Europarecht

Kaufpreis, Abtretung, Fahrzeug, Berufung, untersagung, Vertragsschluss, Laufleistung, Anspruch, Kenntnis, Schaden, Darlegungslast, betrug, Software, Klage, Zug um Zug, teleologische Reduktion, Sinn und Zweck

Aktenzeichen  14 U 4415/21

Datum:
20.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9391
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

13 O 283/21 2021-06-09 Urt LGKEMPTEN LG Kempten

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 09.06.2021, Az. 13 O 283/21, abgeändert.
1.1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Skoda Fabia mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …
an die Klägerin 9.787,21 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz
aus 10.205,43 Euro von 06.03.2021 bis 27.05.2021,
aus 9.966,54 Euro von 28.05.2021 bis 16.12.2021 und
aus 9.787,21 Euro seit 17.12.2021 zu zahlen.
1.2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit 13.03.2021 mit der Rücknahme des in Ziffer 1.1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
1.3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weiter gehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/8, die Beklagte 7/8.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 11.388,02 € festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Motorenherstellerin aus deliktischen Ansprüchen die Rückabwicklung eines Neuwagenkaufs vom 24.02.2014 geltend.
Der damals zum Preis von 16.099,93 Euro erworbene Skoda Fabia, ist mit einem 1,6 lMotor EA 189 ausgestattet, der im Jahr 2015 vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) und seit dem Jahr 2019 durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beanstandet wurde.
Nach einer ersten Pressemitteilung der Beklagten am 22.9.2015 wurde ab Herbst 2015 umfangreich in sämtlichen Medien über den sogenannten Abgasskandal und Softwaremanipulationen bei Fahrzeugen aus dem Konzern der Beklagten mit Dieselmotoren berichtet.
Nach dem unbestritten gebliebenen Beklagtenvortrag auf S. 38/39 der Klageerwiderung unterrichtete die Beklagte die betroffenen Halter von Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 mit Schreiben vom Februar 2016 erstmals schriftlich über die Notwendigkeit eines mit dem KBA abgestimmten Software-Updates. Nach Freigabe der technischen Lösung für den entsprechenden Fahrzeugtyp wurden die Fahrzeughalter nach dem unbestrittenen Beklagtenvortrag erneut postalisch informiert.
Das Software-Update wurde beim klägerischen Fahrzeug noch im Jahr 2016 aufgespielt.
Unbestritten hat die Klägerin ihre bestehenden und künftigen Ansprüche gegen die Beklagte betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug am 23.06.2018 an die financialright GmbH abgetreten (Anlage K 14).
Diese machte die klägerischen Ansprüche sodann mit Klage vom 11.12.2018 zum Landgericht Braunschweig geltend, bevor am 2.10.2020 die Rückabtretung und am 12.3.2021 die Klagerücknahme durch die financialright GmbH erfolgte.
Mit der ihrer hiesigen Klage vom 15.01.2021, zugestellt am 05.03.2021, verlangte die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises für das Fahrzeug unter Anrechnung einer aus einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km errechneten (vgl. S. 81 der Klageschrift) Nutzungsentschädigung von 4.711,91 Euro.
Mit Anwaltsschreiben vom 17.12.2020 (Anlage K 13) hat die Klagepartei die Beklagte aufgefordert, bis 24.12.2020 den Kaufpreis für das Fahrzeug abzüglich einer aus dem aktuellen Kilometerstand von 87.800 und einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 350.000 km zu ermittelnden Nutzungsentschädigung Zugum-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erstatten.
Die Beklagte hat auf S.2 der Klageerwiderung die Verjährungseinrede erhoben.
Zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Termins am 27.05.2021 betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs unbestritten 92.455. Am Tag der Berufungsverhandlung vom 16.12.2021 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 98.024 km auf (S. 2 des Protokolls = Bl. 415 d.A.).
Der Senat nimmt im Übrigen Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.
Das Landgericht hat die inhaltlich auf Zahlung von 11.388,02 Euro Zug um Zug gegen Fahrzeugrückgabe gerichtete Klage abgewiesen, da die klägerischen Ansprüche bereits mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt seien.
Der individuelle Verjährungsbeginn stimme regelmäßig mit dem allgemeinen Bekanntwerden des „Dieselskandals“ und der umfangreichen Medienberichterstattung seit Herbst 2015 überein.
Dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte und ihm nicht jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen wäre, sei nicht vorstellbar.
Wegen der gerügten Installation eines sogenannten „Thermofensters“ durch das Software-Update bestünden bereits keine deliktischen Ansprüche gegen die Beklagte, insbesondere fehle es an einer substantiierten Darlegung einer unzulässigen sittenwidrigen Handlung von Organen der Beklagten.
Auch andere deliktische Anspruchsgrundlagen kämen nicht in Betracht.
§ 852 BGB solle nach Sinn und Zweck der Norm den Anspruchsinhaber vor einer unzumutbaren Klageerhebung bewahren, wovon hier nicht ausgegangen werden könne.
Darüber hinaus scheide ein Anspruch aus § 852 BGB – wie das OLG Oldenburg in einem Hinweisbeschluss vom 5.1.2021, Az. 2 U 168/20, zutreffend ausgeführt habe – aus, weil ein wirtschaftlicher Schaden des Klägers nicht feststellbar sei.
Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin, dass das Erstgericht verkannt habe, dass der klägerische Anspruch insbesondere aus § 826 BGB begründet sei.
Das erkennende Gericht habe rechtsirrig verkannt, dass die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen erst vorhanden sei, wenn der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimme Person eine Klage erheben könne.
Dies sei hier nicht der Fall, insbesondere fehle es bis heute an einer Kenntnis des Klägers von der Abschalteinrichtung durch eine Information der Beklagten oder des Kraftfahrtbundesamtes oder der Medienberichterstattung.
Auch habe die Beklagte durch das Software-Update eine neue Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters mit einer aktiven Abgasreinigung nur zwischen 15° und 33° Celsius implementiert, das zu einem neuerlichen Rückruf bei dem Fahrzeugmodell EOS der Beklagten geführt habe.
Die Einrede der Verjährung sei im Hinblick auf das langjährige Bestreiten eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten rechtsmissbräuchlich.
Außerdem sei die Verjährung im vorliegenden Fall durch die vom Erstgericht nicht berücksichtigte Klageerhebung der Zessionarin financialright GmbH vor dem Landgericht Braunschweig vom 11.12.2018, zugestellt am 18.01.2019, rechtswirksam gehemmt worden.
Nach der Rückabtretung habe die financialright GmbH die Klage vor dem Landgericht Braunschweig am 12.03.2021 wiederzurückgenommen.
Diese Abtretung der klägerischen Forderung sei – was näher ausgeführt wird – nicht wegen eines Verstoßes gegen das RDG nichtig.
Jedenfalls habe die Klägerin einen Anspruch aus § 852 BGB, da für die erforderliche Vermögensverschiebung eine wirtschaftliche Betrachtung maßgeblich sei. Die vom Erstgericht angenommene Beschränkung des Anspruchs auf reine Vermögensschäden sei dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen.
Ebensowenig sei eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm veranlasst.
Das von der Beklagten Erlangte sei der durch die Veräußerung des Fahrzeugs vereinnahmte Kaufpreis ihres Vertragspartners.
Die Vermögensvorteile würden durch den von der Klagepartei gezahlten Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge dargestellt.
Auf einen etwaigen Gewinn nach Abzug der Kosten komme es nicht an.
Entgegen der Auffassung der Beklagten scheide nach § 819 BGB eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB aus, da die Beklagte die Typgenehmigungsbehörde von Anfang an über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht habe und daher bösgläubig gewesen sei.
Die Höhe des durch die Beklagte vereinnahmten Verkaufserlöses könne die Klagepartei nicht angeben. Sie könne daher lediglich den von ihr bezahlten Kaufpreis zugrunde legen.
Insoweit treffe die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 30.07.2021 (BI. 337/397 d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Klageanträge unter Modifikation des erstinstanzlichen Hilfsantrags weiter und beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Kempten vom 09.06.2021, Az.: 13 O 283/21 zu erkennen;
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 16.099,93 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.711,91 EUR Zugum-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Skoda Fabia mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer zahlen. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.01.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.074,16 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2019 an die Klagepartei zu zahlen.
Hilfsweise:
3. Das Urteil des Landgerichts Kempten, 13 O 283/21, verkündet am 09.06.2021 und zugestellt am 09.06.2021, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das Ersturteil.
Hinsichtlich eines Anspruchs aus § 852 BGB vertrat die Beklagte erstinstanzlich gemäß ihren Darlegungen im Schriftsatz vom 19.03.2021 (Bl. 87 ff d.A.) die Auffassung, dass sich der erforderliche wirtschaftliche Schaden des Klägers überhaupt nicht feststellen lasse (so das OLG Oldenburg, Beschluss vom 5.1.2021, Az. 2 U 168/20), und dass der Anspruch auch deswegen nicht in Betracht käme, weil der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, sich der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig anzuschließen. Der Anwendungsbereich des § 852 BGB sei teleologisch auf Fälle zu reduzieren, in denen der Verletzte sich besonderen Prozessrisiken ausgesetzt sehe, was hier nicht der Fall sei.
Jedenfalls sei bei der Bemessung des „Erlangten“ eine vermögensorientierte Betrachtung anzulegen, die nicht den Kaufpreis, sondern den bei der Beklagten erzielten Nettogewinn zugrunde lege. Außerdem seien diverse bereicherungsmindernde Abzugsposten in Ansatz zu bringen, die den Anspruch auf 0 reduzieren würden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und übergebenen Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat am 16.12.2021 mündlich verhandelt (Protokoll Bl. 414/416 d.A.) und danach mit Verfügung vom 04.01.2022, zugestellt am 04.01.2022 bzw. 05.01.2022 (Bl. 417 d.A.), auf den – im Termin übersehenen – Aspekt der Anspruchsabtretung und Klageerhebung durch die financialright GmbH hingewiesen.
Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 19.01.2022 (Bl. 418/422 d.A.) nochmals zur Anwendbarkeit des § 852 BGB geäußert, ohne auf die Abtretung einzugehen. Beweis wurde nicht erhoben.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist überwiegend erfolgreich.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte den aus dem Tenor ersichtlichen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB, der aufgrund der Hemmungswirkung der unstreitigen Klage der financialright GmbH aus abgetretenem Recht nicht verjährt ist.
Der Klägerin steht nach § 249 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu, allerdings nur abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die zurückgelegten Kilometer, die sich der Autokäufer im Wege der Vorteilsanrechnung gefallen lassen muss. Der Anspruch besteht außerdem nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
1. Das klägerische Fahrzeug ist mit dem von der Beklagten hergestellten und an die Fahrzeugherstellerin veräußerten Motor EA 189 mit sogenannter „Umschaltlogik“ der Motorsteuerung mit Auswirkungen auf die Schadstoffemissionen ausgestattet.
Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB ist gegeben.
Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 25.5.2020 klargestellt hat (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1963 Rn. 16 ff.), handelt es sich bei der – auch im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten – Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zur Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007 L 171, 1 ff.). Das auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung unter bewusster Missachtung gesundheits- und umweltschützender Rechtsvorschriften erfolgende fortgesetzte Herstellen und Inverkehrbringen derart bemakelter, von einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bedrohter Fahrzeuge, deren Typgenehmigung durch eine Täuschung der zuständigen Behörde erschlichen worden war, stellt im Verhältnis zu arglosen Fahrzeugkäufern, zu denen auch der Kläger im vorliegenden Verfahren rechnet, ein objektiv sittenwidriges Verhalten im Sinne von § 826 BGB dar (siehe auch BGH NJW 2020, 2806, 2807 Rn. 11).
Auch für das streitgegenständliche Verfahren ist anzunehmen, dass der vormalige Vorstand der Beklagten von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hat und dieses Wissen der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen ist.
Die Klageseite ist den Anforderungen an eine Substantiierung der Kenntnis des vormaligen Vorstandes der Beklagten, so wie sie der BGH in seiner Entscheidung vom 25.5.2020 präzisiert hat (siehe BGH NJW 2020, 1962 Rn. 39), nachgekommen: Danach muss der Kläger lediglich Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstandes dartun. Solche Indizien hat der Kläger aber bereits in der Klageschrift vom 22.06.2020 dargelegt, wobei er sich in zureichender Weise auf die ihm zugänglichen öffentlichen Quellen gestützt hat.
Wie der Bundesgerichtshof weiter klargestellt hat (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1966 Rn. 39), trifft die Beklagte in einer solchen Situation mit Blick auf die besonderen Schwierigkeiten der Käufer von Dieselfahrzeugen, konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Kenntnis eines bestimmten Vorstandsmitglieds ergibt, eine sekundäre Darlegungslast. Dieser sekundären Darlegungslast hat sie nicht genügt (auch dazu näher BGH NJW 2020, 1962, 1967 Rn. 39 zu einem auch insoweit parallel liegenden Fall).
Danach ist auch im streitgegenständlichen Verfahren die klägerische Behauptung nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, die maßgeblichen Vorgänge seien dem Vorstand der Beklagten bekannt gewesen, sodass sich eine Zurechnung dieser Kenntnis nach § 31 BGB ergibt.
1.2. Durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist der Klageseite ein Schaden entstanden in Gestalt des ungewollten Abschlusses eines Kaufvertrages über ein manipuliertes Fahrzeug, wobei der maßgebliche Schadensbegriff insoweit subjektbezogen ist (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1967 Rn. 45 ff.).
Der Senat ist auch von der Kausalität des vorsätzlichen sittenwidrigen Handelns der Beklagten für diesen Schaden überzeugt. Denn aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergibt sich ein Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1968 Rn. 49). Dass vorliegend ausnahmsweise abweichende Tatsachen gegeben wären, die auf einen atypischen Geschehensablauf hindeuten würden, ist nicht ersichtlich.
1.3. Die für die Beklagte tätigen Personen handelten auch mit Schädigungsvorsatz. Da die vormaligen Vorstände der Beklagten die grundlegende, mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software jedenfalls kannten und jahrelang umsetzten, ist schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ihnen als für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigen Organen oder verfassungsmäßigen Vertreter bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben. Dass sie möglicherweise darauf vertraut haben mögen, das sittenwidrige Handeln werde nicht aufgedeckt, schließt den Vorsatz schon deshalb nicht aus, weil der Schaden bereits im ungewollten Vertragsschluss liegt (s. zum Ganzen näher BGH NJW 2020, 1962, 1969 f. Rn. 63).
1.4. Im Rahmen des der Klageseite danach gemäß §§ 826, 249 BGB zu ersetzenden negativen Interesses, das als Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags geht, muss sie sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1970 Rn. 64 ff.).
Die dafür maßgebliche zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlich zurückgelegten Kilometern und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1972 Rn. 80).
Da die Nutzbarkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs bisher nicht mangelbedingt eingeschränkt war, besteht keine Veranlassung, bei der linearen Berechnung des Nutzungswertes der gefahrenen Kilometer anstelle des vereinbarten Kaufpreises von einem mangelbedingten „Minderwert“ auszugehen.
Auch eine Berechnung aus einem um die Gewinnmarge reduzierten Kaufpreis oder nur für die Zeit ab Kenntnis der klägerischen Schadensersatzforderung aus § 826 BGB ist nach Sinn und Zweck des Vorteilsausgleichs nicht veranlasst, da der Kläger das Fahrzeug von Anfang an bis zuletzt uneingeschränkt nutzen konnte und nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die tatsächlich gezogenen uneingeschränkten Nutzungsvorteile zu berücksichtigen und aus dem Fahrzeugkaufpreis zu errechnen sind (vgl. BGH, a.a.O., Urteil vom 02.03.2021, Az. VI ZR 147/20 = ZIP 2021, 700, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 812/20).
Der Senat schätzt die zu erwartende Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges mit einen 1,6 l-Motor angesichts der jährlichen Fahrleistung der Klägerin von durchschnittlich ca. 12.500 km gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km und nicht wie von der Klagepartei beansprucht auf 350.000 km (vgl. auch die umfangreichen Rechtsprechungshinweise zu verschiedenen Fahrzeugmodellen in Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 3574).
Es mag sein, dass die streitgegenständlichen Motoren bei optimaler Wartung und Pflege sowie überwiegender Nutzung auf Langstrecken in der Lage wären, auch deutlich höhere Laufleistungen als 250.000 km zu absolvieren.
Da – wie dem Senat sowohl aus einschlägigen Rechtsstreitigkeiten als auch den allgemein zugänglichen Verkaufsofferten bekannt ist – Dieselfahrzeuge wie der streitgegenständliche PKW seit vielen Jahren nicht mehr überwiegend von „Vielfahrern“ erworben werden, sondern auch von zahlreichen Nutzern, die jährlich eine durchschnittliche Fahrstrecke von um die 10.000 bis 15.000 km zurücklegen, entspricht die durchschnittliche „Lebenserwartung“ der in Deutschland verkauften Dieselfahrzeuge aufgrund des Verschleisses anderer Bauteile und der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit von Reparaturen nicht den technischen Möglichkeiten eines Dieselmotors.
Die von der Klagepartei zurückgelegten Kilometer belaufen sich auf 98.024 km.
Daraus ergibt sich ausgehend von dem gezahlten Bruttokaufpreis von 16.099,93 € eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 6.312,72 Euro (= Kaufpreis: anzunehmende Restlaufleistung zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Klagepartei x von der Klagepartei gefahrene km) und ein Rückzahlungsbetrag von 9.787,21 Euro.
2. Die Klageforderung ist nicht verjährt.
Zwar geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei Durchführung eines Software-Updates bei einem Motor EA 189 im Hinblick auf die vorangehende Information des Fahrzeugkäufers durch die Beklagte nach den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung in seinen Entscheidungen vom 17.12.2020, Az. VI ZR 739/20 und vom 29.7.2021, Az. VI ZR 1118/20, bereits im Jahr 2016 die Voraussetzungen von § 199 Abs. 1 BGB, zumindest in Form grober Fahrlässigkeit vorlagen.
Jedoch wurde der Lauf einer ab 1.1.2017 in Gang gesetzten 3-jährigen Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB durch die unstreitige Erhebung der Klage der financialright GmbH noch im Jahr 2018 – und andauernd bis über die hiesige Klageerhebung hinaus – rechtzeitig gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB, § 167 ZPO).
Dies würde auch dann gelten, wenn man – wie das Erstgericht – von einem Verjährungsbeginn schon ab 01.01.2016 ausgehen würde.
Maßgeblich für die Hemmungswirkung einer Klage ist die Identität des Anspruchs (nicht notwendigerweise der Klagepartei) sowie die Berechtigung der jeweiligen Klagepartei (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 81 Aufl., Rn. 9 zu § 204 m.w.N.).
Die Identität des Anspruchs hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt.
Der Senat hat auch keine Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der zwischenzeitlichen Abtretung der klägerischen Forderung an die financialright GmbH.
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 13.7.2021, Az. II ZR 84/20, Abtretungen an Inkassodienstunternehmen im Rahmen einer „Sammelklage-Inkasso“ nicht als Verstoß gegen § 3 RDG bewertet.
Auch das OLG Braunschweig hat zuletzt in einer Entscheidung vom 7.10.2021, Az. 8 U 40/21, nur ausnahmsweise die Rechtswirksamkeit der Abtretung von Schadensersatzansprüchen eines Schweizer Kunden der financialright GmbH zum Zwecke einer Klage gegen die Beklagte beanstandet.
3. Die Beklagte befand sich aufgrund der Klagezustellung im hiesigen Verfahren nach der Klagerücknahme der F. GmbH in Annahmeverzug, da die Klägerin die Rückgabe ihres Fahrzeugs gegen Kaufpreisrückzahlung unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer angeboten hat.
Zwar entspricht die damals für die Berechnung der Nutzungsentschädigung genannte Gesamtlaufleistung nicht der Laufleistung, die der Senat für angemessen erachtet.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, stellt eine Zuvielforderung den Verzug nicht in Frage, wenn der Schuldner die Erklärung des Gläubigers nach den Umständen des Falles als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist (BGH, Urteil vom 12.7.2006, Az. X ZR 157/05, Tz. 16 m.w.N., zitiert nach Juris).
Davon kann hier aufgrund der relativ geringen Zuvielforderung ausgegangen werden. III.
1. Ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten im Hinblick auf das Anwaltsschreiben vom 17.1.2020 kommt nicht in Betracht, da die Einschaltung eines Rechtsanwalts zur außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu dieser Zeit im Hinblick auf die zwischenzeitlichen erfolglosen gerichtlichen Bemühungen der financialright GmbH aus abgetretenem Recht der Klägerin nicht geboten und nicht zweckmäßig war.
Vielmehr war im Dezember 2020 von Anfang an klar, dass die Klägerin Ansprüche gegen die Beklagte nur gerichtlich würde durchsetzen können.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 ZPO.
Da die Klägerin – was vom Erstgericht wohl übersehen worden war – auf S. 84 der Klageschrift bereits zur Hemmung der Verjährung durch die Klage der financialright GmbH vorgetragen hatte, war § 97 Abs. 2 ZPO nicht einschlägig.
Es spielt für die Kostenentscheidung auch keine Rolle, dass die Klage der financialright GmbH noch nicht zurückgenommen war, als die hiesige Klage bereits rechtshängig wurde.
Da für die Begründetheit der Klage der Zweitpunkt der letzten mündliche Verhandlung maßgeblich ist, stand dieser die anfänglich noch bestehenden anderweitige Rechtshängigkeit nicht entgegen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713, 544 Abs. 2 ZPO.
4. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


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