweit aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (OVG RhPf, a.a.O.; vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 187).
(2) Dabei legt das Gericht hinsichtlich der in Griechenland herrschenden Lebensverhältnisse für zurückkehrende, anerkannt Schutzberechtigte folgende Lage zugrunde:
Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; anders, aber nur „nach bisheriger Kenntnis“: Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 5). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels geht jedoch nach jüngeren Berichten mit bürokratischen Hindernissen und zeitlichen Verzögerungen einher. So genügt ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der griechischen Behörden, mit dem internationaler Schutz zuerkannt wird, für sich genommen nicht, um eine Aufenthaltserlaubnis beantragen zu können. Zusätzlich erforderlich ist ein sogenannter ADET-Bescheid, der häufig, aber nicht immer zusammen mit dem Anerkennungsbescheid zugestellt wird. Bei dem ADET-Bescheid handelt es sich um einen Bescheid des zuständigen Regionalbüros der Asylbehörde, durch den die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis angewiesen wird. Verfügt der Anerkannte über keinen ADET-Bescheid, muss er ihn beim zuständigen Regionalbüro der Asylbehörde zuerst beantragen und kann erst nach Erhalt beim regional zuständigen Passamt der griechischen Polizei einen Termin vereinbaren, um die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu beantragen (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 11 ff.). Zu diesem Termin hat der Schutzberechtigte persönlich zu erscheinen. Mit der dann von der Passbehörde ausgestellten Bescheinigung über die eingereichten Belege kann der Anerkannte die Aufenthaltserlaubnis bei der regionalen Asylbehörde abholen (ACCORD, Griechenland, Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 7). Bis zur Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis vergehen in der Praxis mehrere Monate oder gar ein Jahr (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 20; Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 14 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 229 f.). Der Grund für die langen Wartezeiten liegt nach Auskunft der griechischen Polizei in behördlichen Zuständigkeitsverschiebungen im Januar und Juli 2020 und einem damit einhergehenden Bearbeitungsrückstau (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 14; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 229 f.).
Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
Eine funktionierende nationale Integrationspolitik bzw. Integrationsstrategie für anerkannte Flüchtlinge existiert, v.a. aufgrund fehlender Geldmittel, in Griechenland aktuell kaum (Stiftung Pro Asyl/RSA, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.). Hinsichtlich allgemeiner staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild unklar (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Es werden Sprach- und Integrationskurse im Rahmen des sog. Helios-Programmes – „Hellenic Support for Beneficiaries of International Protection“ – angeboten, welches jedoch für aus anderen EU-Ländern zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte in aller Regel nicht zugänglich ist (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 21 ff.). Darüber hinaus wird berichtet, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, Berufsbildungszentren und Universitäten Sprachkurse anbieten würden und im Speziellen die Athener Stadtverwaltung (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 27). Die Integrationsprogramme sind häufig von der Finanzierung durch die EU abhängig, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7).
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten (z.B. Hilfestellung bei der Beantragung von Sozialversicherungsnummer und Steuernummer und bei der Arbeitsplatzsuche) und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; United States Departement of State [USDOS], Greece 2020 Human Rights Report, S. 15). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1), entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2020 vom 7.4.2021). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5). Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren; diese können über die Anerkennung hinaus für einen Übergangszeitraum von 30 Tagen dort verbleiben (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 1; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte haben insbesondere keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Der UNHCR stellte – Stand Anfang Januar 2021 – ca. 11.550 Plätze, das griechische Migrationsministerium ca. 16.600 Plätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Dezember 2020), aber nur für Asylsuchende und für anerkannte Schutzberechtigte in den ersten 30 Tagen nach ihrer Anerkennung (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f., an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f., an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5 und an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2). Das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, und eine weitere Gesetzesänderung von März 2020 haben die früheren Bedingungen, die ein Verbleiben in der Flüchtlingsunterkunft für sechs Monate ermöglicht haben, verschärft (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Seit Juni 2020 wird die Verpflichtung zum Auszug, von der ca. 11.500 Personen betroffen sind, auch umgesetzt (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 1). Allerdings kann die Zahl der Personen, die die Unterkünfte für Asylbewerber tatsächlich verlassen mussten, nicht sicher eingeschätzt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 2). Zwangsräumungen scheinen jedenfalls nur bei Personen ohne besonderen Schutzbedarf, wie allein reisende Männer, durchgeführt zu werden (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 2).
Das Programm „Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection“ (Helios II-Programm), ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von NGOs und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Die Höhe der Zahlungen pro Monat liegt zwischen 162 Euro für Alleinstehende und 630 Euro für Familien ab sechs Personen für mindestens sechs und höchstens 12 Monate, zusätzlich gibt es einen Startzuschuss zur Zahlung der Mietkaution und zur Deckung der ersten Anschaffungskosten, der nach Haushaltsgröße differenziert zwischen 301 Euro für einen Einpersonenhaushalt und 1060 Euro für einen Haushalt mit sechs oder mehr Personen liegt. Das Programm richtet sich aber nur an international Schutzberechtigte, die nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, die zum Zeitpunkt der Zustellung ihres Anerkennungsbescheides in einer Flüchtlingsunterkunft, einem Empfangs- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel des IOM FILOXENIA-Projekts oder in einer Wohnung des ESTIA-Programmes untergebracht waren, dem HELIOS-Programm beigetreten sind und sich innerhalb von 12 Monaten nach Zuerkennung des Schutzstatus angemeldet haben (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 7; Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 4). Ob Rückkehrern aus dem Ausland diese Möglichkeit offensteht, ist unklar (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 3). Seit September 2020 kann über das Helios-Programm auch eine zweimonatige Unterkunft von Anerkannten in Hotels sichergestellt werden. Diese Maßnahme lief jedoch regulär Ende 2020 aus und wurde einmal bis Februar 2021 verlängert. Anfang März 2021 hat Griechenland bei der EU-Kommission einen Antrag auf Weiterfinanzierung gestellt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 21). Zusätzlich sollen Notfallkapazitäten in einem Lager in Athen zur Verfügung gestellt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 3). Neueren Quellen nach läuft das Helios II-Programm zunächst bis Juni 2021 (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 7; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 17).
Während einerseits berichtet wird, dass NGOs wie etwa Caritas gemischte Wohnprojekte anbieten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 24), sind anderen Quellen zufolge, abgesehen von HELIOS, derzeit keine weiteren Programme von NGOs bekannt, die international Schutzberechtigten beim Zugang zu Wohnraum unterstützen (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 18; Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 10 – gestützt auf Mitteilungen der Organisationen Greek Council for Refugees, SolidarityNow, Arsis und PRAKSIS, dass sie derzeit keinen Wohnraum oder Wohnunterstützung außerhalb des HELIOS-Programms anbieten).
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten in den kommunalen und durch NGOs betriebenen Unterkünften, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überfüllt (AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 247; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit. Ein Rechtsanspruch auf Obdachlosenunterbringung besteht nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020). Im Hinblick auf die begrenzten Kapazitäten bewerben sich viele Schutzberechtigte erst gar nicht für einen Platz in einer dieser Herbergen. Im Ergebnis bleiben viele anerkannt Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das Anmieten privaten Wohnraums verfügen oder nicht am Helios II-Programm teilnehmen können, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (Stiftung Pro Asyl/RSA, Update: Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 5 ff.). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist, die auch informelle Möglichkeiten zur Wohnungssuche eröffnen (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3), wobei auch berichtet wird, dass anerkannte Flüchtlinge auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Athen schlafen (Wölfl, „Anerkannte Flüchtlinge auf griechischem Festland obdachlos“, Der Standard, 22.1.2021). Die Polizei bringt obdachlose Anerkannte teils wieder in staatlichen Flüchtlingseinrichtungen unter. Auch von Migranten besetzte Häuser werden durch die Polizei immer wieder geräumt und deren Bewohner in Flüchtlingsunterkünfte auf dem Festland verteilt (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 3).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2). Für besonders Vulnerable können zur Vermeidung von Obdachlosigkeit Mietsubventionierungen gezahlt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2). Das soziale Wohngeld bzw. die Mietsubventionierung setzen allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2), wobei bei international Schutzberechtigten die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet wird (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1). Auch ist der legale Voraufenthalt von fünf Jahren durch fristgerecht eingereichte Steuererklärungen für die einzelnen Jahre nachzuweisen (vgl. Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 19). Die Einzelheiten regeln zahlreiche Erlasse. Der tatsächliche Versorgungsumfang ist unklar (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2).
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird, u.U. genügt eine Obdachlosenbescheinigung), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, (die Arbeitslosenkarte) und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f. und an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 5; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 12). Teilweise wird angeführt, dass ein Mietvertrag für eine Wohnung, die mindestens sechs Monate vor Antragstellung angemietet wurde, vorzulegen ist (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 12). Stiftung ProAsyl/RSA spezifizieren weitergehend, dass nur Haushalte mit einem solchen Mietvertrag anspruchsberechtigt sind, was weitere Personen, die nicht zur Kernfamilie gehören, vom Anspruch ausschließen würde (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 18; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 12). Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Davon abgesehen gibt es neuerdings eine einmalige Elternprämie von 2.000,00 Euro bei Geburt eines Kindes, allerdings nur für Mütter, die bereits seit 12 Jahren oder bei Geburten von 2020-2023 seit mindestens 2012 in Griechenland leben (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 5). Für Eltern wird zusätzlich ein Kindergeld zwischen 28 und 70 Euro pro Kind – je nach Einkommen und Haushaltsgröße – gewährt, welches einen fünfjährigen ständigen und ununterbrochenen Aufenthalt in Griechenland voraussetzt, was durch Vorlage von Steuererklärungen belegt werden muss (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 13).
Es existieren Suppenküchen der NGOs, allerdings ist der Zugang zu Lebensmitteln in der Praxis nur eingeschränkt verfügbar. Einige Suppenküchen nehmen keine neuen Personen auf, andere erfordern eine Anmeldung und verfügen über keine Übersetzungsdienste und wieder andere verlangen eine Steuererklärung, eine registrierte Adresse oder eine Bescheinigung über die Obdachlosigkeit sowie eine Sozialversicherungsnummer (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 20; Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 11; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 25). Teilweise existieren kommunale Projekte. Voraussetzungen für den Zugang sind allerdings u.a. das Vorliegen einer Aufenthaltserlaubnis, einer Sozialversicherungs- und Steuernummer (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 25).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Aussichten auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes im Allgemeinen als schwierig einzustufen, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Griechenland, Stand 19.3.2020, S. 31), in deren Folge zahlreiche Beschäftigte insbesondere der Dienstleistungsbranche, im Verkauf und in haushaltsnahen Tätigkeiten arbeitslos wurden, wobei Frauen noch stärker betroffen sind als Männer (Eures, Kurzer Überblick über den Arbeitsmarkt, Stand Juli 2020, S. 1. u. 3). Dazu tritt derzeit noch der wirtschaftliche Einbruch in Folge der Corona-Pandemie. Das Corona-Virus und der staatliche angeordnete Lockdown haben zu einem Einbruch der griechischen Wirtschaft im dritten Quartal 2020 von 11,7% geführt. Im wirtschaftlich bedeutsamen Tourismus-Sektor, der im Jahr 2019 noch ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes beigetragen hatte, gingen die Urlauberzahlen 2020 um 80% zurück. Im Jahr 2021 erwartet die Regierung jedoch statt eines Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt von 7,5% immerhin noch ein Plus von 4,8%. Um den Folgen des coronabedingten Wirtschaftseinbruchs zu begegnen, stellte der griechische Staat im Jahr 2020 23,9 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft zur Verfügung und plant diese im Jahr 2021 um weitere 7,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Trotz der hohen Schuldenquote von 209% des Bruttoinlandsproduktes ist die Finanzierung des griechischen Staates wegen eines Liquiditätspuffers von 30 Milliarden Euro derzeit nicht in Gefahr (Höhler, „Corona wirft Griechenland weit zurück“, Redaktionsnetzwerk Deutschland, 25.12.2020). Auch sind Anzeichen für eine weitere Erholung der griechischen Wirtschaft erkennbar: Die Einreise nach Griechenland zu touristischen Zwecken ist unter Auflagen wieder möglich und es wird seitens griechischer und ausländischer Investoren vermehrt in Hotel- und Energieprojekte investiert (Germany Trade and Invest [GTAI], Griechenland: Zurück zur Normalität, Stand 28.5.2021). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind allerdings meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Erreichbar sind Hilfsarbeiterjobs, insbesondere in der Landwirtschaft (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 6). Erschwerend hinzu treten regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7) sowie bürokratische Hürden beim Eintritt in den legalen Arbeitsmarkt wie die Erlangung der Steueridentifikationsnummer (Tax Registration Number – AFM) und der Sozialversicherungsnummer (AMKA). Die Ausstellung einer Steueridentifikationsnummer setzt einen Wohnsitznachweis voraus (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 15 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 248 f.; Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 25: zusätzlich „residence permit“ erforderlich). Hinsichtlich der Ausstellung der Sozialversicherungsnummer wird vereinzelt berichtet, dass diese seit Juli 2019 für nicht-griechische Staatsbürger nicht mehr möglich sei (Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 26). Neuere Quellen berichten zwar von Schwierigkeiten, nehmen aber keine Unmöglichkeit an (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 16 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 251 f.; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 9 f.). Jedenfalls erfordert die Beantragung einer Sozialversicherungsnummer wiederum u.a. eine gültige Aufenthaltserlaubnis mit den damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen (s.o.), eine Korrespondenzadresse (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 9 f.) sowie eine Steueridentifikationsnummer (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 16 f.). Je nach Ort und zuständiger Behörde schwankt die Ausstellungszeit für die Sozialversicherungsnummer (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 9 f.: schnelle Gewährung bis Anforderung zusätzlicher Unterlagen).
Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannter Schutzberechtigter findet außerhalb des Helios II-Programmes derzeit nicht statt (Stiftung Pro Asyl/RSA, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), jedoch haben einige NGOs Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2 ff. und an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7).
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und zum Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen wie für griechische Staatsangehörige gegeben. Es besteht Zugang zum regulären öffentlichen Gesundheitssystem. Für Medikamente besteht eine Zuzahlungspflicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9). Die Versorgung unterliegt denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.). Von der im Grundsatz kostenfreien staatlichen Gesundheitsfürsorge ist auch die Hilfe bei psychischen Erkrankungen umfasst (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 5). Auch beim Zugang zum Gesundheitssystem sind – vergleichbar mit dem Zugang zum legalen Arbeitsmarkt – bürokratische Hindernisse zu überwinden. Insbesondere muss vor Inanspruchnahme des Gesundheitssystems die Sozialversicherungsnummer (AMKA) ausgestellt sein, was mit den bereits beschriebenen Schwierigkeiten und Wartezeiten verbunden ist (s.o. und Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 20; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 5; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 251 f.), wobei eine vorläufige AMKA genügt (ProAsyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 20). Eine Notfallversorgung wird jedoch stets und unabhängig vom Rechtsstatus gewährleistet (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 21).
Griechenland ist von COVID-19 weiterhin betroffen. Jedoch ergreift Griechenland Maßnahmen gegen die Pandemie wie etwa Beschränkungen des öffentlichen Lebens, Hygieneregelungen, Einreisebeschränkungen, Quarantäneregelungen (Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise zu Griechenland, Stand: 14.10.2021). Zudem wurden gemäß den Zahlen der Johns Hopkins University vom 14. Oktober 2021 bereits 12.347.016 Impfdosen verabreicht.
(3) Unter Beachtung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes und der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte insbesondere auch unter Berücksichtigung der derzeit noch verschärften wirtschaftlichen Lage auch infolge der Corona-Pandemie ergibt sich in Zusammenschau mit dem Vortrag des Klägers im hier zu betrachtenden Einzelfall nach Überzeugung des Gerichts eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung des Klägers bei einer Rückkehr nach Griechenland. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt.
Die Lebensverhältnisse von Schutzberechtigten in Griechenland stellen sich nach Auffassung des Gerichts (so auch die Kammerrechtsprechung vgl. etwa VG Ansbach, U.v. 10.7.2020 – AN 17 K 18.50449 – juris) nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh dar. Zwar haben international oder subsidiär Schutzberechtigte nach der Ankunft in Griechenland möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen effektiv gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie anfangs für einen nicht unerheblichen Zeitraum teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des sozialen Solidaritätseinkommens zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist die Abdeckung der Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ für eine Übergangszeit nach der Rückkehr nach Griechenland durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen und die Hilfestellung von NGOs geprägt, die im Bereich der sozialen Unterstützung, Nahrungsmittelhilfe, Bildung, medizinischen Versorgung und teils auch der Unterbringung aktiv sind (s.o.; eine Übersicht der zahlreichen in der Flüchtlingshilfe engagierten Organisationen in Griechenland bietet: Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019).
Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte, damit ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr droht, nach Überzeugung des Gerichts grundsätzlich in der Lage sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative und unter Inanspruchnahme von Hilfsangeboten selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland (so auch: VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A – juris Rn. 40; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A – juris Rn. 43; VG Leipzig B.v. 17.2.2020 – 6 L 50/19 – BeckRS 2020, 2228 Rn. 15; anders insbesondere OVG NW, U.v. 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A – juris). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. Art. 3 EMRK gewährt grundsätzlich keinen Anspruch auf den Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A – juris Rn. 39). Soweit es die spezifischen Bedürfnisse Schutzberechtigter verlangen, dass ihnen zumindest in einer ersten Übergangsphase ein Mindestmaß an Fürsorge und Unterstützung bei der Integration zukommt, ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich NGOs bei der Integration anerkannter Schutzberechtigter eine wichtige Rolle spielen und diese als Umsetzungspartner der internationalen, von der Europäischen Union finanzierten und vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen koordinierten Hilfsprojekte fungieren (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A – juris Rn. 23, 25, 36; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A – juris Rn. 48 bis 54). Die Projekte der NGOs können in ihrer Gesamtheit das Fehlen eines staatlichen Integrationsplans nach Auffassung des Gerichts zumindest in einer Übergangsphase nach Rücküberstellung des Schutzberechtigten, der keine Merkmale besonderer Schutzwürdigkeit aufweist, kompensieren und sicherstellen, dass die elementaren Bedürfnisse von anerkannten Schutzberechtigten für die erste Zeit befriedigt werden können. Sie unterstützen auch bei der Erlangung der sozialen Leistungen des griechischen Staates.
Bei dem 1990 geborenen Kläger handelt es sich zwar um einen jungen, alleinstehenden Mann, der nicht durch familiäre Zwänge oder Verpflichtungen eingeschränkt ist. Der gebildete Kläger hat nach eigenen Angaben im Heimatland das Abitur gemacht und ein Tiermedizinstudium begonnen. Auch gab er an, Arabisch, Englisch und ein bisschen Deutsch und Französisch zu sprechen. Jedoch ist der Kläger schwerbehindert mit einem GdB von 80%. Weiter ist er nach dem Zusatz B und der entsprechenden Anmerkung in seinem Schwerbehindertenausweis berechtigt, eine Begleitperson mitzunehmen. Das ebenfalls eingetragene Merkzeichen „G“ bescheinigt dem Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bzw. eine erhebliche Geh- und/oder Stehbehinderung. Unter Berücksichtigung dessen, aus einer Gesamtschau der vorgelegten ärztlichen Atteste zu den körperlichen Erkrankungen sowie aus dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen hat, ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen in seiner Lebensführung stark eingeschränkt ist, was negative Auswirkungen auf ein Leben in Selbständigkeit und Eigenverantwortung hat. Er ist zudem nur begrenzt arbeitsfähig. Der Kläger ist nach Überzeugung des Gerichts nicht in der Lage, in den harten Lebensbedingungen in Griechenland zu bestehen.
Zunächst steht ihm weder eine Unterkunft im Rahmen des ESTIA-Programms noch des Helios-II-Programms zur Verfügung. Auch ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine Anmietung einer Unterkunft auf dem privaten Wohnungsmarkt möglich sein wird, nicht zuletzt wegen fehlender finanzieller Mittel des Klägers. Faktisch besteht für den Kläger aufgrund des geforderten legalen Voraufenthaltes von fünf Jahren im Hinblick auf wohnungsbezogene Sozialleistungen und von zwei Jahren im Hinblick auf das Sozialgeld und der diesbezüglich beizubringenden Dokumente für geraume Zeit kein Anspruch auf diese Beihilfen. Dass der Kläger von griechischer Seite angesichts seiner Schwerbehinderung und/oder Erkrankungen als vulnerable Person eingestuft wird und eine besondere Betreuung und Hilfe erfährt, insbesondere eine Unterkunft zugewiesen bekommt, ist äußerst ungewiss. Verlängerte Auszugsfristen für vulnerable Personen kommen dem Kläger als Rückkehrer jedenfalls nicht zugute (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 30). Um Unterstützungsleistungen wegen einer Behinderung zu beantragen bedarf es neben weiteren Voraussetzungen u.a. einer gültigen Aufenthaltserlaubnis und einer Sozialversicherungsnummer (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 31), so dass der Kläger, der beides bei seiner Rückkehr (noch) nicht vorweisen kann, diese Leistungen für einen nicht unerheblichen Zeitraum bis zum Vorliegen der erforderlichen Dokumente noch nicht einmal beantragen kann. Ob darüber hinaus, wie bei den anderen Sozialleistungen, zudem ein legaler Aufenthalt von zwei Jahren nachzuweisen ist, ist unklar (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 5). Überdies wird im Zuge des Antrages der Schweregrad der Behinderung von einem medizinischen Fachausschuss evaluiert, die Bewertung muss bei 67 Prozent und höher liegen (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, 26.8.2021, S. 31), so dass auch die Bewilligung der Leistungen ungewiss ist. Darüber hinaus kann die Bearbeitungszeit selbst bei Vorliegen aller Voraussetzungen Monate dauern (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 5). Mit der selbstständigen Erwirtschaftung wenigstens des eigenen Existenzminimums und damit auch der Finanzierung von Wohnraum ist bei dem Kläger angesichts der gesundheitlichen Einschränkungen nicht zu rechnen. Anerkannte Schutzberechtigte sind in Griechenland meist in niedrigqualifiziertem Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig. In Betracht kommen hier vor allem der Tourismusbereich, das Baugewerbe und die Landwirtschaft, wo die körperliche Arbeit im Vordergrund steht und eine entsprechende Belastbarkeit gegeben sein muss, die der Kläger aber nicht hat. Insofern steht dem Kläger, obwohl gebildet, faktisch nur ein schmaler Bereich des Arbeitsmarktes offen. Es ist weder kurzfristig (hier bereits aufgrund der anfangs noch fehlenden formellen Voraussetzungen wie etwa Aufenthaltserlaubnis, Steuer- und Sozialversicherungsnummer) noch langfristig (aufgrund der Konkurrenzsituation mit ungleich leistungsfähigeren Bewerbern, insbesondere Griechen) zu erwarten, dass der Kläger sein Existenzminimum selbst erwirtschaften kann. Dass der in Deutschland lebende Bruder den Kläger in ausreichendem Maße unterstützen könnte und würde, ist nicht zu erwarten. Eine Unterbringung des Klägers in Obdachlosenunterkünften ist – angesichts der limitierten Kapazitäten und der teils bestehenden Aufnahmebeschränkungen wie etwa griechischen oder englischen Sprachkenntnissen – für den gesundheitlich beeinträchtigten Kläger eine zu vage und unwahrscheinliche Möglichkeit, die die tatsächliche Gefahr der drohenden Obdachlosigkeit nicht zu beseitigen vermag. Selbiges gilt für die wenigen Wohnprojekte der NGOs. Etwaige informelle Möglichkeiten zur Unterkunft, wie leerstehende oder besetzte Gebäude, meist ohne Wasser und Strom, sind ihm aufgrund seines Gesundheitszustandes ebenfalls nicht zumutbar.
Prognostisch ist bei dem Kläger daher mit seiner Verelendung in Griechenland zu rechnen. Ob der Kläger, neben den körperlichen Einschränkungen, auch an psychischen Erkrankungen (Stichwort: posttraumatische Belastungsstörung) leidet, kann offen bleiben, da es nicht entscheidungserheblich darauf ankommt.
Die zu erwartenden Lebensumstände in Griechenland beruhen zwar nicht auf der Gleichgültigkeit (so die Formulierung des EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90) des griechischen Staates, aber auf dessen massiver Überforderung, die trotz Unterstützung des UNHCR und der EU weiterhin besteht. Im europäischen Vergleich muss Griechenland gemessen an seiner Größe überproportionale Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen schultern und ist mit diesem Ausmaß, insbesondere was die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung anbelangt, überfordert. Für die Betroffenen wirkt sich die Überforderung des griechischen Staates im Ergebnis genauso wie Gleichgültigkeit, worauf der Europäische Gerichtshof abgestellt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90), aus. Rechtlich maßgeblich ist letztlich allein, ob wegen der Defizite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht, was sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ergibt, da dieser an anderer Stelle den „allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 der Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet“, betont (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 37).
Der Annahme einer drohenden erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger als anerkannter Schutzberechtigter freiwillig aus Griechenland ausgereist ist, damit – möglicherweise sogar bewusst – auf die ihm zustehenden Sozialleistungen verzichtet und seine eigene Notsituation im Falle einer Rückkehr erst herbeigeführt hat. Zwar stellt der Europäische Gerichtshof grundsätzlich auf eine Notsituation der schutzberechtigten Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen“ ab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Allerdings kommt Art. 4 GRCh in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs absoluter Charakter zu, d.h. Einschränkungen in dessen Gewährleistung sind nicht rechtfertigbar (EuGH, U.v. 24.2.2018 – MP, C-353/16 – ZAR 2018, 395 Rn. 36; Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 12). Zudem lässt sich der Europäische Gerichtshof auch so verstehen, dass die Notsituation unabhängig vom Willen und persönlichen Entscheidungen des Anerkannten sich erst auf die Situation ab einer angenommenen Rückkehr nach Griechenland bezieht und deshalb das zeitlich davorliegende Verhalten keine Rolle mehr spielt.
Schließlich vermag auch das allgemeine Schreiben des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 bezüglich zurückkehrender anerkannter Flüchtlinge nach Griechenland eine drohende unmenschliche Behandlung nicht auszuschließen. In diesem wird zugesichert, dass Griechenland die Qualifikations-RL 2011/95/EU rechtzeitig in griechisches Recht umgesetzt hat und basierend hierauf allen international Schutzberechtigten die Rechte aus der Richtlinie gewährt werden unter Beachtung der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Zusicherung, die die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung ausschließen soll, muss nach der Rechtsprechung des EGMR hinreichend konkret und individualisiert, etwa durch detaillierte und zuverlässige Informationen über die materiellen Bedingungen in der Unterkunft mit Bezug zum Kläger ausgestaltet sein (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127 Rn. 120 ff.). Das Bundesverfassungsgericht betont hinsichtlich der Beurteilung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK die Notwendigkeit einer „hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage“ (BVerfG [2. Senat, 1. Kammer], B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 15 f., wo auch auf die Tarakhel-Entscheidung des EGMR Bezug genommen wird). Gemessen an diesem Maßstab bleibt die Mitteilung Griechenlands vom 8. Januar 2018 zu abstrakt und damit nicht ausreichend.
(4) Die Unzulässigkeitsentscheidung kann auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten oder in eine andere Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 AsylG umgedeutet werden.
Vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung hat das Gericht zu prüfen, ob die Entscheidung auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21). Der Kläger hat bereits 2015 in Deutschland erstmals einen Asylantrag gestellt, den er aber zurücknahm und in den Irak ausreiste. Das Asylverfahren wurde mit Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2017 eingestellt und die Abschiebung zuvorderst in den Irak angedroht. Nach erneuter Einreise in das Bundesgebiet stellte der Kläger am 9. Juli 2018 einen erneuten Asylantrag, der mit streitgegenständlichen Bescheid verbeschieden wurde. Somit ist an § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 AsylG zu denken, da der Kläger nach Rücknahme seines Asylantrages einen erneuten Asylantrag in Deutschland stellte, § 71 Abs. 1 AsylG. Ein Aufrechterhalten der Unzulässigkeitsentscheidung auf Basis eines anderen Unzulässigkeitstatbestandes ist aber nur dann möglich, wenn und soweit der angefochtene Verwaltungsakt hierdurch nicht in seinem Wesen verändert wird (genauer: BVerwG, U.v. 16.11.2015 – 1 C 4/15 – juris Rn. 28). Zwar findet auch bei § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 AsylG keine inhaltliche Prüfung des Asylantrages statt. Jedoch knüpft das Gesetz an diese Entscheidungen unterschiedliche Rechtsfolgen, so dass prozessual von verschiedenen Streitgegenständen auszugehen ist. Eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann allenfalls zu einer Abschiebung des Betroffenen in einen anderen „sicheren“ Mitgliedstaat der Europäischen Union führen, der ihm bereits Schutz gewährt hat. Bei einer die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnende Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V. m. § 71 AsylG könnte der Betroffene in jeden zu seiner Aufnahme bereiten Staat, primär in den Herkunftsstaat abgeschoben werden (BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39/16 – juris Rn. 45), gegebenenfalls auch ohne dass eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen werden müsste (§ 71 Abs. 5 AsylG). Ein weiterer, eine Wesensverschiedenheit begründender Unterschied besteht darin, dass nur bei der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen der Schutzzuerkennung in einem anderen Mitgliedstaat (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) die Unzulässigkeitsentscheidung und Abschiebungsandrohung im Falle der Stattgabe eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO unabhängig von deren Gründen gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG kraft Gesetzes unwirksam wird, während dies bei § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 AsylG nicht der Fall ist (ausführlich: Nds.OVG, B.v. 20.2.2020, 10 LA 53/20 – juris, vgl. auch VG Bremen, U.v. 7.4.2021, 2 K 3061/17 – juris).
Aber auch eine Umdeutung, § 47 VwVwG, in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V. m. § 71 AsylG kommt nicht in Betracht. Bei der Umdeutung nach § 47 VwVfG wird die im Verwaltungsakt getroffene Regelung nicht lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt, sondern durch eine andere (rechtmäßige) Regelung ersetzt. Hierzu sind – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 VwVfG – nicht nur die Behörden, sondern auch die Verwaltungsgerichte ermächtigt (BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35/19 – juris Rn. 16, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – juris Rn. 40). Gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter und damit rechtswidriger Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Umdeutung scheitert hier schon daran, dass die Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V. m. § 71 AsylG für den Kläger ungünstiger wären. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ist eine Umdeutung ausgeschlossen, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes, wobei nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren Rechtsfolgen der Entscheidung in den Blick zu nehmen sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2015 – 1 C 4/15 – juris Rn. 32). Wie bereits ausgeführt sind die Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V. m. § 71 AsylG für den Betroffenen ungünstiger, was den Zielstaat der Abschiebung angeht. Zudem ist bei Entscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in jedem Falle eine Abschiebungsandrohung zu treffen, § 35 AsylG, während dies bei Konstellationen, die unter § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 AsylG nicht immer der Fall ist, § 71 Abs. 5 AsylG, was ebenfalls nachteiliger für den Betroffenen ist. Eine Umdeutung scheidet nach alledem aus.
b) Nachdem Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben ist, sind in deren Folge auch die Ziffern 2 bis 4 aufzuheben.
Die unter Ziffer 2 getroffene Feststellung der Beklagten, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist im Falle der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin ebenfalls aufzuheben, weil sie verfrüht ergangen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21, U.v. 25.4.2019 – 1 C 51/18 – juris Rn. 20).
Weiter ist die in Ziffer 3 getroffene Abschiebungsandrohung gemäß §§ 35, 38 AsylG aufzuheben (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21, U.v. 25.4.2019 – 1 C 51/18 – juris Rn. 20). Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher ist. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt nach Aufhebung der Ziffer 1 nicht vor, s.o., § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ebenso wenig einschlägig. Von der Aufhebung umfasst ist auch die Feststellung in Ziffer 3 letzter Satz des streitgegenständlichen Bescheids, dass der Kläger nicht in den Irak abgeschoben werden darf. Diese steht ersichtlich in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit der Abschiebungsandrohung und kann ohne diese nicht mit sinnvollem Regelungsgehalt isoliert stehen bleiben. Die Benennung des behaupteten Verfolgerstaats als denjenigen, in den nicht abgeschoben werden darf, erfolgt allein deshalb, weil bei einem unzulässigen Asylantrag nicht inhaltlich geprüft wird und es deshalb auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Herkunftsstaat des Ausländers eine Verfolgungsgefahr besteht (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 29. Edition Stand 1.4.2021, § 35 AsylG Rn. 11).
Die in Ziffer 4 festgelegte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ist mit dem Wegfall der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden und ebenfalls aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11 ZPO, 711 ZPO.


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