Medizinrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen den Vollzug der Maskenpflicht nach der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung

Aktenzeichen  20 NE 20.1102

Datum:
15.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9826
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 51 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 1, 2
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 32 S. 1
4. BayIfSMV § 1 Abs. 2, § 4 Abs. 2 S. 3, § 6 S. 1 Nr. 2, § 8 S. 1, § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 17 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung (“MNB”) als Bestandteil des Gesamtkonzepts zum Schutz vor einer ungehinderten Ausbreitung des Infektionsgeschehens ist voraussichtlich von der infektionsschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es spricht nach derzeitiger Erkenntnislage viel dafür, dass auch sog. “Community-Masken” bei sachgemäßer Anwendung und ergänzender Beachtung der allgemein geltenden Abstands- und Hygieneregeln einen gewissen Fremdschutz gewährleisten und das Infektionsrisiko insoweit verringern können. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liege keine nachvollziehbaren Belegen dafür vor, dass mit dem Tragen der MNB bei sachgemäßem Gebrauch über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende konkrete gesundheitliche Risiken verbunden wären. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einer Abwägung zeitlich befristeter und derzeit nur auf wenige und kurzzeitige Situationen des Alltags beschränkter Eingriffe in das Grundrecht auf persönliche Freiheit mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 (2126-1-8-G, BayMBl. 2020 Nr. 240) einstweilen auszusetzen, soweit er durch § 4 Abs. 2 Satz 3, § 6 Satz 1 Nr. 2, § 8 Satz 1, § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 und Satz 3, § 17 Satz 2, jeweils i.V.m. § 1 Abs. 2 4. BayIfSMV zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) verpflichtet wird.
1. Der Antragsgegner hat am 5. Mai 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die in der Hauptsache streitgegenständliche Verordnung erlassen, die am 11. Mai 2020 in Kraft getreten ist (§ 24 Satz 1 4. BayIfSMV).
2. Der in Bayern lebende Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 5. Mai 2020, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 11. Mai 2020, einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen die Bestimmungen zum Tragen einer MNB in der mit Ablauf des 10. Mai 2020 außer Kraft getretenen 3. BayIfSMV beantragt und den Antrag mit Schriftsatz vom 12. Mai 2020 auf die o.g. Bestimmungen der 4. BayIfSMV umgestellt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, dass er aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer MNB in seiner Handlungsfreiheit sowie in seiner körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt werde. Die gesetzliche Verordnungsermächtigung erlaube keine Maßnahmen von hoher Intensität und Dauer, die gegen Nichtstörer gerichtet seien. Nachdem die Infektionszahlen spätestens seit dem 3. April 2020, wahrscheinlich aber schon seit dem 13. März 2020 zurückgingen, gebe es keine Rechtfertigung mehr für Grundrechtseingriffe. Die Pflicht zum Tragen einer MNB sei ein unverhältnismäßiger, insbesondere nicht erforderlicher Eingriff. Insbesondere die sog. Community-Masken böten keinerlei Schutz, weder dem Träger, noch anderen Personen in seinem Umfeld. Vielmehr begründe das Tragen solcher Masken seinerseits Gesundheitsgefahren, insbesondere durch die mögliche Rückatmung von Kohlendioxid, durch Giftstoffe in den verwendeten Textilien sowie durch unsachgemäßen Gebrauch.
3. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die bisherige verwaltungsgerichtliche und oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung sowie auf die vom Robert-Koch-Institut (RKI) bestätigte Eignung der MNB, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 reduzieren zu können. Für eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit habe der Antragsteller keine Nachweise erbracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen
II.
Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht vor.
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – juris Rn. 9).
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung ‒ trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ‒ dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12).
2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens davon aus, dass die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache voraussichtlich nicht gegeben sind (a). Die zu treffende Folgenabwägung führt darüber hinaus dazu, dass eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen nicht dringend geboten erscheint (b).
a) Die Anordnung zum Tragen einer MNB in den Geschäften des Einzelhandels und im öffentlichen Personennahverkehr ist voraussichtlich formell wirksam (1), und die angegriffene Verpflichtung dürfte von der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckt sein (2).
(1) Der Senat geht davon aus, dass die angegriffenen Bestimmungen der Verordnung formell wirksam, insbesondere ordnungsgemäß bekanntgemacht worden sind. Auch wenn die Verordnung im Hinblick auf die in § 21 4. BayIfSMV normierten Ordnungswidrigkeiten als bewehrte Verordnung anzusehen ist, dürfte nach der zum 1. Mai 2020 erfolgten Aufhebung der bisherigen Veröffentlichungspflicht im Gesetz- und Verordnungsblatt nach Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F. durch § 2 Nr. 2 Buchst. a) des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Land- und Amtsarztgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 27. April 2020 (GVBl. 2020 S. 236, vgl. auch LT-Drs 18/7347) die hier erfolgte Bekanntmachung durch Veröffentlichung im Bayerischen Ministerialblatt ausreichend sein.
(2) Im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage der angegriffenen Bestimmungen hat sich der Senat bereits in mehreren Eilentscheidungen (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632 – juris; B.v. 9.4.2020 – 20 NE 20.663 – BeckRS 2020, 5446; 20 NE 20.688 – BeckRS 2020, 5449; 20 NE 20.704 – BeckRS 2020, 5450; B.v. 28.4.2020 – 20 NE 20.849) mit der Außervollzugsetzung von Teilregelungen der 1. und 2. BayIfSMV auseinandergesetzt. Dabei ist der Senat im Rahmen der Eilverfahren davon ausgegangen, dass die Bestimmungen in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG grundsätzlich eine ausreichende Rechtsgrundlage finden dürften (vgl. zum Begriff der Schutzmaßnahme auch BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 9 ff.).
Nach den in den genannten Entscheidungen dargestellten Maßstäben ist die vom Antragsteller angegriffene Verpflichtung zum Tragen einer MNB als Bestandteil des der 4. BayIfSMV zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zum Schutz vor einer ungehinderten Ausbreitung des Infektionsgeschehens voraussichtlich von der Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die Behörde bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, worunter eine Anordnung zum Tragen von Schutzmasken grundsätzlich fallen dürfte (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 – a.a.O. Rn. 11; und BVerwG, U.v. 22.3.2012 – BVerwGE 142, 205 = NJW 2012, 2823 Rn. 24).
Nach dem aktuellen Situationsbericht des RKI vom 13. Mai 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland weiterhin um eine „sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation.“ Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2202-05-13-de.pdf?_blob=publicationFile). In einer solchen Situation obliegt es dem Verordnungsgeber im Rahmen des § 28 Abs. 1 IfSG, der die Behörden zu einem infektionsschutzrechtlichen Tätigwerden verpflichtet und ihnen dabei ein weites Handlungsermessen einräumt (vgl. BT-Drs. 14/2530 S. 74; BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16/11 – NJW 2012, 2823), alle Maßnahmen zu ergreifen, solange und soweit diese die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der angestrebte Erfolg zumindest teilweise eintritt (Grzeszick in Maunz-Dürig, GG, Stand 10/2019, Art. 20 Rn. 112). So liegt es hier. Das Tragen einer MNB erscheint in der derzeitigen Situation als grundsätzlich geeignet, die Infektionszahlen zu reduzieren. Diese Eignung ergibt sich auch vor dem Hintergrund der Rückkehr zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, indem das allgemeine Gebot zum Tragen einer MNB, zusätzlich zur Beachtung der allgemeinen Hygieneregeln und Abstandsgebote, ermöglichen kann, andere Beschränkungen und Verbote zu lockern bzw. aufzuheben.
Qualitätsanforderungen an die Schutzfunktion stellen die hier angegriffenen Normen der 4. BayIfSMV nicht auf, sodass grundsätzlich jegliche Bedeckung den Anforderungen der Verordnung gerecht wird. Der Senat geht davon aus, dass nur Schutzmasken mit der Kategorie FFP2 und FFP3 für den Träger selbst das Infektionsrisiko vermindern (vgl. Übersicht der Schutzwirkung verschiedener Arten von MNB etwa bei Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, https://www.baua.de/DE/The-men/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb-/Coronavirus/pdf/Schutzmasken:pdf?_blob=publi-cationFilev=13). Für medizinische Mund-Nasen-Bedeckungen und FFP1-Masken ist nachgewiesen, dass sie als Spuck- und damit Fremdschutz wirksam sind und für den Träger das Risiko von Schmierinfektionen durch den Schutz der Berührung von Mund und Nase verringern können. Insoweit sieht der Senat keinen Anlass, an der grundsätzlichen Wirksamkeit einer Verpflichtung zum Tragen einer MNB in Bezug auf die Verringerung des Infektionsrisikos zu zweifeln.
Die Eignung sog. „Alltags-“ oder „Community-Masken“ als Mittel zur Verringerung der Infektionszahlen ist zwar, wie der Antragsteller ausdrücklich rügt, bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen (so auch NdsOVG, B.v. 5.5.2020 – 13 MN 119/20 – juris Rn. 46). Gleichwohl dürfte auch die Anordnung zum Tragen von MNB ohne Qualitätsnachweis noch vom Wortlaut des § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt sein, weil nach derzeitiger Erkenntnislage zumindest viel dafür spricht, dass auch die Community-Masken bei sachgemäßer Anwendung (vgl. dazu die allgemein zugängliche Anleitung des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte, https://www.bfarm.de/Shared Docs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html) und ergänzender Beachtung der allgemein geltenden Abstands- und Hygieneregeln (vgl. insbesondere § 1 Abs. 1 4. BayIfSMV) einen gewissen Fremdschutz gewährleisten und das Infektionsrisiko insoweit verringern können, als der Tröpfchenauswurf in die Umgebungsluft durch eine stoffliche Barriere vor Mund und Nase reduziert wird (vgl. auch NdsOVG, B.v. 5.5.2020 – 13 MN 119/20 – juris Rn. 45). Das nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG besonders zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufene RKI empfiehlt ein generelles Tragen einer MNB in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck zu reduzieren. Die Schutzfunktion der Community-Masken ist nach Einschätzung des RKI jedenfalls „plausibel“ und ihre Verwendung als zusätzlicher Baustein neben anderen Maßnahmen zur Reduktion der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus geeignet (vgl. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html mit Verweis auf „Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von Covid-19”, 3. Update v. 7.5.2020, Epid Bull 19/2020, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20_MNB.pdf? blob=publicationFile). Vor diesem Hintergrund kann der angegriffenen Pflicht zum Tragen einer MNB ihre grundsätzliche Eignung auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, der Antragsgegner habe gerade in der Hochphase des Pandemieverlaufs noch von einer solchen Pflicht abgesehen. Neben dem – gerade im Rahmen eines bislang nur ansatzweise erforschten Infektionsgeschehens – immer möglichen Gewinn besserer Erkenntnisse muss vielmehr ins Gewicht fallen, dass in der bisherigen Hochphase des Pandemieverlaufs im März/April 2020 auch deutlich strengere Beschränkungen des täglichen Lebens gegolten haben. Insofern ist es nicht per se widersprüchlich, dass die angegriffene Pflicht zum Tragen einer MNB mit einem tendenziellen Abflachen des Infektionsgeschehens – aufgrund dessen aber auch mit einer Zunahme an Begegnungen im öffentlichen Raum – einhergeht.
Soweit der Antragsteller zum Beleg einer fehlenden Eignung von MNB vor allem auf die möglichen gesundheitsschädigenden Aspekte hinweist, fehlt es an nachvollziehbaren Belegen dafür, dass mit dem Tragen der MNB über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende konkrete gesundheitliche Risiken verbunden sind, zumal weder eine bestimmte Beschaffenheit noch ein bestimmtes Material der MNB vorgeschrieben ist und die Situationen, in denen eine Tragepflicht besteht, regelmäßig von kurzer Dauer sind. Soweit der Antragsteller gesundheitliche Risiken auf einen nicht sachgemäßen Gebrauch der MNB zurückführt, ist nicht erkennbar, dass ein solcher unsachgemäßer Gebrauch unvermeidbar wäre; abgesehen davon sind Personen, die zu einem sachgemäßen Umgang nicht in der Lage sind, von der Tragepflicht befreit (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 4. BayIfSMV).
Im Ergebnis bestehen jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Zweifel, dass es sich bei der Anordnung zum Tragen einer (auch Community)-MNB in den Ladengeschäften des Einzelhandels sowie in den Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs und den dazugehörenden Einrichtungen um eine grundsätzlich geeignete Schutzmaßnahme i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handelt.
b) Selbst wenn man jedoch die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollverfahrens als offen betrachten würde, führt eine Folgenabwägung aber dazu, dass die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe nicht überwiegen (so im Ergebnis auch NdsOVG, B.v. 5.5.2020 – 13 MN 119/20 – juris Rn. 47 ff.; VGH He, B.v. 5.5.2020 – 8 B 1153/20.N – juris Rn. 46 ff.). Durch den Vollzug der angegriffenen Verordnung kommt es zwar zu Eingriffen in die Freiheitsgrundrechte aller Menschen, die sich im Geltungsbereich der Verordnung aufhalten. Aufgrund der Umstände, dass die Pflicht zum Tragen einer MNB aber überwiegend auf verhältnismäßig kurzfristige Situationen beschränkt ist und die Normadressaten in Härtefällen von der Tragepflicht befreit sind, wäre das Gewicht eines rechtswidrigen Eingriffs weniger hoch einzuschätzen als die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der Normen. Würde der Vollzug der angegriffenen Bestimmungen ausgesetzt, wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit vermehrten Infektionsfällen zu rechnen. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird deshalb derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen sogar als sehr hoch (Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts v. 13.5.2020 S. 11, https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-05-13-de.pdf?_ blob=publicationFile). Dies gilt umso mehr, als der Pflicht zum Tragen einer MNB insbesondere im Hinblick auf die gleichzeitige Lockerung der zuvor strengen Handlungsbeschränkungen und -verbote eine wesentliche Bedeutung im Maßnahmenkonzept des Antragsgegners zur Bekämpfung der Infektion zuzukommen scheint.
Bei einer Abwägung zeitlich befristeter (vom Verordnungsgeber fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit zu evaluierender, vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 31/20 – juris Rn. 16) und derzeit nur auf wenige und kurzzeitige Situationen des Alltags beschränkter Eingriffe in das Grundrecht der Normadressaten auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (so im Ergebnis auch BVerfG, B.v. 29.4.2020 – 1 BvQ 47/20 -, 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 -, 9.4.2020 – 1 BvQ 29/20 -, 7.4.2020 – 1 BvR 755/20 – alle juris; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 13 ff.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die vom Antragsteller teilweise angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 17. Mai 2020 außer Kraft tritt (§ 24 Satz 1 4. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht erscheint.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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