Europarecht

Erfolgreiche Beschwerde in einem verpackungsrechtlichen Eilverfahren (Sicherheitsleistung nach § 18 Abs. 4 VerpackG)

Aktenzeichen  12 CS 20.1750

Datum:
28.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21961
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
VerpackG § 18 Abs. 4, § 22 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Das Institut des einstweiligen Rechtsschutzes (Art. 80 Abs. 5 VwGO) bezweckt nicht, das Hauptsacheverfahren im Eilverfahren vorwegzunehmen und bereits jetzt endgültige Verhältnisse zu schaffen, in denen der Rechtsschutz in der Hauptsache denknotwendig zu spät und zu kurz kommen muss; es beabsichtigt lediglich, unter Abwägung der beiderseitigen Interessenlage eine vorläufige Entscheidung bis zum Ergehen eines rechtskräftigen Urteils im Hauptsacheverfahren zu treffen. (Rn. 43)
2. Es verbietet sich deshalb, schwierige und/oder umstrittene, in der Sache offene Tatsachen- oder Rechtsfragen unter Vermeidung einer mündlichen Hauptverhandlung bereits im Eilverfahren „abschließend“ zu entscheiden und den Verfahrensbeteiligten so die Erlangung einer endgültigen, ergebnisoffenen Entscheidung im Hauptsacheverfahren faktisch unmöglich zu machen, sofern nicht ausnahmsweise ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse für die Anordnung des Sofortvollzugs streitet. (Rn. 43)
3. Auf das Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses kann selbst bei offensichtlicher Erfolglosigkeit eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache nicht verzichtet werden; denn die behördliche Vollzugsanordnung stellt lediglich eine Ausnahme vom Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO dar. Das Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts ist stets ein qualitativ anderes als das Interesse am Erlass des Verwaltungsakts selbst. § 80 VwGO lässt die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts deshalb nur dann zu, wenn überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Einzelnen einstweilen zurücktreten zu lassen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls in die Wege zu leiten. (Rn. 44)
4. Die Auferlegung einer Sicherheitsleistung nach § 18 Abs. 4 VerpackG erfordert sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach eine Ermessensbetätigung. Eine Betätigung allein des Auswahlermessens (der Höhe nach) genügt nicht. Die festsetzende Behörde muss vielmehr zugleich auch deutlich machen, dass sie sich des Bestehens eines Entschließungsermessens bewusst ist und dessen sachgerechte Ausübung darlegen. (Rn. 51 – 52)
5. § 18 Abs. 4 VerpackG gestattet zwar ausdrücklich die Anforderung einer „angemessenen, insolvenzfesten Sicherheit“, die Norm legt jedoch entgegen dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und der Wesentlichkeitstheorie (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht selbst fest, unter welchen Voraussetzungen von einer Angemessenheit der Sicherheitsleistung auszugehen ist. Die Vorschrift ist deshalb – jedenfalls derzeit – nicht vollzugsfähig und kann die Festsetzung einer Sicherheitsleistung selbst nach entsprechender Ermessensausübung nicht tragen. (Rn. 59 – 67)
6. Namentlich die Festlegung, ob bei der Bestimmung der „Angemessenheit“ der. (Rn. 63)
7. Sicherheitsleistung von einem „worst-case-Szenario“ auszugehen ist oder eine realitätsbezogenere Betrachtung entsprechend einem Maßstab überwiegender Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden kann, stellt aufgrund des bestehenden Grundrechtsbezuges (Art. 12 u. 14 GG) im Lichte der Wesentlichkeitstheorie eine Entscheidung dar, die nicht in geschlossenen Zirkeln von Arbeitsgruppen und „Fachbruderschaften“ der Exekutive getroffen werden kann, sondern dem Licht der Öffentlichkeit in Gestalt parlamentarischer Rechtssetzung vorbehalten bleiben muss. (Rn. 63)

Verfahrensgang

M 17 S 20.1883 2020-06-29 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Juni 2020 – M 17 S 20.1883 – wird in Ziffern 1 und 2 aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juni 2019 – Az.: 72c-U8705.4-2018/14-71 -, für sofort vollziehbar erklärt mit weiterem Bescheid vom 1. April 2020 – Az.: 72c-U8705.4-2018/14-150 -, wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 205.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid des Antragsgegners, mit dem die zu leistende Sicherheit für den Fall von Pflichtverstößen in neuer Höhe festgesetzt wurde.
1. Die Antragstellerin betreibt eines von acht bundesweit genehmigten Systemen zur regelmäßigen Abholung von als Abfall anfallenden restentleerter Verkaufsverpackungen beim privaten Endverbraucher gemäß § 3 Abs. 16 des Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen (Verpackungsgesetz – VerpackG – vom 5.7.2017, BGBl I S. 2234).
Die für die Tätigkeit als Systembetreiber erforderliche Systemfeststellung wurde der Antragstellerin mit Bescheid des Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 22. Dezember 1992, zuletzt geändert durch den zweiten Änderungsbescheid vom 5. September 2011 sowie seine Ergänzung vom 18. Oktober 2012, erteilt. Ziffer 2.14 in seiner durch Bescheid vom 18. Oktober 2012 geänderten Fassung lautet:
„Die Antragstellerin hat Sicherheit für den Fall zu leisten, dass, falls der Systembetrieb eingestellt wird, die in den Sammeleinrichtungen des Systems tatsächlich erfassten Verpackungen entsorgt werden und hierfür die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oder die zuständigen Behörden Kostenerstattung wegen Ersatzvornahme verlangen können. Die Sicherheitsleistung ist entweder in Form einer unwiderruflichen und unbefristeten selbstschuldnerischen Bankbürgschaft auf erstes Anfordern einer deutschen Sparkasse oder einer Großbank oder im Wege der Hinterlegung nach dem Bayerischen Hinterlegungsgesetz (BayHintG) vom 23. November 2010 zu erbringen. Im Falle einer Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft ist diese gegenüber dem Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, als Gläubiger zu übernehmen und im Staatsministerium im Original zu hinterlegen. Die Höhe der Sicherheitsleistung wird jährlich auf ihre Angemessenheit hin überprüft. Kriterien sind zum einen der Marktanteil des Systembetreibers auf der Grundlage der Erfassungsmengen aus den Mengenstromnachweisen, zum anderen die Entwicklung der Entsorgungskosten und Verwertungserlöse. Abgesehen von dieser jährlichen Überprüfung steht der Antragstellerin das Recht zu, bei wesentlichen Änderungen der oben genannten Kriterien auch unterjährig einen Änderungsantrag zu stellen, für den sie geeignete urkundliche Belege vorzulegen hat. Im Falle einer Anpassung der Höhe der Sicherheitsleistung ist bei einer Hinterlegung durch die Antragstellerin der Differenzbetrag an sie zu erstatten bzw. von ihr zu überweisen; im Falle einer Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft ist die Bürgschaftsurkunde Zug um Zug gegen Hinterlegung der neuen Bürgschaftsurkunde an sie herauszugeben.“
2. Am 1. Januar 2019 trat das VerpackG in Kraft und löste die bis dahin geltende Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (VerpackV vom 21.8.1998, BGBl I S. 2379, zuletzt geändert durch Artikel 11 Abs. 10 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG vom 18.7.2017, BGBl I S. 2745), ab. Im VerpackG wurde die Rechtsvorschrift zur Festsetzung einer Sicherheitsleistung gegenüber der bisherigen Regelung dahingehend geändert, dass ein Rückgriff auf die Sicherheitsleistung nunmehr auch bei Verstößen gegen Pflichten aus der Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 VerpackG oder gegen Pflichten aus einseitigen Vorgaben nach § 22 Abs. 2 VerpackG möglich ist.
3. Nach vorheriger Anhörung änderte das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (im Folgenden: StMUV) mit öffentlich bekannt gemachtem Bescheid vom 22. Juli 2019 die Nebenbestimmung in Ziffer 2.14 des Feststellungsbescheids vom 22. Dezember 1992, in der Fassung des zweiten Änderungsbescheids vom 5. September 2011 sowie der Ergänzung zum zweiten Änderungsbescheid vom 18. Oktober 2012, (erneut) ab und gab ihr folgende Fassung:
„Die Sicherheitsleistung gemäß § 18 Abs. 4 VerpackG wird auf 4.108.300,00 € festgesetzt. Die Sicherheitsleistung ist spätestens zum 1. Januar 2020 durch Vorlage einer selbstschuldnerischen Bankbürgschaft auf erste Anforderung einer deutschen Sparkasse, Großbank oder Kreditversicherung unwiderruflich und unbefristet zu erbringen. Soweit die Sicherheit durch Einzahlung von Geld erbracht werden soll, ist spätestens zum 1. Januar 2020 die Eröffnung eines Kontos zu beantragen. Wird die Sicherheitsleistung erhöht, ist bei einer Hinterlegung von Geld der Differenzbetrag zu überweisen, bei einer Bankbürgschaft eine neue Bürgschaftsurkunde vorzulegen.“
Die zuständige Behörde könne gemäß § 18 Abs. 4 VerpackG jederzeit verlangen, dass ein System eine angemessene, insolvenzfeste Sicherheit für den Fall leiste, dass es oder die von ihm beauftragten Dritten Pflichten nach dem VerpackG, aus der Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 VerpackG oder aus den Vorgaben nach § 22 Abs. 2 VerpackG nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß erfülle und den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern oder den zuständigen Behörden dadurch zusätzliche Kosten oder finanzielle Nachteile entstünden. Die Sicherheitsleistung zur Absicherung der Kosten bei Leistungsausfällen sei entsprechend den Pflichten aus § 14 VerpackG so zu bemessen, dass bei einer Nichtabholung der Verpackungsabfälle die Kosten des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers für die Abholung und Entsorgung dieser Abfälle abgedeckt werde. Den Verpackungsabfällen komme in aller Regel ein negativer Marktwert zu, sodass im Fall einer Systemeinstellung Kosten für die Abholung und Entsorgung entstünden, ohne dass die durch die Systembetreiber vereinnahmten Entgelte zur Verfügung stünden. Demzufolge würden der Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung, die eine Prognoseentscheidung darstelle, die Menge der nicht abgeholten Verpackungsabfälle, die Kosten der Erfassung der nicht abgeholten Verpackungsabfälle bei den privaten Endverbrauchern und die Kosten der Entsorgung der Verpackungsabfälle zugrunde gelegt. Alle zur Berechnung der Sicherheitsleistung für diesen Bescheid herangezogenen Daten würden aus dem Jahr 2017 stammen. Dies sei das derzeit aktuellste Bezugsjahr, zu dem für alle Berechnungspositionen Daten verfügbar seien. Grundlage der Ermittlung der Menge nicht abgeholter Verpackungsabfälle sei die tatsächlich von den Systembetreibern in einem regelmäßigen Zeitraum realisierte Sammelmenge. Sie werde in den Mengenstromnachweisen der Systembetreiber als materialbezogene Erfassungsmenge pro Kalenderjahr und Bundesland ausgewiesen. Hieraus ergebe sich die näherungsweise maximal mögliche Verpackungsmenge, die aufgrund eines Verstoßes des Systembetreibers gegen die flächendeckende Abholung von den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu entsorgen sein könne. Zum Schutz des Gebührenzahlers und der öffentlichen Hand könne von einem worst-case-Szenario ausgegangen werden. Als Zeitraum für prospektiv anfallende Kosten der Ersatzvornahme unter Berücksichtigung des Zeitbedarfs für Androhung und Vollziehung der Ersatzvornahme könne ein Monat als verhältnismäßig und für den Systembetreiber zumutbar in Ansatz gebracht werden. Das StMUV habe sich zur Prognose der Erfassungskosten von drei Systembetreibern, die unterschiedlich stark am Markt vertreten seien, zusammen jedoch ein Lizenzmengenanteil von etwa 65% im Jahr 2017 aufwiesen, insgesamt neun Erfassungsverträge für die Fraktion Leichtverpackung (LVP) vorlegen lassen. Hiervon bildeten jeweils drei Verträge die Kosten für die Erfassung in einer städtischen bzw. großstädtischen, in einer ländlich-dichten und einer ländlichen Strukturklasse ab. Der daraus errechnete Durchschnittswert in Höhe von 166,69 € pro Tonne werde als Erfassungskosten der Berechnung der Sicherheitsleistung zugrunde gelegt, wobei die Strukturklassen entsprechend ihrer Häufigkeit in Bayern gewichtet worden seien (Groß-/städtische Gebiete: 23, ländlich-dichte Gebiete: 35, ländliche Gebiete: 38). Die Schätzung der Kosten der Entsorgung der Verpackungsabfälle fuße auf den Verbrennungskosten, die jährlich in der Fachzeitschrift EUWID publiziert würden. Sie entsprächen näherungsweise den Kosten für Sortierung und Verwertung der gesammelten Verpackungsabfälle. In der Zeitschrift EUWID, Ausgabe 50/2018 sei für die Region „Süden“ eine Preisspanne für die Verbrennung der kommunalen Abfälle in Höhe von 60,00-150,00 € pro Tonne ausgewiesen. Daraus ergebe sich ein Mittelwert von 105,00 € pro Tonne. Grundlage für die Berechnung sei die Menge der in einem Monat erfassten Verpackungsabfälle, berechnet auf Basis der Daten der Mengenstromnachweise. Diese Menge werde mit dem Durchschnitt der prognostizierten Erfassungskosten und dem Mittelwert der Kosten der Verbrennung multipliziert und entsprechend der Lizenzmengen auf die einzelnen Systembetreiber umgelegt. Für das Bundesland Bayern errechne sich entsprechend seinem Anteil an den im Kalenderjahr 2017 insgesamt erfassten Leichtverpackungen, bezogen auf eine einmonatige Erfassungsmenge eine Sicherheitsleistung in Höhe von 6.120.641,38 €.
Zusätzlich seien in die Berechnung der Sicherheitsleistung aber auch Zahlungsverpflichtungen der Systembetreiber gegenüber den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern für Kosten der Abfallberatung, Errichtung, Bereitstellung, Unterhaltung sowie Sauberhaltung von Flächen (Nebenentgelte) und für die Mitbenutzung der kommunalen Wertstoffhöfe und des kommunalen PPK-Sammelsystems (Mitbenutzungsentgelte) eingeflossen. Die Absicherung dieser Zahlungsverpflichtungen sei nach § 18 Abs. 4 VerpackG möglich und erforderlich, um sicherzustellen, dass finanzielle Verluste bei Zahlungsunfähigkeit eines Systembetreibers nicht von der Allgemeinheit getragen werden müssten. Zur Ermittlung der Höhe der Sicherheitsleistung für die Zahlung vereinbarter Mitbenutzungs- und Nebenentgelte werde maßgeblich auf die zwischen den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern und den Systembetreibern vereinbarten Mitbenutzungs- und Nebenentgelte abgestellt. Die Mitbenutzungs- und Nebenentgeltansprüche seien gemäß § 22 Abs. 3, 4 und 9 VerpackG seit dem 1. Januar 2019 nach den Vorgaben des Bundesgebührenrechts zu kalkulieren. Hierzu lägen jedoch noch keine Daten vor. Es sei deshalb angemessen, auf die noch aufgrund der VerpackV zwischen den Systembetreibern und öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern ausgehandelten Entgelte als Berechnungsgrundlage zurückzugreifen. Aus der ermittelten Gesamtsumme berechne sich die Sicherheitsleistung anhand der prognostizierten Dauer eines Leistungsausfalls und im Verhältnis zum Marktanteil des Systembetreibers. Ein Absicherungszeitraum von einem Monat sei angemessen. Es unterliege der Vertragsgestaltung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und Systembetreiber, die Ausfallrisiken bei Mitbenutzungs- und Nebenentgelten durch geeignete Zahlungsmodalitäten zu begrenzen. Zur Ermittlung dieser Daten seien alle Landratsämter und kreisfreien Städte im Freistaat um Übermittlung der Höhe der Entgelte für das Kalenderjahr 2017 gebeten worden. Hieraus errechne sich ein Gesamtbetrag für unmittelbare Zahlungsverpflichtungen der Systembetreiber gegenüber den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern in Höhe von 51.045.050,67 €, hiervon entfalle ein Betrag in Höhe von 27.475.940,10 € auf die Mitbenutzungsentgelte und 23.569.110,57 € auf die Nebenentgelte. Unter Zugrundelegung eines Marktanteils der Antragstellerin von 39,60% im Kalenderjahr 2017 errechne sich eine Sicherheitsleistung in Höhe von 4.108.300,00 € gerundet auf die vollen Hundert.
Da die die Höhe der Sicherheitsleistung bestimmenden Faktoren variabel seien, sich insbesondere die Marktanteile der dualen Systeme veränderten, werde die Höhe der Sicherheitsleistung jährlich überprüft, um die Angemessenheit der Sicherheitsleistung sicherzustellen. Die erste turnusmäßige Überprüfung werde im Laufe des Jahres 2020 stattfinden. Die angeordnete Form der Sicherheitsleistung stütze sich auf § 18 Abs. 4 VerpackG, wonach eine insolvenzfeste Sicherheit zu erbringen sei. Die derzeit geleistete Sicherheit, die aufgrund der Rechtslage nach der VerpackV festgesetzt worden sei, werde bis zur Erbringung der nach diesem Bescheid zu leistenden Sicherheit für alle Sicherungsfälle nach § 18 Abs. 4 VerpackG verwendet werden.
4. Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 16. August 2019, eingegangen am gleichen Tage, Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München (Az. M 17 K 19.4202).
5. Mit Bescheid vom 1. April 2020 erklärte das StMUV den Bescheid vom 22. Juli 2019 zur Festsetzung der Sicherheitsleistung gemäß § 18 Abs. 4 VerpackG nach entsprechender Anhörung der Antragstellerin für sofort vollziehbar. Die noch nach der VerpackV geleistete Sicherheit in Höhe von 680.000,00 € sei für den aus Billigkeitsgründen gewährten Interimszeitraum vom Erlass des letzten Änderungsbescheids bis zum 1. Januar 2020 unter Würdigung des Insolvenzrisikos in eben diesem Zeitraum gerade noch ausreichend gewesen. Nachdem nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts München zu rechnen und das Hauptsacheverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei, bestehe ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug, da die derzeit vorhandene Sicherheit für den Sicherungsfall nach § 18 Abs. 4 VerpackG nicht auf weiterhin unbestimmte Zeit auskömmlich sei. Der Absicherungsrahmen sei deutlich erweitert worden, sodass die derzeit geleistete Sicherheit für einen Sicherungsfall nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr auf unabsehbare Zeit ausreichend sei.
6. Mit Schriftsatz vom 30. April 2020, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am gleichen Tage, beantragte die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juli 2019, der mit weiterem Bescheid vom 1. April 2020 für sofort vollziehbar erklärt wurde, wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, es fehle bereits an der für die Anordnung des Sofortvollzugs erforderlichen Dringlichkeit der Umsetzung des Bescheids vom 22. Juli 2019. Dies zeige schon die Tatsache, dass das StMUV sich seit Inkrafttreten des VerpackG zum 1. Januar 2019 über ein halbes Jahr Zeit gelassen habe, um den Bescheid zur Erhöhung der Sicherheitsleistung zu erlassen. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei sogar erst 15 Monate danach erfolgt. Weiterhin habe das StMUV für die Ermittlung der angeforderten Sicherheitsleistung auf einen völlig veralteten Marktanteil der Antragstellerin aus dem Jahr 2017 zurückgegriffen. Auch habe das Ministerium es unterlassen, die Anpassung der Höhe der Sicherheitsleistung dynamisch je nach aktueller Entwicklung der jeweiligen Marktanteile vorzusehen. Die jeweils aktuellen Marktanteile der dualen Systeme seien auf der Homepage der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister für jedermann zugänglich veröffentlicht und ermöglichten so eine sich jeweils an den aktuellen Marktanteilen orientierende Aufteilung der zu stellenden Sicherheiten unter den jeweils am Markt tätigen Systemen. Da der Markt der Verpackungsentsorgung äußerst volatil sei und die Sicherheitsleistung der Absicherung von Risiken für jeweils aktuelle Zeiträume dienen solle, müsse sich das StMUV auch zwangsläufig an den jeweils aktuellen Werten für die Bemessung und Verteilung dieses Risikos auf die dualen Systeme orientieren. Eine lediglich jährliche Überprüfung und Anpassung greife in unverhältnismäßiger Art und Weise in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und den Liquiditätsrahmen der Systeme ein. Die Antragstellerin habe mit der auf dem aktuellen Marktanteilsberechnungskonzept der Zentralen Stelle Verpackungsregister basierenden QII-Meldung für das Jahr 2020 ihren Marktanteil LVP in Bayern auf 20,18% und damit um fast 20 Prozentpunkte verringert. Nach dem Rechenmodell des StMUV ergebe sich somit allein beim Abstellen auf den LVP-Anteil eine Reduktion der Sicherheitsleistung um ca. 1,2 Millionen €. Auch die Heranziehung des erheblich überhöhten Marktanteils aus dem Jahr 2017 für die Berechnung des Anteils der Antragstellerin zur Absicherung der Neben- und Mitbenutzungsentgelte führe zu einem ähnlichen Ergebnis. Aus der aktuellen Ermittlung der Nebenentgelt- und Mitbenutzungsentgeldanteile 2020 ergebe sich ein Marktanteil der Antragstellerin in Bayern in Höhe von lediglich 20,57%. Insgesamt würde sich die streitgegenständliche Sicherheitsleistung bei Berücksichtigung der aktuellen Marktanteile auf insgesamt nur noch 2,1 Millionen € reduzieren. Die Berechnung des StMUV führe nicht nur zu einer überproportionalen Belastung der Antragstellerin, sondern schaffe darüber hinaus einen entsprechenden Liquiditätsvorteil bei denjenigen Systemen, deren Marktanteil damit zu niedrig kalkuliert worden sei. Es sei daher eine quartalsweise Anpassung der Sicherheitsleistung an die aktuellen Marktanteile vorzusehen. Würde der Sofortvollzug, wie beabsichtigt, für eine Sicherheitsleistung in Höhe von ca. 4,1 Millionen € eingreifen, müsste die Antragstellerin hierfür eine Bürgschaft stellen oder den Betrag in Geld hinterlegen. Eine Hinterlegung würde der Antragstellerin die wirtschaftliche Verfügungsgewalt über den Geldbetrag entziehen. Im Falle der Stellung einer Bürgschaft wäre die Antragstellerin nicht nur durch die zu entrichtenden Avalzinsen, sondern insbesondere auch durch die mit ihr verbundene Einschränkung des Kreditrahmens und den damit verbundenen Liquiditätsentzug erheblich beeinträchtigt, zumal alle Bundesländer entsprechend hohe Bürgschaftssummen fordern könnten. Eine solche langfristige Finanzierung derart hoher Beträge würde zu einer massiven Erhöhung des Verschuldungsgrads der Unternehmensgruppe der Antragstellerin und somit zu höheren Kosten führen. Unterstellt, alle Bundesländer würden entsprechend hohe Sicherheitsleistungen verlangen, könnten sich diese Kosten auf bis zu 4 Millionen € pro Jahr belaufen.
Ungeachtet dessen sei die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der Sicherheitsleistung in § 18 Abs. 4 VerpackG wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot unwirksam. Entsprechendes habe das Bundesverwaltungsgericht bereits durch Urteil vom 26. März 2015 – 7 C 17/12 – zur Regelung des § 6 Abs. 4 Satz 5 VerpackV (alte Fassung) festgestellt. Durch die mit der Leistung der Sicherheit verbundene Reduzierung des Kreditrahmens des Systembetreibers bzw. der Liquiditätsschmälerung habe auch die nach § 18 Abs. 4 VerpackG zu leistende Sicherheit für die Systembetreiber abgabenähnlichen Charakter. Der Regelung des § 18 Abs. 4 VerpackG fehle eine Festlegung von Bemessungsfaktoren für die Angemessenheit der zu leistenden Sicherheit. Auch eine Orientierung an den Kosten einer möglichen Ersatzvornahme, wie es im Rahmen der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 5 Satz 3 VerpackV noch möglich gewesen sei, sei durch die deutlich erweiterte Fassung des Tatbestandes des § 18 Abs. 4 VerpackG nicht mehr gegeben. Die Vorschrift spreche lediglich von „zusätzlichen Kosten oder finanziellen Verlusten“. Dies sei jedoch zu unbestimmt. Weiterhin lasse die Vorschrift auch in keiner Weise erkennen, wie letztlich ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger im Falle eines Eintritts eines relevanten Sicherungsfalls die allein zu Gunsten des StMUV hinterlegte Sicherheitsleistung in Anspruch nehmen könnte. Es fehle an einer Regelung, in welchen konkreten Fällen die Antragsgegnerin Beträge aus der Sicherheitsleistung überhaupt an einen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger auskehren dürfe.
Darüber hinaus sei die Festsetzung der Sicherheitsleistung ermessensfehlerhaft zustande gekommen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für die Inanspruchnahme der Sicherheit aus § 18 Abs. 4 VerpackG sei jedenfalls bezüglich des fiktiven Falls der flächendeckenden Nichtabholung von Verpackungsabfällen höchst unwahrscheinlich. Denn die von den Systembetreibern beauftragten Erfassungsunternehmen seien nicht nur gegenüber dem Ausschreibungsführer in dem mit diesem geschlossenen Erfassungsvertrag zur flächendeckenden Sammlung der anfallenden Verpackungsmengen verpflichtet, sondern über die Miterfassungsverträge auch gegenüber allen anderen im jeweiligen Gebiet tätigen Systemen. Ein (theoretisch) vertragsbrüchiges Verhalten könne nicht ausreichen, um eine Sicherheitsleistung von demjenigen zu fordern, der die ordnungsgemäße Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen gerade durch die Beauftragung eines Dritten sichergestellt habe. Auch sei es dem Erfassungsunternehmen bereits faktisch nicht möglich, den auf ein sich gegebenenfalls in Zahlungsschwierigkeiten befindliches duales System entfallenden Anteil im Rahmen der regelmäßigen Abfuhr von „gelben Säcken“ bzw. Leerung von „gelben Tonnen“ an jeder Abfallsammelstelle entsprechend zu ermitteln und auszusondern. Die Situation, dass „gelbe Säcke“ tatsächlich stehen blieben oder „gelbe Tonnen“ nicht geleert würden, könne daher, wenn überhaupt, nur dann auftreten, wenn es zu einem gleichzeitigen Ausfall aller in einem System tätigen dualen Systeme käme und der Erfasser daher von keinem seiner Vertragspartner im Miterfassungssystem noch eine Vergütung realisieren könne. Dass dieser Fall bereits rein faktisch äußerst unwahrscheinlich sei, zeige die Entwicklung des dualen Systems über die letzten mehr als 25 Jahre. Dies verdeutliche unter anderem auch die Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts aus dem Jahr 2012. In dieser sogenannten „Zwischenbilanz der Wettbewerbsöffnung“ stelle das Bundeskartellamt ausdrücklich fest, dass die befürchteten Auswirkungen der Wettbewerbsöffnung auf den Fortbestand und die Stabilität des Systems nicht eingetreten seien, sondern die Präsenz mehrerer Systemanbieter tendenziell sogar einen positiven Beitrag zur Stabilität des Gesamtsystems leiste. Gerade der Fall der Insolvenz der ELS verdeutliche, dass es selbst dann, wenn ein Systembetreiber tatsächlich in Zahlungsschwierigkeiten gerate, nicht zu der angeblich notwendigen Anordnung einer Ersatzvornahme durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger gekommen sei. Bundesweit habe nur ein Entsorger in nur einem Gebiet diesbezüglich tatsächlich kurzfristig die Abholung verweigert. Zu einer Anordnung der Ersatzvornahme sei es jedoch nicht gekommen. Mit einem flächendeckenden Ausfall aller im Freistaat von den dualen Systemen beauftragten Entsorgungsunternehmen sei nicht zu rechnen.
7. Mit Beschluss vom 29. Juni 2020 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22. Juli 2019 als unbegründet ab.
Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder zumindest eine Aufhebung der Vollziehungsanordnung wegen unzureichender Begründung des Vollziehungsinteresses (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) komme nicht in Betracht. Der Antragsgegner habe einzelfallbezogen und unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessenlage die für und gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung sprechenden Umstände abgewogen und darauf hingewiesen, dass die Erweiterung des Absicherungsrahmens mit Inkrafttreten des VerpackG zum 1. Januar 2019 dazu führe, dass die derzeit geleistete Sicherheit für einen Sicherungsfall nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr auf unabsehbare Zeit ausreiche. Die von der Antragstellerin noch nach der VerpackV geleistete Sicherheit in Höhe von 680.000 € sei nicht auf weiterhin unbestimmte Zeit auskömmlich.
Im Rahmen der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung des Interesses der Antragstellerin, vorläufig von der Pflicht zur Stellung einer Sicherheit verschont zu bleiben, mit dem widerstreitenden öffentlichen Interesse an der Absicherung zusätzlicher Kosten oder finanzieller Verluste der öffentlichen Hand, infolge von bis zur Entscheidung in der Hauptsache entstehenden Zahlungsausfällen eines oder mehrerer Systembetreiber sei dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Bescheids vom 22. Juli 2019 der Vorrang einzuräumen, denn die in der Hauptsache angefochtene Festsetzung einer Sicherheitsleistung in Höhe von insgesamt 4.108.300,00 € erweise sich nach der gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig.
Nach der Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der Sicherheitsleistung in § 18 Abs. 4 VerpackG könne die für die Genehmigungserteilung zuständige Landesbehörde jederzeit verlangen, dass ein System eine angemessene, insolvenzfeste Sicherheit für den Fall leiste, dass es oder die von ihm beauftragten Dritten Pflichten nach dem VerpackG, aus der Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 VerpackG oder aus den Vorgaben nach § 22 Abs. 2 VerpackG nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß erfülle und den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern oder den zuständigen Behörden dadurch zusätzliche Kosten oder finanzielle Verluste entstünden.
Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 18 Abs. 4 VerpackG bestünden nicht. Insbesondere genüge § 18 Abs. 4 VerpackG dem Gebot der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit von Gesetzen. Die Regelung lasse sich, auch soweit sie unbestimmte Rechtsbegriffe verwende und die Forderung einer Sicherheitsleistung in das Ermessen der Behörde stelle, im Wege der Auslegung einer für den Normadressaten im Einzelfall hinreichend sicher abschätzbaren Bedeutung zuführen. § 18 Abs. 4 VerpackG ermächtige die Behörde, die Leistung einer „angemessenen“ Sicherheit zu verlangen. Damit begründe § 18 Abs. 4 VerpackG – wie auch bereits der frühere§ 6 Abs. 5 Satz 3 der VerpackV – keinen abgabeähnlichen Tatbestand, an den im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Az. 7 C 17/12) qualifizierte Bestimmtheitsanforderungen zu stellen seien. § 18 Abs. 4 VerpackG räume der zuständigen Behörde keinen Anspruch auf eine Geldleistung ein, sondern auf eine insolvenzfeste Sicherheitsleistung, die in der Regel – wie auch vorliegend – durch eine Bankbürgschaft erbracht werde und damit einer Geldzahlung an die zuständige Behörde nicht gleichstehe. Infolgedessen sei der Gesetzgeber nicht gehalten, für eine Sicherheitsleistung Bemessungsfaktoren so konkret festzulegen, dass sie wie eine haushaltsmäßige Abgabe fest kalkuliert werden könnten. Vielmehr genüge, dass die geforderte Sicherheitsleistung im Einzelfall im Lichte des Zwecks des § 18 Abs. 4 VerpackG bestimmbar und überprüfbar sei. Was angemessen im Sinne des § 18 Abs. 4 VerpackG sei, bemesse sich nach Maßgabe der im Einzelnen und abschließend aufgeführten Sicherungstatbestände, die ihrerseits hinreichend bestimmt seien. Nach summarischer Prüfung bestünden auch keine durchgreifenden Bedenken, dass § 18 Abs. 4 VerpackG dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht genüge. Die Beibringung einer Sicherheitsleistung beeinträchtige ein duales System im Verhältnis zu dem öffentlichen Interesse, die flächendeckende Sammlung und Verwertung von Verpackungen sicherzustellen, nicht unverhältnismäßig.
Die Entscheidung über die Sicherheitsleistung stehe sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im Ermessen des Antragsgegners. Die Prüfung der Ermessensausübung beschränke sich im vorliegenden Fall auf die Bemessung der Höhe der Sicherheitsleistung. Eine Ermessensentscheidung darüber, ob eine und welche Sicherheitsleistung von der Antragstellerin verlangt werde, d.h. über das Ob und die Art einer Sicherheitsleistung, habe der Antragsgegner im angegriffenen Bescheid nicht getroffen. Vielmehr habe er insoweit bereits mit der Nebenbestimmung in Ziffer 2.14 des Feststellungsbescheides vom 22. Dezember 1992, zuletzt geändert durch den zweiten Änderungsbescheid vom 5. September 2011 sowie seine Ergänzung vom 18. Oktober 2012, von dem ihm durch § 18 Abs. 4 VerpackG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht. Denn mit dieser Nebenbestimmung habe der Antragsgegner geregelt, dass die Antragstellerin eine angemessene, insolvenzfeste Sicherheit für den Fall zu leisten habe, dass, falls der Systembetrieb eingestellt werde, die in den Sammeleinrichtungen des Systems tatsächlich erfassten Verpackungen entsorgt werden und hierfür die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oder die zuständigen Behörden Kostenerstattung wegen Ersatzvornahme verlangen könnten. Da der Bescheid vom 22. Dezember 1992, zuletzt geändert durch den zweiten Änderungsbescheid vom 5. September 2011 sowie seine Ergänzung vom 18. Oktober 2012, bestandskräftig sei, sei die getroffene Ermessensentscheidung des Antragsgegners über das „Ob“ und die Art der Festsetzung einer Sicherheitsleistung unanfechtbar und daher nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Habe die zuständige Behörde bestandskräftig über die Sicherheitsleistung dem Grunde nach entschieden, könne der Festsetzung der Sicherheitsleistung der Höhe nach nicht entgegengehalten werden, der Eintritt des Sicherungsfalls sei aufgrund der gewählten Vertragsgestaltungen zwischen den jeweiligen Systemen und den einzelnen Erfassungsunternehmen äußerst unwahrscheinlich, so dass aus diesem Grund ein Ermessensfehler vorliege.
Die Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung auf 2.423.773,99 € für die Kosten der Abholung und Entsorgung der Abfälle sei nicht zu beanstanden. Die auf Grundlage des § 18 Abs. 4 VerpackG gestellte Prognose der voraussichtlichen Kosten der Abholung und Entsorgung der Abfälle erweise sich nach summarischer Prüfung als vertretbar. Die Wahl des Berechnungsmodells beruhe auf einem Ansatz der länderoffenen Arbeitsgruppe „Festsetzung von Sicherheiten nach § 18 Abs. 4 VerpackG und Beibringung von Sicherheiten“, nach welchem die Erfassungs- und Verbrennungskosten je Tonne mit der Erfassungsmenge im jeweiligen Berechnungszeitraum multipliziert werde. Die Kosten würden dann entsprechend dem Marktanteil auf die dualen Systeme verteilt und als Sicherheitsleistung festgesetzt. Der Berechnungszeitraum solle mit einem Monat hinreichend lange Ausfallzeiträume abdecken. Dieser Ansatz entspreche dem Zweck des Gesetzes.
Auch habe der Antragsgegner die ihm aus den Mengenstromnachweisen der dualen Systeme bekannten Gesamterfassungsmengen von Leichtverpackungen aus dem Kalenderjahr 2017 heranziehen dürfen. Von der so ermittelten Gesamterfassungsmenge ausgehend, begegne es keinen Bedenken, dass für die Kosten der Erfassung und Verwertung von Leichtverpackungsabfällen rechnerisch gemittelte Werte angesetzt worden seien und die Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung damit im Ergebnis eine Schätzung darstelle. Hinsichtlich der Kosten der Verwertung ziehe der Antragsgegner die Verbrennungskosten heran. Dies erscheine im Hinblick darauf, dass bei dem Ausfall eines oder mehrerer Systeme mit unvorhersehbar großen Mengen Leichtverpackungen gerechnet werden müsse, für die Entsorgungskapazitäten erforderlich werden würden, vertretbar.
Der Antragsgegner habe bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung auf die Marktanteile der Antragstellerin im Kalenderjahr 2017 abstellen dürfen. Es sei insoweit nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner, um rechnerische Verzerrungen und Ungleichgewichtungen zu vermeiden, für die Grundlage seiner Berechnung der Sicherheitsleistung nur Daten aus demselben Kalenderjahr habe heranziehen wollen. Vollständige Daten hinsichtlich aller Berechnungspositionen (insbesondere Gesamterfassungsmengen und vereinbarte Mitbenutzungs- und Nebenentgelte aller Landratsämter und kreisfreien Städte) hätten dem Antragsgegner im Zeitpunkt des Bescheiderlasses ausweislich der Behördenakte jedoch nur hinsichtlich des Kalenderjahres 2017 vorgelegen. Da sich insbesondere die Abfrage der vereinbarten Mitbenutzungs- und Nebenentgelte aller Landratsämter und kreisfreien Städte in Bayern sehr aufwendig gestaltete und viel Zeit in Anspruch genommen habe, habe von einer Aktualisierung der Daten auf das dem Bescheiderlass vorangehende Kalenderjahr 2018 abgesehen werden dürfen, zumal eine erneute Abfrage bei allen Landratsämtern und kreisfreien Städten hinsichtlich der im Jahr 2018 vereinbarten Mitbenutzungs- und Nebenentgelte den Erlass des Bescheids auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben hätte, zu dem die Daten voraussichtlich wiederum durch neue aus dem nächsten Kalenderjahr überholt gewesen wären.
Anders als die Antragstellerin meine, sei der Antragsgegner auch nicht gehalten gewesen, die ermittelten Marktanteile in kurzen Zeitabständen, mitunter quartalsweise, zu aktualisieren. Gewisse Abweichungen von den tatsächlichen Marktanteilen oder späteren Veränderungen seien hinzunehmen. Die Heranziehung eines Marktanteils aus dem Jahr 2017 als Berechnungsgrundlage für die Sicherheitsleistung belaste die Antragstellerin darüber hinaus auch nicht über Gebühr, weil der Bescheid vom 22. Juli 2019 eine jährliche Anpassung der Sicherheitsleistung an die geänderten Marktanteile vorsehe (Seite 7 des Bescheids).
Ein Ermessensfehler sei schließlich auch nicht hinsichtlich der konkreten Dauer der Absicherung von einem Monat zu erkennen. Insbesondere handelte es sich nicht um einen unverhältnismäßig langen Zeitraum und damit nicht um eine Ermessensüberschreitung. Mit der Besicherung der Gesamterfassungsmenge werde ein sogenanntes worst-case-Szenario, der Totalausfall aller Systeme, zu Grunde gelegt. Ob die Erfassungsunternehmen (möglicherweise) aufgrund der bestehenden Verträge nicht zur Verweigerung der Leistung berechtigt seien, die Erstinverkehrbringer ihre Mengenanteile (möglicherweise) zeitnah bei anderen Systembetreibern lizenzieren oder die übrigen Systembetreiber die Zahlungen kurzfristig übernehmen würden, um nicht selbst die Flächendeckung zu verlieren, könne letztlich dahinstehen. Bereits die Vielzahl der beteiligten Akteure und die Vielzahl der rechtlichen bzw. tatsächlichen Möglichkeiten stützten eher die Annahme eines Risikos für eine Funktionsstörung bei der Abholung der in „gelben Säcken“ oder Tonnen bereitgestellten Verkaufsverpackungen und ließen jedenfalls nicht den Schluss zu, dass die vom Antragsgegner getätigte Prognose nur rein theoretisch denkbar und damit der Zeitraum von einem Monat – wie von der Antragstellerin vorgetragen – unverhältnismäßig sei. Vor diesem Hintergrund entspreche die Zugrundelegung des worst-case-Szenarios gerade nach der Ausweitung der Sicherungstatbestände in § 18 Abs. 4 VerpackG dem Gesetzeszweck. Die Festsetzung der Sicherheitsleistung sei in der vorgesehenen Höhe auch verhältnismäßig. Auch die Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung für die Absicherung der Mitbenutzungs- und Nebenentgeltansprüche sei ermessensfehlerfrei erfolgt.
Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der festgesetzten Sicherheitsleistung sei gegeben. An der Verfügbarkeit der Sicherheitsleistung bestehe ein hinreichend gewichtiges fiskalisches Interesse, weil sie die Finanzierbarkeit des Entsorgungssystems sicherstellen solle und damit der Gefahrenabwehr diene, ohne auf allgemeine öffentliche Mittel zurückgreifen zu müssen. Dass die Festsetzung der Höhe der Sicherheitsleistung erst im Juli 2019 und somit etwa zehn Monate nach Inkrafttreten des § 18 Abs. 4 VerpackG erfolgt sei, stehe der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht entgegen. Es sei offensichtlich, dass der Antragsgegner mit einer gewissen Übergangszeit die Anpassung an die neue, seit dem 1. Januar 2019 geltende Rechtslage vorgenommen habe, ohne dass ersichtlich sei, dass er grundlos mit der Festsetzung der Sicherheitsleistung zugewartet und mit der zuvor festgesetzten niedrigeren, nur die Fälle des § 6 Abs. 5 Satz 3 VerpackV a.F. abdeckenden Sicherheitsleistung eine Untersicherung der Entsorgung von Verpackungsabfällen hingenommen hätte.
8. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts sei rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Kammer ergebe sich bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung des angefochtenen Bescheids vorläufig verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung ein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Der Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juli 2019 sei offensichtlich rechtswidrig. An der sofortigen Vollziehung eines solchen Verwaltungsaktes bestehe kein schutzwürdiges öffentliches Interesse. Für den Erlass des verfahrensgegenständlichen Bescheides fehle es bereits an einer wirksamen Rechtsgrundlage. § 18 Abs. 4 VerpackG werde den Anforderungen, die das in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot an derartige Regelungen stelle, nicht gerecht und sei infolgedessen unwirksam. Dafür, dass sich eine Regelung an Bestimmtheitsanforderungen messen lassen müsse, die für abgabebegründende Tatbestände gelten, reiche es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Az. 7 C 17/12) bereits aus, dass sie „ähnliche Rechtswirkungen“ wie eine Abgabe entfalte. Letzteres sei bei § 18 Abs. 4 VerpackG der Fall. Würden Sicherheitsleistungen angefordert, so wirke sich dies aufgrund der damit einhergehenden Einschränkungen der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Systembetreiber abgabeähnlich aus. Die erhebliche Ausweitung des Tatbestandes verschärfe die fehlende Bestimmtheit der Norm um ein Vielfaches. Insbesondere bleibe völlig unklar, wer nach welchen Maßstäben, insbesondere ab welcher Größenordnung und Dauer eines Zahlungsrückstands, über die Inanspruchnahme einer geleisteten Sicherheit entscheide. Die mit der Unbestimmtheit des Tatbestands des § 18 Abs. 4 VerpackG verbundene uferlose Ausdehnung des Anwendungsbereichs und somit ermöglichte ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sicherheiten werde anhand des in den verschiedenen Erfassungsgebieten praktizierten Systems der Hauptkostenverantwortung besonders deutlich (§ 23 Abs. 2 Satz 2 VerpackG). § 18 Abs. 4 VerpackG enthalte keine Regelungen, die eine Inanspruchnahme der Sicherheitsleistung der Systeme lediglich entsprechend ihres jeweiligen Anteils an den Erfassungskosten gewährleiste.
Des Weiteren lege der Antragsgegner einen Marktanteil der Antragstellerin von 39,60% zugrunde und greife damit auf einen völlig veralteten Sachverhalt aus dem Jahr 2017 zurück. Zum Zeitpunkt des Erlasses des verfahrensgegenständlichen Bescheids im Juli 2019 habe der Marktanteil LVP der Antragstellerin 29,47% betragen, sodass bereits zu diesem Zeitpunkt eine für die Antragstellerin nachteilige Diskrepanz in Höhe von ca. zehn Prozentpunkten existiert habe. Zwischenzeitlich habe sich der Marktanteil der Antragstellerin im Vergleich zu den Berechnungsgrundlagen des Antragsgegners sogar um über 20 Prozentpunkte verringert und betrage lediglich noch 18,29%. Allein mit Blick auf den LVP-Anteil ergebe sich insoweit eine Reduktion der Sicherheitsleistung um ca. 1,3 Millionen EUR. Ein nachvollziehbarer Grund dafür, wieso der Antragsgegner bei Erlass des Bescheids zur Ermittlung der Höhe der zu leistenden Sicherheit auf veraltete Marktanteile aus dem Jahr 2017 zurückgreife, sei nicht ersichtlich. Der Vergleich zwischen dem zur Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung herangezogenen früheren Marktanteil von 39,60% und dem aktuellen Marktanteil in Höhe von 18,29% zeige anschaulich, dass die Forderung des Antragsgegners zu einer Übersicherung von ca. 217% führe. Dies habe eine schwerwiegende Wettbewerbsverzerrung zur Folge, da die Antragstellerin die Kosten der Sicherheitsleistung anteilig für diejenigen Systeme mittrage, die infolge der Veränderungen auf dem Verpackungsmarkt mittlerweile einen höheren Marktanteil hätten als im Jahr 2017. Bezüglich der Nebenentgelt- und Benutzungsentgeltanteile 2020 ergebe sich aus der aktuellen Ermittlung ein Marktanteil der Antragstellerin in Bayern in Höhe von lediglich 19,91%. Dies habe eine Verringerung der angeforderten Sicherheitsleistung um ca. 0,8 Millionen EUR zur Folge. Die Berechnung der Sicherheitsleistung solle darüber hinaus lediglich in einem Jahresturnus aktualisiert werden. Infolgedessen fehle es an der verfassungsrechtlich gebotenen dynamischen Anpassung der Höhe der Sicherheitsleistung je nach aktueller Entwicklung der jeweiligen Marktanteile. Die quartalsweise Veröffentlichung der Marktanteile erfordere eine quartalsweise Dynamisierung der Sicherheitsleistung. Eine besondere Verschärfung erfahre dieser Gesichtspunkt durch den Umstand, dass der Antragsgegner mit Schreiben vom 6. August 2020 mitgeteilt habe, die jährliche Überprüfung der Sicherheitsleistung werde bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 22. Juli 2019 ausgesetzt. Dies habe zur Folge, dass die Antragstellerin im Falle der Aufrechterhaltung des Sofortvollzuges auf Jahre hinaus zu einer Übersicherung in Höhe von mehr als 200% verpflichtet bleibe.
Weiterhin habe der Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid vom 22. Juli 2019 mit der Besicherung der Gesamterfassungsmenge den Totalausfall aller Systeme und damit im Hinblick auf den Eintritt des Sicherungsfalls entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keine plausiblen und nachvollziehbaren Maßstäbe zugrunde gelegt. Das Risiko eines Zusammenbruchs sei aufgrund der Stabilität des Systems fernliegend, wie der Sektorenuntersuchung des Bundeskartellamts aus dem Jahr 2012 entnommen werden könne. Ungeachtet dessen seien die beauftragten Erfassungsunternehmen im Fall der Insolvenz eines Systems aufgrund ihrer Verpflichtungen gegenüber allen Systemen gezwungen, die flächendeckende Sammlung der anfallenden Verpackungsmengen fortzuführen. Dies gelte selbst dann, wenn sie gegenüber dem insolventen System zivilrechtlich zur Leistungsverweigerung berechtigt wären. Es bestehe also kein Anlass für ein Eingreifen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, sodass diesen auch keine Kosten entstünden, die durch eine Sicherheitsleistung zu decken wären.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die angeordnete Sicherheitsleistung auch mit Blick auf die Verteilung der Hauptkostenverantwortung unverhältnismäßig. Soweit ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger wegen des Ausfalls eines Entsorgers in den Hauptkostengebieten der Antragstellerin eine Ersatzvornahme durchführen wolle, dürfe er die von der Antragstellerin geleistete Sicherheit nur in Höhe des Hauptkostenanteils der Antragstellerin heranziehen. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Zahlungen trete der Sicherungsfall nicht ein, da insoweit die anderen Systeme den Entsorger vertragsgemäß vergüten könnten. Selbst bei einer Leistungseinstellung aller Entsorger in allen Erfassungsgebieten wäre der betreffende Kostenanteil anteilig aus den Sicherheitsleistungen der anderen Systeme abzudecken und nicht allein aus der Sicherheitsleistung der Antragstellerin. Die Sicherheitsleistung der Antragstellerin könne für Gebiete, in denen sie die Hauptkostenverantwortung trage, im Fall einer tatsächlichen Leistungseinstellung des Entsorgers nur entsprechend ihres Hauptkostenanteils in Anspruch genommen werden.
Im Übrigen bestehe auch kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids. Die angeführte Gefahrenabwehr sei theoretischer Natur, da der Fall der Nichtabholung von Verpackungsabfällen und damit auch der Ersatzvornahme durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger höchst unwahrscheinlich sei. Ungeachtet dessen sei im Rahmen der Interessenabwägung auch das Verhalten der Behörde zu berücksichtigen. Lasse sie sich – wie hier – mit einer möglichst raschen Entscheidung in der Hauptsache Zeit, sei in der Regel das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zu verneinen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Juni 2020 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der unter dem 16. August 2019 erhobenen Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juni 2019, der mit weiterem Bescheid vom 1. April 2020 für sofort vollziehbar erklärt wurde, wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die Beschwerde setzte der erstinstanzlichen Würdigung keine durchgreifenden Bedenken entgegen. Dass die Anforderung einer Sicherheitsleistung nach § 18 Abs. 4 VerpackG einen abgabenähnlichen Tatbestand darstelle, habe das Verwaltungsgericht überzeugend widerlegt. Dieses stelle dabei zurecht darauf ab, dass die Vorschrift keinen Anspruch auf eine Geldleistung einräume. Mit den in § 18 Abs. 4 VerpackG selbst genannten Kriterien bestimmter Pflichtverletzungen, die abgesichert werden sollten, und den im Falle solcher Pflichtverletzungen entstehenden Kosten oder finanziellen Verlusten bei öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern und zuständigen Behörden habe das Gesetz hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben, was ermessensfehlerfrei in die Festlegung einer Sicherheitsleistung einbezogen werden könne. Die Berechnungsfaktoren für die Sicherheitsleistung würden im Bescheid vom 22. Juni 2019 mit der zu erwartenden Menge nicht abgeholter Verpackungsabfälle, den voraussichtlichen Erfassungskosten, den voraussichtlichen Kosten der Entsorgung, den Zahlungsverpflichtungen der Systeme an öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger in Gestalt von Nebenentgelten (§ 22 Abs. 9 VerpackG) und Benutzungsentgelten (§ 22 Abs. 3 und 4 VerpackG), dem veranschlagten Absicherungszeitraum und dem Marktanteil des Systems näher dargelegt. Es bestehe auch keine Unklarheit, wann eine geleistete Sicherheit in Anspruch genommen werden dürfe oder eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme ermöglicht werde. Gegen eine solche könne zivilrechtlich vorgegangen werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 6 Abs. 4 Satz 5 VerpackV (7 C 17/12) könne auf § 18 Abs. 4 VerpackG nicht übertragen werden.
Der Festsetzung der Sicherheitsleistung liege auch kein fehlerhaft ausgeübtes Ermessen zu Grunde. Auf den (inzwischen verringerten) Marktanteil der Antragstellerin aus dem Jahr 2017 habe zurückgegriffen werden dürfen, da dies das aktuellste Bezugsjahr gewesen sei, zu dem für alle Berechnungsfaktoren hinreichende Daten verfügbar gewesen seien. Mit der vorgesehenen jährlichen Überprüfung der Höhe der Sicherheitsleistung erfolge zugleich die von der Antragstellerin als fehlend beanstandete Dynamisierung. Auf eine quartalsweise Anpassung bestehe kein Rechtsanspruch. Bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung habe ermessensfehlerfrei das Szenario eines kurzfristigen Ausfalls aller am Markt beteiligten dualen Systeme zugrunde gelegt werden dürfen. Die Erwägungen der Antragstellerin, wonach im Fall der Insolvenz eines Systems aufgrund der Vertragslage mit den Erfassungsunternehmen nicht damit zu rechnen sei, dass diese ihre Leistung teilweise einstellen würden, seien demgegenüber nicht durchgreifend. Ein Ermessensfehler könne auch nicht insoweit festgestellt werden, als die verlangte Sicherheitsleistung bereits mit Blick auf die Hauptkostenverantwortung unverhältnismäßig wäre. Eine Übersicherung werde insoweit nicht dargelegt.
Nachdem sich überwiegende Erfolgsaussichten der Klage nicht abzeichneten, im Gegenteil diese voraussichtlich abgewiesen werden müsse, könne nicht ausschlaggebend sein, dass der Bescheid vom 22. Juni 2019 erst über sechs Monate nach Inkrafttreten des Verpackungsgesetzes ergangen und der Sofortvollzug erst 15 Monate nach Inkrafttreten des Verpackungsgesetzes angeordnet worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz zu Unrecht versagt und dabei Bedeutung und Tragweite der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) im Eilverfahren verkannt.
1. a) Das Institut des einstweiligen Rechtsschutzes (Art. 80 Abs. 5 VwGO) bezweckt nicht, das Hauptsacheverfahren im Eilverfahren vorwegzunehmen und bereits jetzt endgültige Verhältnisse zu schaffen, in denen der Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren denknotwendig zu spät und zu kurz kommen muss; es beabsichtigt lediglich, unter Abwägung der beiderseitigen Interessenlage eine vorläufige Entscheidung bis zum Ergehen eines rechtskräftigen Urteils im Hauptsacheverfahren zu treffen. Infolgedessen verbietet es sich, schwierige und/oder umstrittene, in der Sache offene Tatsachen- oder Rechtsfragen unter Vermeidung einer mündlichen Hauptverhandlung bereits im Eilverfahren abschließend zu entscheiden und den Verfahrensbeteiligten so die Erlangung einer endgültigen ergebnisoffenen Entscheidung im Hauptsacheverfahren faktisch unmöglich zu machen, sofern nicht ausnahmsweise ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse für die Anordnung des Sofortvollzugs streitet. Effektiver Rechtsschutz hat die Aufgabe, irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit wie möglich auszuschließen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618 [3619]; B.v. 8.4.2010 – 1 BvR 2709/09 -, NJW 2010, 2268 [2269]; siehe auch bereits BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 12 CS 19.2505 -, juris Rn. 32 ff.).
Auf das Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses kann deshalb selbst bei offensichtlicher Erfolglosigkeit eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache nicht verzichtet werden, denn die behördliche Vollzugsanordnung stellt lediglich eine Ausnahme vom Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO dar (vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 157; Külpmann, in: Finklenburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 757 ff., 759, 761). Ein Abweichen vom Regelfall darf nur unter den im Gesetz festgelegten Voraussetzungen erfolgen. Infolgedessen kann es nicht genügen, wenn Verwaltungsgerichte feststellen, dass die Behörde den formalen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt habe, der zugrundeliegende Verwaltungsakt rechtmäßig sei, den Kläger nicht in seinen Rechten verletze und sein Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos bleiben werde; denn daraus folgt noch nicht automatisch das Bestehen eines öffentlichen Vollzugsinteresses, das das Aufschubinteresse des Betroffenen übersteigt. Das Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts ist stets ein qualitativ anderes als das Interesse am Erlass des Verwaltungsakts selbst (vgl. Külpmann, a.a.O., Rn. 745 m.w.N.; siehe auch bereits BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 12 CS 19.2505 – juris, Rn. 33).
Das Gesetz lässt eine sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts deshalb nur dann zu, wenn überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Einzelnen einstweilen zurücktreten zu lassen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls in die Wege zu leiten. Um dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu genügen, bedarf es daher stets einer Abwägung der konkurrierenden Interessen. Vor allem bei Eingriffen in Grundrechte, namentlich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG), setzt die Annahme eines überwiegenden öffentlichen Interesses Gründe voraus, die in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ausschließen. Insoweit ist nicht nur die Möglichkeit milderer Mittel in Erwägung zu ziehen, sondern darüber hinaus zugleich auch zu berücksichtigen, dass der Rechtsschutzanspruch des Einzelnen umso stärker wiegt und umso weniger zurückzustehen hat, je schwerer die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 [402]; 69, 220 [228]; BVerfG, B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179/95 -, NVwZ 1996, 58 [59]; BVerwG, B.v. 14.4.2005 – 4VR 1005/04 -, NVwZ 2005, 689 [690];). Lässt der Sofortvollzug den Eintritt erheblicher Nachteile erwarten, so kann regelmäßig nur ein besonders großes Vollzugsinteresse eine Anordnung der sofortigen Vollziehung tragen. Ob ein solches Interesse vorliegt, ist durch Erwägung aller für und gegen die sofortige Vollziehung streitenden Gründe zu ermitteln (vgl. näher Külpmann, a.a.O., Rn. 761, 759 u. 979 jeweils m.w.N.; siehe auch bereits BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 12 CS 19.2505 – juris, Rn. 34).
b) Gemessen an diesem Maßstab verfehlen sowohl die nachträgliche Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 1. April 2020 durch den Antragsgegner als auch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht die Anforderungen der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Weder das StMUV im Rahmen der Begründung des Sofortvollzuges nach § 80 Abs. 3 VwGO noch das Verwaltungsgericht bei der Prüfung von § 80 Abs. 5 VwGO haben die für die Antragstellerin mit der Anordnung des Sofortvollzuges verbundenen Belastungen, insbesondere den mit ihm verbundenen Eingriff in die Grundrechte der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) der Antragstellerin erhoben und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die vorzunehmende Abwägung eingestellt. Stattdessen rekurrieren sie einseitig und ausschließlich auf den Umstand, dass die derzeit vorhandene, nach der VerpackV geleistete Sicherheit von 680.000 EUR „für den Sicherungsfall nach § 18 Abs. 4 VerpackG nicht auf weiterhin unbestimmte Zeit auskömmlich“ sei, nachdem derzeit nicht abgesehen werden könne, wann mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu rechnen und das Hauptsacheverfahren rechtskräftig abgeschlossen sein werde.
Allein dies kann indes nicht genügen. In Anbetracht des mit der Anordnung des Sofortvollzuges verbundenen Eingriffs in die Grundrechte der Antragstellerin wäre vielmehr darzulegen gewesen, dass und aus welchen Gründen die Verwirklichung einer konkreten Gefahrenlage – hier des Eintritts des Sicherungsfalls etwa infolge aktuell drohender Insolvenz oder anderer relevanter Umstände einer Verletzung seitens der Antragstellerin eingegangener Verpflichtungen – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit noch vor Ergehen einer Entscheidung in der Hauptsache zu erwarten ist und weshalb die durch die Anordnung des Sofortvollzuges zu schützenden Gemeinwohlbelange von solchem Gewicht sind, dass sie die berechtigten, durch § 80 Abs. 1 VwGO ausdrücklich geschützten Interessen der Antragstellerin, von der Belastung mit durch die für rechtswidrig erachtete Sicherheitsleistung verbundenen Kosten bis zum Ergehen einer Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, ausnahmsweise bereits jetzt überwiegen und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren demgegenüber zwingend zurückzustehen hat (vgl. BVerfGE 51, 268 [284]; BVerfG, B.v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618 [3619]; B.v. 8.4.2010 – 1 BvR 2709/09 -, NJW 2010, 2268 [2269]; siehe auch BayVGH, B.v. 17.02.2020 – 12 CS 19.2505 – juris, Rn. 36).
An der Darlegung einer solchen Dringlichkeit fehlt es im vorliegenden Fall. Weder das StMUV noch das Verwaltungsgericht zeigen in der Sache nachvollziehbar auf, dass der Eintritt des Sicherungsfalls noch vor Ergehen einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ernsthaft droht und weshalb die bereits nach der VerpackV geleistete und auch weiterhin zur Verfügung stehende Sicherheit in Höhe von 680.000 EUR zur Bewältigung einer entsprechenden Gefahrenlage nicht zumindest übergangsweise bis zum Ergehen einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausreichend sein soll, nachdem das StMUV die für die Anordnung des Sofortvollzugs ins Feld geführte „Untersicherung“ seit Inkrafttreten des § 18 Abs. 4 VerpackG am 1. Januar 2019 selbst für einen Zeitraum für mehr als 6 Monate bis zum Erlass des Bescheides vom 22. Juli 2019 über die Anhebung der Sicherheitsleistung hingenommen, die Sicherheitsleistung selbst erst (spätestens) zum 1. Januar 2020 angefordert hat und auch im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 22. Juli 2019 keinen Anlass sah, diesen mit einer Anordnung des Sofortvollzuges (ab 1. Januar 2020) zu verbinden. Vielmehr wurde der Sofortvollzug erst 8 Monate nach Bescheiderlass und gar 15 Monate nach Inkrafttreten der Neuregelung am 1. April 2020 angeordnet, ohne dass dargelegt worden oder sonst ersichtlich wäre, dass und vor allem weshalb sich die Gefahr des Eintritts des Sicherungsfalls zwischenzeitlich signifikant erhöht hat. Allein der Umstand, dass Insolvenz nicht generell ausgeschlossen werden kann, kann die Anordnung des Sofortvollzuges angesichts der bereits vorhandenen Sicherheit in Höhe von 680.000 EUR nicht rechtfertigen. Würde die Gefahr eines unmittelbaren Eintritts des Sicherungsfalls tatsächlich bestehen, so hätte der Antragsgegner bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 18 Abs. 4 VerpackG am 1. Januar 2019 keine Sekunde zögern dürfen, die Anforderung der (erhöhten) Sicherheitsleistung ins Werk zu setzen und mit der Anordnung des Sofortvollzugs zu verbinden. Vorliegend ist jedoch weder das eine noch das andere geschehen.
Angesichts dessen liegt auf der Hand, dass das StMUV die nachträgliche Anordnung des Sofortvollzuges unter Missachtung des Ausnahmecharakters dieses Rechtsinstituts (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO) als „Druckmittel“ einsetzt, nicht nur um bereits jetzt vollendete Tatsachen zu schaffen, sondern zugleich auch die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren zu einer möglichst umfassenden Prüfung der Erfolgsaussichten der seitens der Antragstellerin erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 22. Juli 2019 zu zwingen. Für einen derart sachwidrigen Gebrauch ist das Rechtsinstitut des Sofortvollzuges jedoch nicht geschaffen. Ebenso wenig statthaft ist die dadurch – noch dazu von einer obersten Landesbehörde – hervorgerufene Provokation der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes – einer der knappsten Ressourcen gerichtlichen Rechtsschutzes überhaupt.
All dies hat das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen. Statt dem Antragsgegner in den Arm zu fallen, hat es den Sofortvollzug bestätigt, ohne dass nachweisbare, aktuelle und hinreichend konkrete Gefahren für ein wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfGE 44, 105 [117]), die alleine ein Zurücktretenmüssen der berechtigten Interessen der Antragstellerin im Eilverfahren hätten rechtfertigen können, in der Sache nachvollziehbar dargelegt worden wären (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618 [3619]; B.v. 8.4.2010 – 1 BvR 2709/09 -, NJW 2010, 2268 [2269]). Gleichzeitig hat es sich ohne Vorliegen der im Gesetz vorausgesetzten Ausnahmelage dazu hinreißen lassen, sich bereits im Eilverfahren abschließend zu den aufgeworfenen Rechtsfragen zu verhalten, was nunmehr auch den Senat zu einer im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens von Gesetzes wegen gar nicht vorgesehenen vertieften Befassung zwingt, obwohl der Antragsgegner im Bescheid vom 1. April 2020 kein öffentliches Interesse an der Anordnung des Sofortvollzuges aufgezeigt hat, das über dasjenige am Erlass des Verwaltungsaktes selbst hinausreichen würde. Eine Eilbedürftigkeit ist angesichts des Vorhandenseins einer Sicherheitsleistung von 680.000 EUR nach der VerpackV, die auch weiterhin zur Verfügung steht, nicht ersichtlich. Die Anordnung des Sofortvollzuges kann bereits alleine deshalb keinen Bestand haben.
2. Ungeachtet dessen erweist sich der Bescheid vom 22. Juli 2019 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch bereits nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Eilverfahren mangels Betätigung des in § 18 Abs. 4 VerpackG zwingend vorgesehen Entschließungsermessens als offensichtlich rechtswidrig. Am sofortigen Vollzug eines mutmaßlich rechtswidrigen Bescheides besteht jedoch kein schutzwürdiges Interesse (vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 158; Külpmann, in: Finklenburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 967 ff. jeweils m.w.N.). Infolgedessen überwiegt das Aufschubinteresse der Antragstellerin mit der Folge, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin wiederherzustellen ist.
a) Wie das Verwaltungsgericht zutreffend feststellt, steht die Entscheidung über die Sicherheitsleistung gemäß § 18 Abs. 4 VerpackG sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im Ermessen des Antragsgegners. Eine Betätigung des Ermessens dem Grunde nach, also hinsichtlich des „Ob“ der Erhebung der Sicherheitsleistung (Entschließungsermessen), sucht man indes im Bescheid vom 22. Juli 2019 vergebens. Die Ermessensbetätigung beschränkt sich allein auf die Bemessung der Höhe der Sicherheitsleistung (Auswahlermessen). Insoweit heißt es wörtlich:
“Am 01. Januar 2019 trat das VerpackG in Kraft und löste die bis dahin geltende VerpackV ab. Im VerpackG wurde die Rechtsvorschrift zur Festsetzung einer Sicherheitsleistung gegenüber der bisherigen Regelung dahin geändert, dass ein Rückgriff auf die Sicherheitsleistung auch bei Verstößen gegen Pflichten aus der Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 VerpackG oder gegen Pflichten aus einseitigen Vorgaben nach § 22 Abs. 2 VerpackG möglich ist. Folglich besteht Bedarf, die festgesetzten Sicherheitsleistungen an die neue Rechtslage anzupassen und sie in für alle Dualen Systeme gleicher Art und Weise auszugestalten.“ [Hervorhebung des Senats]
Mit der Verwendung der Formulierung „folglich besteht Bedarf“ macht das StMUV deutlich, dass es sich des Bestehens eines Entschließungsermessens gar nicht bewusst ist und rechtsirrig vom Vorliegen einer gebundenen Entscheidung hinsichtlich des „Ob“ der Anforderung einer Sicherheitsleistung auch bei Verstößen gegen Pflichten aus § 22 Abs. 1 und 2 VerpackG ausgegangen ist. Insoweit liegt ein Ermessensausfall vor, der im Hauptsacheverfahren auch nicht mehr geheilt werden kann. § 114 S. 2 VwGO schafft die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass defizitäre Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen auch dafür, dass das (Entschließungs-) Ermessen erstmals ausgeübt wird (vgl. BVerwGE 129, 367 [376]; 106, 351 [365]; siehe auch Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 208 f.).
Dieser schwerwiegende und zugleich auch grundlegende Mangel kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht mit der Erwägung überwunden werden, der Antragsgegner habe bereits mit der Nebenbestimmung in Ziffer 2.14 des Feststellungsbescheids vom 22. Dezember 1992, zuletzt geändert durch den zweiten Änderungsbescheid vom 5. September 2011 sowie seine Ergänzung vom 18. Oktober 2012, von dem durch § 18 Abs. 4 VerpackG eingeräumten (Entschließungs-) Ermessen Gebrauch gemacht. § 18 Abs. 4 VerpackG war zum Zeitpunkt des Erlasses der genannten Bescheide noch gar nicht in Kraft. Ungeachtet dessen hat die Sicherheitsleistung nach der am 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Neuregelung auch einen ganz anderen inhaltlichen Zuschnitt als nach der Vorgängerregelung, wie das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Höhe der Sicherheitsleistung gleich mehrfach (zu Recht) betont (vgl. hierzu auch BT-Drs. 18/11274, S. 103 f.). Umso mehr drängt sich die Notwendigkeit einer (erneuten) Betätigung des Entschließungsermessens durch den Antragsgegner nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 18 Abs. 4 VerpackG auf.
Es liegt auch weder ein Fall „intendierten Ermessens“ noch ein solcher einer „Ermessensreduzierung auf Null“ vor. Vielmehr ist die Anforderung einer Sicherheitsleistung ausdrücklich in das pflichtgemäße Ermessen („kann“) des Antragsgegners gestellt. Der Antragsgegner kann deshalb sehr wohl von der Anforderung einer Sicherheitsleistung ganz oder teilweise absehen, wann immer ihm dies aus welchen Gründen auch immer opportun erscheint. Andernfalls hätte der Gesetzgeber bestimmt, dass eine Sicherheitsleistung zwingend anzufordern ist oder zumindest angefordert werden soll, was ein Absehen vom Verlangen einer Sicherheitsleistung auf atypische (Ausnahme)- Fälle beschränkt hätte.
Die Betätigung des dem Antragsteller eingeräumten Entschließungsermessens wird deshalb nicht dadurch entbehrlich, dass der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. Dezember 1992, zuletzt geändert durch den zweiten Änderungsbescheid vom 5. September 2011 sowie seine Ergänzung vom 18. Oktober 2012 bestandskräftig über das „Ob“ der Erhebung einer Sicherheitsleistung entschieden hat, wie das Verwaltungsgericht rechtsirrig meint. Diese Entscheidung ist auf anderer Rechtsgrundlage nach der VerpackV und unter ganz anderen inhaltlichen Voraussetzungen getroffen worden. Wie der Antragsgegner in einer solchen Konstellation bereits damals (!) von dem (erst) ab 1. Januar 2019 nach § 18 Abs. 4 VerpackG eingeräumten Entschließungsermessen Gebrauch gemacht haben soll, erschließt sich dem Senat nicht. Jedenfalls unterliegt der streitgegenständliche Bescheid vom 22. Juli 2019 bereits alleine aufgrund der Nichtausübung des Entschließungsermessens der Aufhebung im anstehenden Hauptsacheverfahren. An seiner sofortigen Vollziehung besteht daher kein schutzwürdiges öffentliches Interesse.
Dass die Antragstellerin sich in der Beschwerdebegründung lediglich auf Ermessensfehler allgemein, nicht aber explizit auf den des Ausfalls des Entschließungsermessens berufen hat, steht der Berücksichtigung dieses Umstandes durch den Senat auch unter Beachtung des durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vorgegebenen, lediglich eingeschränkten Prüfungsrahmens im Lichte der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht entgegen (vgl. VGH Kassel, B.v. 18.1.2006 – 5 TG 1493/05 -, NVwZ-RR 2006, 846 [847]; BayVGH, B.v. 23.1.2002 – 25 CS 02.172 -, NVwZ 2003, 118 [121]; siehe zur Problematik der Auslegung von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ausführlich Guckelberger in Sodan/Ziekow, 3. Aufl. 2010, § 146 Rn. 100 ff. m.w.N.). § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO lässt die Befugnis des Senats zur umfassenden Interessenabwägung und vollständigen Prüfung entscheidungserheblicher Tatsachen und Rechtsfragen unberührt (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2002 – 25 CS 02.172 -, NVwZ 2003, 118; B.v. 17.6.2013 – 12 CE 13.999 – juris, Rn. 23).
b) Offensichtlich rechtswidrig ist der streitgegenständliche Bescheid vom 22. Juli 2020 aber auch deshalb, weil er (derzeit) nicht auf einer operablen Rechtsgrundlage beruht. § 18 Abs. 4 VerpackG gestattet dem Antragsgegner zwar ausdrücklich die Anforderung einer „angemessenen, insolvenzfesten Sicherheit“, er legt jedoch entgegen dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und der Wesentlichkeitstheorie (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht selbst fest, unter welchen Voraussetzungen von einer Angemessenheit der Sicherheitsleistung auszugehen ist. Die Vorschrift ist deshalb – jedenfalls in ihrer gegenwärtigen Form – nicht vollzugsfähig und kann die Festsetzung der Sicherheitsleistung im Bescheid vom 22. Juli 2019 nicht tragen.
Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, in den grundlegenden normativen Bereichen, namentlich in denen der Grundrechtsverwirklichung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 49, 89 [126]; 101, 1 [34]; 108, 282 [312]; 136, 69 [114] Rn. 102; BVerwGE 138, 201 [204] Rn. 26; 144, 93 [96] Rn. 12 [sog. Wesentlichkeitstheorie]); er darf diese insbesondere nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen (vgl. BVerfGE 49, 89 [127]; 83, 130 [142]). Mit dem Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie überschneidet sich das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit von Rechtsvorschriften (vgl. BVerfGE 62, 169 [183]; 149, 293 [323] Rn. 77). Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, sodass das Handeln der Verwaltung messbar und in einem gewissen Ausmaß für den Staatsbürger vorhersehbar und berechenbar wird (vgl. BVerfGE 56, 1 [12]; 108, 52 [75]; 110, 33 [53 f.]; BVerwGE 126, 222 [228] Rn. 29). Dies schließt die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, wie etwa den der „Angemessenheit“ nicht grundsätzlich aus, erforderlich ist jedoch stets, dass zumindest die äußeren Grenzen des Spielraums abgesteckt sind und insoweit die Möglichkeit einer richterlichen Prüfung eröffnet ist (vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20 Rn. 83 m.w.N.). Die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe entbindet den Gesetzgeber insbesondere nicht davon, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normenklarheit und Justitiabilität entspricht. Sie muss in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so formuliert sein, dass die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (vgl. BVerfGE 21, 73 [79]; 52, 1 [41]; 78, 214 [226]; 133, 277 [355 f.] Rn. 181). Letzteres erfordert, dass sich unbestimmte Rechtsbegriffe durch eine Auslegung der betreffenden Normen nach den Regeln der juristischen Methodik hinreichend konkretisieren lassen und verbleibende Ungewissheiten nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten Stellen gefährdet sind (vgl. BVerfGE 21, 73 [79 f.]; 118, 168 [188]; 120, 274 [316]; 133, 277 [355 f.] Rn. 181; 145, 20 [69 f.] Rn. 125).
Für die „Angemessenheit“ eines abgabenrechtlichen Entgelts hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass die Verwendung dieses Begriffs den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht genügt, weil der Abgabenschuldner nicht in die Lage versetzt wird, die ihn treffende Belastung in gewissem Umfang vorauszuberechnen, da es an der normativen Festlegung von Bemessungsfaktoren zur Bestimmung des angemessenen Entgelts fehlt. Für die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs des angemessenen Entgelts, das einseitig von dem öffentlich-rechtlichen Abgabeberechtigten verlangt und gegebenenfalls gerichtlich durchgesetzt werden könne, gebe die Rechtsordnung mit der Verwendung des Begriffs der „Angemessenheit“ keine hinreichenden Maßstäbe vor (vgl. BVerwG, U.v. 26.03.2015 – 7 C 17.12 -, BVerwGE 152, 1 [8 f.] Rn. 30).
Für den hier vorliegenden Fall der „Angemessenheit“ einer Sicherheitsleistung kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners nichts anderes gelten. Der Umstand, dass das Entgelt für den Abgabenschuldner regelmäßig „verloren“ ist, die Sicherheitsleistung aber unangetastet bleibt, wenn der Sicherungsfall nicht eintritt, bildet im Lichte des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Wesentlichkeitstheorie (Art. 20 Abs. 3 GG) kein rechtserhebliches Unterscheidungskriterium, denn auch für die Bereitstellung der Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft entstehen dem Schuldner Kosten in Form von Avalzinsen, gleichzeitig reduziert sich regelmäßig sein Kreditvolumen. Allein die jährlichen Kosten für die Finanzierung der erhöhten Sicherheitsleistung (4.108.300 EUR statt 680.000 EUR wie bisher) hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Antragstellerin auf bis zu 410.000 EUR (nur im Freistaat Bayern !) beziffert. Auch dieser Betrag ist für die Antragstellerin – gleich dem einer Abgabe – endgültig verloren. Die Interessenlage ist demzufolge, anders als das Verwaltungsgericht meint, durchaus vergleichbar. Auch auf Seiten des Schuldners einer Sicherheitsleistung besteht deshalb ein berechtigtes Bedürfnis, die ihn aufgrund der Höhe der Sicherheitsleistung treffende Belastung in gewissem Umfang vorausberechnen zu können, indem die Bemessungsfaktoren zur Bestimmung der Angemessenheit der Sicherheitsleistung normativ festgelegt werden und eine willkürliche Handhabung durch Behörden wirksam ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 108, 186 [234 ff.]; BVerwGE 105, 144 [147 f.]; 152, 1 [8 f.] Rn. 29 f.).
Der unbestimmte Rechtsbegriff der „angemessenen“ Sicherheitsleitung lässt sich ohne nähere gesetzliche Bestimmung der Bemessungsfaktoren mit den herkömmlichen juristischen Methoden nicht konkretisieren. Insbesondere kann nicht durch Auslegung festgestellt werden, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (vgl. BVerfGE 21, 209 [215]; 102, 254 [337]; 145, 20 [69] Rn. 125). Mit den in § 18 Abs. 4 VerpackG selbst genannten Pflichtverletzungen, die abgesichert werden sollen, und den daraus gegebenenfalls entstehenden Kosten lassen sich im Wege der Gesetzesinterpretation keine verlässlichen Bemessungsfaktoren ermitteln. Namentlich die Festlegung, ob bei der Bestimmung der „Angemessenheit“ der Sicherheitsleistung von einem flächendeckenden „worst-case-Szenario“ (gleichzeitiger Totalausfall aller Systeme) auszugehen ist oder eine realitätsbezogenere Betrachtung entsprechend einem Maßstab überwiegender Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden kann, stellt aufgrund des bestehenden Grundrechtsbezuges (Art. 12 u. 14 GG) im Lichte der Wesentlichkeitstheorie eine Entscheidung dar, die nicht in geschlossenen Zirkeln von Arbeitsgruppen und „Fachbruderschaften“ der Exekutive getroffen werden kann, sondern dem Licht der Öffentlichkeit in Gestalt parlamentarischer Rechtssetzung vorbehalten bleiben muss. Gleiches gilt auch hinsichtlich der weiteren Bemessungsfaktoren und den wesentlichen Voraussetzungen der Festsetzung, insbesondere des zeitlichen Bezugsrahmens und des Zeitraums bis zu einer Anpassung entsprechend veränderter Marktbedingungen, sowie der Ausgestaltung der näheren Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Sicherheitsleistung im Eintrittsfall, vor allem dann, wenn nicht alle Systeme gleichzeitig betroffen sind.
Zusätzlich muss im Rahmen einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere der den Betroffenen auferlegten Belastung und dem Gewicht und der Dringlichkeit der diese rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) noch gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 118, 168 [195]; 120, 224 [241]; 141, 82 [100] Rn. 53) und das Maß der den Einzelnen treffenden Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen (vgl. BVerfGE 76, 1 [51]; 119, 59 [87]). Auf dieser Grundlage ist zugleich ein angemessener Ausgleich zwischen dem Eingriffsgewicht der Regelung und dem verfolgten gesetzgeberischen Ziel, mit anderen Worten zwischen Individual- und Allgemeininteresse herzustellen (vgl. BVerfGE 133, 277 [322] Rn. 109 m.w.N.).
Auch insoweit bestehen alleine schon aufgrund der enormen Erhöhung von 680.000 EUR auf nunmehr 4.108.300 EUR – das sechsfache (!) des bisherigen Betrages – erhebliche Bedenken. Die Finanzierungskosten hierfür belaufen sich je nach Avalzinssatz auf bis zu 410.000 EUR jährlich und liegen damit bei rd. 10% der gesamten Sicherheitsleistung. Tritt der Sicherungsfall nicht ein, würden die Kosten der Finanzierung bereits nach Ablauf von nur 10 Jahren den Wert der gesamten Sicherheitsleistung erreichen. Es kann daher keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass die Festsetzung einer Sicherheitsleistung in solcher Höhe intensiv in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) eingreift mit der Folge, dass eine Bestimmung der wesentlichen Bemessungsfaktoren durch den Gesetzgeber selbst zu erfolgen hat, weil ansonsten eine verlässliche Grenze der Angemessenheit im Sinne von § 18 Abs. 4 VerpackG nicht auszumachen ist (vgl. BVerfGE 83, 130 [142]; 149, 293 [323 f.] Rn. 77 m.w.N.) und die Betroffenen der Willkür der Festsetzungsbehörde ausgesetzt würden.
Der Antragsgegner wird deshalb im Wege einer Bundesratsinitiative eine Ergänzung des § 18 Abs. 4 VerpackG anzuregen haben, wenn er weiterhin an der Anforderung einer Sicherheitsleistung in neuer Höhe festhalten möchte. Ohne eine Bestimmung der maßgeblichen Bemessungsfaktoren der Sicherheitsleistung durch den Gesetzgeber selbst, ist zugleich auch eine wirksame Rechtskontrolle durch die Gerichte nicht durchführbar (vgl. hierzu BVerfGE 110, 33 [52 ff.]; 113, 348 [376 f.]; 120, 378 [407]). § 18 Abs. 4 VerpackG ist daher in seiner jetzigen Form nicht operabel und vermag daher die Festsetzung einer (erhöhten) Sicherheitsleistung nicht zu tragen. Zu dieser Feststellung im Eilverfahren ist der Senat auch ohne Vorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht berechtigt (vgl. BVerfGE 86, 382 [389]; siehe auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 134). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt insoweit nicht inmitten.
Das der Bestimmung der Höhe der Sicherheitsleistung zugrundeliegende Arbeitspapier der länderoffenen Arbeitsgruppe „Festsetzung von Sicherheiten nach § 18 Abs. 4 VerpackG und Beibringung von Sicherheiten“ vom 21. Dezember 2018, auf dessen unkritische, aber gleichwohl bereits Endgültigkeit signalisierende Nachzeichnung das Verwaltungsgericht sich im Eilverfahren beschränkt hat, kann den Mangel einer gesetzlichen Festlegung der Bemessungsfaktoren der Sicherheitsleistung nach § 18 Abs. 4 VerpackG nicht ausgleichen. Verwaltungsvorschriften gleich welcher Art verfügen nicht über die der Wesentlichkeitstheorie und dem Gesetzesvorbehalt genügende Rechtsnormqualität (vgl. BVerfGE 80, 257 [265 f.]; 131, 130 [148]). Darüber hinaus begegnet auch ein alleiniges Abstellen auf die Verbrennungskosten durchgreifenden Bedenken. Im Fall des Systemausfalls darf auch der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger im Wege der Ersatzvornahme keine andere als die in § 16 Abs. 1 Satz 1 VerpackG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KrWG vorgesehene Verwertungsart wählen. Dort ist die Vorbereitung zur Wiederverwertung bzw. das Recycling, nicht aber die Verbrennung als vorrangig beschrieben (vgl. auch § 6 Abs. 1 u. 2 KrWG). Infolgedessen ist zugleich auch ein den Verpackungen gegebenenfalls noch innewohnender (Rest-) Marktwert bei der Bemessung der Sicherheitsleistung kalkulatorisch mit zu berücksichtigen.
c) Schließlich sticht ins Auge, dass der Antragsgegner im Jahre 2019 auf der Grundlage von Zahlen aus dem Jahr 2017 eine Festsetzung der Sicherheitsleistung der Antragstellerin vorgenommen hat, die einen Marktanteil von 39,6% zugrunde legt, obwohl dieser zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Bescheides lediglich noch 29,47% betragen hat und aktuell nur noch bei 18,29% liegt. Dies hat zur Folge, dass die Antragstellerin mit einer „Übersicherung“ von aktuell rd. 217% konfrontiert ist, mit anderen Worten zu einem nicht unwesentlichen Teil die Sicherheitsleistung ihrer Konkurrenten zusätzlich zu dem auf sie selbst entsprechend den Marktverhältnissen entfallenden Anteil aufbringen soll – ein das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden auch jenseits jeder juristischen Betrachtung in grober Weise verletzendes Ergebnis. Gleichzeitig erlaubt sich der Antragsgegner der Antragstellerin mitzuteilen, dass im Hinblick auf das vorliegende Verfahren die für das Jahr 2020 an sich vorgesehene Überprüfung bis zur Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheides vom 22. Juli 2019 „ausgesetzt“ werde.
Indes vermag gerade die widerrechtliche Ablehnung einer an sich gebotenen Korrektur eines angefochtenen Bescheides die offensichtliche Rechtswidrigkeit desselben zu verstärken, weil der rechtswidrig erzeugte Zustand dadurch sehenden Auges auf unbestimmte Zeit perpetuiert wird. Eine generalisierende oder auch typisierende Behandlung von Sachverhalten – vorliegend das Abstellen auf Zahlenmaterial aus dem Jahr 2017 noch im Jahr 2019, obwohl jedenfalls zum Teil bereits neuere Daten vorliegen – kann im Lichte des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nur dann hingenommen werden, wenn damit verbundene Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 100, 59 [90]; 103, 310 [319]; 126, 233 [263 f.]). Überschreitet die Intensität des Eingriffs – wie hier – das zulässige Maß, so ist zumindest eine Härteklausel erforderlich (vgl. BVerfGE 60, 16 [51 f.]; 68, 155 [173 f.] 100, 59 [103]; siehe zur Problematik allgemein Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 3 Rn. 37 f.), wie sie ursprünglich in Form des Antragsrechts auf unterjährige Änderung in Ziff. 2.14 des Bescheids vom 18. Oktober 2012 auch durchaus vorhanden war und auch in einer zukünftigen Regelung unverzichtbar ist. Als sog. Dauerverwaltungsakt bedarf die Festsetzung einer Sicherheitsleistung regelmäßiger Überprüfung und gegebenenfalls Änderung durch die Festsetzungsbehörde (vgl. Rennert, DVBl. 2019, 593 [598]; siehe auch BVerwG, B.v. 29.10.2014 – 9 B 32/14 – juris, Rn. 3; OVG NRW, B.v. 04.16.2010 – 19 E 259/10 – juris, Rn. 6).
Im Allgemeinen hingenommen wurde eine „Ausnahmequote“ von 7,5% (vgl. BVerfGE 17, 1 [23 ff.]), nicht mehr jedoch eine Fehlerquote von mehr als 10% (vgl. BVerwGE 68, 36 [41]). Die hier aktuell vorliegende Quote von 217% liegt weit jenseits dieses Bereichs. Auch deshalb kann der dringend korrekturbedürftige Bescheid vom 22. Juni 2019 keinen Bestand haben. An der weiteren Aufrechterhaltung des Sofortvollzuges einer solchermaßen eklatant rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse. Ebenso wenig ist der Antragsgegner berechtigt, die im Bescheid vom 22. Juli 2019 für das Jahr 2020 angekündigte Überprüfung mit Blick auf das noch anhängige Hauptsacheverfahren weiter aufzuschieben. Eine „Übersicherung“ zum Nachteil der Antragstellerin ist bereits jetzt mit Händen zu greifen, selbst wenn man die zu Unrecht gewählten Parameter des Antragsgegners zugrunde legt.
Die begehrte Anordnung ist deshalb unter Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu erlassen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. 1.5 des Streitwertkatalogs, wobei in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht von einem Streitwert in der Hauptsache von 410.000 EUR (Kosten für die Finanzierung der erhöhten Sicherheitsleistung) ausgegangen wird, der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren ist.
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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