Medizinrecht

Eilrechtsschutz gegen Quarantänemaßnahmen für Einreisende aus ausländischen Risikogebieten

Aktenzeichen  20 NE 20.2142

Datum:
28.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27261
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2, Abs. 6, § 152 Abs. 1
IfSG § 2 Nr. 7, § 28 Abs. 1 S. 1, § 29, § 30 Abs. 1 S. 2, § 32 S. 1
EQV § 4
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1
AEUV Art. 21 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Für die Antragsbefugnis bei einem auf die künftige Anwendung einer Rechtsvorschrift gestützten Eilantrag muss die Rechtsverletzung bereits vorauszusehen sein, weil sie mit hinreichender Gewissheit für so nahe Zukunft droht, dass ein vorsichtig und vernünftig Handelnder sich schon jetzt zur Antragstellung entschließen darf (Anschluss an VGH Mannheim BeckRS 2020, 16501 Rn. 15). Dies ist zweifelhaft beim Fehlen konkreter Reisepläne für Rechtsschutz gegen eine Einreise-Quarantäneverordnung. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob der als Kapazitätsgrenze der Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter in Deutschland gegriffene Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern für die Bewertung der Infektionslage in Drittländern und die Annahme eines Ansteckungsverdachts (§ 2 Nr. 7 IfSG) bei allen von dort nach Bayern Einreisenden herangezogen werden kann, bedarf der Klärung in einem Hauptsacheverfahren. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Vorlage eines negativen „Coronatests“ (vgl. § 2 Abs. 1 EQV) stellt ein zumutbares Mittel dar, um die Belastungen einer häuslichen Quarantäne abzuwenden oder erheblich abzumildern. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO begehrt der Antragsteller, die Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) einstweilen außer Vollzug zu setzen.
2. Der Antragsgegner hat am 15. Juni 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen (BayMBl. Nr. 335, BayRS 2126-1-6-G), die zuletzt durch § 2 der Verordnung vom 22. September 2020 (BayMBl. Nr. 535) geändert wurde und auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
§ 1 Häusliche Quarantäne für Ein- und Rückreisende; Beobachtung
(1) Personen, die in den Freistaat Bayern einreisen und sich innerhalb von 14 Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet nach Abs. 4 aufgehalten haben, sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung oder eine andere geeignete Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern. Den in Satz 1 genannten Personen ist es in diesem Zeitraum nicht gestattet, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht ihrem Hausstand angehören.
(2) Die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen sind verpflichtet, unverzüglich die für sie zuständige Kreisverwaltungsbehörde zu kontaktieren und auf das Vorliegen der Verpflichtungen nach Abs. 1 hinzuweisen. Sie sind ferner verpflichtet, beim Auftreten von Symptomen, die auf eine Erkrankung mit COVID-19 im Sinne der dafür jeweils aktuellen Kriterien des Robert Koch-Instituts (RKI) hinweisen, die zuständige Kreisverwaltungsbehörde hierüber unverzüglich zu informieren. Satz 1 und 2 gelten nicht, soweit eine Verpflichtung zur Meldung und Auskunft bei der zuständigen Behörde nach Ziffer I Nr. 1 der Anordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit betreffend den Reiseverkehr nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag vom 6. August 2020 (BAnz AT 07.08.2020 B5) besteht.
(3) Für die Zeit der Absonderung unterliegen die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen der Beobachtung durch die zuständige Kreisverwaltungsbehörde.
(4) Risikogebiet im Sinne des Abs. 1 ist ein Staat oder eine Region außerhalb Deutschlands, für welche zum Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht; maßgeblich ist die jeweils aktuelle Veröffentlichung des RKI1 über die Einstufung als Risikogebiet.
1[Amtl. Anm.:] Nachrichtlich: Veröffentlichungen der Risikogebiete aktuell (Stand 1. September 2020) abrufbar unter https://www.rki.de/covid-19-risikogebiete
Die EQV ist seit 16. Juni 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 3. Oktober 2020 außer Kraft (§ 4 EQV i.d.F.d. Änderungsverordnung v. 17.9.2020).
3. Der Antragsteller, der in München lebt, trägt zur Begründung seines mit Schriftsatz vom 24. September 2020 gestellten Eilantrags vor, gerne für längere Zeiträume als 48 Stunden zu touristischen Zwecken ins Ausland, z.B. nach Österreich, Tschechien oder Frankreich, zu reisen. Gemäß § 1 Abs. 1 EQV müsste er sich bei einer Rückreise aus einem Risikogebiet für 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben. München habe seit 18. September 2020 eine Inzidenz von mehr als 50, sodass es als Risikogebiet im Sinne der EQV einzustufen wäre, wenn es außerhalb Deutschlands läge. Der Zweck der EQV, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, werde bei Personen wie dem Antragsteller, die nach München zurückreisten, deshalb verfehlt. Daher sei der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und Einreisefreiheit als Form der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) sowie die Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV unverhältnismäßig, weil nicht geeignet. Die Befreiungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EQV ändere daran nichts. Der Antragsgegner wäre ohne weiteres in der Lage, die durch Außervollzugsetzung der EQV entstehende Lücke durch geeignete neue Bestimmungen zu füllen. Es könnte etwa geregelt werden, dass Rückkehrer aus Risikogebieten, die selbst in einem Gebiet mit einer Inzidenz über 50 leben, nicht der Quarantänepflicht unterlägen. Aus Gleichheitsgründen sollte eine neue Verordnung ferner nicht nur die Einreise aus ausländischen Risikogebieten erfassen, sondern auch aus Gebieten in anderen deutschen Bundesländern mit einer Inzidenz über 50, denn ein Grund für eine Ungleichbehandlung sei nicht ersichtlich. Das Gleiche gelte für eine Reise ausgehend von einem bayerischen Gebiet mit Inzidenz über 50. Auch bestehe die Möglichkeit, weitere Schwellenwerte zu definieren, um dem ansteigenden Infektionsgeschehen Rechnung zu tragen. So wäre es beispielsweise denkbar, bei Einreise von einem Gebiet mit Inzidenz über 100 in ein Gebiet mit Inzidenz von nicht mehr als 100 ebenfalls Quarantänemaßnahmen anzuordnen.
4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. Die Verhältnismäßigkeit, insbesondere die Eignung der EQV, ein legitimes Ziel zu erreichen, sei nicht dadurch infrage gestellt, dass in München der Grenzwert von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen überschritten worden sei. Eine solche Überschreitung des Grenzwerts sei nur in einer kleinen Minderheit der bayerischen Landkreise und dort zudem nur kurzfristig vorgekommen, sodass die Quarantänepflicht für Einreisende aus Risikogebieten generell geeignet sei. Hinzu komme, dass Einreisende aus einem ausländischen Risikogebiet das Risiko einer Weiterverbreitung des Virus auch in inländischen Risikoregionen verstärkten. Nicht jede Überschreitung des Grenzwerts bedeute ein identisch hohes Risiko; in Paris liege die Inzidenzzahl derzeit bei 216,9 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner. Dem Antragsteller sei es möglich, der Quarantäneverpflichtung durch Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses, dass keine Anhaltspunkte für eine Infektion mit SARS-CoV-2 vorlägen, zu entgehen, zumal in Bayern solche Tests in großem Umfang angeboten würden. Die Möglichkeit, andere als die in der EQV enthaltenen Bestimmungen zu erlassen, ändere nichts an deren Rechtmäßigkeit. Eine Folgenabwägung ergebe, dass das Interesse des Antragstellers, bei einer Rückkehr von Reisen aus Risikogebieten keiner Quarantäneverpflichtung zu unterliegen, weniger schwer wiege als die durch ansteigende Infektionszahlen bedrohten Rechtsgüter von Leben und Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag bleibt ohne Erfolg.
A.
Die Zulässigkeit des Antrags nach § 47 Abs. 6 VwGO ist bereits zweifelhaft.
1. Der Zulässigkeit steht zwar nicht entgegen, dass der Antragsteller noch keinen Normenkontrollantrag in der Hauptsache erhoben hat (SächsOVG, B.v. 9.11.2009 – 3 B 501/09 – juris Rn. 12; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 102; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Januar 2020, § 47 Rn. 146).
2. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist indessen zweifelhaft. Diese setzt voraus, dass der Antragsteller hinreichend substanziiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in eigenen Rechten verletzt wird (BVerwG, B.v. 17.7.2019 – 3 BN 2.18 – NVwZ-RR 2019, 1027 – juris Rn. 11). Der Antragsteller führt lediglich an, gerne für längere Zeiträume als 48 Stunden zu touristischen Zwecken ins Ausland zu reisen, z.B. nach Österreich, Tschechien oder Frankreich. Damit stützt er seinen Eilantrag auf eine künftige Anwendung der Rechtsvorschrift. In einem solchen Fall ist eine Rechtsverletzung „in absehbarer Zeit“ zu erwarten (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), wenn die Anwendung der Rechtsvorschrift hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 3.11.1993 – 7 NB 3.93 – NVwZ-RR 1994, 172 – juris Rn. 7). Dies verlangt, dass die Rechtsverletzung bereits vorauszusehen ist, weil sie mit hinreichender Gewissheit für so nahe Zukunft droht, dass ein vorsichtig und vernünftig Handelnder sich schon jetzt zur Antragstellung entschließen darf (VGH BW, B.v. 16.7.2020 – 1 S 1792/20 – juris Rn. 17 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 25.8.2020 – 13 MN 319/20 – juris Rn. 23; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018; § 47 Rn. 180). Ist dies nicht absehbar, bleibt es dem Antragsteller unbenommen, zu gegebener Zeit die Außervollzugsetzung der dann geltenden Vorschrift zu beantragen.
Ausgehend von diesem Maßstab ist eine Betroffenheit des Antragstellers in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zweifelhaft, weil er nicht konkret vorträgt, bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Einreise-Quarantäneverordnung am 3. Oktober 2020 eine Auslandsreise zu planen. Dies gilt auch im Hinblick auf das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV. Soweit sich der Antragsteller auf eine mögliche Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) beruft, kommt keine Antragsbefugnis in Betracht. Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG bedeutet das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Der eigenständige Schrankenvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG, der Beschränkungen nur aus besonders gewichtigen Anlässen erlaubt, indiziert, dass Art. 11 Abs. 1 GG nur Verhaltensweisen erfasst, die sich als Fortbewegung im Sinne eines Ortswechsels qualifizieren lassen und dadurch eine über die insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte körperliche Bewegungsfreiheit hinausgehende Bedeutung für die räumlich gebundene Gestaltung des alltäglichen Lebenskreises haben (vgl. BVerfG, B.v. 25.3.2008 – 1 BvR 1548/02 – juris Rn. 25). Die grundgesetzlich geschützte Freizügigkeit ist also nicht im Sinne einer allgemeinen räumlich-körperlichen Bewegungsfreiheit zu verstehen (vgl. OVG NW, B.v. 29.6.2020 – 13 B 911/20.NE – juris Rn. 65 ff.; OVG Berlin-Bbg., B.v. 23.3.2020 – OVG 11 S 12/20 – DVBl 2020, 775 – juris Rn. 6). Das Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ebenfalls nicht betroffen, weil eine Quarantäneverpflichtung des Antragstellers nicht konkret absehbar ist.
B.
Der Antrag ist jedenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor.
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind derzeit als offen anzusehen (a.), sodass im Wege der Folgenabwägung über den Antrag zu entscheiden ist. Diese führt zu dem Ergebnis, dass die Außervollzugsetzung nicht dringend geboten ist (b.).
a) Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind derzeit als offen anzusehen.
aa) Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten sieht sich der Senat mit einer Vielzahl komplexer fachlicher und rechtlicher Fragen konfrontiert, die einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich sind. Insbesondere wird in einem Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die Einreise-Quarantäneverordnung auf die angegebene Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG gestützt werden kann. Dies würde voraussetzen, dass eine Person, die aus einem nach § 1 Abs. 4 EQV als Risikogebiet eingestuften Staat oder einer Region nach Bayern einreist, in der aktuellen pandemischen Lage (jedenfalls) als ansteckungsverdächtig gemäß § 2 Nr. 7 IfSG angesehen werden kann. Ob dies auf die Festlegung als Risikogebiet durch das RKI gestützt werden kann (vgl. § 1 Abs. 4 EQV), bedarf einer näheren Auseinandersetzung mit dem dafür quantitativ herangezogenen Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebie-te_neu.html). Aus den hierzu allgemein zugänglichen Informationen lässt sich bei summarischer Betrachtung nicht erkennen, dass der Grenzwert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht (vgl. bereits BayVGH, B.v. 1.9.2020 – 20 CS 20.1962 – juris Rn. 30). Der öffentlichen Diskussion kann entnommen werden, dass dieser Wert die Grenze markieren soll, bis zu der die öffentliche Gesundheitsverwaltung in Deutschland zu einer Rückverfolgung der Infektionsketten maximal in der Lage ist (vgl. Pressemitteilung zur Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 6.5.2020, dort Nr. 3, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/telefonschaltkonferenz-der-bun-deskanzlerin-mit-den-regierungschefin-nen-und-regierungschefs-der-laender-am-06-mai-2020-1750988; Pressemitteilung zur Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 30.4.2020, dort Nr. 3, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/telefonschalt-konferenz-der-bun-deskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-30-april-2020-1749798; vgl. hierzu auch NdsOVG, B.v. 5.6.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 33). Ob ein solcher – als Kapazitätsgrenze der Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter in Deutschland gegriffener – Wert für die Bewertung der Infektionslage in Drittländern und die Annahme eines Ansteckungsverdachts (§ 2 Nr. 7 IfSG) bei allen von dort nach Bayern Einreisenden herangezogen werden kann, bedarf der Klärung in einem Hauptsacheverfahren (vgl. auch VGH BW, B.v. 16.7.2020 – 1 S 1792/20 – juris Rn. 30 ff.; OVG Thüringen, B.v. 15.6.2020 – 3 EN 375/20 – juris Rn. 73; tendenziell bejahend NdsOVG, B.v. 5.6.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 34; OVG NW, B.v. 13.7.2020 – 13 B 968/20.NE – juris Rn. 75 ff.).
Soweit der Verordnungsgeber auch die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als Ermächtigungsgrundlage der Verordnung angegeben hat, ist zudem klärungsbedürftig, ob diese neben der spezielleren Regelung zur Absonderung in § 30 IfSG überhaupt anwendbar ist (bejahend OVG SH, B.v. 25.5.2020 – 3 MR 32/20 – juris Rn. 12; verneinend NdsOVG, B.v. 5.6.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 28; B.v. 11.5.2020 – 13 MN 143/20 – juris Rn. 33; offengelassen VGH BW, B.v. 16.7.2020 – 1 S 1792/20 – juris Rn. 23).
bb) Die angeführten Fragen sind für die Entscheidung in der Hauptsache auch streitentscheidend, weil die vom Antragsteller vorgebrachten Einwendungen nicht zur Unwirksamkeit der angegriffenen Einreise-Quarantäneverordnung führen.
(1) Die Anordnung häuslicher Quarantäne erweist sich auch bei der Rückkehr in ein Gebiet in Bayern, in dem selbst ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus besteht, nicht als ungeeignet. Da es bislang nur in wenigen bayerischen Landkreisen bzw. kreisfreien Städten zu einer Überschreitung des Werts von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen gekommen ist und solche nur von kürzerer Dauer waren, ist nicht erkennbar, dass der Verordnungsgeber die Grenzen der zulässigen Typisierung und Pauschalierung beim Erlass der landesweit geltenden Verordnung überschritten hätte (vgl. auch BayVerfGH, E.v. 12.8.2020 – Vf. 34-VII-20 – juris Rn. 20; NdsOVG, B.v. 5.6.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 21). Für die Geeignetheit der Maßnahme genügt es mithin, dass diese zur Zweckerreichung beiträgt (BVerwG, U.v. 2.8.2012 – 7 CN 1.11 – NVwZ 2013, 227 – juris Rn. 29). Insoweit ist zu bedenken, dass die Einreise infizierter Personen auch in besonders betroffenen Regionen dazu beitragen kann, die dortige Infektionslage weiter zu verschärfen.
(2) Dass der Verordnungsgeber alternative Regelungen (z.B. weitere Schwellenwerte zur Bewertung des Infektionsgeschehens) hätte treffen können, führt für sich genommen noch nicht zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verordnung. Die Beschränkung der Quarantäneverpflichtung auf Einreisende aus Drittstaaten erweist sich schon deshalb nicht als gleichheitswidrig, weil der Verordnungsgeber die vom Antragsteller vermisste Regelung für Reisende aus inländischen Risikogebieten durch ein Beherbergungsverbot in § 14 Abs. 2 6. BayIfSMV getroffen hat. Die Wahl unterschiedlicher Regelungsmodelle ist nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden.
b) Die Folgenabwägung ergibt, dass die Außervollzugsetzung der Einreise-Quarantäneverordnung nicht dringend geboten ist.
aa) Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätte ein später zu erhebender Normenkontrollantrag Erfolg, müsste sich der Antragsteller bei der unterstellten (vgl. oben Rn. 16 f.) Rückkehr von einer touristischen Reise aus einem Staat oder einer Region, die vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet für eine Infektion mit dem Coronavirus eingestuft ist, in häusliche Quarantäne begeben, wenn kein Ausnahmetatbestand nach § 2 EQV erfüllt wäre. Dies würde seine allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und die Freiheit seiner Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) einschränken. Auch sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV wäre hierdurch beeinträchtigt.
Der Antragsteller hätte aber jederzeit die Möglichkeit, durch Vorlage eines negativen „Coronatests“ (vgl. § 2 Abs. 1 EQV) eine Quarantäne zu vermeiden oder zumindest deren zeitliche Dauer zu verkürzen. Damit hätte er selbst ein zumutbares Mittel in der Hand, um die Belastungen einer häuslichen Quarantäne abzuwenden oder erheblich abzumildern (BVerfG, E.v. 18.6.2020 – 1 BvQ 69/20 – juris Rn. 12; BayVerfGH, E.v. 12.8.2020 – Vf. 34-VII-20 – juris Rn. 26; OVG NW, B.v. 28.8.2020 – 13 B 1232/20.NE – juris Rn. 89). Abgesehen davon, dass für Einreisende aus Risikogebieten inzwischen bundesrechtlich eine Testpflicht angeordnet wurde (Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 6.8.2020, BAnz AT 7.8.2020 V1), ist eine Testung tatsächlich und finanziell ohne Weiteres zugänglich, nachdem mittlerweile ein breites Angebot für kostenlose Tests besteht (vgl. www.stmgp.bayern.de/coronavirus/bayerische-teststrategie). Hinzu kommt, dass der Antragsteller nicht geltend gemacht hat, durch den weiteren Vollzug der angegriffenen Verordnung schwere Nachteile zu erleiden. Er befindet sich nicht in häuslicher Quarantäne und trägt auch nicht vor, dass dies im Hinblick auf eine konkret geplante Auslandsreise in ein Risikogebiet derzeit absehbar wäre.
bb) Erginge die einstweilige Anordnung und bliebe dem noch zu erhebenden Normenkontrollantrag der Erfolg versagt, könnten durch die einstweilige Außervollzugsetzung der Verpflichtung zur häuslichen Quarantäne nach der Einreise aus Risikogebieten hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben einer großen Anzahl Dritter gefährdet werden (vgl. auch BVerfG, E.v. 25.8.2020 – 1 BvR 1981/20 – juris Rn. 10 zur Testpflicht auf das SARS-CoV-2-Virus). Da die Außervollzugsetzung der Verordnung allgemeinverbindlich wirken würde (vgl. Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rn. 404; Hoppe in Eyermann, VwGO, § 47 Rn. 111), wäre der mit ihr verfolgte Zweck, mit einer Quarantäneverpflichtung eine Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 und ein daraus resultierendes ggf. unkontrolliertes Infektionsgeschehen zu vermeiden, erheblich beeinträchtigt (vgl. auch OVG Thüringen, B.v. 15.6.2020 – 3 EN 375/20 – juris Rn. 76).
cc) Bei Gesamtsicht überwiegen danach die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz vor einer Weiterverbreitung des Coronavirus gegenüber dem Interesse des Antragstellers, ohne Quarantäneverpflichtung in Staaten und Regionen zu reisen, für die ein erhöhtes Infektionsrisiko mit dem Coronavirus besteht (vgl. auch BVerfG, E.v. 18.6.2020 – 1 BvQ 69/20 – juris Rn. 14; BayVerfGH, E.v. 12.8.2020 – Vf. 34-VII-20 – juris Rn. 26; OVG NW, B.v. 28.8.2020 – 13 B 1232/20.NE – juris Rn. 89; NdsOVG, B.v. 5.6.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 38; OVG Thüringen, B.v. 15.6.2020 – 3 EN 375/20 – juris Rn. 74 ff.; VGH BW, B.v. 16.7.2020 – 1 S 1792/00 – juris Rn. 37).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die vom Antragsteller angegriffene Bestimmung bereits mit Ablauf des 3. Oktober 2020 außer Kraft tritt (§ 4 EQV i.d.F.d. Änderungsverordnung v. 17.9.2020), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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