IT- und Medienrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Anfechtungsklage, Nachweis, Anordnung, Feststellung, Aufhebung, Ermessen, Internet, Anspruch, Antragsteller, Glaubhaftmachung, Regelungsanordnung, Streitwert, Antragsgegner, Form, einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache, Freistaat Bayern

Aktenzeichen  RN 5 E 22.254

Datum:
24.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12339
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§§ 123, 43 Abs. 1 VwGO, 15. BayIfSMV
SchAusnahmV § 2 Nr. 5

 

Leitsatz

1. Ein in der Vergangenheit an COVID-19 Erkrankter, der nach der SchAusnahmV in der Gültigkeit vom 9.5.2021 bis zum 14.1.2022 als genesen galt und dessen Genesenenstatus aufgrund der Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV ab dem 15.1.2022 weggefallen ist, hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines Genesenennachweises gegenüber staatlichen Stellen.
2. Ferner ist eine gegen den Freistaat Bayern gerichtete Klage auf Feststellung des Fortbestehens des Genesenenstatus unzulässig, da zwischen dem Freistaat Bayern und dem Genesenen kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO besteht.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners, ihm einen Nachweis über seine Genesung für den Zeitraum vom 22.12.2021 bis 23.5.2022 auszustellen.
Der Antragsteller ist Inhaber eines Digitalen COVID-Zertifikates der EU, das ausweislich des vorgelegten Ausdrucks bis zum 23.5.2022 gültig ist. Diesem ist zu entnehmen, dass der Antragsteller am 24.11.2021 erstmals positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet wurde.
Nach § 2 Nr. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV), gültig vom 9.5.2021 bis 14.1.2022, war ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens einer vorherigen Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn die zugrundeliegende Testung durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) erfolgt ist und mindestens 28 Tage sowie maximal sechs Monate zurückliegt.
Nach § 2 Nr. 5 SchAusnahmV, gültig seit dem 15.1.2022, ist ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines durch vorherige Infektion erworbenen Immunschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn der Nachweis den vom Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse www.r…de/c..-..-g. unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben hinsichtlich folgender Kriterien entspricht: Art der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion (Buchst. a), Zeit, die nach der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion vergangen sein muss, oder Nachweis zur Aufhebung der aufgrund der vorherigen Infektion erfolgten Absonderung (Buchst. b) und Zeit, die die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion höchstens zurückliegen darf (Buchst. c).
Nach den fachlichen Vorgaben des Robert Koch-Instituts mit Wirkung vom 15.1.2022 muss ein Genesenennachweis i.S.d. SchAusnahmV aus fachlicher Sicht folgenden Vorgaben entsprechen: Die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion muss durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) erfolgt sein (Buchst. a) und das Datum der Abnahme des positiven Tests muss mindestens 28 Tage zurückliegen (Buchst. b) und das Datum der Abnahme des positiven Tests darf höchstens 90 Tage zurückliegen (Buchst. c – https://www….de/DE/C…t/I…/N/N._C./G..html, abgerufen am 23.2.2022, 15:42).
Am 14.2.2022 hat der Antragsteller einen Antrag nach § 123 VwGO stellen lassen.
Zur Begründung lässt der Antragsteller im Wesentlichen ausführen, dass er Anspruch auf die Ausstellung eines Genesenennachweises bis zum 23.5.2022 habe. § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.1.2022 sei verfassungswidrig und daher unwirksam, er entfalte daher keine Bindungswirkung, soweit dort die Dauer des Genesenenstatus mittelbar durch einen Verweis auf die vom RKI im Internet veröffentlichten Vorgaben beschränkt werde. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags gehe ebenfalls von einer Verfassungswidrigkeit aus. Die Verkürzung des Genesenenstatus stütze sich nicht auf hinreichende wissenschaftliche Grundlagen. Der Verordnungsgeber habe seine Einschätzungsprärogative überschritten, wenn man die wissenschaftliche Unsicherheit der Rechtfertigung der Verkürzung des Genesenenstatus beachte. Zudem habe die Bundesrepublik einer Anerkennung des Genesenenstatus bei einer Einreise innerhalb der Europäischen Union für sechs Monate zugestimmt. Das habe zur Folge, dass § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 8.5.2021 Anwendung finde.
Der Antragsteller lässt beantragen,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung i.S.d. § 2 [Nr.] 5 SchAusnahmV für den Zeitraum vom 22.12.2021 bis 23.5.2022 auszustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag wird abgewiesen.
Er ist der Auffassung, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Ausstellung einer Genesenenbescheinigung im begehrten Umfang habe. Als solcher sei nur das personalisierte, positive Testergebnis als solches anzusehen, soweit der Test den in der Verordnung genannten Anforderungen entspreche. Die Ausstellung einer sonstigen Bescheinigung sei weder in der SchAusnahmV noch in der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vorgesehen. Sie ergebe sich auch nicht aus § 22 Abs. 6 IfSG, da diese Regelung nicht den Antragsgegner, sondern die zur Durchführung oder Überwachung der Testung berechtigte Person oder nachträglich Ärzte und Apotheker berechtige. Dem Antragsgegner stehe daher keine Regelungsbefugnis zur Verfügung.
Im Übrigen wird hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
1. Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller, den Antragsgegner vorläufig dazu zu verpflichten, ihm einen Nachweis über seine Genesung für den Zeitraum vom 22.12.2021 bis 23.5.2022 auszustellen.
Statthafter Rechtsbehelf ist hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind darüber hinaus nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 ZPO bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind.
Der Antragsteller begehrt hier, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung dazu zu verpflichten, ihm einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV für den Zeitraum vom 22.12.2021 bis 23.5.2022 auszustellen. Dabei handelt es sich entweder um einen Verwaltungsakt, sodass in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 3 VwGO einschlägig wäre, oder um eine schlichtes hoheitliches Handeln, sodass in der Hauptsache eine allgemeine Leistungsklage statthaft wäre.
Statthafter Rechtsbehelf im einstweiligen Rechtsschutz ist in beiden Fällen die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO, da hier jeweils nicht der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist.
2. Der Antrag ist unbegründet. Der Antragsteller verfügt nicht über einen Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Glaubhaftmachung sowohl eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit) als auch eines Anordnungsanspruchs.
Hier besteht die Besonderheit, dass im Falle der Gewährung von Eilrechtsschutz die Hauptsache vorweggenommen würde, was dem Wesen des vorläufigen Rechtsschutzes widerspricht. Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123, Rn. 13 m.w.N. aus Rspr. und Lit.). Dies wäre hier jedoch der Fall.
Andererseits ist es anerkannt, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache, dann möglich ist, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (vgl. BVerfG, B.v 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris = BVerfGE 79, 69; BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9.12 – juris = BVerwGE 146, 189; BVerwG, B. v. 13.8.1999 – 2 VR 1.99 – juris = BVerwGE 109, 258; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO, § 123, Rn. 145, EL Juli 2020; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123, Rn. 14).
Es besteht bereits kein Anspruch auf die Erteilung einer Genesenenbescheinigung im Sinne des Antrags. Weder bundes- noch landesrechtliche Regelungen sehen die Ausstellung einer landesbehördlichen Bescheinigung vor.
Die Fünfzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV) vom 23. November 2021 (BayMBl. Nr. 816, BayRS 2126-1-19-G), die zuletzt durch §§ 1 und 2 der Verordnung vom 21. Februar 2022 (BayMBl. Nr. 118) geändert worden ist, verweist hinsichtlich der Privilegierung von Genesenen ausschließlich auf § 2 Nr. 4, Nr. 5 SchAusnahmV. Ein Anspruch auf die Erteilung einer Genesenenbescheinigung ergibt sich weder unmittelbar noch aus einer analogen Anwendung der Norm. Gegen eine analoge Anwendung spricht bereits der klare Wortlaut der Norm und das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 4).
Auch aus § 22 Abs. 6 IfSG ergibt sich kein entsprechender Anspruch, da hier der Anspruch auf Bescheinigung der positiven Testung ausschließlich gegen die zur Durchführung oder Überwachung der Testung berechtigte Person oder nachträglich von jedem Arzt oder Apotheker besteht (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 4).
Aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 der VO (EU) 2021/953 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2021 (ABl. L 211/13) lässt sich der begehrte Anspruch ebenfalls nicht ableiten (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 4, m.w.N.).
Das Landratsamt ist damit nach derzeit gültiger Rechtslage nicht dazu befugt, das begehrte Dokument auszustellen. Die Feststellung bzw. das Bestehen des Genesenenstatus bedarf keines behördlichen Vollzugs- bzw. Umsetzungsaktes. Dieser ergibt sich allein und unmittelbar aus § 2 Nr. 4 und Nr. 5 SchAusnahmV (BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 5).
Darüber hinaus kann der Normgeber der 15. BayIfSMV den Status des Antragstellers nicht abweichend von den Festlegungen des § 2 Nr. 4 und Nr. 5 SchAusnahmV gestalten, weil es sich um eine Rechtsverordnung des Bundes auf Grundlage von § 28c IfSG handelt, auf den die Regelungen der 15. BayIfSMV Bezug nehmen (BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 5).
3. Auch wenn man den Antrag dahingehend auslegen wollte, dass der Antragsteller die Feststellung begehrt, dass er weiterhin als „genesen“ gilt, hätte der Antrag keinen Erfolg. Er wäre in diesem Fall bereits unzulässig, da zwischen dem Freistaat Bayern als Antragsgegner und dem Antragssteller kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht.
In diesem Fall bestünde ein Rechtsverhältnis allenfalls zwischen dem Antragsteller und der Bundesrepublik Deutschland. Diese wäre dann die richtige Antragsgegnerin. Die Verweisungen auf § 2 Nr. 4 SchAusnahmV in der 15. BayIfSMV hat keinen eigenen landesrechtlichen Regelungscharakter, sondern erschöpft sich in einer Bezugnahme auf eine bundesrechtliche Definition (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2022 – 20 CE 22.459 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 8).
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV.
Der Streitwert ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, dem die Kammer folgt. Der Streitwert war aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache nicht nach Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges um die Hälfte zu reduzieren.


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