Europarecht

Anspruch auf Schadensersatz bei Erwerb eines vom Abgasskandal betroffenen (gebrauchten) Dieselfahrzeugs (hier: VW Sharan 2,0 l TDI)

Aktenzeichen  18 U 5833/19

Datum:
17.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23261
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EG-FGV § 27 Abs. 1
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 S. 1, § 311 Abs. 3
KraftStG § 12 Abs. 2 Nr. 4

 

Leitsatz

1. 1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG München BeckRS 2020, 27213; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 27147; BeckRS 2020, 30676; OLG Düsseldorf BeckRS 2020, 7472; OLG Schleswig BeckRS 2020, 27245; BeckRS 2020, 28578; BeckRS 2020, 29085; OLG Karlsruhe BeckRS 2019, 48702; BeckRS 2019, 42547; BeckRS 2020, 7467; BeckRS 2020, 24946; BeckRS 2019, 48706; BeckRS 2019, 48713; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); bei OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), bei OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), bei OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), bei OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und bei KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal erfassten Fahrzeugs fehlt für eine Klage auf Feststellung, dass die Herstellerin ihm zur Schadensersatzleistung für sämtliche Schäden infolge der in den Motor des Fahrzeugs eingebauten „unzulässigen Abschalteinrichtung“ verpflichtet ist, das erforderliche Feststellungsinteresse, weil er sein Schadensersatzbegehren im Wege der vorrangigen Leistungsklage verfolgen kann. (Rn. 51 – 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Käufer steht gegen die Herstellerin ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des Fahrzeugs bezahlten Kaufpreises abzüglich Vorteilsausgleich für die Nutzung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zu. (Rn. 63 und 93) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 250.000 km; keine Deliktszinsen; kein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, wenn nur vorgerichtliche Aufforderung, in Vergleichsverhandlungen einzutreten bzw. nicht mit einer Bezifferung der Ansprüche verbundene Aufforderung, den Schadensersatzanspruch dem Grund nach anzuerkennen. (Rn. 108, 113 und 123) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 O 1370/19 2019-10-04 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten sowie den im Rahmen der Berufung der Klägerin gestellten Hilfsantrag zu Ziffer 1 vom 23.01.2020 wird das angefochtene Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 04.10.2019, Az.: 6 O 1370/19, unter gleichzeitiger Abweisung des Klageantrags zu Ziffer 1 dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 15.578,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2020 zu zahlen.
II. Im Übrigen werden die Berufungen der Parteien zurückgewiesen, diejenige der Klägerin unter gleichzeitiger Abweisung der Klage im Umfang der weitergehenden Hilfsanträge vom 23.01.2020.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Beklagte 39% und die Klägerin 61%.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des für den Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin, die mit Kaufvertrag vom 16.02.2015 ein vom sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffenes Kraftfahrzeug erworben hat, begehrt die Feststellung, dass die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs verpflichtet ist, ihr Schadensersatz für diejenigen Schäden zu leisten, die aus der Manipulation der Abgaskontrolle durch eine unzulässige Abschalteinrichtung resultieren. Daneben nimmt sie die Beklagte auf Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch. In zweiter Instanz macht sie hilfsweise zu ihrem Feststellungsbegehren einen Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises von 31.500 € Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte geltend.
Hinsichtlich der Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts Traunstein vom 04.10.2019 (Az.: 6 O 1370/19) Bezug genommen. Ergänzend stellt der Senat fest, dass das streitgegenständliche Fahrzeug bei Erwerb durch die Klägerin einen Kilometerstand von 36.000 aufwies.
Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen dem Feststellungsantrag stattgegeben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Für den Feststellungsantrag sei ein Feststellungsinteresse gegeben; denn die Klägerin könne ihren Schaden nur teilweise beziffern. Den in Betracht kommenden Schadensersatzansprüchen sei gemein, dass sie sämtlich auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet seien. Wenn die Klägerin, wie sie geltend mache, durch falsche oder irreführende Angaben zum Abschluss eines Vertrags verleitet worden sei, stehe ihr ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übertragung des Eigentums und des Besitzes an dem streitgegenständlichen Fahrzeug zu. Diesen Anspruch könne die Klägerin zwar auch unter Berücksichtigung einer abzuziehenden Nutzungsentschädigung beziffern. Ihr könne aber auch ein Anspruch auf Freistellung von befürchteten Forderungen Dritter, auf entgangenen Gewinn oder Ausgleich sonstiger Nachteile im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss zustehen. Solche Nachteile habe die Klägerin konkret vorgetragen. In der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2019 habe sie überzeugend angegeben, dass es nach dem Software-Update zu Problemen mit der „Elektrik“ der Schiebetür und der Heckklappe gekommen sei; auch habe die Anzeige des Motorwarnsystems aufgeleuchtet und der Katalysator sei kaputt gegangen. Die Klägerin habe plausibel und einleuchtend geschildert, dass aufgrund der Vorkommnisse und des mit dem Update verbundenen Eingriffs in das System des Fahrzeugs künftig weitere, noch nicht absehbare Schäden zu befürchten seien.
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 3 BGB zu. Zwischen den Parteien bestehe ein Schuldverhältnis. Die Beklagte sei zwar nicht selbst Vertragspartnerin der Klägerin geworden, habe jedoch durch Inanspruchnahme eines besonderen Vertrauens die Vertragsverhandlungen erheblich beeinflusst und da bei nicht unerheblichem eigenen Interesse am Vertragsschluss.
Daneben stehe der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu, weil sich die Manipulation (scil.: der Abgasreinigung) als der Beklagten zurechenbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstelle. Die Beklagte habe die Klägerin über die Gesetzeskonformität des von ihr erworbenen Fahrzeugs bzw. des darin verbauten Motors getäuscht. Wer innerhalb der Europäischen Union ein Kraftfahrzeug erwerbe, gehe davon aus, dass dieses mit seinen zulassungsrelevanten Komponenten die bekanntermaßen vor dem Inverkehrbringen vorgeschriebene Zulassungsprüfung nach den geltenden Gesetzen durchlaufen habe. Dies umfasse die Vorstellung, dass das Ergebnis der Zulassungsprüfung nicht durch Manipulationen gleich welcher Art so verfälscht worden sei, dass die Zulassung – wie im vorliegenden Fall – nur aufgrund der Manipulationen habe erfolgen können. Folglich erkläre der Fahrzeughersteller konkludent mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs, dass das jeweilige Produkt den behördlichen Zulassungsprozess ohne Manipulationen durchlaufen habe.
Die von der Beklagten begangene Täuschung sei für die Kaufentscheidung der Klägerin kausal gewesen, wie diese plausibel vorgetragen habe. Die Klägerin habe durch den Abschluss des Kaufvertrages einen Schaden erlitten. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung könne ein Vermögensschaden schon darin liegen, dass der Betroffene in seiner konkreten Vermögensdisposition beeinträchtigt sei. Werde jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, könne er auch bei objektiver Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar sei. Die Klägerin habe überzeugend angegeben, dass sie bei Kenntnis des Umstands, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einer abgasrechtlichen Problematik betroffen sei, den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Für die Argumentation der Beklagten, es sei für den Autokäufer nicht entscheidend, ob das Fahrzeug speziell für den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) mit einer Software ausgerüstet sei, um die nur in diesem Rahmen vorgegebenen Bedingungen zu erfüllen, spreche kein allgemeiner Erfahrungsgrundsatz. Mit einzubeziehen sei, dass das Kraftfahrtbundesamt eine Nachbesserung verlange, um die Zulassung nicht zu entziehen, und dass die erforderliche Nachrüstung in der breiten Öffentlichkeit sehr umstritten sei. In einer solchen Konstellation sei es gerade nicht lediglich subjektiv willkürlich, den geschlossenen Vertrag als Schaden anzusehen. Daher bestehe auch keine Verpflichtung, nach dem Aufspielenlassen des Updates das Fahrzeug zu behalten.
Die Beklagte habe auch verwerflich gehandelt, weil sie die unzulässige Abgassteuerung lediglich aus Gewinnstreben verwendet habe, wobei sie die berechtigten Kundeninteressen und die Belange der Allgemeinheit (Umweltschutz) bedenkenlos hintangestellt habe. Der erforderliche Schädigungsvorsatz sowie die Kenntnis von den Tatumständen, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen ließen, lägen vor. Dies folgere das Gericht aus dem planmäßigen perfiden Vorgehen der Beklagten, welches nur die eigenen Firmenbelange in den Vordergrund gestellt habe.
Die geltend gemachte Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten sei dagegen nicht zuzusprechen, weil die Klägerin nicht dargelegt habe, dass ein außergerichtliches Vorgehen gegen die Beklagte Ende 2018 erfolgversprechend gewesen sei. Die Klägerin habe bereits nicht ausreichend vorgetragen, dass im vorliegenden Streitverhältnis überhaupt vorgerichtliche Tätigkeiten ausgeübt worden seien. Jedenfalls gehe das Gericht davon aus, dass die Beklagte in den „Dieselskandalfällen“ außergerichtlich keine Zugeständnisse machen werde, dies aus versicherungsrechtlichen Gründen auch nicht könne und dies der Klägerin bewusst gewesen sei. Letzteres ergebe sich insbesondere aus den klägerseits vorgelegten Anlagen, wonach bereits im Jahre 2018 eine außergerichtliche Kommunikation zwischen den Klägervertretern und der Beklagten stattgefunden habe, aus der sich ergebe, dass die Beklagte ohne gerichtliches Verfahren keine Ansprüche anerkennen werde.
Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht verjährt. Die Klägerin habe am 17.12.2018 ihre Ansprüche zur Musterfeststellungsklage angemeldet. Am 24.05.2019 habe sie die Anmeldung zurückgenommen und am 01.07.2019 gegen die Beklagte Klage erhoben.
Das erstinstanzliche Urteil ist der Beklagten am 07.10.2019 und der Klägerin am 10.10.2019 zugestellt worden. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 11.10.2019, beim Oberlandesgericht München eingegangen am selben Tage, Berufung eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz vom 10.01.2020, eingegangen am selben Tage, begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum Ablauf dieses Tages verlängert worden war. Die Berufungsschrift der Beklagten ist am 04.11.2019 beim Oberlandesgericht München eingegangen, ihre Berufungsbegründung vom 09.01.2020 nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 10.01.2020.
Die Beklagte führt zur Begründung ihres Rechtsmittels im Wesentlichen – soweit für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits von Bedeutung – aus:
Die Entscheidung des Landgerichts beruhe auf einer Verletzung von Verfahrensrecht. Der klägerische Feststellungsantrag sei aufgrund fehlenden Feststellungsinteresses bereits unzulässig. Soweit die Klage angeblich bereits entstandene Schäden erfassen solle, scheitere das Feststellungsinteresse am Vorrang der Leistungsklage. Im Übrigen könne ein Feststellungsurteil keine endgültige Streitbeilegung bewirken, weil sich zwangsläufig Folgestreitigkeiten darüber anschließen würden, welche angeblichen Schäden der Klägerin auf dem Einsatz der streitgegenständlichen Software beruhten. Der Klägerin könnten allenfalls deliktische Schadensersatzansprüche zustehen, die auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet seien. In einem Folgeprozess wäre stets die Frage zu klären, ob angebliche künftige Schadensposten zum positiven oder negativen Interesse zählten. Zudem habe die Klägerin die Möglichkeit des Eintritts eines künftigen Schadens nicht substantiiert dargelegt. Schließlich sei der Feststellungsantrag auch nicht hinreichend bestimmt, weil nicht ersichtlich sei, welche angeblichen Schadenspositionen und Ansprüche von der Feststellungswirkung erfasst sein sollten.
Sämtliche von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche scheiterten bereits am Fehlen eines Schadens, was das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht erkannt habe. Allein die nachträgliche „Ungewolltheit“ einer Verbindlichkeit vermöge einen Schaden nicht zu begründen; Voraussetzung sei vielmehr, dass ein abgeschlossener Vertrag sich als nachteilig für den Anspruchssteller erweise.
Der Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei für die Klägerin nicht wirtschaftlich nachteilig gewesen. Die Klägerin habe hierdurch keine messbare Vermögenseinbuße im Sinne eines rechnerischen Minus erlitten. Unstreitig sei das streitgegenständliche Fahrzeug zu jeder Zeit technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt gewesen. Die streitgegenständliche Software habe keinen Einfluss auf die Zulassung oder Zulassungsfähigkeit. Es bestehe auch kein auf die streitgegenständliche Software zurückzuführendes Stilllegungsrisiko. Die EG-Typgenehmigung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp sei weiterhin wirksam. Die zuständigen Behörden hätten die Typgenehmigungen für die betroffenen Fahrzeuge nicht widerrufen bzw. entzogen. Die Beklagte habe durch den mit dem Kraftfahrtbundesamt Ende 2015 abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan dafür gesorgt, dass die Umschaltlogik in betroffenen Fahrzeugen aller Konzernmarken mittels eines Updates entfernt werde.
Ein rechnerisches Minus lasse sich auch nicht mit einem vermeintlichen Stillegungsrisiko für das streitgegenständliche Fahrzeug begründen. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestehe ein solches Risiko ohnehin nicht mehr; denn die Klägerin habe das Update bereits durchführen lassen. Selbst bei einer unzutreffend vorgenommenen exante-Sicht habe zu keinem Zeitpunkt eine von der Beklagten verursachte Gefahr der Stilllegung bestanden. Im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses habe das Stilllegungsrisiko allenfalls eine Vermögensgefährdung begründet; denn es hätten so lange keine behördlichen Sanktionen gedroht, wie die Umschaltlogik nicht „offengelegt“ gewesen sei. Nach der „Offenlegung“ der Umschaltlogik habe sich das Stilllegungsrisiko schließlich nicht realisiert, weil die zuständigen Behörden das Update für die betroffenen Fahrzeuge freigegeben hätten.
Ein nachteiliger Vertrag ergebe sich auch nicht aus vermeintlichen technischen Nachteilen, die angeblich durch das Update entstünden. Die Klägerin habe keine vermeintlich aufgetretenen Nachteile substantiiert vorgetragen. Nach den Feststellungen der zuständigen Behörden habe das Update keine nachteiligen Auswirkungen auf relevante Parameter.
Es liege schließlich auch kein Schaden durch subjektive Zweckverfehlung vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die Frage der Gebrauchsbeeinträchtigung danach zu beurteilen, ob die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansehe. Im vorliegenden Fall seien keine besonderen Zwecke der Klägerin ersichtlich, die über die gewöhnliche Verwendung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs hinausgingen. Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses habe es keine öffentliche Diskussion über Stickoxidwerte auf dem Prüfstand gegeben; die Klägerin habe sich deshalb hierzu keinerlei Gedanken gemacht. Für den mit einem Pkw-Kauf gewöhnlich verfolgten Zweck, nämlich die Nutzung im Straßenverkehr, sei das Fahrzeug jederzeit voll brauchbar gewesen.
Der vermeintlich eingetretene Schaden sei, wie das Oberlandesgericht Braunschweig in seinem Urteil vom 19.02.2019 (Az.: 7 U 134/17) zutreffend ausgeführt habe, auch nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst. Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden beruhe letztlich auf einer vermeintlichen Verletzung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und einer Nicht-Aufklärung hierüber. Mit der angeblichen Verletzung dieser – nicht drittschützenden – Norm könne keine Ersatzpflicht begründet werden; die Käufer seien lediglich mittelbar Betroffene.
Hilfsweise berufe sich die Beklagte darauf, dass jedenfalls nach dem Update kein Schaden mehr vorliege. Die Klägerin habe durch das Update genau das Fahrzeug erlangt, das sie habe erwerben wollen. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung lasse die nachträgliche Beseitigung eines verschwiegenen Mangels bzw. eines bereits eingetretenen Vermögensschadens einen auf § 826 BGB gestützten Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages entfallen. Es wäre rechtsmissbräuchlich, wenn ein Käufer Schadensersatz wegen einer Schädigung begehre, deren Tatbestand sich vollständig rückgängig machen lasse.
Rechtsfehlerhaft unterstelle das Landgericht einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verschweigen der Umschaltlogik und der Kaufentscheidung. Dabei verkenne das Landgericht, dass die Klägerin für die haftungsbegründende Kausalität vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet sei. Zum Beweis der haftungsbegründenden Kausalität könne nicht auf einen Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden, weil es keine typische Ursache gebe, die regelmäßig zum Abschluss eines Kaufvertrags führe. Die Entscheidung über den Kauf eines Fahrzeugs beruhe regelmäßig auf einem Bündel unterschiedlicher Motive, in das sich die Ergebnisse der Abgasuntersuchung nur als ein weiterer möglicher Beweggrund einreihten. Folglich fehle es bei der Entscheidungsfindung bereits an einem Lebenssachverhalt, der hinreichend reproduzierbar sei. Auch die für Fälle der Prospekthaftung entwickelte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens sei nicht anwendbar, weil diese eine Verletzung (vor) vertraglicher Aufklärungspflichten voraussetze.
Die Klägerin habe weder dargelegt noch bewiesen, dass die Beklagte sie zur Eingehung der angeblich ungewollten Verbindlichkeit veranlasst habe. Der Kausalitätsnachweis scheitere bereits an der Darlegung einer kausalen Täuschung durch die Beklagte. Die Beklagte sei am Kaufvertragsschluss nicht beteiligt gewesen. Eine aktive Täuschung durch die Programmierung der Software oder das Inverkehrbringen des Fahrzeugs scheide ebenfalls aus; denn eine Täuschung erfordere einen kommunikativen Akt gegenüber dem Getäuschten. Im Inverkehrbringen des Fahrzeugs liege nicht die konkludente Erklärung darüber, dass der streitgegenständliche Pkw den gesetzlichen Bestimmungen in jeder Hinsicht entspreche. Vielmehr sei anerkannt, dass im Anbieten des Kaufgegenstandes nicht die konkludente Erklärung liege, dass die Sache frei von Mängeln sei oder den Qualitätserwartungen des Käufers entspreche.
Die Beklagte habe die Kaufentscheidung der Klägerin auch nicht durch eine unterlassene Aufklärung beeinflusst. Eine entsprechende Aufklärungspflicht habe nicht bestanden, wie sich bereits aus den in der Pkw-EnVKV geregelten gesetzlichen Informationspflichten der Hersteller und Händler von Kraftfahrzeugen ergebe. Danach träfen den Hersteller nur Informationspflichten hinsichtlich des „offiziellen Kraftstoffverbrauchs“ und der „offiziellen spezifischen CO₂-Emissionen“; hinsichtlich des Stickoxid-Ausstoßes habe der Gesetzgeber keine Informationspflicht normiert. Wie die Beklagte wiederholt ausgeführt habe, gälten die Stickoxid-Grenzwerte, die für den Erhalt der EG-Typgenehmigung der Emissionsklassen Eu4 bis EU6 maßgeblich seien, gerade nicht im realen Straßenbetrieb, sondern allein unter artifiziellen Bedingungen auf dem Prüfstand. Die Umschaltlogik stelle auch keinen wertbildenden Faktor von ganz besonderem Gewicht dar, also einen Umstand, der den Vertragszweck des Käufers vereiteln und deshalb für eine Kaufentscheidung kausal sein könne. Die Umschaltlogik habe die Nutzung des Fahrzeugs unstreitig nicht beeinträchtigt; das Fahrzeug habe jederzeit ohne jede Beeinträchtigung des Vertragszwecks als Fortbewegungsmittel genutzt werden können.
Das „vertragliche Nachverhalten“ der Klägerin deute darauf hin, dass der Abschluss des Kaufvertrages tatsächlich nicht als ein auf einer Täuschung durch die Beklagte beruhender Schaden angesehen werden könne. Die Klägerin habe ihr Fahrzeug nach Vertragsschluss über Jahre beschwerdefrei und ohne Einschränkungen beschwerdefrei genutzt und tue dies immer noch. Es habe daher den Anschein, als habe die Klägerin zunächst an der „EA189-Thematik“ und dem erforderlichen Update keinen Anstoß genommen. Erst als es im Jahre 2017 – unabhängig von der streitgegenständlichen Umschaltlogik – vermehrt zu einer Diskussion über Fahrverbote in einigen Innenstädten für Dieselfahrzeuge aller Hersteller gekommen sei, habe die Klägerin nach einer Möglichkeit gesucht, um vermeintlich ungewollte Folgen des Kaufvertragsschlusses rückgängig zu machen bzw. finanzielle Vorteile aus der „EA189-Thematik“ zu ziehen.
Erst recht bestehe kein Kausalzusammenhang beim Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs. Zweiterwerber unterlägen selbst bei unterstellt fehlerhaften Angaben in etwaigen Prospekten keiner kausalen Täuschung. Die Annahme, dass im Rahmen von Gebrauchtwagenkäufen Werbeaussagen des Herstellers eine maßgebliche Rolle spielten, sei realitätsfern. Auch scheide eine Täuschung von Gebrauchtfahrzeug-Erwerbern durch das ursprüngliche Inverkehrbringen des Fahrzeugs aus; denn dieses sei ausschließlich in den direkten Absatzmarkt erfolgt und ohnehin ohne jeden Erklärungswert gegenüber den Erwerbern der Neufahrzeuge.
Die Beklagte beantragt,
das am 04.10.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Traunstein, Az.: 6 O 1370/19, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise für den Fall,
dass das Berufungsgericht von der Unzulässigkeit des vom Landgericht stattgegebenen Feststellungsantrags ausgehen sollte:
Ad 1:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozent seit dem 12.02.2015 bis Rechtshängigkeit sowie Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkws VW Sharan 2,0 l TDI, FIN: …89.
Ad 2:
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ EA 189, des Fahrzeugs VW Sharan 2,0 l TDI, FIN: …89, eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickstoffemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx-Ausstoß führt.
Im Rahmen ihrer eigenen Berufung beantragt sie:
1. Das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 04.10.2019, Az.: 6 O 1370/19, wird, soweit die Klage abgewiesen wurde, aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.419,08 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Zur Verteidigung des erstrittenen Feststellungsurteils führt die Klägerin im Wesentlichen aus, entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Feststellungsantrag zulässig, weil zumindest einzelne Schadenspositionen nicht bezifferbar seien. Maßgeblich sei insoweit, dass sie den möglichen Eintritt weiterer Schäden schlüssig dargelegt habe.
Die Klägerin sei zunächst möglichen Steuernachforderungen für das streitgegenständliche Fahrzeug ausgesetzt. Die (scil.: Kraftfahrzeug-)Steuer könne bis zu zehn Jahre nach ihrer Erhebung neu festgesetzt werden (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Ob und in welcher Höhe Nachforderungen gestellt würden, lasse sich nicht mit Sicherheit vorhersagen; denn die Entscheidung stehe allein im Ermessen der Behörde. Die Steuerbehörden seien allerdings gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG in ihrer Entscheidung gebunden. Wenn ihnen eine fehlerhafte Steuerfestsetzung bekannt werde, müssten sie die Steuer neu festsetzen.
Wie bereits erstinstanzlich vorgetragen, sei durch das aufgespielte Software-Update eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut worden. Die Abgasreinigung sei durch das Update dergestalt programmiert worden, dass sich ein „Thermofenster“ ergebe. Die Zulassungsbehörde könne das streitgegenständliche Fahrzeug trotz Update stilllegen. Dadurch könnte dem Kläger ein weiterer Schaden entstehen.
Das Umweltbundesamt habe am 11.09.2019 eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der es ausführe, dass das Update nicht geeignet sei, die betroffenen Fahrzeuge in einen zulassungsfähigen Zustand zu versetzen. Die Stickoxid-Emissionen überstiegen auch nach einem Update bei weitem die zulässigen Grenzwerte. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass ein erneuter Rückruf erfolgen werde.
Schließlich ergebe sich das erforderliche Feststellungsinteresse aus der drohenden Verjährung der Ansprüche. Ohnehin sei davon auszugehen, dass die Beklagte auf ein Feststellungsurteil hin leisten werde. Die Übertragung der diesbezüglichen zu Behörden und Versicherungsunternehmen entwickelten höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die Beklagte sei gerechtfertigt, weil diese einer staatlichen Aufsicht unterliege.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe habe in seinem Endurteil vom 18.07.2019 (Az.: 17 U 160/18) in einem Parallelverfahren die Zulässigkeit eines entsprechenden Feststellungsantrages bejaht. Das Oberlandesgericht Zweibrücken habe sich in seinem Endurteil vom 12.12.2019 (Az.: 4 U 168/18) dieser Auffassung in einem weiteren Parallelverfahren angeschlossen, desgleichen das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Endurteil vom 20.12.2019 (Az.: 5 U 202/18).
Einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte habe das Landgericht mit zutreffender Begründung bejaht. Außerdem könne die Klägerin den streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch auch auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 12, 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG, §§ 4, 6, 25 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung sowie § 831 BGB stützen.
Zur Begründung ihres eigenen Rechtsmittels sowie der mit Schriftsatz vom 23.01.2020 im Wege der Klageerweiterung gestellten Hilfsanträge führt die Klägerin im Wesentlichen aus:
Das Landgericht gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Klägerin kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zustehe. Erstinstanzlich sei bereits mit der Replik vorgetragen worden, dass die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die Beklagte beauftragt habe und die Ansprüche außergerichtlich von den Prozessbevollmächtigten geltend gemacht worden seien. Dies sei von der Gegenseite nicht bestritten worden, weshalb weiterer Vortrag hierzu nicht notwendig gewesen sei. Die Ansprüche der Klägerin seien mit Schreiben vom 27.02.2019 (Anlage KB 1, nach Bl. 349 d.A.) geltend gemacht worden; diese habe sämtliche Ansprüche zurückgewiesen. Das Landgericht habe insbesondere verkannt, dass sich die erforderliche Zweckmäßigkeit der Einschaltung eines Rechtsanwalts bereits aus dem Gebot der Waffengleichheit ergebe und zwar unabhängig von der Haltung der Beklagten in Parallelverfahren.
Eine Nutzungsentschädigung in Form des Vorteilsausgleichs sei gegenüber der Beklagten nicht geschuldet. Die Formel der Nutzungsentschädigung sei von der Rechtsprechung für die Fälle des Rücktritts entwickelt worden. Die Berechnung einer Nutzungsentschädigung auf der Grundlage der zum Kaufrecht entwickelten Rechtsprechung würde zu einer unbilligen Entlastung der Beklagten führen. Auch im Bereicherungsrecht könne sich der bösgläubige Bereicherungsschuldner im Falle seiner verschärften Haftung nicht auf die Saldotheorie berufen. Dies erscheine wegen der Arglist der Beklagten auch im vorliegenden Fall richtig. Auch der Gedanke des § 852 BGB sei für die Beantwortung der Frage, ob ein Vorteilsausgleich geschuldet sei, heranzuziehen. Nach dieser Vorschrift habe der Ersatzpflichtige nach der Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben, was er durch die unerlaubte Handlung erlangt habe. Eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen wäre wegen § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
Unabhängig davon sei der Kaufpreis des Fahrzeugs für die Bemessung einer im Rahmen des Vorteilsausgleichs anzurechnenden Nutzungsentschädigung ein ungeeigneter Parameter. Zwischen den Parteien sei kein Kaufvertrag geschlossen worden. Maßgeblich seien vielmehr die Produktionskosten des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die der Klägerin nicht bekannt seien. Die Klägerin schätze, dass diese maximal 30% des Nettokaufpreises des Neufahrzeugs ausmachten. Außerdem sei substantiiert und unter Beweisantritt vorgetragen worden, dass eine Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von mindestens 400.000 km anzusetzen sei. Die Beklagte sei für die Höhe der Nutzungsentschädigung darlegungs- und beweisbelastet.
Die Klägerin habe auch ohne konkreten Nachweis des Verlusts von Anlagezinsen gemäß §§ 849, 246 BGB Anspruch auf Deliktszinsen in Höhe von vier Prozent jährlich für die Zeit von der Zahlung des Kaufpreises bis zur vollständigen Erfüllung des Anspruchs auf Erstattung des Kaufpreises. Die Klägerin habe den Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug am 11.02.2015 an die Verkäuferin entrichtet. Auch wenn der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung dazu bestimme, über die Sache zu verfügen, entziehe er sie ihm. § 849 BGB wolle dem Geschädigten die Beweislast dafür abnehmen, welchen konkreten Schaden er durch die Einbuße an Nutzbarkeit der Sache erlitten habe. Damit knüpfe der Zinsanspruch zwar dem Grunde nach an die Nutzbarkeit der Sache an; für die Schadensentwicklung werde der Anspruch aber von dem Vorhandensein eines konkreten Nutzungsausfalls der Sache gelöst und führe zu einem abstrakten Mindestbetrag.
Die Beklagte führt in Erwiderung auf die Berufung der Klägerin aus, bei einer deliktsrechtlichen „Rückabwicklung“ des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug sei eine Vorteilsanrechnung in Form von Nutzungsersatz zwingend geboten. Andernfalls käme es zu einer ungerechtfertigten Überkompensation, die mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots nicht zu vereinbaren wäre. Auch der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz ändere nichts daran, dass bei der Rückabwicklung ein Nutzungsersatz in Abzug zu bringen sei.
Der Berechnung der Nutzungsentschädigung werde teilweise eine lineare Berechnung anhand der gefahrenen Kilometer zugrunde gelegt. Dieser Ansatz missachte aber die Besonderheiten des deliktischen Schadensrechts. Nach § 249 Abs. 1 BGB sei der aus Delikt zum Schadensersatz Berechtigte so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis hypothetisch stünde. Folglich müsse ermittelt werden, wie die Klägerin „heute“ stehen würde, wenn sie das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte. Die Annahme, dass die Klägerin in Kenntnis der Umstände gänzlich vom Erwerb eines Fahrzeugs abgesehen hätte, wäre fernliegend. Im Falle des zu unterstellenden Erwerb eines Alternativfahrzeugs wäre das Vermögen der Klägerin mit dem Wertverlust des Alternativfahrzeugs belastet gewesen. Dieser ersparte Wertverlust müsse bei der Berechnung des Schadens berücksichtigt werden. Dieser Auffassung habe sich im Grundsatz auch das Oberlandesgericht Frankfurt in seinem Hinweisbeschluss vom 25.09.2019 (Az.: 17 U 45/19) angeschlossen. Im Falle einer linearen Berechnung der Nutzungsentschädigung sei zumindest eine Gesamtlaufleistung von 200.000 bis 250.000 km zugrunde zu legen.
Ein Anspruch auf Deliktszinsen stehe der Klägerin nicht zu. Abgesehen davon, dass die geltend gemachte Hauptforderung nicht bestehe, fehle es auch an den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 849 BGB. Die Vorschrift sei bereits nach ihrem Wortlaut nicht einschlägig. Der Zinsanspruch habe zur Voraussetzung, dass wegen der Entziehung oder Beschädigung einer Sache entweder deren „Wert“ oder eine eingetretene „Wertminderung“ zu ersetzen sei; die Pflicht zur Verzinsung knüpfe damit an eine konkrete Werteinbuße an, die der Geschädigte erlitten habe. Die Klägerin habe durch den Abschluss des Kaufvertrages und dessen Erfüllung aber keine Werteinbuße in Höhe des Kaufpreises erlitten. Für die Zahlung des Kaufpreises habe sie das Eigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erhalten.
Auch dem Normzweck nach sei § 849 BGB nicht einschlägig. Die Vorschrift solle dem Verletzten einen Mindestbetrag zur Kompensation der erlittenen Einbuße an Nutzungsmöglichkeit gewähren. Die Klägerin habe den Kaufpreis aber nicht ohne Gegenleistung weggegeben. Ein Schaden durch „Einbuße an Nutzbarkeit“ sei der Klägerin durch die Erfüllung des Kaufvertrags nicht entstanden. Dies bestätige auch eine Kontrollüberlegung: Hätte die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug wegen der Umschaltlogik nicht erworben, hätte sie statt dessen ein anderes Fahrzeug erwerben müssen. Auch in diesem Fall hätte sie den Kaufpreis nicht behalten und nutzen können.
Hilfsweise berufe sich die Beklagte darauf, dass ein Zinsanspruch aus § 849 BGB jedenfalls deshalb ausgeschlossen sei, weil das Fahrzeug nicht direkt bei der Beklagten erworben worden sei. Die Anwendung der Vorschrift setze nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine unmittelbar bewirkte Entziehung voraus. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil keine Zahlung der Klägerin an die Beklagte erfolgt sei.
Ein Unterliegen der Klägerin hinsichtlich der beanspruchten Deliktszinsen sei wegen der Erheblichkeit des geltend gemachten Betrags im Verhältnis zur Hauptforderung bei der Kostenquote gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu berücksichtigen, wenn dieser Anspruch sich auch gemäß § 43 Abs. 1 GKG, § 4 Abs. 1, 2. Halbs. ZPO nicht auf die Höhe des Streitwerts auswirke.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 09.01.2020 (Bl. 306/346 d.A.), 27.01.2020 (Bl. 400/407 d.A.) und 03.03.2020 (Bl. 408/417 d.A.), die Schriftsätze der Klägerin vom 10.01.2020 (Bl. 347/349 d.A.), 23.01.2020 (Bl. 356/398 d.A.) und 31.01.2020 (Bl. 403/404 d.A.) sowie das Protokoll vom 04.02.2020 (Bl. 405/407 d.A.), jeweils mit den zugehörigen Anlagen, Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nur insoweit begründet, als die vom Landgericht entsprechend dem Klageantrag zu Ziffer 1 getroffene Feststellung, dass die Beklagte der Klägerin zur Schadensersatzleistung für sämtliche Schäden infolge der in den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eingebauten „unzulässigen Abschalteinrichtung“ verpflichtet ist, wegen Unzulässigkeit des Feststellungsantrags keinen Bestand haben kann.
1. Der Klägerin fehlt das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO), weil sie ihr Schadensersatzbegehren im Wege der vorrangigen Leistungsklage verfolgen kann.
a) Ist eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar, fehlt dem Kläger aus prozessökonomischen Gründen für die Erhebung einer Feststellungsklage regelmäßig das erforderliche Feststellungsinteresse. Da ein Feststellungsurteil nicht vollstreckt werden kann, müsste der Kläger im Falle seines Obsiegens nochmals auf Leistung klagen. Die Leistungsklage eröffnet dagegen die Möglichkeit, den gesamten Streitstoff in einem Rechtsstreit zu erledigen (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl., § 256 Rn. 7a; BGHZ 5, 314). Ein Feststellungsinteresse ist deshalb nur zu bejahen, wenn der Kläger seinen Anspruch noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwendigen Begutachtung beziffern kann, etwa weil sich der anspruchsbegründende Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung befindet (vgl. Zöller-Greger a.a.O. m.w.N.).
b) Der im vorliegenden Fall allein in Betracht kommende deliktische Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gewährt der Klägerin gegen die Beklagte nur einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Pkws an die Beklagte (§ 249 Abs. 1 BGB). Diesen Anspruch kann die Klägerin – wie nicht zuletzt der von ihr gestellte Hilfsantrag zu Ziffer 1 belegt – ohne Schwierigkeiten beziffern.
aa) Die Schadensentstehung war mit der Zahlung des Kaufpreises für den Pkw abgeschlossen. Die Nutzung des Fahrzeugs durch die Klägerin wirkt sich allein auf die Höhe der anzurechnenden Vorteile aus. Dieser Umstand steht der Bezifferung des Schadens und damit der Erhebung einer Leistungsklage aber nicht entgegen. Selbst wenn die Klägerin auf die Nutzung ihres Pkws angewiesen sein sollte, könnte sie den ihr bei Klageerhebung zustehenden Schadensersatz auf der Grundlage der bis dahin gefahrenen Kilometer ermitteln. Der im Verlauf des Rechtsstreits eintretenden „Abschmelzung“ dieses bezifferten Betrages infolge der weiteren Nutzung des Fahrzeugs kann sie dadurch Rechnung tragen, dass sie den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
bb) Da der Klägerin ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte nur Zug um Zug gegen Übertragung von Eigentum und Besitz an dem streitgegenständlichen Pkw an die Beklagte zusteht, ist sie auch nicht dem Risiko ausgesetzt, dass die Zulassungsbehörde wegen einer weiteren, nach ihrer Darstellung mit dem Aufspielen des Software-Updates installierten unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines „Thermofensters“ gegen sie vorgehen könnte, wofür derzeit keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind. Entsprechendes gilt für ihre Befürchtung, dass die Stickoxid-Emissionen des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch nach dem Update die zulässigen Grenzwerte übersteigen.
cc) Die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts sonstiger Schäden, insbesondere von Steuernachforderungen infolge einer rückwirkenden höheren Besteuerung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs, hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Anders als bei der Verletzung absoluter Rechte reicht bei der vorliegenden Verletzung einer Norm zum Schutz des Vermögens, die im vorliegenden Fall allein in Betracht kommt, die bloße Möglichkeit des Eintritts künftiger Schadensfolgen für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht aus (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl., § 256, Rn. 9 m.w.N.). Aus diesem Grunde ist ein Feststellungsinteresse auch nicht zum Zwecke der Hemmung der Verjährung anzuerkennen (vgl. Zöller-Greger a.a.O.).
Die Klägerin führt insoweit selbst aus, dass sich die festzusetzende Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 8 Nr. 1 lit. b KraftStG nach den Kohlendioxidemissionen und dem Hubraum bemesse. Sie behauptet aber nicht, dass sich die von der Beklagten eingesetzte Software nicht nur auf die Stickoxid-Emissionen, sondern auch auf die Kohlendioxid-Emissionen auswirke. Sie trägt auch nicht vor, dass die zuständigen Behörden ihre – von der Beklagten bestrittene – Auffassung teilten, dass die erteilte EG-Typgenehmigung für den betroffenen Fahrzeugtyp erloschen und damit die Bemessungsgrundlage für die Kohlendioxid-Emissionen rückwirkend entfallen sei.
dd) Ein Feststellungsinteresse trotz möglicher Leistungsklage wird zwar ausnahmsweise für den Fall bejaht, dass das Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führt, weil der Beklagte erwarten lässt, dass er bereits auf ein Feststellungsurteil hin leisten werde (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl., § 256 Rn. 8). An der letztgenannten Voraussetzung fehlt es im Streitfall aber bereits deshalb, weil unklar bleibt, welche Ansprüche die Klägerin geltend machen will. Es kann deshalb dahinstehen, ob diese Rechtsprechung überhaupt auf die Beklagte Anwendung findet.
2. Die Unzulässigkeit des Feststellungsantrags hat aber nicht zur Folge, dass die Klage auf die Berufung der Beklagten vollständig abzuweisen wäre. Denn die Klägerin hat ihren unzulässigen Feststellungsantrag in zweiter Instanz hilfsweise um einen zulässigen Leistungsantrag (Hilfsantrag zu Ziffer 1) erweitert.
a) Diese Klageerweiterung ist gemäß §§ 525, 264 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Klägerin selbst Berufung eingelegt und in deren Rahmen ihren Klageantrag ohne Änderung des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts in der Hauptsache erweitert hat. Der Übergang von der Feststellungszur Leistungsklage stellt eine stets zulässige Klageerweiterung im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO dar, wenn sich der neue Antrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht (BGH, Urteil vom 12.05.1992 – VI ZR 118/91, NJW 1992, 2296; Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl., § 264 Rn. 3b).
b) Die innerprozessuale Bedingung für die Entscheidung über den Hilfsantrag zu Ziffer 1 ist eingetreten, weil der Senat den Feststellungsantrag als unzulässig ansieht.
3. Der Hilfsantrag zu Ziffer 1 ist insoweit begründet, als der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 15.578,22 € Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs an die Beklagte zusteht (§§ 826, 31 BGB).
a) Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, dessen Motor mit der im Tatbestand des angefochtenen Urteils näher beschriebenen Umschaltlogik ausgerüstet ist, stellt eine konkludente Täuschung des jeweiligen Käufers des Fahrzeugs durch die Beklagte dar (ebenso OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, Rn. 21 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18, Rn. 22 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, Rn. 44 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.9.2019 – 17 U 45/19, Rn. 4 ff.; sämtl. Entscheidungen, falls nicht anders angegeben, zit. nach juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 – 10 U 11/19, BeckRS 2019, 23215, Rn. 33 ff.).
aa) Mit dem Inverkehrbringen eines derartigen Fahrzeugs hat die Beklagte konkludent zum Ausdruck gebracht, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf.
Der Hersteller eines Kraftfahrzeugs hat die sogenannte EG-Typgenehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt als zuständige Behörde (§ 2 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung; im Folgenden: EG-FGV) einzuholen und eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen (§ 27 Abs. 1 EG-FGV). Stellt das Kraftfahrtbundesamt nach Erteilung einer formell wirksamen Typgenehmigung fest, dass ein Fahrzeug nicht die materiellen Voraussetzungen für den genehmigten Typ einhält, kann es zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge entweder gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung anordnen oder gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV die EG-Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen bzw. zurücknehmen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (im Folgenden: FZV) dürfen Fahrzeuge nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind, was gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV voraussetzt, dass sie einem genehmigten Typ entsprechen. Wird die EG-Typgenehmigung entzogen oder mit Nebenbestimmungen versehen, entspricht das Fahrzeug – im Fall der Anordnung einer Nebenbestimmung: bis zur Nachrüstung – keinem genehmigten Typ mehr. Die Zulassungsbehörde kann dem Eigentümer oder Halter dann gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen.
Vor diesem Hintergrund kann der Käufer eines Kraftfahrzeugs nicht nur davon ausgehen, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs die notwendige EG-Typgenehmigung formal vorliegt, sondern auch davon, dass nicht deren nachträgliche Rücknahme oder Änderung droht, weil die materiellen Voraussetzungen bereits bei Erteilung nicht vorgelegen haben. Entsprechend dieser Käufererwartung ist dem Inverkehrbringen eines Motors der Erklärungswert beizumessen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge, in denen dieser Motor eingebaut wird, vorliegen.
bb) Die in dem streitgegenständlichen Pkw installierte Motorsteuerungssoftware enthielt bis zum Aufspielen des Software-Updates im Juni 2017 eine Umschaltlogik, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO [EG] Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl. 2007 L 171; im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, Rn. 5 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, Rn. 27; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18, Rn. 25 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, Rn. 45; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 – 10 U 11/19, BeckRS 2019, 23215, Rn. 35).
Aufgrund dieser unzulässigen Abschalteinrichtung erfüllte das streitgegenständliche Kraftfahrzeug im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klägerin entgegen der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs abgegebenen konkludenten Erklärung der Beklagten nicht die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung mit der Folge, dass zumindest die abstrakte Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand.
cc) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen, deren Motor mit einer nicht offen gelegten unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, stellt eine konkludente Täuschung nicht nur der jeweiligen Ersterwerber, sondern auch solcher Käufer dar, die das Fahrzeug – wie die Klägerin – gebraucht von einem Dritten erworben haben. Der Beklagten war nach allgemeiner Lebenserfahrung bewusst, dass zumindest ein erheblicher Teil der so ausgerüsteten Neufahrzeuge später als Gebrauchtwagen unverändert weiterveräußert würden.
b) Die konkludente Täuschung der Klägerin darüber, dass das streitgegenständliche Kraftfahrzeug infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung erfüllte, war auch sittenwidrig.
aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, Rn. 16, WM 2016, 1975). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH a.a.O.); eine arglistige Täuschung stellt regelmäßig zugleich einen Verstoß gegen die guten Sitten dar (BGH, Urteil vom 21.12.2004 – VI ZR 306/03, Rn. 13, BGHZ 161, 361, 366).
bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu werten (ebenso OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, Rn. 42 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18, Rn. 45 ff.; OLG Köln, Urteil vom 17.07.2019 – 16 U 199/18, Rn. 5 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, Rn. 64 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 – 10 U 11/19, BeckRS 2019, 23215, Rn. 48 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.09.2019 – 17 U 45/19, Rn. 4 ff.).
Die Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten ergibt sich insbesondere aus den daraus resultierenden Folgen. Den Käufern drohte jedenfalls vor dem Aufspielen des – als Angebot zur Schadenswiedergutmachung zu wertenden – Software-Updates ein erheblicher Schaden in Form einer Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs durch die Zulassungsbehörde. Das Bestehen dieses Risikos hat die Beklagte den Käufern der betroffenen Fahrzeuge durch Verheimlichen der Funktionsweise der Umschaltlogik arglistig verschwiegen. Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kommt nach der Lebenserfahrung allein das Streben nach einer Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Durch die vorausgegangene Täuschung der Genehmigungsbehörde zur Erlangung der EG-Typgenehmigung hat sich die Beklagte außerdem bei Verkauf der Fahrzeuge das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlichrechtlichen Genehmigungsverfahrens und in die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht.
c) Der Schaden ist in dem Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug zu sehen, den der Kläger nach seiner glaubhaften Darstellung in Kenntnis des Vorhandenseins der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht geschlossen hätte.
aa) Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Ansatz subjektbezogen. Deshalb kann jemand auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass er durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Rn. 18, NJW-RR 2015, 275; Urteil vom 21.12.2004 – VI ZR 306/03, Rn. 16, BGHZ 161, 361).
Im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können. Bereits eine solche Verpflichtung stellt unter den eingangs dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Rn. 19 m.w.N.). Insoweit bewirkt die Norm nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit (BGH, Urteil vom 21.12.2004 – VI ZR 306/03, Rn. 17 unter Verweis auf Lorenz: Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 385).
bb) Wegen des subjektbezogenen Schadensbegriffs kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht entscheidend darauf an, ob der streitgegenständliche Pkw im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung objektiv einen geringeren Marktwert hatte oder seine tatsächliche Nutzbarkeit eingeschränkt war. Die Beklagte kann auch nicht einwenden, dass der Vertragsschluss für die Klägerin deshalb nicht subjektiv konkret nachteilig gewesen wäre, weil das Fahrzeug für ihre Zwecke uneingeschränkt brauchbar gewesen sei. In diesem Zusammenhang verkennt die Beklagte zunächst, dass es nicht ihr obliegt, die vom Käufer mit dem Erwerb des Fahrzeugs verfolgten Zwecke zu definieren. Bei ihrer informatorischen Anhörung im Termin vom 28.08.2019 hat die Klägerin unter anderem angegeben, dass sie Wert auf eine „grüne Umweltplakette“ gelegt und gedacht habe, „dass die Werte passen“ (Protokoll, S. 2 = Bl. 267 d.A.).
Unabhängig davon kann im Hinblick auf die vor Aufspielen des Software-Updates im Jahre 2017 zumindest abstrakt bestehende Gefahr eines Entzugs der EG-Typgenehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt und einer hierauf gestützten Stilllegung des Fahrzeugs keine Rede davon sein, dass der streitgegenständliche Pkw für die Zwecke der Klägerin uneingeschränkt geeignet war. Entgegen der Ansicht der Beklagten begründet das Stilllegungsrisiko auch nicht lediglich eine Vermögensgefährdung. Denn der Schaden der Klägerin besteht nicht in dem Risiko der Stilllegung als solchem, sondern in der ungewollten Verpflichtung, die sie mit Erwerb eines mit diesem ihm verheimlichten Risiko behafteten Kraftfahrzeugs eingegangen ist.
Aus diesem Grunde kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass das Stilllegungsrisiko jedenfalls mit dem Aufspielen des Software-Updates im Jahre 2017 entfallen ist. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es in den Fällen, in denen der Geschädigte eine Verletzung seiner von § 826 BGB geschützten wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geltend macht, auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Später eingetretene Umstände können nicht ungeschehen machen, dass der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nur infolge einer vorsätzlichen sittenwidrigen Täuschung der Klägerin durch die Beklagte zustande gekommen war.
Mit dem Aufspielenlassen des von der Beklagten angebotenen Software-Updates hat die Klägerin auch nicht zum Ausdruck gebracht, dass das Fahrzeug nach dieser Maßnahme in jeder Hinsicht ihren berechtigten Erwartungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entspreche. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat das Kraftfahrtbundesamt die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.2015 verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Dieselmotor vom Typ EA 189 „die unzulässige Abschalteinrichtung“ zu entfernen. Bei dieser Sachlage musste die Klägerin das Update aufspielen lassen, um die Zulässigkeit der weiteren Nutzung seines Fahrzeugs nicht zu gefährden.
cc) Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Braunschweig (vgl. hierzu Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17, Rn. 186 ff., zit. nach juris) ist der klägerseits geltend gemachte Schaden auch vom Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt.
Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung gilt allgemein, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung der Haftung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden oder der Schädigung bestimmter Personen als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.1985 – II ZR 108/84, BGHZ 96, 231, 236; Urteil vom 03.03.2008 – II ZR 310/06, Rn. 17 m.w.N.).
Das Oberlandesgericht Braunschweig begründet seine Auffassung, dass die im Zusammenhang mit dem Gefahrenbereich „Übereinstimmungsbescheinigung“ stehenden Schäden aus der Haftung nach § 826 BGB herauszunehmen seien, damit, dass den maßgeblichen gesetzlichen Regelungen des europäischen und nationalen Rechts, insbesondere § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FVG, keine individualschützende Wirkung zukomme (Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17, Rn. 186 ff., Rn. 141 ff.). Diese Argumentation verkennt, dass die Haftung der Beklagten aus § 826 BGB nicht an die Verletzung einer Individualrechtsschutz gewährenden Rechtsnorm, sondern an die mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundene konkludente Täuschung über die Erfüllung der materiellen Typengenehmigungsvoraussetzungen anknüpft. Diese Pflichtverletzung ist für den Rechtskreis des Käufers ersichtlich von erheblicher Bedeutung, weil er über einen die Kaufentscheidung wesentlich beeinflussenden Umstand getäuscht wird. Schutzgut des § 826 BGB ist in Fällen wie dem vorliegenden – wie unter lit. aa näher dargelegt – auch die der allgemeinen Handlungsfreiheit unterfallende wirtschaftliche Dispositionsfreiheit (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2004 – VI ZR 306/03, Rn. 17 m.w.N., BGHZ 161, 361).
dd) Die vom Landgericht – im Rahmen der von ihm bejahten Begründetheit der Feststellungsklage – getroffene Feststellung, dass die der Beklagten zur Last liegende sittenwidrige Täuschungshandlung für den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klägerin kausal gewesen ist, beruht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
Die Klägerin hat bei ihrer informatorischen Anhörung vor dem Landgericht glaubhaft angegeben, dass sie das Fahrzeug auf keinen Fall gekauft hätte, wenn sie von dessen Betroffenheit durch den Abgasskandal gewusst hätte (Protokoll vom 28.08.2019, S. 2 = Bl. 267 d.A.). In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Verletzung von (vor-)vertraglichen Aufklärungspflichten angenommene Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens uneingeschränkt auf eine Haftung aus unerlaubter Handlung übertragen werden kann. Es entspricht jedenfalls der allgemeinen Lebenserfahrung, dass niemand zum gewöhnlichen Gebrauch ein Kraftfahrzeug kauft, von dem er weiß, dass es im Zeitpunkt des Erwerbs die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht erfüllt, und bei dem zumindest die abstrakte Gefahr besteht, dass das Kraftfahrtbundesamt die in Unkenntnis dieses Umstands erteilte EG-Typgenehmigung zurücknimmt oder widerruft.
d) Die auf Seiten der Beklagten für den Einsatz der die Abgaswerte manipulierenden Motorsteuerungssoftware verantwortlichen Personen haben vorsätzlich gehandelt.
Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (st. Rspr., BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, Rn. 25 m.w.N.). Es genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Urteil der Sittenwidrigkeit begründen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 – II ZR 276/02, Rn. 36).
Die unzulässige Abschalteinrichtung bezweckte eine gezielte Täuschung des Kraftfahrtbundesamts, um die erforderliche EG-Typgenehmigung für die mit dem Dieselmotor vom Typ EA 189 ausgerüsteten Fahrzeuge zu erlangen, obwohl im normalen Fahrbetrieb die maßgeblichen Grenzwerte für die Emission von Stickoxiden überschritten wurden. Die Verantwortlichen wussten, dass die Genehmigungsbehörde bei Kenntnis der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware die EG-Typgenehmigung nicht erteilt hätte, weil die Fahrzeuge die hierfür erforderlichen materiellen Voraussetzungen nicht erfüllten. Nach allgemeiner Lebenserfahrung schlossen sie zumindest die Möglichkeit nicht aus, dass die unzulässige Abschalteinrichtung entdeckt werden könnte. Sie nahmen billigend in Kauf, dass in diesem Fall die ahnungslosen Käufer der Fahrzeuge der Gefahr ausgesetzt sein würden, dass das Kraftfahrtbundesamt die erteilte EG-Typgenehmigung zurücknimmt und den Betrieb der betroffenen Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen untersagt. Den Verantwortlichen war auch bewusst, dass kein vernünftiger Käufer in Kenntnis dieses bewusst verheimlichten Risikos ein derartiges Fahrzeug erwerben würde und die betroffenen Fahrzeuge nach Bekanntwerden der Manipulation einen erheblichen Wertverlust erleiden würden.
e) Das klägerische Vorbringen zur Verwirklichung des Haftungstatbestands durch einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB ist gemäß § 138 Abs. 2 und 3 ZPO als zugestanden anzusehen, weil die Beklagte insoweit der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist.
Die deliktische Haftung einer juristischen Person gemäß § 31 BGB setzt voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinn des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit lässt sich nicht dadurch begründen, dass unter Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung und -zusammenrechnung auf die „im Hause“ der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse abgestellt wird. Insbesondere lässt sich eine die Sittenwidrigkeit begründende bewusste Täuschung nicht durch mosaikartiges Zusammenrechnen der bei verschiedenen Mitarbeitern der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse konstruieren. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen vielmehr kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinn des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28.6.2016 – VI ZR 536/15, Rn. 13, 23, 25 f.).
In Bezug auf diese haftungsbegründende Voraussetzung trifft die Beklagte aber eine sekundäre Darlegungslast, weil der Kläger den Sachverhalt nicht ermitteln kann, während der Beklagten die erforderliche tatsächliche Aufklärung möglich und zumutbar ist (im Ergebnis ebenso: OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, Rn. 79 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18, Rn. 75 ff.; OLG Köln, Urteil vom 17.07.2019 – 16 U 199/18, Rn. 10 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, Rn. 64 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 – 10 U 11/19, BeckRS 2019, 23215, Rn. 71 ff.). Die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts, das sich seinerseits auf die ständige Rechtsprechung des Senats stützt, greift die Beklagte mit ihrer Berufung nicht an.
f) Der erstattungsfähige Schaden der Klägerin beläuft sich in der Hauptsache unter Berücksichtigung des gebotenen Vorteilsausgleichs auf 15.578,22 €.
aa) Der Ersatzanspruch aus § 826 BGB ist auf das negative Interesse gerichtet. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht getäuscht worden wäre.
Die Klägerin kann deshalb Ersatz des für den Erwerb des Fahrzeugs aufgewendeten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übertragung des in Vollziehung des Kaufvertrages erlangten Eigentums am Fahrzeug auf die Beklagte verlangen (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 19.07.2004 – II ZR 217/03 und II ZR 402/02; Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Rn. 28; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19 OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 – 10 U 11/19, KG, Urteil vom 26.09.2019 – 4 U 77/18, Rn. 122; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.09.2019 – 17 U 45/19, Rn. 36).
bb) Entgegen ihrer Ansicht muss sich die Klägerin allerdings auf ihren Schadensersatzanspruch im Wege des Vorteilsausgleichs den Wert der von ihm tatsächlich gezogenen Nutzungen des Kraftfahrzeugs anrechnen lassen.
(1) Es stellt einen anerkannten Grundsatz des Schadensrechts dar, dass der Geschädigte nicht besser gestellt werden darf, als er ohne das schädigende Ereignis stünde, dass ihm also neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2015 – XI ZR 536/14, Rn. 22, NJW 2015, 3160).
Im Wege der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Die vorteilhaften Umstände müssen mit dem schädigenden Ereignis in einem qualifizierten Zusammenhang stehen. Zu berücksichtigen ist ferner, ob eine Anrechnung dem Sinn und Zweck des Schadensersatzes entspricht und weder der Gläubiger unzumutbar belastet noch der Schädiger unbillig entlastet wird (BGH, Urteil vom 18.10.2018 – III ZR 497/16, Rn. 17 m.w.N.).
(2) Wie oben näher dargelegt, ist der Schaden der Klägerin im Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug zu sehen, den sie in Kenntnis des Vorhandenseins der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht geschlossen hätte. Der Erwerb des Fahrzeugs hat der Klägerin die Möglichkeit verschafft, dieses zu nutzen. Die tatsächliche Nutzung durch die Klägerin stellt deshalb einen Gebrauchsvorteil (§ 100 BGB) dar, der durch den täuschungsbedingten Erwerb des Fahrzeugs adäquat kausal verursacht worden ist und mit diesem schädigenden Ereignis in einem qualifizierten Zusammenhang steht. Da die Klägerin im Wege der Naturalrestitution so zu stellen ist, als ob sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte, wäre es in sich widersprüchlich, ihr neben der Schadensersatzleistung die Gebrauchsvorteile zu belassen, die sie aus der Nutzung des Fahrzeugs gezogen hat.
Eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass die mit dem schädigenden Ereignis in einem adäquaten und qualifizierten Zusammenhang stehenden Vorteile auf den Schadensersatzanspruch des Geschädigten anzurechnen sind, bedarf stets einer besonderen Rechtfertigung unter Wertungsgesichtspunkten. Die Beklagte als Schädigerin wird durch den Vorteilsausgleich nicht unbillig entlastet.
(i) Der Vorteilsausgleich widerspricht nicht dem europarechtlichen
Effektivitätsgrundsatz. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für Verstöße gegen das europäische Typgenehmigungsrecht wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen, ist für die Frage, ob sich ein Käufer die von ihm tatsächlich gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs auf einen Schadensersatzanspruch aus Delikt anrechnen lassen muss, ohne Relevanz. Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Voraussetzung, dass die Klägerin durch die Verletzung einer europarechtlichen Bestimmung in einem Interesse verletzt ist, dessen Schutz das Gemeinschaftsrecht bezweckt. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007, wie den Erwägungsgründen (1) bis (7) und (26) zu entnehmen ist, nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen dient, sondern der „Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Emissionen von Kraftfahrzeugen“, insbesondere also dem Ziel der Verbesserung der Luftqualität.
(ii) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte im Falle des Vorteilsausgleichs unbillig entlastet würde, weil objektiv unzumutbare Nutzungen nicht berücksichtigt werden dürften. Durch die tatsächliche Nutzung des streitgegenständlichen Pkws hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie dessen Nutzung – auch in Kenntnis des Umstands, dass dieser von den Abgasmanipulationen betroffen ist – nicht für unzumutbar hält. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die erteilte EG-Typgenehmigung weder erloschen, noch vom Kraftfahrtbundesamt zurückgenommen oder widerrufen worden. Unabhängig davon wären die von der Klägerin gezogenen tatsächlichen Nutzungen nicht bereits aus diesem Grund als wertlos anzusehen.
cc) Die Nutzungsentschädigung ermittelt der Senat im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO) nach der Formel „Bruttokaufpreis mal tatsächlich gefahrene Kilometer dividiert durch die voraussichtliche Restlaufleistung des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Erwerbs“ (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.05.1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159, 2161; ebenso: OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, Rn. 79 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18, Rn. 75 ff.; OLG Köln, Urteil vom 17.07.2019 – 16 U 199/18, Rn. 10 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, Rn. 64 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 – 10 U 11/19, BeckRS 2019, 23215, Rn. 71 ff.).
(1) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Vorteilsausgleich nicht unter Berücksichtigung eines – der Höhe nach unbekannten – merkantilen Minderwerts des Fahrzeugs, sondern auf der Grundlage des vereinbarten Kaufpreises zu ermitteln. Anderseits ist aber kein rechtfertigender Grund dafür ersichtlich, den Käufer mit dem den Eigentümer treffenden überproportionalen Wertverlust eines Kraftfahrzeugs zu Beginn der Nutzung zu belasten.
Da der Schadensersatzanspruch auf Befreiung von dem geschlossenen Kaufvertrag über das Fahrzeug gerichtet ist, erscheint es vielmehr sachgerecht, die Nutzungsentschädigung nach der eingangs wiedergegebenen Formel zu berechnen. Denn nach der Vorstellung der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses war der vereinbarte Kaufpreis dem Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs äquivalent. Da es sich bei einem Kraftfahrzeug im Regelfall um einen Gebrauchsgegenstand handelt, wird dessen Wert in erster Linie durch die darin verkörperten Gebrauchsmöglichkeiten bestimmt. Die Formel setzt die vom Käufer tatsächlich gezogenen Nutzungen in Relation zu der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erwartenden Gesamt- bzw. Restnutzung des Fahrzeugs.
Die Klägerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung die tatsächliche Nutzbarkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs als Verkehrsmittel eingeschränkt gewesen sei. Das erscheint auch fernliegend, weil sich die der Beklagten zur Last liegende Manipulation ausschließlich auf die Effektivität der Abgasreinigung ausgewirkt hat. Die von ihr behaupteten nachteiligen Folgen des Updates – ein lauteres Motorgeräusch, das Aufleuchten der Anzeige für das Motorwarnsystems und Probleme mit der Heckklappe – sind nicht so gravierend, dass sie eine Herabsetzung der Nutzungsentschädigung für den Zeitraum nach Aufspielen des Updates rechtfertigen könnten.
(2) Mangels Vorliegens besonderer Umstände legt der Senat bei Personenkraftwagen mit Dieselmotor von der Art des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde. Dies beruht auf der Erwägung, dass der Gesamtgebrauchswert eines Pkws nicht allein durch die Gesamtlaufleistung des Motors bestimmt, sondern auch durch den zu erwartenden Verschleiß der übrigen Bauteile begrenzt wird.
Aus den Kilometerständen des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klägerin am 16.02.2015 von 36.000 und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 04.02.2020 von 144.167 ergibt sich, dass die Klägerin im Jahr durchschnittlich ca. 21.500 km mit dem Fahrzeug zurückgelegt hat. Eine Korrektur der angenommenen Gesamtlaufleistung von 250.000 km erscheint deshalb nicht veranlasst.
(3) Der Kaufpreis des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrug 31.500 € (Anlage K 1). Angesichts eines Kilometerstands im Zeitpunkt des Erwerbs von 36.000 war von einer voraussichtlichen Restlaufleistung von 214.000 km auszugehen (250.000 km – 36.000 km). Zum Zeitpunkt des Berufungstermins betrug der Kilometerstand nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Klägerin 144.167 (Protokoll vom 04.02.2020, S. 2 = Bl. 406 d.A.). Die Klägerin ist somit insgesamt 108.167 km gefahren (144.167 km – 36.000 km). Der angemessene Vorteilsausgleich beläuft sich im vorliegenden Fall folglich auf 15.921,78 €. Demzufolge verbleibt ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in Höhe von 15.578,22 € (31.500 € – 15.921,78 €).
g) Diesen Betrag hat die Beklagte erst ab Rechtshängigkeit des erst in zweiter Instanz gestellten Hilfsantrags zu Ziffer 1 zu verzinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Schriftsatz vom 23.01.2020 ist der Beklagten am 03.02.2020 zugestellt worden. Nach dem Rechtsgedanken des § 187 Abs. 1 BGB ist Zinsbeginn der 04.02.2020.
Mit der Zahlung des der Klägerin zuerkannten Betrages befand sich die Beklagte nicht im Verzug. Mit den Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16.11.2015 und 27.02.2019 (Anlagenkonvolut KB 1, nach Bl. 349 d.A.) hat die Klägerin die Beklagte nicht zur Leistung eines bezifferten Schadensersatzes aufgefordert. In dem ersten Schreiben setzten die Bevollmächtigten der Klägerin der Beklagten lediglich eine Frist, um ihre Bereitschaft zum Eintritt in Vergleichsverhandlungen zu erklären, in ihrem zweiten Schreiben forderten sie die Beklagte dazu auf, ihre Schadensersatzpflicht dem Grunde nach anzuerkennen.
h) Der mit Hilfsantrag zu Ziffer 1 vom 23.01.2020 geltend gemachte Anspruch auf Deliktszinsen (§ 849 BGB) aus dem gezahlten Kaufpreis für den Zeitraum vom „12.02.2015“ – gemeint ist offensichtlich das Datum des Vertragsschlusses (16.02.2015) – bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit steht der Klägerin nicht zu.
aa) § 849 BGB billigt dem Geschädigten ohne Nachweis eines konkreten Schadens Zinsen als pauschalierten Schadensersatz für die entgangene Nutzung einer ihm durch den Schädiger entzogenen oder beschädigten Sache zu (vgl. Staudinger-Vieweg, BGB, 2015, § 849 Rn. 1). Der Zinsanspruch soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGHZ 87, 38, 41).
Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut nicht auf die Fälle der Wegnahme beschränkt und verlangt nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird, sondern erfasst jeden Sachverlust durch ein Delikt. Auch wenn der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung wie beim Betrug oder der Erpressung dazu bestimmt, eine Sache wegzugeben oder darüber zu verfügen, entzieht er sie ihm. Sache im Sinne von § 849 BGB ist auch Geld (BGHZ 8, 288, 298). Dabei ist die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht durch § 90 BGB, wonach nur körperliche Gegenstände Sachen im Sinne des Gesetzes sind, auf die Entziehung von Bargeld beschränkt (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 26.11.2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084).
Der Regelung des § 849 BGB kann aber kein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts entnommen werden, dass deliktische Schadensersatzansprüche stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen seien (BGH, Urteil vom 12.06.2018 – KZR 56/16, Rn. 45 m.w.N., zit. nach juris). Der Normzweck geht vielmehr dahin, den endgültig verbleibenden Verlust der Nutzbarkeit der weggegebenen Sache – als pauschalierten Mindestbetrag – auszugleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, NJW 1983, 1614 f.).
bb) Der Klägerin ist jedoch hinsichtlich des von ihr für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlten Kaufpreises kein Verlust an Nutzbarkeit entstanden. Dessen Entziehung wurde nämlich dadurch kompensiert, dass die Klägerin im Gegenzug das Eigentum und den Besitz am Fahrzeug mit der abstrakten Möglichkeit, dieses jederzeit nutzen zu können, erhalten hat (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, Rn. 99, zit. nach juris; OLG Koblenz, Urteil vom 28.08.2019 – 5 U 1218/18, BeckRS 2019, 20653 Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, Rn. 137; a.A.: OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019 – 5 U 47/19 -, BeckRS 2019, 23205 Rn. 41).
Unabhängig davon wäre der dem Kaufpreis entsprechende Betrag auch dann nicht im Vermögen der Klägerin verblieben, wenn er in Kenntnis des Umstandes, dass der streitgegenständliche Pkw vom Abgasskandal betroffen war, vom Kauf Abstand genommen hätte. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klägerin in diesem Fall ein anderes Fahrzeug erworben und dadurch ebenfalls die mögliche Nutzung des als Kaufpreis hingegebenen Geldbetrages gegen die Nutzung des hierfür erworbenen Fahrzeugs eingetauscht hätte (vgl. hierzu OLG Koblenz, Urteil vom 28.08.2019 – 5 U 1218/18, BeckRS 2019, 20653, Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, Rn. 139). Die Anwendung der Verzinsungsregelung des § 849 BGB auf einen derartigen Fall würde zu einer dem Schadensersatzrecht fremden Überkompensation führen, da die Klägerin in diesem Fall durch das schädigende Ereignis wirtschaftlich besser stünde als ohne dieses. Dies widerspräche dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 04.04.2014 – V ZR 275/12, Rn. 20 m.w.N.).
4. Der ebenfalls auf Feststellung gerichtete Hilfsantrag zu Ziffer 2 ist dagegen – wie der Klageantrag zu 1, dem das Landgericht stattgegeben hat – mangels Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) unzulässig. Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die obigen Ausführungen unter Ziffer 1 lit. b bb bis dd verwiesen werden.
III.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat – mit Ausnahme der bereits im Rahmen der Berufung der Beklagten abgehandelten teilweisen Begründetheit des Hilfsantrags zu Ziffer 1 – in der Sache keinen Erfolg. Einen Anspruch auf Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hat das Landgericht der Klägerin zu Recht versagt.
1. Der Senat teilt allerdings nicht die Ansicht des Landgerichts, dass die außergerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen von vornherein keine zweckentsprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung darstellte, weil die Beklagte – wie den klägerischen Prozessbevollmächtigten aus einer im Jahre 2016 mit der Beklagten geführten Kommunikation bekannt gewesen sei – außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht zur Erfüllung von derartigen Schadensersatzansprüchen bereit gewesen sei.
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Beklagte eine Erklärung dieses Inhalts mit Geltung für alle vergleichbaren Streitigkeiten gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Klägerin abgegeben hatte. Mangels einer derartigen Erklärung entsprach die außergerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vor Erhebung der Klage dem Gebot anwaltlicher Vorsicht, weil andernfalls die Gefahr bestand, dass die Beklagte die Ansprüche im Falle einer gerichtlichen Geltendmachung unter Verwahrung gegen die Kostenlast ganz oder teilweise anerkennen könnte (§ 93 ZPO).
2. Die vorgelegten Schreiben der Klägervertreter vom 16.11.2015 und 27.02.2019 (Anlagenkonvolut KB 1, nach Bl. 349 d.A.) können aber nicht als zweckentsprechende Maßnahme vorgerichtlicher Rechtsverfolgung angesehen werden, weil damit keine konkreten Ansprüche der Klägerin geltend gemacht werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind nicht alle adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH, Urteil vom 16.07.2015 – IX ZR 197/14, NJW 2015, 3447). Die vorgerichtliche Aufforderung, in Vergleichsverhandlungen mit der Klägerin einzutreten bzw. die nicht mit einer Bezifferung der Ansprüche verbundene Aufforderung, den Schadensersatzanspruch der Klägerin dem Grund nach anzuerkennen, erfüllen diese Voraussetzung nicht.
IV.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. § 97 Abs. 2 ZPO.
a) Die Kosten des Berufungsverfahrens sind gemäß § 97 Abs. 2 ZPO der Klägerin aufzuerlegen, weil sie ausschließlich aufgrund des erstmals im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrags zu Ziffer 1 obsiegt und sie diesen Hilfsantrag bereits in erster Instanz hätte stellen können.
Zu dem „neuen Vorbringen“ im Sinne von § 97 Abs. 2 ZPO gehört auch ein neuer (Hilfs-) Antrag (vgl. Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 40. Aufl., § 97 Rn. 11; Zöller-Herget, ZPO, 32. Aufl., § 97 Rn. 11). Wenn die Klägerin den Hilfsantrag zu Ziffer 1 nicht gestellt hätte, wären auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil in Ziffer 1 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen worden. Für die Klägerin hatte bereits in erster Instanz Anlass bestanden, ihr Schadensersatzbegehren hilfsweise im Wege der Leistungsklage zu verfolgen, nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.08.2019 (Bl. 226/258 d.A.) auf die Unzulässigkeit des gestellten Feststellungsantrags hingewiesen hatte.
b) Die Kostenentscheidung erster Instanz bestimmt sich nach dem beiderseitigen Obsiegen und Unterliegen, wobei zu unterstellen ist, dass die Klägerin die beiden mit Schriftsatz vom 23.01.2020 gestellten Hilfsanträge bereits in erster Instanz gestellt hätte.
Zugrunde zu legen ist ein fiktiver Streitwert in Höhe von 39.708,19 €. Zu dem eingeklagten Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug in Höhe von 31.500 € sind die beanspruchten Deliktszinsen aus diesem Betrag für den Zeitraum zwischen dem Vertragsschluss am 16.02.2015 und der Zustellung des bezifferten Hilfsantrags zu Ziffer 1 am 03.02.2020 hinzuzuaddieren; hierfür setzt der Senat einen Betrag von 6.300 € an. Hinzukommen die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 1.408,19 €. Den auf Feststellung gerichteten Hilfsantrag zu Ziffer 2 bewertet der Senat mit 500 €. Gegenüber den Hilfsanträgen zu Ziffer 1 und Ziffer 2 kommt dem von der Klägerin primär verfolgten Feststellungsbegehren kein eigenständiger Wert zu.
In Bezug auf den fiktiven Streitwert von 39.708,19 € obsiegt die Klägerin mit einem Betrag von 15.578,22 €, was einer Quote von 39% entspricht.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 708 Nr. 10 ZPO, die Anordnung der Abwendungsbefugnis in § 711 ZPO.
3. Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert und die Sache grundsätzliche Bedeutung hat.
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung vom Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 19.02.2019, Az. 7 U 134/17, ab, das in einem vergleichbaren Fall einen Schadensersatzanspruch des Käufers aus § 826 BGB verneint hat, weil der Schaden nicht vom Schutzzweck dieser Norm umfasst sei.
Außerdem weicht der Senat von den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16.09.2019, Az. 12 U 61/19, des Oberlandesgerichts Köln vom 17.07.2019, Az. 16 U 199/18, des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 02.10.2019, Az. 5 U 47/19 (BeckRS 2019, 23205), und des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19.11.2019, Az. 17 U 146/19, 18 U 5833/19 – Seite 29 – ab, die in vergleichbaren Fällen einen Zinsanspruch des durch vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zum Vertragsschluss bestimmten Käufers aus § 849 BGB ab dem Zeitpunkt der Zahlung des Kaufpreises bejahen.


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